Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt

Fang Fang: Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt. 2020.

Abstract

FANG, Fang: „Wuhan Diary. Tagebuch aus einer gesperrten Stadt“, Hamburg 2020
Die chinesische Schriftstellerin Fang Fang wohnt in Wuhan und hat über die 76 Tage der Sperre der Stadt einen Blog betrieben, den es später auch als Buch gab. Ich habe die deutsche Version gelesen. Das Tagebuch beginnt mit 25. Jänner 2020, also zwei Tage nachdem Wuhan von der Außenwelt abgeriegelt wurde. Obwohl ich durch meine Freunde aus Wuhan laufend informiert wurde, habe ich hier wieder Neues erfahren. Gleich zu Beginn zeigt sie auf, dass durch so eine Aktion das Image einer Stadt national und international negativ beeinflusst wird. Wir in Österreich hatten dies mit dem Schi-Ort Ischgl, wo sich viele beim Apres Ski infiziert hatten und den Virus dann weiterverbreitet hatten. Die Absperrung „hat zur Folge, dass sich das Augenmerk des ganzen Landes auf Wuhan richtet, dass die Stadt abgeriegelt ist und dass Menschen aus Wuhan überall auf Zurückweisungen stoßen.“ (Seite 17) Zu Beginn gab es dieselben Probleme, wie später in anderen Ländern: es gab zu wenig Masken; man unterschätzte die Gefahr; Mediziner waren überfordert; Spitäler überfüllt… ABER: „Ich habe das Gefühl, dass die Not uns zusammenschweißt. … Die Generation der in den Achtzigern Geborenen hat es weiß Gott nicht leicht.“ (Seite 27) Die Jungen waren es, die in Freiwilligengruppen die Versorgung der weggesperrten Haushalte versorgte.
Fang erzählt auch viele sehr einfache Dinge, wie etwa, dass ihre Tochter alleine wohnt, aber nicht kochen kann. Sie ging immer auswärts Essen oder ließ sich einladen. Jetzt stand sie vor der Situation selbst zu kochen. „Kurz darauf ruft sie an, um sich von mir Rat zu holen, wie man Chinakohl zubereitet. Meine Tochter hat noch nie am Herd gestanden. … Dass sie jetzt ihre Küche in Betrieb setzt, muss als Fortschritt gelten, man könnte das als einen unerwarteten Ertrag der Situation verbuchen.“ (Seite 30)
Erstaunlich, dass sie auch die politische Führung der Provinz kritisiert und deren Fehlinformationen aufzeigt. Andererseits ist sie auch staatsloyal: „Egal wie viele Versäumnisse sich die Regierung zu Beginn hat zuschulden kommen lassen, momentan können wir nichts anderes tun, als ihr zu glauben. Wir sollten zumindest versuchen, ihr Vertrauen zu schenken. Wem sollte man denn sonst in diesen Zeiten vertrauen? Auf wen können wir uns noch stützten?“ (Seite 53)
Beim Lesen lernt man auch, dass es nicht nur das diktatorische Verhalten der Regierung ist, sondern, dass auch die Chinesen selbst sehr diszipliniert mit der Situation umgingen und wirklich zu Hause blieben. „Noch immer predige ich Tag für Tag Verwandten und Freunden: nicht vor die Tür gehen, nicht vor die Tür gehen. Nach so vielen Tagen, die wir in unsere vier Wände eingesperrt sind, kommt es auf ein paar Tage auch nicht mehr an. Eintöniges Essen, und wenn schon! Nach dem Ende der Epidemie schlemmen wir uns durch all die Restaurants, von denen wir jetzt träumen. Für uns das Vergnügen, für die Restaurants das Geld.“ (Seite 57)
Als der Arzt, der die Krankheit schon vorhergesagt hatte und bestraft wurde, weil er diese Information publik gemacht hatte, starb (er hatte sich bei seiner Arbeit im Krankenhaus angesteckt), gab es eine Aktion, bei der die Einwohner der Stadt alle Lichter ausgeschalten haben und mit Taschenlampen oder Smartphones einen Lichtstrahl gegen den Himmel schickten; zur Erinnerung an den Verstorbenen.
Interessant auch aus der Perspektive eines Haushalts zu erfahren, wie die Versorgung mit Lebensmitteln erfolgte; dass sich Gruppen von Freiwilligen bildeten, die dies organisierten. Die Chinesen – zumindest jene aus der Umgebung der Autorin – verhielten sich äußerst diszipliniert und taten keinen Schritt vor die Haustür. Nur deswegen war es möglich, dass das Virus in der Stadt besiegt werden konnte. Bei allen Fehlern, die zu Beginn gemacht wurden, hat man mit äußerster Disziplin die Stadt wieder in den ursprünglichen Zustand zurückgeführt. Davon könnten / sollten die westlichen Länder lernen. Aber das hat nicht (nur) mit der Qualität und Vorgangsweise der Regierungen zu tun, sondern auch mit der Einstellung und Disziplin ihrer Einwohner. Auch die Hilfe von außen: 16 chinesische Provinzen (von der Größe mit europäischen Ländern vergleichbar) haben das Patronat für verschiedene Bezirke der Stadt Wuhan übernommen und dies mit Lebensmitteln und Hilfestellungen versorgt. 40.000 medizinische Mitarbeiter kamen aus anderen Provinzen nach Wuhan zur Hilfeleistung. In Europa und der Europäischen UNION fehlte diese Nachbarschaftshilfe. Vom raschen Bau der Behelfskrankenhäuser wurde weltweit berichtet. Im Tagebuch von Frau Fang erfährt man, dass erstklassige Restaurants (die ja für das normale Publikum geschlossen waren) gekocht haben und viele Patienten besser gegessen haben als zu Hause oder sonst in ihrem Leben. Interessant aber auch, wie engagiert die Zivilgesellschaft agierte. Journalisten zeigten Fehler auf und berichteten teilweise kritisch.
Das Buch war vor allem für den Westen von Interesse, weil sich die Leser Informationen über den Lock Down der Stadt Wuhan erwarteten. In China ist es nicht erschienen. Im Gegenteil: es gab viele Anfeindungen. Als ich es fertig gelesen hatte fragte ich mich „War es wert ein Buch zu sein?“ Es sind viele Wiederholungen, wie es eben bei Tagebucheintragungen ist. Viele unwichtige Dinge, die aber der Tagebuchschreiberin im Augenblick wichtig erschienen. Das Schreiben des Tagebuchs war im Zuge der Quarantäne auch ein psychologisch wichtiger Akt. So kam es eben zur unsystematischen Faktenwiedergabe. Je länger der Shutdown andauerte, umso länger wurden die Tagesberichte. Generell ist es kein faktenorientierter sachlicher Bericht über die Situation, sondern eine Eindrucksschilderung einer alleinlebenden Frau, die Informationen über das Internet und Telefon von Bekannten, Freunden und eigenen Internetrecherchen bekommt. Die Berichte sind einerseits sehr Regierungsfreundlich (immerhin war Frau Fang Vorsitzende des Schriftstellerverbands der Provinz Hubei), andererseits aber auch kritisch, wobei sich die Kritik auf Zurufe bezieht.

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    Fang erzählt auch viele sehr einfache Dinge, wie etwa, dass ihre Tochter alleine wohnt, aber nicht kochen kann. Sie ging immer auswärts Essen oder ließ sich einladen. Jetzt stand sie vor der Situation selbst zu kochen. „Kurz darauf ruft sie an, um sich von mir Rat zu holen, wie man Chinakohl zubereitet. Meine Tochter hat noch nie am Herd gestanden. … Dass sie jetzt ihre Küche in Betrieb setzt, muss als Fortschritt gelten, man könnte das als einen unerwarteten Ertrag der Situation verbuchen.“ (Seite 30)
    Erstaunlich, dass sie auch die politische Führung der Provinz kritisiert und deren Fehlinformationen aufzeigt. Andererseits ist sie auch staatsloyal: „Egal wie viele Versäumnisse sich die Regierung zu Beginn hat zuschulden kommen lassen, momentan können wir nichts anderes tun, als ihr zu glauben. Wir sollten zumindest versuchen, ihr Vertrauen zu schenken. Wem sollte man denn sonst in diesen Zeiten vertrauen? Auf wen können wir uns noch stützten?“ (Seite 53)
    Beim Lesen lernt man auch, dass es nicht nur das diktatorische Verhalten der Regierung ist, sondern, dass auch die Chinesen selbst sehr diszipliniert mit der Situation umgingen und wirklich zu Hause blieben. „Noch immer predige ich Tag für Tag Verwandten und Freunden: nicht vor die Tür gehen, nicht vor die Tür gehen. Nach so vielen Tagen, die wir in unsere vier Wände eingesperrt sind, kommt es auf ein paar Tage auch nicht mehr an. Eintöniges Essen, und wenn schon! Nach dem Ende der Epidemie schlemmen wir uns durch all die Restaurants, von denen wir jetzt träumen. Für uns das Vergnügen, für die Restaurants das Geld.“ (Seite 57)
    Als der Arzt, der die Krankheit schon vorhergesagt hatte und bestraft wurde, weil er diese Information publik gemacht hatte, starb (er hatte sich bei seiner Arbeit im Krankenhaus angesteckt), gab es eine Aktion, bei der die Einwohner der Stadt alle Lichter ausgeschalten haben und mit Taschenlampen oder Smartphones einen Lichtstrahl gegen den Himmel schickten; zur Erinnerung an den Verstorbenen.
    Interessant auch aus der Perspektive eines Haushalts zu erfahren, wie die Versorgung mit Lebensmitteln erfolgte; dass sich Gruppen von Freiwilligen bildeten, die dies organisierten. Die Chinesen – zumindest jene aus der Umgebung der Autorin – verhielten sich äußerst diszipliniert und taten keinen Schritt vor die Haustür. Nur deswegen war es möglich, dass das Virus in der Stadt besiegt werden konnte. Bei allen Fehlern, die zu Beginn gemacht wurden, hat man mit äußerster Disziplin die Stadt wieder in den ursprünglichen Zustand zurückgeführt. Davon könnten / sollten die westlichen Länder lernen. Aber das hat nicht (nur) mit der Qualität und Vorgangsweise der Regierungen zu tun, sondern auch mit der Einstellung und Disziplin ihrer Einwohner. Auch die Hilfe von außen: 16 chinesische Provinzen (von der Größe mit europäischen Ländern vergleichbar) haben das Patronat für verschiedene Bezirke der Stadt Wuhan übernommen und dies mit Lebensmitteln und Hilfestellungen versorgt. 40.000 medizinische Mitarbeiter kamen aus anderen Provinzen nach Wuhan zur Hilfeleistung. In Europa und der Europäischen UNION fehlte diese Nachbarschaftshilfe. Vom raschen Bau der Behelfskrankenhäuser wurde weltweit berichtet. Im Tagebuch von Frau Fang erfährt man, dass erstklassige Restaurants (die ja für das normale Publikum geschlossen waren) gekocht haben und viele Patienten besser gegessen haben als zu Hause oder sonst in ihrem Leben. Interessant aber auch, wie engagiert die Zivilgesellschaft agierte. Journalisten zeigten Fehler auf und berichteten teilweise kritisch. 
    Das Buch war vor allem für den Westen von Interesse, weil sich die Leser Informationen über den Lock Down der Stadt Wuhan erwarteten. In China ist es nicht erschienen. Im Gegenteil: es gab viele Anfeindungen. Als ich es fertig gelesen hatte fragte ich mich „War es wert ein Buch zu sein?“ Es sind viele Wiederholungen, wie es eben bei Tagebucheintragungen ist. Viele unwichtige Dinge, die aber der Tagebuchschreiberin im Augenblick wichtig erschienen. Das Schreiben des Tagebuchs war im Zuge der Quarantäne auch ein psychologisch wichtiger Akt. So kam es eben zur unsystematischen Faktenwiedergabe. Je länger der Shutdown andauerte, umso länger wurden die Tagesberichte. Generell ist es kein faktenorientierter sachlicher Bericht über die Situation, sondern eine Eindrucksschilderung einer alleinlebenden Frau, die Informationen über das Internet und Telefon von Bekannten, Freunden und eigenen Internetrecherchen bekommt. Die Berichte sind einerseits sehr Regierungsfreundlich (immerhin war Frau Fang Vorsitzende des Schriftstellerverbands der Provinz Hubei), andererseits aber auch kritisch, wobei sich die Kritik auf Zurufe bezieht.
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