Abstract
TOKARCZUK, Olga: „Letzte Geschichten“, Zürich 2020
Bedingt durch den im Jahr 2020 vergebenen Literaturnobelpreis werden ihre Werke bekannt gemacht. Schon 2004 entstand dieser Roman in polnischer Sprache. In Deutsch gab es 2006 eine Neuausgabe. 2020 brachte der Kampa Verlag mehrere ihrer Bücher – so wie dieses – in deutscher Sprache auf den Markt.
Der Roman gliedert sich in 3 Teile.
„Das reine Land“ nennt sich der erste. Er handelt von einer Reiseführerin, die polnische Gruppen nach Wien, Prag und Berlin führt. Eine Rundreise. Das Reisebüro nennt sich „Herz Europas“ oder „The Heart of Europe“. Die Reiseführerin heißt Ida. Auf der Heimfahrt mit einer Reisegruppe aus Wien gibt es noch eine Nächtigung in Polen. Die Reiseleiterin und die Besitzerin des Hotels kennen sich gut. Da Ida noch das Elternhaus – die Eltern sind verstorben und das Haus verkauft – besichtigen will, borgt ihr die Wirtin ihr Auto. Es ist ein verschneiter Winterabend und Ida übersieht eine Kurve und landet im Schnee an einem Baum. Das Auto ist kaputt und sie verwirrt. Zu Fuß schlägt sie sich zu einem alleinstehenden Haus durch. Ein altes Ehepaar wohnt hier und gibt ihr Quartier. Deren Sohn ist Tierarzt und Tiere, die er eigentlich einschläfern müsste bringt er zu den Eltern, wo sie eines natürlichen Todes sterben können. Ida verbringt mehrere Tage und Nächte in dieser Gesellschaft, bis sie sich losreißt und zurück zum kaputten Auto geht. Sie will heimfahren. Beim kaputten Auto, in dem sie die Scheinwerfer nochmals einschaltet endet die Geschichte.
„Parka“ ist der zweite Teil und handelt ebenfalls von einem älteren Ehepaar, das in einem einsamen Haus oben auf einem Berg wohnt. Der Mann liegt im Sterben, die Frau pflegt ihn. Als er dann an einem Abend stirbt, legt sie sich gewohnt neben ihm nieder. In der Einsamkeit hatte sie den Bezug zur Zeit verloren. Sie fragt sich „Oder ist es vielleicht Mittwoch? Hab ich nicht ein Blatt zu viel abgerissen? Vielleicht hab ich vergessen, das vorige Blatt abzureißen? Woher soll ich wissen, welcher Tag es ist? Nur den Sonntag kann ich erkennen, dann läuten die Glocken im Tal, und wenn die Luft feucht genug ist, dringt der Klang zu uns herauf, vom Echo zerstückelt.“ (Seite 129)
Wie sie so neben dem toten Ehemann liegt philosophiert sie über das Sterben und den Tod. „Wann beginnt ein Mensch zu sterben? Es muss so einen Augenblick im Leben geben, wahrscheinlich ist er kurz und unauffällig, aber geben muss es ihn. Das Erklimmen, die Entwicklung, der Weg hinauf muss einen Höhepunkt erreichen, von dem aus dann der Abrutsch beginnt. … Es muss einen solchen Moment geben, aber wir kennen ihn nicht.“ (Seite 133) Die alte Frau, die Witwe denkt auch über sich selbst nach: „… je älter ich bin, desto mehr liegt hinter mir, und desto weniger tut sich im Jetzt. Wir haben viel Zeit. Die Zukunft verschwindet unmerklich, verweht, schmilzt.“ (Seite 134) Die Vergangenheit zieht nochmals in ihrem Kopf vorbei. Das Ehepaar kam aus einem anderen Teil Polens, der jetzt nicht mehr zu Polen gehört. Grenzen wurden verschoben. „Eines Nachts machte sich die Grenze auf den Weg und fand sich an einem völlig anderen Ort wieder. Und es stellte sich heraus, dass wir auf der falschen Seite waren. Und da der Mensch nicht ohne Grenzen leben kann, mussten wir uns auf die Suche nach ihr machen. Der Mensch braucht grenzen wie die Luft.“ (Seite 139) Sie haben ihr Leben an diesem neuen Ort, einem Haus am Berg, gemeinsam verlebt. Er pflegte den Gemüsegarten und sie kümmerte sich um Tiere. „Das war der zweite Unterschied zwischen mir und Petro: Er war ein Pflanzentyp, ich ein Tiertyp. Und der erste Unterschied war: Er war alt und ich jung.“ (Seite 142) Er war der genaue Mensch und sie hatte den Überblick. „Man konnte sehen, dass er alles zweimal machte, einmal im Kopf, einmal in Wirklichkeit. So lebte er zweimal.“ (Seite 188) Als er gestorben war fragte sie sich „Und wie ist es jetzt – welches Leben ist er gestorben? Das probeweise Leben oder das richtige?“
Sie haben wenig Kontakt zu den Menschen unten im Tal. Als der Mann stirbt war die Straße zugeschneit. Die alte Frau konnte keine Hilfe holen. Mit ihren Füßen tritt sie einen Hilferuf in den Schnee. Es strengte sie an und brauchte mehrere Tage. Tage, an denen sie mit dem toten Mann noch zusammenlebt und in denen viele Erinnerungen hochkommen. Wie sie ein Teil der Sowjetunion wurden und sie ihren Mann, der Pole war, verstecken musste. „Dann saß Petro fünf Monate in einem Verschlag unter dem Stallboden.“ (Seite 171) Dann übersiedelten sie in den polnischen Teil nach Westen. Was sie tragen konnten nahmen sie mit. Es wurde ein Neuanfang.
Der dritte Teil titelt sich „Der Magier“. Eine Frau reist mit einem kleinen Buben in Malaysia zu einer entlegenen Insel. Sie schreibt – und hier knüpft dieses Kapitel indirekt an das erste an – an einem alternativen Reiseführer und besucht diese entlegene und abgelegene Insel. Mit einem alten Schiff kommen sie. Bungalows stehen am Hügel. Nur wenige Gäste sind anwesend: japanische Taucher, vier holländische Frauen, ein verliebtes Paar und der, dem Kapitel den Namen gebende Magier. Ein älterer Mann, der in der benachbarten größeren Insel, auf der es luxuriöse Hotels gibt, als Magier aufgetreten ist. Sein Gesundheitszustand erlaubte es nicht mehr seiner Arbeit nachzugehen. Er zog sich auf diese ruhige Insel zurück. Sein Manager stornierte drüben alle bestehenden Verträge. Der Frau ist der Greis unsympathisch. Dem Buben aber gefiel er. Der Magier lernt ihm Zauberkünste und borgt ihm sein Zauberbuch. Letztlich kommt es im Finale zu einem Auftritt der Beiden vor dem kleinen Hotelpublikum. Der Bub ist begeistert. Für den Alten war es aber der letzte Auftritt. Am nächsten Tag wird sein Leichnam abtransportiert. Die Frau verlässt mit dem Buben die Insel.
Drei unterschiedliche Frauen werden zwischen den Deckeln dieses Buches vereint. Sie zeigen verschiedene Charaktere aus verschiedenen Kulturen.
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Da Ida noch das Elternhaus – die Eltern sind verstorben und das Haus verkauft – besichtigen will, borgt ihr die Wirtin ihr Auto. Es ist ein verschneiter Winterabend und Ida übersieht eine Kurve und landet im Schnee an einem Baum. Das Auto ist kaputt und sie verwirrt. Zu Fuß schlägt sie sich zu einem alleinstehenden Haus durch. Ein altes Ehepaar wohnt hier und gibt ihr Quartier. Deren Sohn ist Tierarzt und Tiere, die er eigentlich einschläfern müsste bringt er zu den Eltern, wo sie eines natürlichen Todes sterben können. Ida verbringt mehrere Tage und Nächte in dieser Gesellschaft, bis sie sich losreißt und zurück zum kaputten Auto geht. Sie will heimfahren. Beim kaputten Auto, in dem sie die Scheinwerfer nochmals einschaltet endet die Geschichte. „Parka“ ist der zweite Teil und handelt ebenfalls von einem älteren Ehepaar, das in einem einsamen Haus oben auf einem Berg wohnt. Der Mann liegt im Sterben, die Frau pflegt ihn. Als er dann an einem Abend stirbt, legt sie sich gewohnt neben ihm nieder. In der Einsamkeit hatte sie den Bezug zur Zeit verloren. Sie fragt sich „Oder ist es vielleicht Mittwoch? Hab ich nicht ein Blatt zu viel abgerissen? Vielleicht hab ich vergessen, das vorige Blatt abzureißen? Woher soll ich wissen, welcher Tag es ist? Nur den Sonntag kann ich erkennen, dann läuten die Glocken im Tal, und wenn die Luft feucht genug ist, dringt der Klang zu uns herauf, vom Echo zerstückelt.“ (Seite 129) Wie sie so neben dem toten Ehemann liegt philosophiert sie über das Sterben und den Tod. „Wann beginnt ein Mensch zu sterben? Es muss so einen Augenblick im Leben geben, wahrscheinlich ist er kurz und unauffällig, aber geben muss es ihn. Das Erklimmen, die Entwicklung, der Weg hinauf muss einen Höhepunkt erreichen, von dem aus dann der Abrutsch beginnt. … Es muss einen solchen Moment geben, aber wir kennen ihn nicht.“ (Seite 133) Die alte Frau, die Witwe denkt auch über sich selbst nach: „… je älter ich bin, desto mehr liegt hinter mir, und desto weniger tut sich im Jetzt. Wir haben viel Zeit. Die Zukunft verschwindet unmerklich, verweht, schmilzt.“ (Seite 134) Die Vergangenheit zieht nochmals in ihrem Kopf vorbei. Das Ehepaar kam aus einem anderen Teil Polens, der jetzt nicht mehr zu Polen gehört. Grenzen wurden verschoben. „Eines Nachts machte sich die Grenze auf den Weg und fand sich an einem völlig anderen Ort wieder. Und es stellte sich heraus, dass wir auf der falschen Seite waren. Und da der Mensch nicht ohne Grenzen leben kann, mussten wir uns auf die Suche nach ihr machen. Der Mensch braucht grenzen wie die Luft.“ (Seite 139) Sie haben ihr Leben an diesem neuen Ort, einem Haus am Berg, gemeinsam verlebt. Er pflegte den Gemüsegarten und sie kümmerte sich um Tiere. „Das war der zweite Unterschied zwischen mir und Petro: Er war ein Pflanzentyp, ich ein Tiertyp. Und der erste Unterschied war: Er war alt und ich jung.“ (Seite 142) Er war der genaue Mensch und sie hatte den Überblick. „Man konnte sehen, dass er alles zweimal machte, einmal im Kopf, einmal in Wirklichkeit. So lebte er zweimal.“ (Seite 188) Als er gestorben war fragte sie sich „Und wie ist es jetzt – welches Leben ist er gestorben? Das probeweise Leben oder das richtige?“ Sie haben wenig Kontakt zu den Menschen unten im Tal. Als der Mann stirbt war die Straße zugeschneit. Die alte Frau konnte keine Hilfe holen. Mit ihren Füßen tritt sie einen Hilferuf in den Schnee. Es strengte sie an und brauchte mehrere Tage. Tage, an denen sie mit dem toten Mann noch zusammenlebt und in denen viele Erinnerungen hochkommen. Wie sie ein Teil der Sowjetunion wurden und sie ihren Mann, der Pole war, verstecken musste. „Dann saß Petro fünf Monate in einem Verschlag unter dem Stallboden.“ (Seite 171) Dann übersiedelten sie in den polnischen Teil nach Westen. Was sie tragen konnten nahmen sie mit. Es wurde ein Neuanfang. Der dritte Teil titelt sich „Der Magier“. Eine Frau reist mit einem kleinen Buben in Malaysia zu einer entlegenen Insel. Sie schreibt – und hier knüpft dieses Kapitel indirekt an das erste an – an einem alternativen Reiseführer und besucht diese entlegene und abgelegene Insel. Mit einem alten Schiff kommen sie. Bungalows stehen am Hügel. Nur wenige Gäste sind anwesend: japanische Taucher, vier holländische Frauen, ein verliebtes Paar und der, dem Kapitel den Namen gebende Magier. Ein älterer Mann, der in der benachbarten größeren Insel, auf der es luxuriöse Hotels gibt, als Magier aufgetreten ist. Sein Gesundheitszustand erlaubte es nicht mehr seiner Arbeit nachzugehen. Er zog sich auf diese ruhige Insel zurück. Sein Manager stornierte drüben alle bestehenden Verträge. Der Frau ist der Greis unsympathisch. Dem Buben aber gefiel er. Der Magier lernt ihm Zauberkünste und borgt ihm sein Zauberbuch. Letztlich kommt es im Finale zu einem Auftritt der Beiden vor dem kleinen Hotelpublikum. Der Bub ist begeistert. Für den Alten war es aber der letzte Auftritt. Am nächsten Tag wird sein Leichnam abtransportiert. Die Frau verlässt mit dem Buben die Insel. Drei unterschiedliche Frauen werden zwischen den Deckeln dieses Buches vereint. Sie zeigen verschiedene Charaktere aus verschiedenen Kulturen. }, keywords = {Frauen, Geschichten, Malaysia, Polen}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} }