Ich lese viel und schreibe bei vielen Büchern eine Rezension, die hier veröffentlicht ist. Ich schreibe solche Kritiken auch für mehrere Verlage und deren Bücher. |
Suche in der Lesestoffsammlung 21. Langenegger, Lorenz Was man jetzt noch tun kann Buch 2023. @book{Langenegger2023, LANGENEGGER, Lorenz: „Was man jetzt noch tun kann“, Wien 2022 Der Autor ist Schweizer und wohnt in Wien. In diesen Destinationen und einem geschäftlichen Einsatz in Tansania spielt auch der vorliegende Roman. Der Proponent Manuel ist Schweizer. Sein Vater ist ein Erfinder und besitzt eine Fabrik für spezielle Türschlösser. Manuel wohnt in Wien. Als er sich mit seiner Lebensgefährtin in Venedig auf Urlaub befindet, bekommt er die Nachricht, dass der Vater verstorben sei. Er fährt nach Zürich, die Freundin zurück nach Wien. Manuels Bruder ist Forscher und an den Geschäften des Vaters nicht interessiert. Er überlässt seine Anteile an der Firma seinem Bruder und dieser ist plötzlich Besitzer und Geschäftsführer der Fabrik. Auch bedeutet es eine Übersiedlung von Wien nach Zürich, was der Freundin nicht angenehm ist. Die Firma arbeitet mit alter Technologie und ist nicht mehr lebensfähig. Manuel muss die Firma schließen. Mehrere Tonnen von Schlössern liegen auf Lager. Er übersiedelt sie nach Auflösung der Firma und dem Verkauf des elterlichen Hauses nach Wien in eine kleine Wohnung, denn seine Freundin, bei der er vorher wohnte, hat ihn hinausgeschmissen. Letztlich gelingt es ihm die Schlösser einem Chinesen zu verkaufen, der sie in Afrika vermarktet. Dazu musste Manuel auch nach Tansania zur Vertragsunterzeichnung fliegen. Hier ist auch die alte Technologie der Schlösser noch gefragt. Ein sehr einfach „gestrickter“ Roman, der sich aber flüssig lesen lässt. Witzig ist eine Passage im Roman, in der der Proponent überlegt die Zeit umgekehrt laufen zu lassen. „Der Lauf der Zeit hatte seine Richtung geändert.“ (Seite 227) Das hatte umgekehrte Abfolgen wie etwa „Am Friedhof nahm der Pfarrer die Urne aus dem Grab.“ „Wie alle anderen Menschen wurde Helmut Keller Jahr für Jahr jünger, bis er eines Tages zurück in seine Mutter kroch, wo er langsam schrumpfte, bis nur mehr ein Zellhaufen übrig blieb, der sich schließlich in eine Eizelle und ein Spermium teilte.“ (Seite 228) 22. FLASAR, Milena Michiko 2023. @book{FLASAR2023, FLASAR, Milena Michiko: „Oben Erde, unten Himmel“, Berlin 2023 Frau Flasar las im Rahmen des Literaturfestivals „Literatur & Wein“ im Stift Göttweig aus diesem, ihrem neuen Buch. Es handelt - so wie die vorangegangenen Romane – in Japan. Die Hauptperson ist eine junge Frau, die sehr auf sich zurückgezogen lebt. Das Studium hatte sie abgebrochen, weil sie keinen Anschluss und keine Freundschaften der Universitätscommunity fand. Da sie allein in der Stadt wohnte musste sie für ihren Unterhalt sorgen und nahm verschiedene Aushilfsarbeiten an. Sie lebt allein mit einem Hamster. Als Kellnerin war sie nicht ausreichend Kundenorientiert und wurde gekündigt. Der Chef sagte zu ihr „Um es auf den Punkt zu bringen, Sie sollten sich einen Job suchen, bei dem Sie so wenig wie möglich mit Menschen zu tun haben.“ (Seite 34) Sie suchte also nach einem Job, bei dem sie wenig oder keinen Kontakt zu anderen Menschen hat und bewarb sich bei einem Reinigungsunternehmen. Das entpuppte sich als Firma, die Wohnungen von einsam verstorbenen Menschen (man nennt sie Kodokushi) räumte. Hier erfährt man, dass viele Einsame ein Auto mieten und in diesem ihrer Einsamkeit nachkommen. Man stellte dies fest, nachdem viele Auto lange vermietet waren, aber keine gefahrenen Kilometer auswiesen. Sie bekam den Zuschlag. Die Arbeit war schwierig und der Geruch, der lange unentdeckten Leichen hielt sich lange am Körper. Der Vorgang der Wohnungsräumung wurde sehr pietätvoll durchgeführt. Das Räumungsteam klopft an die Wohnungstür und bittet um Einlass, obwohl der Mensch dahinter tot ist. Dann sprechen sie mit ihm, als würde er leben. „Wir sind gekommen, um dir beim Aufräumen zu helfen. Bitte erschrick nicht. Ich weiß, es ist unangenehm, fremde Menschen an sein Zeug ranzulassen, aber ich verspreche dir, wir werden deine Privatsphäre respektieren …“ (Seite 226) Die leere und gereinigte Wohnung wurde dann an die Angehörigen übergeben. Dazu stellte das Team einen kleinen Hausaltar auf und übergab eine Box mit Erinnerungsstücken. Der Chef war sehr kommunikativ, was nicht ihrer Natur entsprach. So organisierte er ein Kirschblütenfest, an dem sie sich nicht sehr gern beteiligte. Der Chef, Herr Sakai, war ein guter Vorgesetzter und kümmerte sich um seine Mitarbeiter. Suzu, die junge Frau, die in der Ichform diese Geschichte erzählt, wird durch ihn animiert, aus ihrer Einsamkeit geholt und sie bekommt Anschluss mit den alten Nachbarn im Haus, in dem sie wohnt und dem Kollegen Takada. Dieser wohnt in einer einfachen Kabine allein. Als er nicht zur Arbeit kommt, schickt der Chef Suzu zu ihm. Sie findet ihn schwer krank. Kurz entschlossen übersiedelt sie ihn in ihre Wohnung und pflegt ihn gesund. Die einsame Frau bekam Anschluss und suchte auch den Kontakt zu ihren Eltern wieder. Nach 1 ½ Jahren besucht sie sie. Sie ist auch standfest und erzählt von ihrem Job, den sie liebt. Die Eltern hätten es lieber gesehen, wenn sie studiert, geheiratet und Kinder hätte. Aber sie akzeptieren es. Der Chef öffnet sich ebenfalls und erzählt seine Lebensgeschichte. Er leidet an einem starken Husten und als er endlich zu einem Arzt geht konstatiert dieser nur mehr eine kurze Lebenszeit. Herr Sakai versucht die Nachfolge der Firma zu regeln und die vier Mitarbeiter erledigen die Arbeit ohne ihn. Als er ins Spital kommt, besuchen sie ihn regelmäßig. Hier zeigt sich, welch kommunikativer Mensch er ist. Viele Leute besuchten ihn: seine Frisörin, die Vermieterin, der Wirt, der Briefträger; nur seine Exfrau und seine Kinder kamen nicht. Seine Nachlassverwaltung übertrug er seinem Arbeitsteam. So wie sie die Wohnungen von einsam verstorbenen Menschen räumten und reinigten sollte es auch bei ihm sein. Als das Team ehrfürchtig die Wohnung von Herrn Sakai betritt erleben sie eine Überraschung. Er, der ein Messi, ein Sammler war, hat die Wohnung noch vor seinem Tod räumen, reinigen und renovieren lassen. Er wollte nichts von seinem Team und bat sie, für ihn zu beten. Suzu sinniert: „Wie der eigene Tod war auch der eines anderen nicht vorstellbar. Wohin ging einer? Und wo war er jetzt? War er in der Luft, die ich einatmete? Herr Sakai und seine Sakaihaftigkeit konnte sich nicht einfach aufgelöst haben. Partikel von ihm und von dem, was ihn ausgemacht hatte, mussten in der Atmosphäre sein, und wer weiß, dachte ich, ob sie nicht dadurch, dass ich sie einatmete, in mir weiterleben?“ (Seite 280) Das Buch spielt im Zeitraum eines Jahres und die einzelnen Kapitel sind den Jahreszeiten zugeordnet. Man wird mit deutschen Worten, Texten in die japanische Welt entführt und da noch in einen, für viele unbekannten Bereich, dem Leben und Sterben von einsamen Menschen. 23. HOLL, Adolf Der letzte Christ Buch 2023. @book{HOLL2023, HOLL, Adolf: „Der letzte Christ“, Salzburg Wien 2023 Der immer kritische Theologe, Schriftsteller und Publizist Adolf Holl ist 2020 verstorben. Der Residenzverlag gab jetzt seine Biografie über Franz von Assisi, die 1971 erstmals erschienen ist neu heraus. Es ist mehr als eine Biografie. Es ist auch eine sehr gute Schilderung der Zeit und des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit (wie es Holl definiert). Holl hat 33 Bücher geschrieben, die vorliegende Monografie ist mit ihren 400 Seiten das umfangreichste Buch. Die 44 Jahre des Franz von Assisi werden in einzelne Lebensabschnitte geteilt und immer ins Umfeld der Gesellschaft und historischen Ereignisse gestellt. So erfährt man von Holl, dass im Mittelalter nur 180 Tage im Jahr gearbeitet wurde; der Rest waren Feiertage. Eine Arbeitszeit, die man sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr vorstellen kann. Die ersten 24 Jahre des Franz von Assisi sind eher ereignislos. Er stammte aus einer reichen Familie und führte ein ausschweifendes Leben. Bei einem Kampf der Stadt Assisi gegen die Nachbarstadt Perugia kommt er in Gefangenschaft, aus der ihn der Vater nach einiger Zeit freikaufen kann. Anschließend ändert sich sein Leben. Er macht eine Wallfahrt nach Rom und vereinsamt. Letztlich bricht er mit seiner Familie und zieht sich in ein Bettlerdasein zurück. Dabei restauriert er Kapellen und Kirchen der Umgebung und lebt von Almosen. Die Trennung von der Familie endet mit einem Eklat, bei dem er splitternackt in Assisi auftritt. Die Bevölkerung stuft ihn zu Beginn als Narren ein, respektiert und schätzt ihn aber zunehmend. Vor allem die niedrigeren Gesellschaftsschichten schätzen ihn. Später holt er sich eine Erlaubnis des Papstes, um predigen zu dürfen und so zieht er zehn Jahre durch die Lande. Er kommt aus Italien hinaus, predigt auch in Dalmatien, Spanien und kommt ins heilige Land. Sein erster und wichtigster Mitstreiter war Leo. Ihm verdankt die Nachwelt auch viele Aufzeichnungen. Die unteren Schichten der Gesellschaft sehnen sich nach Predigten und Aussagen von Franz. Er traf mit seinen Reden den Zeitgeist. „Auch in anderen europäischen Städten wurden ab dem elften Jahrhundert Revolten gegen die Geistlichkeit mit Erfolg durchgeführt“ (Seite 50) Seine Organisation – sie nennen sich „Minderbrüder“, weil sie allen Besitz ablehnen – waren nach Plan von Franz nie ein Orden mit Klöstern, sondern eine Genossenschaft von Gleichgesinnten. Er hat sich nie wie ein Abt benommen und hat seinen Mitbrüdern seine Lebenseinstellung vorgelebt, indem er auf alles verzichtete. Keinerlei Besitz. Nur eine Kutte, eine Schnur, die sie zusammenhielt und eine Unterhose. Sommers und Winters ging er ohne Schuhe. Er führte ein absolutes Verbot des Geldgebrauchs ein. „Das Geld als Sündenbock für den Verfall aller Werte.“ (Seite 135) Holl beschreibt die Beziehung von Franz zu Klara und nennt sie ein Liebespaar, ohne dass sie geschlechtliche Kontakte hatten. Klara stammte wie Franz aus einem reichen und angesehenen Haus. Sie gründete mit Unterstützung von Franz einen weiblichen Ableger der Gesellschaft. Franz hält bis zu seinem Tod Kontakt mit Klara und ist deren Berater. Seine Bruderschaft erhält durch einen kostenlosen Pacht von den Benediktinern ein Stammhaus unterhalb der Stadt Assisi. Die Anhängerschaft wächst jedes Jahr geht bald in die Tausende. Einmal pro Jahr treffen sie sich zu Pfingsten zu einer Versammlung. Die geografische Ausdehnung erfordert eine Organisation in fünf Regionen, die von Provinzialministern geleitet werden. Obwohl Franz eine strikte Organisation ablehnte, kam es doch zu Regelungen. Als Beispiele seien hier erwähnt: „Jeder Standesunterschied unter den Minderbrüdern, auch der zwischen Laien und geweihten Priestern, ist verpönt. Ein periodischer Wechsel zwischen Oberen und Untergebenen ist unbedingt erforderlich. Die Ämter im Orden sollen als Dienstleistung gelten, weshalb dafür auch die Namen minister (Diener), cusios (Beschützer), guardian (Wachhabender) eingeführt werden.“ (Seite 228) Vieles aus dem Leben des Heiligen ist nicht dokumentiert. Holl versucht es zu interpretieren und kommt so zum Schluss, dass sein Kontakt in Palästina mit den Kreuzrittern und deren Schlachten sehr einprägsam gewesen sein muss. Schmerzlich war für ihn auch, dass aus seinem Verein, seiner Genossenschaft eine Institution, ein Orden wurde. Er, der besitzlos leben wollte, musste Zugeständnisse zur Errichtung von Ordenshäusern machen. Auch übernahmen zunehmend akademische Mitbrüder das Sagen. In der Pfingstversammlung des Jahres 1221 gab er die Führung seiner Brüderschaft ab und meinte „Von jetzt an bin ich tot für euch.“ Die Amtskirche versuchte immer mehr Einfluss zu gewinnen. Seine Sorgen veränderten auch seinen Gesundheitszustand und so entstanden auch die Narben des Gekreuzigten. Holl versucht deren Entstehung wissenschaftlich zu begründen. Da er in immer schlechterem Gesundheitszustand seinen Wanderungen nicht mehr nachkommen konnte, zog er auf einem Esel reitend durch die Gegend. Man brachte ihn als Kranken in den Palast des Bischofs von Assisi. Als Franz die Nähe des Todes spürte, bat er, ihn ins Stammhaus am Fuss der Stadt zu bringen. Dies war sehr zum Unwillen der Stadt, denn Franz war zu diesem Zeitpunkt schon ein anerkannter „Heiliger“ und seine Leiche hätte einen Wert für die Stadt dargestellt. So verstarb er dort, wo er begonnen hatte: in der kleinen Kapelle, die er von eigener Hand renoviert hatte. Erst Jahre später baute man ihm eine ehrwürdige große Kirche in der Stadt. Als sein Leichnam überführt wurde, hat man ihn in einem geheimen Platz im Kirchenkomplex begraben. Ein Platz, der erst am Ende des 19. Jahrhundert entdeckt wurde. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde Franz heiliggesprochen. Die Bruderschaft der Franziskaner spaltete sich später weiter auf. Die Besitzlosigkeit der Mitbrüder wurde durch externe „Nicht-Mitglieder“ umgangen. Holl versucht auch Ähnlichkeiten zwischen Franz von Assisi und Mao Tse-tung herzustellen. Wie Mao sorgte er sich, dass die Intellektuellen die manuelle Arbeit vernachlässigen könnten. Seine Abkehr von der bürgerlichen Klasse, aus der er kam, wird mit Karl Marx verglichen. Es werden aber auch Trends in der heutigen Gesellschaft registriert, wo Jugendliche in Industrieländern eine Abkehr von ihren bürgerlichen Familien anstreben. 24. ROSEI, Peter Von hier nach dort Buch 2023. @book{ROSEI2023b, ROSEI, Peter: „Von hier nach dort“, Salzburg Wien 2023 Das Buch erschien im Residenzverlag schon 1978. Es hat die Fahrt mit einem Rad zum Thema. Wer das letzte Buch von Peter Rosei („Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung“) gelesen hat, weiß, dass er damals in Salzburg gewohnt hat und einen Auftrag für ein Filmprojekt im Salzburgerland bekam. Da er für diesen Job eine Fahrmöglichkeit brauchte, aber keinen Führerschein und auch kein Auto besaß, kaufte er sich ein Moped und unternahm damit in der Folge lange Fahrten. Allein und mit seinem Freund fuhr er bis Venedig und Triest. Im vorliegenden Buch, das zu dieser Zeit entstand, werden die Orte aber nur anonym beschrieben. Er erzählt von Landschaften und Städten, durch die er kommt. Oft fuhr er in der Nacht und nahm erst wenn es hell wurde ein Zimmer zum Schlafen. Unaufgefordert setzte er sich bei einer Rast an einen Tisch mit jungen Menschen. Unaufgefordert begann er zu reden: „Ich bin unterwegs, sagte ich, ich fahre ans Meer.“ (Seite 47) und er animierte dann die jungen Leute ihre Geschichten zu erzählen und jeder folgte dem und erzählte seine Geschichte. Er ist allein unterwegs. Ein Einsamer. Da fragte er sich „Wem gehört ein Einsamer? Welches Ziel hat ein solcher?“ (Seite 48) Obwohl er sich kommunikativ zeigt, mit Menschen in Kontakt kommt und diese für den Leser beschreibt. „So einfach ist es manchmal, einen Menschen zu gewinnen.“ (Seite 54) Im zweiten Abschnitt des Buchs wohnt er in einer Stadt in einem „Hotel“ namens BAHIA. „Das Bahia ist eine Art von Miethaus in einer abgewohnten Gegend dieser Stadt. Ich habe ein Zimmer dort. Es ist ein billiges Zimmer, Bett, Stuhl, Tisch, Kasten, mehr brauche ich nicht. Selbst im Winter bin ich nur selten da. Bin ich da, schlafe ich.“ (Seite 61) Seine Mitbewohner sind alte Menschen und solche, die sich eine normale Wohnung nicht mehr leisten können. Hier trifft er auch auf seinen Freund, den er Perkins nennt. Sie kommen beim „Italiener“, einem Alteisenhändler zusammen. Mit ihm handeln sie auch mit Rauschgift. Der Proponent beschreibt, wie er den Stoff an die Kunden bringt. Letztlich haben sie viel Geld. Wie Dagobert Duck badet er im Geld: „Im Zimmer warf ich das Geld auf den Boden. Das andere Geld holte ich aus dem Kasten und warf es dazu. Ich wälzte mich in dem Geld, und weil ich es zu wenig spüren konnte, zog ich mich aus und wälzte mich und lachte.“ (Seite 101) Im dritten und letzten Abschnitt verreist er. Er ist reich und gibt das Geld auch aus, fährt Taxi ohne ein Ziel. Wohnt und isst gut. Fliegt weg. Landet in Fiumicino, ist also in Rom. Ein Horoskop beschreibt ihn: „Du bist eine so verdienstvolle Person, dass Erfolg dich hold sein muss; vergesse das Leid; denke nicht mehr an den Ungerechtigkeiten, die dugelitten hast und beseitige deine Zweifel, Weil die verdiente Glueckseiligkeit bald kommen wird.“ (Seite 118) Die Geschichte ist eine Reise von arm nach reich, vom Land ans Meer, von hier nach dort. Manche Textabschnitte werden im Buch wiederholt. Das stört nicht, sondern unterstreicht eine Situation. Die Erzählung ist ansprechend geschrieben. Schön, dass sie der Residenzverlag wieder neu aufgelegt hat. Oft sind die frühen Erzählungen von Dichtern sehr gut. Später schreiben sie dann oft für ihren Namen, Ruhm und den Marketingerfolg. In diesen Frühwerken kommt noch die wahre Begabung zum Vorschein 25. ROSEI, Peter Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung Buch 2023. @book{ROSEI2023, ROSEI, Peter: „Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung“, Salzburg Wien 2023 Es ist eine Biografie, in der der Dichter Rosei sehr viel aus seinem Leben preisgibt. Teilweise ist es sehr Intimes und Vertrauliches. Etwa, wie das Zusammenleben mit seiner Frau war, wie er ein Verhältnis mit einer Reitstallbesitzerin hatte. Schreibt man solche Dinge, nach dem Tod der Betroffenen, ist man frei. Aber Rosei holt Menschen aus seinem Leben auf die Bühne, die das noch lesen können. Es ist eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Das Verhältnis zu den Eltern, zum Vater und zur Mutter wird beschrieben. Wo und wie die Familie wohnte. Ersichtlich wird auch, dass er aus einfachen Verhältnissen kommt und es zu einem akademischen Abschluss und einem namhaften Dichter brachte. Als Student musste er fleißig sein, um das notwendige Stipendium zu bekommen. Bei der ersten Hochzeit kommen zwei Welten zusammen: die Frau aus einem gutbürgerlichen provinziellen Milieu und er aus einfachen Wiener Verhältnissen. Mit einem guten Job beim Maler Fuchs konnte er seine Lebensverhältnisse gut meistern. Das intensive Engagement in der Kunstszene entfernte ihn aber von der Frau. Sie ging ein Verhältnis ein, kam aber reumütig und schwanger zu ihm wieder zurück. „Nach der Geburt fand ich mich als Vater zu einem fremden Kind wieder.“ (Seite 65) Für den Laien auch interessant, dass er in Venedig lebte und überhaupt viel gereist ist. Salzburg blieb aber ein wichtiger Fokuspunkt im Leben. Ein Literaturkongress in Holland brachte ihm ein Verhältnis zu einer älteren und gut situierten Frau ein. Aber auch seine Männerfreundschaft zu anderen Dichtern werden angesprochen. Da er keinen Führerschein und kein Auto besaß und einen Filmauftrag im Salzburgischen bekam, kaufte er sich ein Moped, mit dem er mit einem Freund, bis Triest gefahren ist. Am Ende kommt er nochmals auf die Familie und die Eltern beziehungsweise Großeltern in Kärnten zurück. Kärnten, wo er viele Sommerferien als Kind und später als Student verbrachte. Er stellt sich auch selbst die Frage „Bin ich ein guter Mensch geworden?“ (Seite 194) und beantwortet sie so „Mit dem Begriff Sünde, der Vorstellung, etwas verbrochen zu haben, das sich nie wieder gutmachen lässt, damit kann ich nichts anfangen. Nein, ich bin kein Sünder. Ich habe mich bemüht.“ (Seite 195) Wenn man die Lebensgeschichte eines etwa gleich alten Schriftstellers liest, so sieht man vieles aus dem eigenen Leben. Viel Ähnlichkeit. Nun ja, dieselbe Umwelt. In diesem Fall auch viele Parallelen des jeweiligen Gesellschaftskreises. In der Zusammenfassung am Ende des Buches zeigt Rosei seine vorangegangenen Überlegungen zu diesem Buch auf. „Lange habe ich gezögert, über mein Leben etwas aufzuschreiben. Was langläufig unter Memoiren verstanden wird, kam mir abgeschmackt und lächerlich vor. … So einfach wollte ich es mir nicht machen. Mir schwebte etwas ganz anderes vor, mein Ziel war höhergesteckt.“ (Seite 250) Weiters überlegte er, sein Leben in einem Roman zu beschreiben, weil ja ohnehin in der Erinnerung vieles nicht mehr der Realität entspricht. Deshalb auch der Untertitel „Wahrheit und Dichtung“. Das vorliegende Ergebnis besteht aus Fragmenten und das Leben ist bei weitem nicht lückenlos dargestellt. Auch stilistisch stammen die einzelnen Kapiteln aus verschiedenen Zeiten und wirken nicht zusammengehörig. 26. von Becker, Stefan Lorenz SORGNER Philipp Transhumanismus Streitfrage Buch 2023. @book{vonBecker2023, SORGNER, Stefan Lorenz; BECKER, Philipp von: „Transhumanismus“, Frankfurt 2023 Die Herausgeberin der „Streitfrage“ Lea Mara Eßer stellt im vorliegenden Buch die beiden Kontrahenten , den Philosophen Sorgner und den Publizisten Becker zum Thema „Transhumanismus“ gegenüber. Streitgespräch. An Streit mangelt es in der heutigen Zeit nicht. Menschen werden in verschiedene Lager eingeteilt, Kontrahenten stehen sich in Arenen gegenüber. Meinungsverschiedenheiten sind für Gesellschaften zwar wichtig und fruchtbar, aber sie verkommen heute oft zu einem Wettkampfspektakel. Das vorliegende Buch will dem entgegenwirken. Es geht hier nicht um Angriff und Verteidigung, sondern um die Darstellung zweier Standpunkte zu einem Thema, zum Transhumanismus. So wurden die beiden Buchbeiträge unabhängig voneinander verfasst. Keiner der beiden Autoren wusste, was der andere schreiben wird. Die Standpunkte stehen also als Standpunkte und bedurften keiner Verteidigung. Dies macht es dem Leser möglich klarere Positionen zu erkennen. Stefan Lorenz Sorgner, Philosophieprofessor an der John Cabot University in Rom, schrieb den PRO-Teil des Buches. Gleich in der Überschrift seines Artikels drückt er den positiven Zugang aus: „Transhumanismus bedeutet Freiheit“. In seiner Einleitung holt er weit aus und geht 14 Milliarden Jahre, bis zum Urknall, zurück. Die Erde formte sich vor 4,5 Milliarden Jahren und nach einer weiteren Milliarde Jahren entstand die Menschheit. Aus unbelebter Materie entstanden Lebewesen. Er zieht daher die Schlussfolgerung, dass auch auf Siliziumbasis Leben entstehen kann. Den Menschen per se machte erst die Sprache aus und mit ihr wurden wir Menschen „vernunftfähige Cyborgs“. Der Homo Sapiens besteht aus Materie und Unmaterialem. Transhumanismus als errungene Freiheit: Der Mensch ist ein Wesen, das sich ständig neu erfinden und modifizieren kann, was nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Gesellschaft eine Verbesserung bringt. Der Mensch ist demnach ein evolutionäres Wesen. Die Frage, ob es in 300.000 Jahren noch Menschen geben wird, beantwortet der Autor, „dass Menschen in 300.000 Jahren entweder ausgestorben sein oder sich weiterentwickelt haben werden. Mit dem Voranschreiten neuer technischer Möglichkeiten haben wir die Option, immer stärker in die Evolution einzugreifen.“ (Seite 16) Da der Mensch aus mehr nichtmenschlichen (39 Billionen) als menschlichen (30 Billionen) Zellen besteht, ist nicht auszuschließen, dass auch die digitale Welt immer stärker integriert wird. Das Smartphone als eine körperliche Integrität. Wir sind, so der Autor, „sich ständig in Veränderung befindliche Entitäten, die sowohl nicht-menschliche als auch menschliche Zellen umfassen. Wir sind in diesem Sinne hybride, sprachfähige und sich ständig in jedem Bezug verändernde Cyborgs mit der Fähigkeit, uns selbst upzugraden.“ (Seite 19) Morphologische Freiheit: Mit der morphologischen Freiheit des Transhumanismus hat der Mensch das Recht, sich ständig nach eigenen Vorstellungen umformen zu dürfen. Mit Neuroenhancement können wir Schlaf, Konzentration, innere Ruhe und Aufmerksamkeit beeinflussen. Schon heute hat jeder vierte Student in den USA auf derartige Substanzen Zugriff. Es sind nur temporäre Veränderungen, die man etwa mit LSD erzielt. Langfristiger gibt diese Freiheit auch das Recht, das eigene Geschlecht zu verändern. Erziehungsfreiheit: Sie bezieht sich primär auf die Beziehung zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs. Dass unter Erziehung Lesen, Schreiben und Rechnen fällt ist eines. Die Erziehung zu einem „gelungenen Leben“ ist ein anderer Faktor, der auch mit Gesundheit zu tun hat. Der Transhumanismus bezieht hier Gentechnik mit ein, die eine verlängerte Gesundheitsspanne erlaubt. Reproduktionsfreiheit: Transhumanismus sieht es als Freiheit, dass Sexualität von Reproduktion getrennt wird. Das bedeutet eine Abkehr von der aristotelischen Tradition. Sex wird zur Unterhaltung und Reproduktion ist eine technische Angelegenheit. Schwangerschaft wird in Zukunft in einer externen Gebärmutter abgewickelt, was vieles in der Gesellschaft verändern wird. Frauen mit Frauen, mehrere Frauen mit einem Mann, Männer mit Männern – so können neue Familien organisiert sein. Dass auch Männer Kinder bekommen, ist ein Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit. Keine Freiheit ohne Gesundheit: Transhumanismus beschränkt sich nicht auf Abwesenheit von Zwang. Eine verlängerte Gesundheitsspanne fördert die personelle Lebensqualität. Leben um des Lebens willen ist keine notwendige Erfüllung. Im Bett liegend und keinen Aktivitäten nachgehen zu können oder gar in einem Krankenhaus an Maschinen angeschlossen zu sein ist keine lebenswerte Lebensverlängerung. Technische und medizintechnische Errungenschaften der letzten 200 Jahre, haben die Lebenserwartung verdoppelt und in Deutschland in den letzten 50 Jahren um 15 Jahre erhöht. In diesem Zusammenhang sind die Verwendung und der Zugriff auf persönliche Daten ausschlaggebend. Das unterscheidet Europa mit striktem Datenschutz von den USA und China grundlegend. Die rechtliche Verpflichtung Daten öffentlich zur Verfügung zu stellen, wird China einen wirtschaftlichen Erfolg bringen, wie ihn andere Regionen (Europa) nicht erreichen werden könne. Um Inzest auszuschließen, müssen etwa in Saudi-Arabien seit 2004 vor der Eheschließung Gentests der Behörde vorgelegt werden. Keine Freiheit ohne globale soziale Absicherung: Freiheit bedeutet auch eine gewisse soziale Absicherung. In den letzten 200 Jahren wurde die absolute Armutsrate radikal reduziert. Das basiert auf einem erweiterten Technikverständnis, wobei auch Bildung als Technik verstanden wird. Bildungspflicht unterscheidet sich von Schulpflicht. Bildungspflicht kann auch individuell, wie mit Homeschooling, erfüllt werden. Je höher der Bildungsstand eines Landes ist, umso niedriger ist die Fortpflanzungsrate. In Deutschland, Österreich oder Italien etwa unter 1,5. Die Vereinten Nationen veröffentlichten eine Studie, nach der der „12 Milliardste Mensch nie geboren werden wird, wenn Hygiene, Bildung und Zugang zur Krankenversorgung weiterhin so gefördert werden wie bisher. … Eine Förderung der Techniken erhöht die weltweite Lebensqualität, mit der wiederum ein Rückgang der Reproduktionsrate einher geht.“ (Seite 48) Das wiederum hat Auswirkungen auf den Klimawandel, weil weniger Menschen den Globus belasten. Conclusio: „Alle, die eine skeptische, eine naturalistische, eine diesseitige, eine nicht dualistische oder eine pluralistische Grundhaltung teilen, sollten sich dem Transhumanismus zuwenden. … Alle, die die sozial-liberale Version von Demokratie schätzen und für eine wunderbare Errungenschaft halten, die es auszubauen lohnt, sollten den Transhumanismus umarmen und sich daran beteiligen.“ (Seite 51) Ein wichtiges Ziel des Transhumanismus ist die Verlängerung der Gesundheitsspanne. Mit neuen Technologien kann der Klimawandel bekämpft werden. Der Autor schießt optimistisch und enthusiastisch mit „Ich kann die Realisierung unserer posthumanen Zukunft daher kaum erwarten.“ (Seite 54) Philipp von Becker ist Filmemacher, Autor und Publizist in Berlin. Mit der technischen Transformation des Menschen befasste er sich in seinem Buch „Der neue Glaube an die Unsterblichkeit. Transhumanismus, Biotechnik und digitaler Kapitalismus“. Er ist der Kontrahent zum Thema „Transhumanismus“, der Schreiber des CONTRA. Da es sich in diesem Buch nicht um eine Diskussion, einen Diskurs handelt, sondern in ein paralleles Schreiben der beiden Standpunkte des DAFÜR und DAGEGEN, kommt es im Kapitel des „Gegners“ zu einer Verteidigung des Bestehenden. Im Gegensatz dazu der Verfechter des PRO, der in die Zukunft schauen kann und nichts zu verteidigen hat. So wird wiederholt, dass der Transhumanismus, den von Natur aus defizitär geschaffenen Menschen mit Hilfe von Technologie anpassungsfähiger machen soll. Er soll optimiert, superintelligent die menschlichen Fähigkeiten steigern. Dies passiere – so Becker – auf einer reduktionistischen, szientistisch-technokratischen Sicht auf den Menschen und die Gesellschaft. Die Transformierung solle in drei Feldern passieren: - biotechnische Eingriffe - gentechnische Eingriffe - Verschmelzung von Mensch und Maschine (Implantate, Prothese, Computerschnittstellen) Der Eingriff ins Erbgut eines Menschen kann zwar zur Vermeidung vererbbarer Krankheiten führen, aber weiterreichende gentechnische Veränderungen werfen ethische, soziale und politische Fragen auf, die zu einer fundamentalen Veränderung des Menschseins führen würden. Den Menschen und die Welt vollständig zu berechnen, würde den Menschen zu einem reinen Instrument machen. Die derzeitige Vorgangsweise in China nimmt der Autor zum Beispiel und prognostiziert, dass dort Bürger und Soldaten genetisch aufgerüstet werden und so das Land in eine Weltführerschaft bringt. Wie ein Mensch ausgestattet ist, würde vor seiner Geburt definiert werden. Kinder könnten nachher gegen ihre Eltern prozessiere, weil sie bestimmte Vorkehrungen nicht getroffen haben. Politisch hätten in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern schon meritokratische und neoliberale Ideologien überhandgenommen. Ursache von Krankheit und Ungleichheit könne technisch behoben werden. Um möglichst viel im Leben zu erleben, stünde der Mensch unter einem Dauerstress. Er leide unter der Angst nicht genug Zeit für seine persönliche To Do Liste zur Verfügung zu haben. Facebook kann schon heute bei 300 Likes besser die politische Meinung einer Person vorhersagen als der Lebenspartner. Der Vorwurf, dass nicht der Mensch intelligenter wird, sondern die künstliche Intelligenz wird ins Treffen geführt. Algorithmen könnten den Wähler und den entscheidenden Konsumenten ersetzen. Der Rückgang der Religionen wird mit dem Aufkommen eines neuen Gottes, des Dataismus begründet. Da der Mensch maschinengesteuert nicht mehr gegen Verbote verstoßen kann, fühlt er sich von Gottes Gesetzen befreit. Die Frage „Wer entscheidet in einer Welt totaler Computerisierung?“ führt zu mehr Macht der Führenden, jener, die die Systeme und Algorithmen beherrschen und verwalten. Die digitale Diktatur Chinas wird als Blaupause für andere Länder gesehen. In einer maschinengesteuerten Welt würden die Menschen verlernen selbst zu denken, zu entscheiden und könnten nicht mehr selbst moralisch handeln. Dieses neue Format des Westend Verlags ist zu begrüßen. Es lässt zwei unterschiedliche Meinungen nebeneinanderstehen. Das erlaubt dem Leser und Interessierten des Themas ein besseres Abwägen der Vor- und Nachteile. 27. SCHUTTING, Jutta Der Vater Buch 2023. @book{SCHUTTING2023, SCHUTTING, Jutta: „Der Vater“, Salzburg Wien 1980 Das Buch hat Frau Jutta Schutting geschrieben. Es ist im Jahr 1980 erschienen. Im Jahr 1989 ließ sich diese Frau in einen Mann operieren und hieß ab dann Julian Schutting. Da ich Julian persönlich kannte, war es ein komisches Lesegefühl, wie da die Tochter Jutta den Tod des Vaters und ihre Erlebnisse mit ihm beschreibt. In diesem Roman geht es ausschließlich um das Sterben beziehungsweise Begräbnis des Vaters. Eigentlich sind es nur drei Tage zwischen dem Sterben und dem Begräbnis und diese drei Tage sind der Zeitraum, auf den sich der Roman beziehungsweise die Beschreibung des väterlichen Begräbnisses beziehen. Der Vater war ein harter Mann. Ein Jäger, der wenig Emotionen zeigte. Sowohl gegenüber der Ehefrau wie vis a vis der drei Kinder hatte er wenig Gefühle. Mehr Einfühlung zeigte er seinen Hunden gegenüber. Er war vor dem Krieg geboren. Studierte zehn Jahre, um letztlich Tierarzt zu werden. Ein älterer Kollege protegierte ihn. So kam er zum Jägertum, obwohl schon im Internat im Benediktinerkloster Seitenstetten ihn ein Pater, der selbst Jäger war, zu diesem Hobby brachte. Als Ministrant musste er während der Messe nachschauen gehen, wie das Wetter war. Der Messe lesende Pater hatte unter seiner kirchlichen Kleidung schon das Jagdgewand an, um anschließend gleich mit Gewehr und Hund in den Wald zu gehen. Einerseits wird der Vater als ein Mann seiner Zeit beschrieben. Er war im Weltkrieg eingerückt und die Frau musste mit den Kindern zu Hause zurechtkommen. Dabei erwarb sie Selbstständigkeit. Als er dann vom Krieg heimkam und seinem Beruf als Tierarzt nachging, musste sie weiterhin die Fäden zusammenhalten. Sich um die Kinder und die Finanzen kümmern. Er verdiente zwar das Geld, konnte damit aber nicht umgehen. Oft musste sie ihn im Gasthaus holen, weil er in betrunkenem Zustand dem Wirt die Gäste verärgerte und vertrieb. Brachte die Tochter Wiesenblumen nach Hause, meinte er „na geh, jetzt den Bienen Nahrung wegnehmen.“ (Seite 58) In diesem Roman arbeitet die Tochter ihre Erinnerungen und Gemeinsamkeiten mit dem Vater auf. Auch Kindheitserinnerungen werden aus dem Gedächtnis zurückgeholt und verschriftlicht. Oft war er zu den Kindern grob und ungerecht, was ihm später leidtat und das Geschehene mit Orangen und Schokolade wieder gutmachen wollte. Er schlief gerne und lange, zum Frühstück trieb ihn aber der „Hendelneid“ aus dem Bett. Er wollte nicht weniger zum Essen bekommen als die Kinder. Im zweiten Abschnitt des Buches schlägt die Schriftstellerin zu und beschreibt Träume, die sie mit dem Vater hatte oder die sie für das Buch erfunden hatte. Was gewesen sein könnte, aber nicht war. Bevor die Erzählung zum eigentlichen Begräbnis kommt, wird mit dem Verstorbenen noch hart zu Gericht gegangen und viele negative Dinge aufgezählt, die der Vater hatte. Wie ein Epilog kommt am Schluss ein Kapitel, das da heißt „zwei jahre später“, in dem die Schriftstellerin von einer Lesung erzählt, zu der sie ins Benediktinerstift eingeladen wurde. In jenes Stift, in dem der Vater das Gymnasium besucht hatte und in dem er Ministrant war. Man erinnerte sich noch an den Vater und das machte sie stolz und daher verwendete sie diese Eindrücke für ein, das Buch abschließendes Kapitel. 28. KLAR, Elisabeth Wie im Wald Buch 2023. @book{KLAR2023b, KLAR, Elisabeth: „Wie im Wald“, Sankt Pölten Salzburg Wien 2014 Die Familie hat drei Kinder – Karin, Grete und Peter. Sie nehmen ein Kind – Lisa – auf, die bei einer alleinerziehenden Mutter in sehr schlechten Verhältnissen lebte. Der Vater stirbt und Lisa wird verstört. Sie kommt in ein Heim. Sobald Karin 18 Jahre alt ist, zieht sie zu Hause aus. Nachdem auch die Mutter verstorben ist, lebt sie mit ihrem Freund Alexander im Elternhaus. Die beiden Geschwister sind ausgezogen. Der Bruder wohnt in Salzburg und die Schwester in England. Plötzlich beschließt Karin, Lisa aus dem Heim ins Haus zu holen. Lisa und Karin sind etwa gleich alt und sind in einer intensiven Geschwisterlichkeit miteinander aufgewachsen. Als die Geschwister erfahren, dass Karin Lisa ins Haus geholt hat, opponieren sie. Lisa ist verstört. Man sagt ihr nach, den Vater ermordet zu haben. Die Autorin verquickt aber Realität und Erfindung, Traum. Man kann nicht sagen, wie es wirklich war. Lange Strecken schwebt über dem Buch die Frage „Was ist mit Lisa und dem Vater passiert? Hat sie ihn ermordet? Oder hat er Selbstmord begangen?“ Selbst der Tod des Vaters wird über viele Seiten hinausgeschoben. Als Leser wird man in Unwissenheit gehalten. Karin versucht mit ihrer verstörten Stiefschwester leben zu können. Es ist schwierig. Lisa ist zwar inzwischen 26 Jahre alt, verhält sich aber wie ein Kleinkind. Macht in die Hose, spielt mit Puppen, muss gewaschen und gefüttert werden. Diese Arbeiten zerren an den Nerven von Karin. Sie ist Übersetzerin. Arbeitet zu Hause. Mit der Pflegearbeit kommt sie aber wenig zur eigenen Arbeit. Ihr Freund Alexander wird von Lisa abgelehnt. Er aber bemüht sich. Karin sieht darin eine Konkurrenz. Eine Konkurrenz, wie ihr Vater zur Freundschaft mit Lisa war. Das Verhältnis zum Freund verschlechtert sich, bis dieser auszieht und Karin allein mit Lisa zurücklässt. Das Leben wird dadurch nicht einfacher. Die Geschwister reden auf Klara ein, Lisa doch wieder in ein Heim zu geben. Sie bleibt stur, aber ihre Nerven eskalieren. Es kommt auch zum Streit und zu Raufereien mit Lisa. Sie fährt zum Friedhof und zerstört das Grab der Eltern. Als sie zurückkommt wartet Lisa schon auf sie. Wie es wirklich war, erfährt man aber an dieser Stelle nicht. Die Schriftstellerin malt mehrere Szenarien. Lis habe sich im Teich ertränkt. Sie habe den Vater nicht ermordet. Der Vater sei bei einer handwerklichen Tätigkeit zu Fall gekommen und gestorben. Später auch die Mutter. Offen bleibt: wie geht es mit Lisa und Klara weiter? Wird der Freund zurückkommen? Ausgezeichnet beschreibt Elisabeth Klar, wie schwierig es ist, ein Jugendtrauma wie dieser sexuelle Missbrauch des Ziehvaters verarbeitet werden kann. 29. GEIGER, Arno 2023. @book{GEIGER2023, GEIGER, Arno: „Das glückliche Geheimnis“, München 2023 Es ist ein sehr persönliches Buch des Dichters Arno Geiger. Er gibt darin das Geheimnis preis, dass er ein „Lumpensammler“ ist. Er sammelt keine Lumpen, sondern alte Bücher, Ansichtskarten und Briefe. Er stöbert in Papiercontainern und sucht hier weggeworfene Bücher, die er dann am Flohmarkt verkauft und Briefe, die ihm wieder Stoff und Anregungen für seine schriftstellerische Tätigkeit bieten. In jungen Jahren war dies eine wichtige Einnahmequelle. Mit seiner Freundin war er von Vorarlberg nach Wien gezogen, gemeinsam gingen sie verkaufen und erwirtschafteten oft das Mehrfach ihrer monatlichen Miete. Die Streifzüge zu den Papiercontainern machte er aber allein. Diese Arbeit – seine dunklen Geheimnisse – machen ihn glücklich und zufrieden. Sie strukturieren sein Leben und gaben dem Buch den Titel „das glückliche Geheimnis“. Das Buch schildert aber nicht nur das Doppelleben zwischen dem Sandler, der in Containern sucht und dem Schriftsteller, sondern gibt auch Einblick in sein persönliches Leben und seine Beziehungen. Den Freundinnen gibt er aber nur einen Buchstaben als Namen und anonymisiert sie so. Er stellt auch seine Freundinnen – Lebensabschnittspartnerinnen – vor: M. die erste aus den Jugendjahren, K. eine Ärztin und O. eine Beziehung, die im Rahmen eines Studienaufenthalts in Polen zustande kam. Die ersten beiden Beziehungen dauerten mehrere Jahre an. Die Trennung von K. wurde mehrmals ausgesprochen, aber der wahre Grund war, dass sie als Ärztin schon ihr Ziel erreicht hatte „Bei mir dauerten die Aufbaujahre an. Ich war weiterhin mit dem Durchbruch ins Leben beschäftigt. … Und obwohl es zwischen K. und mir grundsätzlich stimmte, warf uns diese Ungleichzeitigkeit aus der Bahn.“ (Seite 79) Letztlich machte er aber seiner Freundin einen Heiratsantrag. Sie, die selbstbewusste Frau, konnte damit nicht umgehen. Die Antwort kam zeitversetzt und sie heirateten allein mit den Trauzeugen. Geiger sah es so: „Für mich ist die Ehe mit K. keine Einschränkung, sondern eine Befreiung.“ (Seite 164) Gegen Ende des Buches kommt es zu einer besonderen Liebeserklärung, in dem er schreibt „K. und ich wurden von Jahr zu Jahr glücklicher. In mancher Hinsicht war es bedauerlich, wie geübt wir im Umgang mit Schicksalsschlägen geworden waren. Aber es war unser Leben. Der Beziehung schien es eher zu nutzen als zu schaden.“ (Seite 200) Arno Geiger – das erfährt man in diesem Buch – wollte von jungen Jahren an schon Schriftsteller werden. Die ersten Bücher wurden aber nicht erfolgreich. Um seinen Bestseller „Es geht uns gut“ auf den Markt zu bringen musste er mit dem Verlag kämpfen. Letztlich bekam er dafür den Deutschen Buchpreis und sein Leben änderte sich. Hundert Auftritte, Lesungen und Interviews hatte er zu absolvieren, aber wenn er nach Wien zurückkam, ging er seinem zweiten Beruf des „Altpapiersammelns“ nach. Es erstaunte ihn aber, dass er, der bekanntgewordene Buchpreisgewinner, auf der Straße in der Sammlerkluft nicht erkannt wurde. Aber das Stöbern in Papiercontainern und das Rumfahren wurde zum Teil seines Lebens. „Erfahrungen, die außerhalb meiner Reichweite lagen, wurden mir zugänglich. Die Runden eröffneten mir Einblick in Bezirke des menschlichen Lebens, denen ich sonst nicht so nahe gekommen wäre.“ (Seite 158) Der Erzähler pendelt in seinem Leben zwischen den Städten Wien und Wolfurt. Immer wieder besucht er seinen dementen Vater und fühlt mit ihm. Als aber dann auch seine Mutter mit 72 Jahren einen Schlaganfall erlitt und stark eingeschränkt war, traf ihn das sehr. Mit ihm fühlt man als Leser, wenn er die Situation zum Greifen nahe schildert. Es erschütterte ihn, wie er sah, dass seine Mutter, die Lehrerin, bei der auch er zur Schule gegangen ist, von der er lesen und schreien gelernt hatte, jetzt selbst nicht mehr schreiben konnte, nicht mehr alles Gelesene verstand. Der demente Vater hat einen größeren Wortschatz, als die belesene Mutter. ABER: sie war eine Kämpferin und das bewunderte er wieder. Dieser Abschnitt des Buches ist etwas depressiv. Es geht ums Sterben und ums Ende des Lebens. Ein Ende nahm schließlich auch sein „Stadtstreichertum“. Er beendet die Fahrten zu den Papiercontainern und wenn, dann nahm er nur mehr jene Bücher, die er zum Eigenbedarf brauchte. Auch der Verkauf am Flohmarkt wurde eingestellt. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Trotzdem erschien es ihm wichtig, diese „Runden“ zu drehen. Jetzt aber mehr aus gesundheitsvorsorglichen Überlegungen. Auch die Anschaffung eines eBikes wurde (noch) abgelehnt. Er registriert anhand des Abfalls die Veränderungen der Gesellschaft. „Die Liebesromane wurden von Jahr zu Jahr weniger, die Kriminalromane von Jahr zu Jahr mehr.“ (Seite 189) Der gesellschaftliche Wind wurde rauer. Er blickt zurück und gibt auch preis, dass seine wertvollste Findung in den Containern eine Schrift aus dem Jahr 1519 war. Geiger kehrt in diesem Buch sein Inneres nach außen. Man lernt generell viel von anderen Menschen und wie hier kennt man auch das eine oder andere von sich selbst. Streckenweise ist es auch ein Rückblick auf das eigene Leben, wie man es von einem älteren Menschen erwarten würde. Selbst meint er „Mir ist klar, ein Buch über mich selbst das ist schwierig, schwieriger als ein Roman.“ (Seite 194) Den Lesern wünscht er, „dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ (Seite 226) 30. SCHÖBERL, Rotraud Meer Morde. Kriminelle Geschichten im und am Wasser Buch 2023. @book{SCHÖBERL2023, SCHÖBERL, Rotraud: „Meer Morde. Kriminelle Geschichten im und am Wasser“, Salzburg Wien 2023 Die Herausgeberin hat in diesem Buch 23 Kriminalgeschichten zusammengetragen. Es ist demnach auch ein „Kennenlern-Buch“, in dem man als Leser auf vielleicht noch unbekannte Autoren stoßen kann. Es ist eine sehr bunte Palette. Die Geschichten spielen in verschiedenen Zeiten und sind generell sehr unterschiedlich. Teilweise sehr skurril, wie bei Alex Beer, wo die falschen Menschen getötet werden. Manche Morde sind auch sehr ausgefallen, wie etwa schon bei der ersten Geschichte, wo der Mörder sein Opfer friedlich am Strand im Sand eingräbt und dann geht. Die aufkommende Flut tötet ihn. Manche Geschichten begannen gleich mit dem Mörder, bei anderen wurde man erst im Laufe des Lesens an den Täter herangeführt. In einem Fall ermordet die unzufriedene Ehefrau ihren Mann beim Drachensteigen mit der Drachenschnur. In einer anderen Geschichte bringt die Ehefrau ihren Mann beim Fotografieren auf einer Klippe zum Absturz. Bei einer italienischen Krimiautorin gibt es keinen Täter und keinen Ermordeten, sondern arme Bewohner Italiens wird eine Reise nach Amerika verkauft, die aber letztlich in Sizilien ausgesetzt werden. Spannend fand ich die Geschichte, bei der Austerndiebe gejagt werden. Dabei erfährt man, dass 160.000 Tonnen Austern im Wert von 600 Millionen Euro allein in Frankreich „geerntet“ werden. Ein anderer Autor erzählt, dass heute noch der Mord an einem ehemaligen Nazi straffrei ist. Grausam ist die Geschichte von Patricia Highsmith, in der eine Ratte ein Baby frisst. Manchmal sind es aber nicht Menschen, die für einen Mord in der Geschichte herhalten, sondern auch eine Qualle, die von einem fünfjährigen Buben umgebracht wird. Bei Claudia Rossbacher geht es um den Tod eines Saiblings im Grundlsee. Es ist ein „Schnupper-Krimi-Buch“, bei dem man Kontakt mit dem einen oder anderen Autor und seiner Schreibweise bekommt, um dann, auf den Geschmack und Gefallen gekommen, mehr von ihm oder ihr zu lesen. Autoren von der Russin Ljuba Arnautovica über Andreas Gruber, Petros Markaris, Thomas Raab und Eva Rossmann bis zum Wiener Musiker, Songwriter und Journalisten Peter Zirbs werden mit kurzen Geschichten vorgestellt. 31. KLEMM, Gertraud Einzeller Buch 2023. @book{KLEMM2023, KLEMM, Gertraud: „Einzeller“, Wien 2023 Eigentlich hatte sie eine Trilogie zum Thema Feminismus geplant. Aber dann kam Corona und vieles wurde anders. So auch ihr Schreiben und das Ergebnis wurde kleiner: der vorliegende Roman „Einzeller“. Klemm unterscheidet zwischen „Netzfeminismus“ und „Alltagsfeminismus“. Diskussionen in sozialen Medien sind für sie abgehoben und nicht Realität. In diesem Buch versucht sie Situationen zu schildern, die am Alltag hängen. Sie nennt das „Gummistiefel-Feminismus“. Zu diesem Thema fühlt sie sich als zur „Brückengeneration“ gehörend berufen. Vorangegangene Generationen sind anders damit umgegangen als heutige. Sie, als 1971 geborene, stehe da zwischen diesen beiden Weltanschauungen. Es geht um eine Wohngemeinschaft – WG – von fünf unterschiedlichen Frauen. Geschrieben ist die Erzählung aus der Perspektive von zwei Personen: der 24-jährigen Lilly und der 60-jährigen Simone. Aus der Unterschiedlichkeit der Personen ergibt sich ein Spannungsfeld, das Einblick in die Szene der Feministinnen gibt. Irgendwie ist das Buch schon männerfeindlich. Und doch wieder nicht: die älteste der WG, Simone, hat einen Freund. Einen Minister den sie aus Jugendtagen kennt. Er stammt aus einer Bauernfamilie und hat sich innerhalb der Partei bis zum Minister hochgearbeitet. Sie trifft sich regelmäßig mit ihm in einer kleinen geheimen Wohnung. Sie haben Sex mitsammen, er ist aber auch ein Gesprächspartner und Ratgeber für sie. Er ist ein Konservativer und trotzdem schätzt sie ihn. Er hat eine Vorzeigefamilie und obwohl sie von der politischen Einstellung anders ist, tauschen sie sich aus und schätzen einander. Die Jüngste – Lilly – verlässt bald die WG und siedelt zu einer anderen WG. Ihre WG hat sich vertraglich für eine Talkshow verpflichtet. Es wird in ihrer Wohnung gefilmt. Simone ist die Älteste und der Profi unter ihnen. Sie organisiert viele Aktionen für die Freiheit der Frauen. Nicht alle goutieren das. Simone hat viele Feinde im Netz und bekommt viele Hasspostings. Im Zweiten Teil des Buches kippt die Szene. Lilly wird schwanger und geht eine normale Ehe ein, bei er es auch zu Zwist und Schlägerei mit dem Partner kommt. Sie bekommt das Baby und verlobt sich mit ihrem Freund, der eigentlich der beste Freund ihres Freundes war. Simone bekommt noch einen Preis als erfolgreiche und aktive Feministin. Viele beneiden sie dafür. Andere hassen sie noch mehr. Sie aber hat beschlossen auszusteigen und ein ruhiges Leben ohne feministisches Engagement zu beginnen. Sie besucht ihre Tochter in Berlin und kommt zur Preisverleihung nach Wien zurück, wo sie vorher noch ein exklusives Interview hat. Beim Verlassen des Studios wird sie von Unbekannten niedergeschlagen. Sie wird in Tiefschlaf versetzt, verstirbt aber. Das Begräbnis ist das Ende des Buchs. Der erste Teil ist extrem feministisch und man erfährt als Leser, wie diese Frauen ticken. Im zweiten Teil dann fast ein Happy End, das zwar mit dem Tod von Simone endet, aber doch eine Umkehr der zwei Hauptperson brachte. Neue Generationen übernehmen das Gebiet. 32. HALLER, Günther Die Welt Chinas Booklet 2023. @booklet{HALLER2023, Die Presse (Hg): „Die Welt Chinas“, Wien 2022 In der Booklet-Reihe „Geschichte“ erschien der Band über China. Eine sehr systematisch aufbereitete und leicht lesbare Geschichte über China. Es werden alle Dynastien vorgestellt, wobei die erste, die Qin Dynastie, dem Land den Namen – China – gab und die vielen kleinen Fürstentümer friedlich vereinte. Es entstand das riesige Reich, das man mit jenen der Römer oder dem von Alexander dem Großen vergleichen kann. Der Kaiser Qin Shi Huangdi war Gott gleichgestellt. Der Name heißt „Erster Erhabener Gotteskaiser von Qin“. Daraus leitet sich auch ab, dass er nicht an ein Land gebunden ist, sondern weltweit als Gott Anspruch auf Ländereien besitzt. Er führte Gewichtsmaße, eine einheitliche Schrift ein und begann mit dem Bau der „chinesischen Mauer“, die eine Trennung zu den Nomaden – Barbaren – war. Die nachfolgende Han-Dynastie zentralisierte das Reich und teilte es in Provinzen ein, die mit einem ausgeklügelten Beamtensystem regiert wurden. Über die Seidenstraße entstand Handel mit der restlichen Welt. Viele Erfindungen, wie die des Papiers, stammen aus dieser Zeit. Immer wieder kam es zu Veränderungen, Streitereien und neue Herrscher versuchten eine Vereinigung. Erst 1912 wurde das Kaiserreich gestürzt. China war durch ausländische Kräfte geschwächt worden. Es kam zum Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten und im Zweiten Weltkrieg zu Eingriffen der Japaner. Millionen Menschen starben in diesen Kriegen. Mao Zedong profitierte vom Bürgerkrieg und gründete die Volksrepublik China. Viele seiner Experimente hatten verheerende Auswirkungen. Er sagte etwa „Revolution ist keine Dinnerparty. Sie kann nicht elegant und sanft durchgeführt werden.“ Im Kapitel „Der Ritt auf dem Tiger“ wird die Reform von Deng Xiaoping, die den Aufstieg des Landes zur heutigen Macht brachte, beschrieben. Außenpolitische Annäherungen folgten. Innenpolitisch kam es zum Konflikt mit Tibet, der noch heute anhält, obwohl allen Minderheiten viele Sonderrechte eingeräumt werden. So wird in diesem Booklet auch die Rolle Taiwans und Hongkongs abgehandelt. Der letzte Abschnitt befasst sich mit dem globalen Machtanspruch von Präsident Xi-Jinping. Auf etwa 100 Seiten wird so die Geschichte Chinas mit seinen Hintergründen dokumentiert. 33. HÜLMBAUER, Cornelia Oft Manchmal Nie Buch 2023. @book{HÜLMBAUER2023, HÜLMBAUER, Cornelia: „Oft Manchmal Nie“, Salzburg Wien 2023 Ein köstliches Buch. Vieles erinnert an die eigene Kindheit und Jugend. Wobei der Unterschied zwischen Stadt und Land zum Vorschein kommt. Am Land kam so manches später. Cornelia Hülmbauer beschreibt in ihrem Buch Momentaufnahmen aus ihrer Kindheit und Jugend am Land. Das Leben im Elternhaus. Einem Mechanikerbetrieb. Es sind Gedächtnisbilder, die aber die Realität sehr schön ausdrücken. Zeitzeugnisse für die Zukunft und nächste Generationen. Würde Peter Rosegger heute leben, würde er so schreiben wie Cornelia Hülmbauer. Auch er hätte, so wie sie, alle Wörter klein geschrieben. Es ist zu hoffen, dass es in Zukunft noch mehr von dieser Autorin zum Lesen geben wird. Die Erzählungen des Buches enden, als sie mit einem Studium begann. 34. KLAR, Elisabeth Es gibt uns Buch 2023. @book{KLAR2023, KLAR, Elisabeth: „Es gibt uns“, Salzburg Wien 2023 Es ist eine Theateraufführung in einem Schloss. Wie es so viele Festivals gibt. Dieses Buch ist aber nicht ein Theaterstück, sondern die Beschreibung einer Theateraufführung. Die Darsteller sind seltene Figuren. Es wird eine Welt beschrieben und gespielt, die aus tierischen und pflanzlichen Mischwesen besteht. Es geht hier viel um Schmerz, Leid, um Tumore und eine Seuche, aber trotzdem wird gefeiert und getanzt. „Komplexes Leben ist im Niedergang, schon seit langer Zeit. Der Schleim hingegen, ja der Schleim … der Schleim wird siegen, wo wir verlieren.“ Es ist ein Utopie Roman, der in der Stadt Anemos, einer apokalyptischen Stadt, die verstrahlt ist spielt. In ihr leben diese Mischwesen. Damit sie überleben können, brauchen sie die Leuchtqualle Oberon. Sie stellt sicher, dass die Wasserversorgung für die Stadt funktioniert. Titania organisierte große Feste. Bei so einem Fest stirbt Oberon bei einem Liebesspiel. Ein kleines Schleimtierchen – Müxerl – übernimmt seinen Job. Die Parole ist „Was du kaputt machst, musst du richten.“ Indirekt versucht Elisabeth Klar zu hinterfragen, welche Gesetze, welche Regeln eine Gesellschaft braucht, um widrige Umstände zu überstehen. 35. MÜNKLER, Herfried Strategie ! Von der Kunst, mit Ungewissheit umzugehen Booklet 2023. @booklet{MÜNKLER2023, MÜNKLER, Herfried: „Strategie ! Von der Kunst, mit Ungewissheit umzugehen“, Zürich 2023 Regelmäßig lässt die Vontobel Stiftung in Zürich Wissenschaftler und Schriftsteller im Rahmen einer Schriftenreihe (Broschüren) zu Wort kommen. Im März 2023 zum Thema Strategie. Unter den derzeitigen Verhältnissen mit Russland wird zu Beginn gleich das Vorgehen Putins besprochen und dass es durch solche unvorhergesehenen Vorfällen – so auch COVID19 – zu keiner sicheren Zukunftsplanung kommen kann. „Die Planungseuphorie der 1960er und 1970er Jahre ist schon länger vorbei.“ (Seite 6) Der Autor erinnert auch daran, dass der Begriff „Strategie“ im Militärbereich entwickelt wurde und erst später in der Wirtschaft und Politik übernommen wurde. Im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Resilienz sind Analysen von Bedrohungen nicht mehr ausreichend. Das Sicherheitssystem kann nicht an Experten ausgelagert werden. Strategie wird aus der Sicht verschiedener Kulturen und Zeiten beschrieben. Beginnend in der griechischen Klassik bei Homer und Thukydides, aus denen heraus Machiavelli und Clausewitz ihre Theorien abgeleitet haben. Beide waren eng mit dem Militär verbunden: Machiavelli war mit der Neuorganisation des Florentiner Militärwesens befasst und Clausewitz war sein ganzes Leben lang Soldat. In Asien dagegen entwickelten Zivilisten die Strategie weiter und auch in der heutigen Wirtschaft haben asiatische Unternehmen einen anderen, friedlicheren Zugang zum Begriff Strategie. Auf Staatsebene wird von der „Grand Strategy“ gesprochen. Das bedeutet, dass der Staat frei entscheiden kann. Diese kann sich militärisch mit einer Gebietserweiterung des eigenen Landes befassen oder sich als Friedensvermittler in anderen Ländern einmischen. Oft hat dieses „Einmischen“ aber das Ziel Einfluss zu bekommen. So hatte sich die Sowjetunion in Afghanistan, Großbritannien bei den Falkland Inseln und die USA im Irak engagieren. In den westlichen Demokratien hat aber die militärische Strategie an Bedeutung verloren. Man bedient sich mehr der wirtschaftlichen und ideologischen Macht. Humanitär motivierte militärische Interventionen haben in den letzten Jahrzehnten aber nie zum Erfolg geführt. Der Balkan, Syrien, Nordafrika, die Sahelzone sind alles gescheiterte Missionen. Aus dem westlichen Denken heraus, kam es zunehmend zu Wirtschaftssanktionen, bei denen die Politik sich weitgehend auf „symbolisches Handeln beschränkt, bei dem man eigene wirtschaftliche Nachteile in Kauf nimmt, ohne dass dem ein erkennbares Einwirken auf der anderen Seite gegenübersteht.“ (Seite 45) Die in der Zeit von 2014 bis 2021 verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland hatten nichts bewirkt. Im Gegenteil: Russland wurde mehr und mehr in die Arme Chinas getrieben, was für den Westen längerfristig sehr viel bedrohlicher ist. Das Modell, des Friedenschaffens mit immer weniger Waffen ist kläglich gescheitert. Die Folge davon ist eine Rückkehr zu mehr Bedeutung militärischer Kräfte. 36. Franzobel, Einsteins Hirn Buch 2023. @book{Franzobel2023, Franzobel: „Einsteins Hirn“, Wien 2023 Der Titel signalisiert Einstein, aber praktisch ist es eine Biografie des Pathologen Thomas Harvey. Einstein starb 1955 in einem kleinen Spital in New Jersey. Thomas Harvey führte auf Anweisung der Spitalsdirektion eine Obduktion durch. Dabei kam er auf die Idee, sich das Hirn des Wissenschaftlers zu behalten. Der Leichnam Einsteins wurde verbrannt und seine Asche von einer Verwandten an einem unbekannten Ort verstreut. Der ursprüngliche Ansatz des Pathologen war es, im Hirn Einsteins seine Genialität nachweisen zu können. Dazu fehlte ihm aber die Ausbildung. Über 40 Jahre ist dieses Hirn an seiner Seite, ohne dass es zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt. Wie gesagt: das Buch ist eine Biografie des Pathologen Thoms Harvey, der wegen seines intensiven Bezugs zum Hirn, das mit ihm auch redete, mehrere gescheiterte Ehen hatte. Immer wieder war die Eifersucht zum Hirn der Scheidungsgrund. Harvey übersiedelte sehr oft in „Kleinstädte, die es nie in einen Reiseführer schafften, weil es dort nichts gab das eine Erwähnung lohnte, nichts, womit man Touristen locken konnte.“ (Seite 364) Immer wieder begann er mit einem neuen Job. Viele Aushilfsarbeiten übernahm er, bis er schließlich Landarzt in einer kleinen Gemeinde wurde. Aber auch hier ereilte ihn die Trennung von der Ehefrau. Letztlich verlor er auch seine Arztlizenz und musste als bald 80-jähriger als Hilfsarbeiter Geld. Geld, das er für Zahlungen an seine geschiedenen Frauen und Kinder brauchte. Verarmt lebte er am Schluss in einem stationären Wohnwagen. „Im Dauercampingplatz lebten Leute, denen die Armut bis zur Unterkante der Oberlippe stand: kinderreiche Einwanderer, Alkoholiker, Verrückte. Es gab dreizehnjährige Mütter, die sich für zwei Dollar prostituierten, mexikanische Crackdealer und greise Hippies. Für die meisten die letzte Station vor der Obdachlosigkeit.“ (Seite 500) Zum 41. Todestag Einsteins brachte er das Hirn in jenes kleine Krankenhaus in New Jersey, in dem Einstein verstorben war. Harvey war ein gläubiger Mensch und aktiver Quäker. Da er mit dem Hirn reden konnte, versuchte er Einstein zum Glauben zu bekehrten. Das Hirn lehnte aber Religionen ab, weil alles wissenschaftlich begründbar sei. Dieser Diskurs zieht sich im Hintergrund durch das ganze Buch. „Da das Universum vor dreizehn Komma irgendetwas Milliarden Jahren entstanden ist, stellt sich die Frage, wo war Gott davor? Wenn Gott ein Teil des Universums ist, ist auch er endlich. Oder ist er außerhalb?“ (Seite 431) Viele Fragen und Diskussionen, die zu keinem Ergebnis führen. Das Hirn wird mit verschiedensten Religionen konfrontiert. Es kommt aber zu keiner Annäherung. Das Ende der Kommunikation tritt erst ein, als eine Formel preisgegeben wird, die der Pathologe von einer Ex-Freundin Einsteins in Russland besorgt hatte. Dann entschied er sich, das Hirn wegzugeben, aber niemand wollte es. „Die Laboratorien waren mehr an Hirnen von kriminellen interessiert.“ (Seite 528) Der Roman mit über 500 Seiten hat viele Lesegenüsse zu bieten, etwa wenn Franzobel den Beruf des Pathologen beschreibt: „Pathologe ist wie Pianist in einem Bordell. Sie können noch so hervorragend spielen, es kommt trotzdem niemand wegen der Musik.“ (Seite 61) Oder wenn er die negativen Seiten des Fortschritts anhand des Menschen definiert und sagt „dass der Grund vieler Erkrankungen im aufrechten Gang begründet liegt. … Krampfadern, Hämorrhoiden, Sodbrennen, Meniskus, Hüftabnützung. Hätten unsere Vorfahren nicht entschieden, den Kopf höher zu tragen, wären uns viele Zivilisationskrankheiten erspart geblieben …“ (Seite 110) „Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion – zu enger Gebärkanal, Haltungsschäden, schlechte Zähne. Selbst der ärgste Dilettant hätte das besser hinbekommen als Gott.“ (Seite 180) In den einzelnen Abschnitten wird immer wieder Bezug auf das Weltgeschehen genommen. Etwa der Ermordung Kennedys, das Ende der Beatles, Jimi Hendrix Tod und dass 1978 ein Pole Papst wurde und in Persien Muslime die Regierung übernahmen. Einsteins Leben ist in diesem Roman nur Hintergrundmusik. Durch den Kontakt des Pathologen mit Verwandten Einsteins und durch Gespräche mit dem Hirn werden nur einzelne Lebensabschnitte beschrieben. Als Autor ist Franzobel auch selbstkritisch, wenn er meint Theater ist „etwas für Leute, die zu faul zum Lesen sind, lauter Stoffe, die zu schlecht sind für Verfilmungen.“ (Seite 457) Thomas Harvey wurde 85 Jahre alt und verbrachte beinahe sein halbes Leben mit Hirn. Er hatte seine Ehen, seine Kinder, seine Freundschaften, alles dem Hirn untergeordnet. Der Dichter Franzobel widmete ihm mit diesem Buch ein Denkmal. 37. SCHLICK, Christoph Was meinem Leben echten Sinn gibt Buch 2023. @book{SCHLICK2023, SCHLICK, Christoph: „Was meinem Leben echten Sinn gibt. Die wichtigsten Lebensfragen klären“, München 2017 Zuerst einige Worte zum Autor: für den Familienbetrieb als Nachfolger in der Rechtsanwaltskanzlei vorgesehen ging er ins Kloster und war über 20 Jahre Benediktinermönch. Danach begann er ein neues Leben, heiratete und bekam ein Kind. Die Frau war zwar mit Zwillingen schwanger, aber eines starb, das andere war behindert. Nach einigen Jahren beging die Frau Selbstmord. Jahre später heiratete er wieder und ist heute als Unternehmensberater und Coach tätig. Mit so vielen negativen Lebenserfahrungen rechnet man nicht mit einem positiven Menschen. Ich erlebte ihn bei einem Vortrag und er war motivierend und strahlte Positives aus. Viele Menschen kommen erst am Ende ihres Lebens darauf, über ihr Sein nachzudenken. Das will der Autor mit seinem Buch verändern und den Leser, die Leserin anregen sich laufend mit dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen. Im Vorwort sagt er: „Ich möchte ihnen Orientierung auf ihrem Entwicklungsweg und Lösungen geben, und es tut gut, sie sich anzusehen.“ (Seite 14) Er nähert sich dem Leser über verschiedene Fragen: • Die Frage nach dem Sinn des Lebens und dem WOFÜR • Das Menschliche, was uns ausmacht • Um sinnvoll zu leben, soll man zuerst die Werte erkennen • Sehnsucht ist wichtig beim Finden des Sinns Der Autor zeigt dann fünf Lebenssinn-Beziehungen auf und versucht dann zu erklären, wie diese das eigene Leben stärken können. Die Veränderung im Leben erscheint ihm wichtig, dass der Mensch sich in jedem Alter auf Neues einlassen soll. Erst wenn man einen Sinn im Leben hat, findet man Mut und Lebensfreude. Christoph Schlick versucht hier einen Ratgeber in Form eines „psychologischen Kochbuchs“ zu geben, aus dem man die eine oder andere Anregung ins eigene Leben aufnehmen kann. 38. RANSMAYR, Christoph Der fliegende Berg Buch 2023. @book{RANSMAYR2023, RANSMAYR, Christoph: „Der fliegende Berg“, Frankfurt 2020 Ransmayr zeigt sich bei diesem Buch als Kenner Irlands, wo er lange Zeit lebte, und gleichzeitig bringt er seine Erfahrungen aus dem Himalaya ein. Er verbindet diese beiden Gebiete durch zwei junge irische Männer, Brüder, die als Jugendliche in den Klippen der irischen Küste kletterten. Ihre Interessen trennten sie: der eine wurde Seemann und der andere blieb sesshaft. Er errichtete das Farmhaus seiner Eltern und lebte als Landwirt auf einer irischen Insel. Den Bruder wollte er immer wieder zurückholen. Letztlich gelang es und sie planten eine gemeinsame Expedition in den Himalaya. Sie wollten einen Berg besteigen, der nach Recherchen ein noch nicht entdeckter ist. Da es sich um tibetisches Gebiet handelte, mussten sie eine offizielle Reise buchen, die sie später verließen und auf eigene Faust illegal zu „ihrem“ Berg aufbrachen. Zuerst mit einem fahrenden Händler auf einem Pickup und später wandernd mit Nomaden und deren Yakherde. Wochenlang waren sie unterwegs in Richtung höher gelegener Weidegründe. Von dort erst brachen sie allein und unerlaubt zu einem Gipfel – den Phur-Ri, den fliegenden Berg - auf. Die Nomaden rieten von dieser Besteigung ab. Berge seien etwas Heiliges. Berge, so erzählten sie, hätten „sich aus dem Funkenschwarm der Sterne gelöst und würden wie Lichtflöße durch die Himmelsnacht treiben, bis sie schließlich herabschweben auf die Ebenen einer Welt, die flach war.“ (Seite 138) Keiner dieser Berge, so die Erzählung, bleibe in der Welt der Menschen. Sie alle würden irgendwann wieder aufsteigen in den Himmel. Der jüngere Bruder hatte sich in die Erzählerin dieser Sage, einer Frau, einer Witwe der Nomaden verliebt und wollte gar nicht mehr auf den Berg. Er hatte sich mit seinem Bruder schon zerstritten. Dieser versuchte Alleingänge. Als er von so einer Besteigung nicht zurückkam, brach der Bruder – trotz Zwist – auf, um ihn zu suchen. Dabei stürzte er in eine Gletscherspalte und wäre fast selbst umgekommen. Letztlich bestiegen sie gemeinsam den ersehnten Gipfel. Das Wetter schlug um. Sie kamen in Schwierigkeiten, bei denen der ältere und erfahrenere Bruder starb. Verletzt überlebte der Erzähler, der erst beim Räumen des Bauernhofs in Irland vieles über seinen Bruder erfuhr. Selbst litt er unter dem Tod des Bruders und dachte „Ich habe meinen Bruder getötet.“ (Seite 342) Ransmayr entführt den Leser in eine ihm vielleicht unbekannte Welt. Eine Welt des Hochgebirges, des Himalaya. Einer Welt der Gefahren, die er sehr gut zu beschreiben versteht, sodass man glaubt selbst durch Eis und Schnee zu gehen. Auch ich bin zu Beginn dem Irrtum unterlegen, dass das Buch in Gedichtform geschrieben sei. Dem ist nicht so. Es ist ein freier Rhythmus. Die Texte sind frei von Versen. Es ist ein Flattersatz. Ransmayr nennt es einen „fliegenden Satz“, der aber angenehm zum Lesen ist. Ich fand sogar, dass die Sätze in diesem Format vornehmer wirkten als im traditionellen Satz. 39. KÖHLMEIER, Michael Frankie Buch 2023. @book{KÖHLMEIER2023, KÖHLMEIER, Michael: „Frankie“, München 2023 Erstaunlich, wo Köhlmeier seine Themen für einen Roman immer herholt. Diesmal geht es in die Strafvollzugsanstalt Stein und nach Wien, wo Köhlmeier abwechselnd zu Vorarlberg wohnt. Der Titel „Frankie“ ist dem 14-jährigen Buben dieser Handlung gewidmet. Zur Hauptperson, beziehungsweise Aktion auslösenden Person wird aber der Großvater Frankies, der über 20 Jahre seines Lebens im Gefängnis saß. Frankie wohnt mit seiner Mutter zusammen. Sie haben ein gutes Zusammenleben. Nun tritt als Dritter der Opa in ihr Leben. Die Mutter will nicht, dass ihr Sohn mit dem „Verbrecher“ Opa Beziehungen hat. Opa wohnt nach Haftentlassung nur wenige Tage mit der Tochter und dem Enkel in deren Wohnung. Dann bekommt er eine eigene Wohnung zugewiesen. Frankie aber hält weiter Kontakt mit ihm. Obwohl er nicht weiß, „Wie Opa heißt. Nicht einmal seinen Vornamen kenne ich.“ (Seite 54) Das schriftstellerische Interesse Köhlmeiers flackert kurz auf, als Opa seinen Enkel fragt, ob er aus seinem Leben ein Buch schreiben kann. Der Neffe aber meint „Ich sei sicher gut im Rechtschreiben, er nämlich nicht. Nur die Idioten erzählen, was sie wirklich getan haben. Und nur die Vollidioten glauben, was man ihnen erzählt. So gesehen sei ich der Vollidiot in der Geschichte, die er mir aufgebunden hat.“ (Seite 75) Das Leben im Gefängnis sei ein sehr einfaches, so erklärt Opa das seinem Enkel: „Du brauchst nicht nachzudenken, wann und was es Essen gibt. Du brauchst nicht nachdenken, wo du schlafen sollst. Wann du arbeiten sollst. Wann du ins Freie sollst. Wann es ausnahmsweise Obst gibt. Wann es ausnahmsweise ein Glas Wein gibt. Über alles wird für dich nachgedacht. …. Erst die letzten zehn Jahre habe ich mir eigene Gedanken gemacht.“ (Seite 87) Opa führt Frankie indirekt ins Verbrecherleben ein, sodass dieser am Ende den eigenen Opa erschießt, aber nicht erwischt wird; womit ich die Pointe eines Krimis vorweggenommen habe. Aber es ist ja kein Krimi, sondern ein Roman. Letztlich führt er sogar seinen leiblichen Vater, zu dem die Mutter keinen Kontakt mehr hat, hinters Licht. Als Leser stellt man sich am Ende die Frage „Wird eine verbrecherische Veranlagung vererbt?“ 40. Sempé, Jean-Jacques Das Geheimnis des Fahrradhändlers Buch 2023. @book{Sempé2023, Sempé, Jean-Jacques: „Das Geheimnis des Fahrradhändlers“, übersetzt von Patrick Süskind; Zürich 2005 Es ist eine Geschichte, die von einem ortsbekannten Fahrradmechaniker handelt, der aber selbst nicht Radfahren kann. Nur weiß das Niemand. Trotzdem wird er berühmt. Sein Dorf wird durch ihn weltbekannt. Es ist eine einfache, aber nette Geschichte. Aber das wesentliche an diesem Buch sind die Zeichnungen von Sempé, weshalb man es kauft. Treffend auch die deutsche Übersetzung von Patrick Süskind. Das Buch ist ein „Schau- und Lesevergnügen“. |
Die komplette Liste
2023
ERNAUX, Annie
Die Jahre Buch
2023.
@book{ERNAUX2023,
title = {Die Jahre},
author = {Annie ERNAUX},
year = {2023},
date = {2023-01-04},
abstract = {ERNAUX, Annie: „Die Jahre“, Berlin 2022
Die Autorin beschreibt rückblickend ihr Leben und dessen Veränderungen. Es ist aber ein Spiegelbild der Generation, die noch während des Zweiten Weltkriegs zur Welt kamen. Menschen, die all die Veränderungen in den Nachkriegsjahren, der folgenden Konsumgeneration und Wohlstands miterlebten. Es ist ein Spiegelbild der französischen Gesellschaft und ist doch nicht das Leben der Autorin, sondern gilt für diese Generation. Auch in anderen europäischen Ländern verlief die Veränderung ähnlich und man fühlt sich bei vielen Punkten persönlich angesprochen.
So wird noch von den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs, dem Wiederaufbau und der neuen Generation erzählt. Wie durch die Babypille das sexuelle Verhältnis sich änderte und Revolutionen, wie jene von 1968, die Gesellschaft anders machte. Auch die beschriebene Person wird anders als ihre Eltern und doch wieder in vielen Dingen konservativ: verheiratet, Kindererzieherin, Konsumorientiert.
Die eigenen Kinder wurden Erwachsene. Sie waren im Wohlstand aufgewachsen und taten sich schwer von zu Hause auszuziehen. Als sie geschieden war, überlegte sie erstmals ein Buch über die Jahre von 1940 (Geburt) bis 1985 (Scheidung und wieder Alleinsein) zu schreiben.
Als die Autorin sich der Gegenwart, den „Nullerjahren“ des 21. Jahrhunderts näherte, lief sie zu einem wahrlich literarischen Höhepunkt auf. Jetzt beschrieb sie die Zeit, in der sie gerade unmittelbar lebte und charakterisierte ihre Umgebung „nobelpreisträchtig“ genau und schön. Die Überflutung mit Information durch das Internet gibt aber kein Wissen wieder, das beim Leben hilft. Sie beklagt auch, dass zwar die Religion durch die Muslime zurück im Leben sei, aber der Rosenkranz, der Fisch am Freitag und Kirchenlieder der eigenen Religion verloren gingen. Als geschiedene Frau hat sie einen jungen Liebhaber, der ihr die Jugend nicht geben kann und ihr gleichzeitig ihr Alter nimmt.
Es ist keine Biografie der Autorin geworden, sondern ein Stück Zeitgeschichte, das sie anhand einer Person beschrieb. „In dem, was sie als unpersönliche Autobiografie begreift, gibt es kein „ich“, sondern ein „man“ oder „wir“. (Seite 253) Sie empfand es selbst als Lust jetzt im Alter über das Leben zu schreiben.
Ein großartiges Buch in nobelpreiswürdigem Niveau. Die Erzählung über einer Generation.
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Die Autorin beschreibt rückblickend ihr Leben und dessen Veränderungen. Es ist aber ein Spiegelbild der Generation, die noch während des Zweiten Weltkriegs zur Welt kamen. Menschen, die all die Veränderungen in den Nachkriegsjahren, der folgenden Konsumgeneration und Wohlstands miterlebten. Es ist ein Spiegelbild der französischen Gesellschaft und ist doch nicht das Leben der Autorin, sondern gilt für diese Generation. Auch in anderen europäischen Ländern verlief die Veränderung ähnlich und man fühlt sich bei vielen Punkten persönlich angesprochen.
So wird noch von den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs, dem Wiederaufbau und der neuen Generation erzählt. Wie durch die Babypille das sexuelle Verhältnis sich änderte und Revolutionen, wie jene von 1968, die Gesellschaft anders machte. Auch die beschriebene Person wird anders als ihre Eltern und doch wieder in vielen Dingen konservativ: verheiratet, Kindererzieherin, Konsumorientiert.
Die eigenen Kinder wurden Erwachsene. Sie waren im Wohlstand aufgewachsen und taten sich schwer von zu Hause auszuziehen. Als sie geschieden war, überlegte sie erstmals ein Buch über die Jahre von 1940 (Geburt) bis 1985 (Scheidung und wieder Alleinsein) zu schreiben.
Als die Autorin sich der Gegenwart, den „Nullerjahren“ des 21. Jahrhunderts näherte, lief sie zu einem wahrlich literarischen Höhepunkt auf. Jetzt beschrieb sie die Zeit, in der sie gerade unmittelbar lebte und charakterisierte ihre Umgebung „nobelpreisträchtig“ genau und schön. Die Überflutung mit Information durch das Internet gibt aber kein Wissen wieder, das beim Leben hilft. Sie beklagt auch, dass zwar die Religion durch die Muslime zurück im Leben sei, aber der Rosenkranz, der Fisch am Freitag und Kirchenlieder der eigenen Religion verloren gingen. Als geschiedene Frau hat sie einen jungen Liebhaber, der ihr die Jugend nicht geben kann und ihr gleichzeitig ihr Alter nimmt.
Es ist keine Biografie der Autorin geworden, sondern ein Stück Zeitgeschichte, das sie anhand einer Person beschrieb. „In dem, was sie als unpersönliche Autobiografie begreift, gibt es kein „ich“, sondern ein „man“ oder „wir“. (Seite 253) Sie empfand es selbst als Lust jetzt im Alter über das Leben zu schreiben.
Ein großartiges Buch in nobelpreiswürdigem Niveau. Die Erzählung über einer Generation.
2022
MENASSE, Robert
Die Erweiterung Buch
2022.
@book{MENASSE2022b,
title = {Die Erweiterung},
author = {Robert MENASSE},
year = {2022},
date = {2022-12-21},
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abstract = {MENASSE, Robert: „Die Erweiterung“, Berlin 2022
Mit großer Sachkenntnis beschreibt Menasse die Situation der Verwaltung der Europäischen Union und des Beitrittskandidaten Albanien, der stellvertretend für die Balkanländer steht. Es ist ein Roman und dementsprechend sind es handelnde Personen, anhand derer man die Situation erfährt. Diese handelnden Personen aus Brüssel, Polen, Österreich und Albaniens werden nicht nur in ihrer agierenden Funktion vorgestellt, sondern auch deren Hintergrund bis zur Kindheit zurück und erfährt damit auch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. So etwa der Pressesprecher des albanischen Premierministers, dessen Eltern einflussreiche Menschen in der Zeit der Diktatur Enver Hoxhas waren. Als diese Diktatur zu Ende ging begingen sie Selbstmord und der Bub wurde zum Waisen. In einem Kinderheim ist er dann aufgewachsen. Er war nur mit Buben zusammen, worauf er seine fehlende Erfahrung mit Frauen zurückführt. Homosexuell wurde er aber nicht. Nachdem das neue Regime zu Ende ging tauchte seine Tante auf und holte ihn aus dem Kinderheim. Sie erzog ihn, dass er auch zu einem Hochschulabschluss kam, aber Liebe oder Mütterlichkeit konnte sie ihm nicht bieten.
So erfährt man auch von der Kindheit eines EU-Beamten, der in der Frühzeit der Solidarnosc im Untergrund aktiv war. Sein bester Freund aus dieser Zeit wurde Premierminister und verwarf alle Jugendtugenden. Enttäuscht musste der engagierte EU-Beamte das zur Kenntnis nehmen. Eigentlich wollte er sich revanchieren und den ehemaligen Freund bloßstellen.
Diese detaillierten Beschreibungen waren dem Autor wichtig, wie er selbst sagte: „Der Erzähler aber zeigte nicht die Oberfläche, sondern setzte das Wesen ins Bild, hält nicht nur den Moment fest, sondern lasse ihn fließen, vom Grund zur Wirkung. Erst der Anspruch des Beschreibens habe das Unbeschreibliche zur Welt gebracht, während wir alles erzählen können, letztlich auch das Unbeschreibliche.“ (Seite 388)
Der Helm des albanischen Führers Skanderbeg ist ein Faktor, der sich durch den ganzen Roman zieht. Er wird aus dem Wiener Museum gestohlen. Der albanische Premierminister ließ sich unabhängig vom Kunstraub eine Kopie erstellen, die er sich aufsetzen wollte und sich so zum Oberhaupt aller Albaner zu machen. Auch jenen, die im Kosovo, in Nordmazedonien und Montenegro leben. Da Albaniens Aufnahme in die EU von Frankreich beeinsprucht wurde, will er sein kleines (unbedeutendes) Land größer machen, indem er „Großalbanien“ ins Spiel bringt. Der Premierminister meinte „Mit diesem Helm betteln wir nicht mehr um den Beitritt in die Europäische Union, sondern überlegen kühl und sachlich, ob wir die EU in ein geeintes Albanien eintreten lassen.“ (Seite 317)
Der Höhepunkt des Romans findet dann auf einem neuen Kreuzfahrtschiff, das Albanien in Betrieb nahm, statt. Es hatte den Namen SS Skanderbeg, nach dem Nationalheiligen Albaniens. Menasse klärt aber auch auf, dass es im Zweiten Weltkrieg in Albanien eine eigene SS-Einheit mit dem Namen Skanderbeg gab. „Im Kampf gegen die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee, die Tito-Partisanen, war die Skanderbeg-Division nicht sehr erfolgreich.“ (Seite 171)
Der Stapellauf des Schiffs fand zum Nationalfeiertag Albaniens statt. Eingeladen wurden auch Vertreter aus den Nachbarländern und aus der EU. Man hielt am Schiff eine Konferenz über die Integration der Balkanländer in die EU ab, obwohl einige Wochen später eine solche in Polen geplant war. Da Polen gegen eine EU-Erweiterung ist, hat man diese Konferenz vorgezogen, um positive Stimmung zu erzeugen. Die Jungfernfahrt fand also mit allen Spitzenpolitikern der Europäischen Union statt.
Bis dahin fand ich es als sehr gutes Buch und wollte es schon Freunden zum Lesen empfehlen. Aber ab Seite 600 ändert es sich. Dann wird es chaotisch, abgehoben und irreal. Auch der Schreibstil ändert sich und wirkt wie ein Stakkato von kurzen Sätzen. Bei einem Kriminalroman nimmt man in der Beschreibung den Schluss nicht vorweg und so will ich es auch hier halten. Die Situation am Schiff eskaliert zu einer unvorstellbaren Form. Meiner Meinung leidet das Buch darunter. 50 Seiten machen die vorangegangenen 600 schlecht. Aber Menasse wollte mit diesem Stilwechsel und überhöhter Beschreibung die Situation der Europäischen Union kritisch beleuchten.
Ein großartiges Buch, in dem man die letzten 50 Seiten akzeptieren muss.
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Mit großer Sachkenntnis beschreibt Menasse die Situation der Verwaltung der Europäischen Union und des Beitrittskandidaten Albanien, der stellvertretend für die Balkanländer steht. Es ist ein Roman und dementsprechend sind es handelnde Personen, anhand derer man die Situation erfährt. Diese handelnden Personen aus Brüssel, Polen, Österreich und Albaniens werden nicht nur in ihrer agierenden Funktion vorgestellt, sondern auch deren Hintergrund bis zur Kindheit zurück und erfährt damit auch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. So etwa der Pressesprecher des albanischen Premierministers, dessen Eltern einflussreiche Menschen in der Zeit der Diktatur Enver Hoxhas waren. Als diese Diktatur zu Ende ging begingen sie Selbstmord und der Bub wurde zum Waisen. In einem Kinderheim ist er dann aufgewachsen. Er war nur mit Buben zusammen, worauf er seine fehlende Erfahrung mit Frauen zurückführt. Homosexuell wurde er aber nicht. Nachdem das neue Regime zu Ende ging tauchte seine Tante auf und holte ihn aus dem Kinderheim. Sie erzog ihn, dass er auch zu einem Hochschulabschluss kam, aber Liebe oder Mütterlichkeit konnte sie ihm nicht bieten.
So erfährt man auch von der Kindheit eines EU-Beamten, der in der Frühzeit der Solidarnosc im Untergrund aktiv war. Sein bester Freund aus dieser Zeit wurde Premierminister und verwarf alle Jugendtugenden. Enttäuscht musste der engagierte EU-Beamte das zur Kenntnis nehmen. Eigentlich wollte er sich revanchieren und den ehemaligen Freund bloßstellen.
Diese detaillierten Beschreibungen waren dem Autor wichtig, wie er selbst sagte: „Der Erzähler aber zeigte nicht die Oberfläche, sondern setzte das Wesen ins Bild, hält nicht nur den Moment fest, sondern lasse ihn fließen, vom Grund zur Wirkung. Erst der Anspruch des Beschreibens habe das Unbeschreibliche zur Welt gebracht, während wir alles erzählen können, letztlich auch das Unbeschreibliche.“ (Seite 388)
Der Helm des albanischen Führers Skanderbeg ist ein Faktor, der sich durch den ganzen Roman zieht. Er wird aus dem Wiener Museum gestohlen. Der albanische Premierminister ließ sich unabhängig vom Kunstraub eine Kopie erstellen, die er sich aufsetzen wollte und sich so zum Oberhaupt aller Albaner zu machen. Auch jenen, die im Kosovo, in Nordmazedonien und Montenegro leben. Da Albaniens Aufnahme in die EU von Frankreich beeinsprucht wurde, will er sein kleines (unbedeutendes) Land größer machen, indem er „Großalbanien“ ins Spiel bringt. Der Premierminister meinte „Mit diesem Helm betteln wir nicht mehr um den Beitritt in die Europäische Union, sondern überlegen kühl und sachlich, ob wir die EU in ein geeintes Albanien eintreten lassen.“ (Seite 317)
Der Höhepunkt des Romans findet dann auf einem neuen Kreuzfahrtschiff, das Albanien in Betrieb nahm, statt. Es hatte den Namen SS Skanderbeg, nach dem Nationalheiligen Albaniens. Menasse klärt aber auch auf, dass es im Zweiten Weltkrieg in Albanien eine eigene SS-Einheit mit dem Namen Skanderbeg gab. „Im Kampf gegen die Jugoslawische Volksbefreiungsarmee, die Tito-Partisanen, war die Skanderbeg-Division nicht sehr erfolgreich.“ (Seite 171)
Der Stapellauf des Schiffs fand zum Nationalfeiertag Albaniens statt. Eingeladen wurden auch Vertreter aus den Nachbarländern und aus der EU. Man hielt am Schiff eine Konferenz über die Integration der Balkanländer in die EU ab, obwohl einige Wochen später eine solche in Polen geplant war. Da Polen gegen eine EU-Erweiterung ist, hat man diese Konferenz vorgezogen, um positive Stimmung zu erzeugen. Die Jungfernfahrt fand also mit allen Spitzenpolitikern der Europäischen Union statt.
Bis dahin fand ich es als sehr gutes Buch und wollte es schon Freunden zum Lesen empfehlen. Aber ab Seite 600 ändert es sich. Dann wird es chaotisch, abgehoben und irreal. Auch der Schreibstil ändert sich und wirkt wie ein Stakkato von kurzen Sätzen. Bei einem Kriminalroman nimmt man in der Beschreibung den Schluss nicht vorweg und so will ich es auch hier halten. Die Situation am Schiff eskaliert zu einer unvorstellbaren Form. Meiner Meinung leidet das Buch darunter. 50 Seiten machen die vorangegangenen 600 schlecht. Aber Menasse wollte mit diesem Stilwechsel und überhöhter Beschreibung die Situation der Europäischen Union kritisch beleuchten.
Ein großartiges Buch, in dem man die letzten 50 Seiten akzeptieren muss.
BUCHINGER, Günther
Gozzoburg Krems - Fragen und Antworten Booklet
2022.
@booklet{BUCHINGER2022,
title = {Gozzoburg Krems - Fragen und Antworten},
author = {Günther BUCHINGER},
editor = {Kulturamt der Stadt Krems},
year = {2022},
date = {2022-12-07},
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abstract = {Kulturamt der Stadt Krems (Hg): „Gozzoburg Krems“, Krems 2021
Die mittelalterliche Stadt Krems hatte am Hohen Markt einen Palast, den der damalige Stadtrichter Gozzo errichten ließ. In der Vergangenheit nahm man an, dass es sich um eine Burg handelt. Als solche wurde auch ein erstes Gebäude von den Kuenringern erbaut. Gozzo ließ aber alles umbauen und erweitern und schuf einen ansehnlichen Palast.
Das vom heutigen Besitzer – der Stadtgemeinde Krems – herausgegebene Buch ist mit Fragen und deren Antworten aufgebaut. Die Titel der einzelnen Kapitel sind Fragen, die dann in der Folge von Experten beantwortet werden. Ein interessanter und unüblicher Aufbau eines Kunstführers.
Der angesehene Bürger Gozzo war zum Großteil seines Lebens als Stadtrichter aktiv. Nach seinem Tod übernahm den Palast sein Sohn. Später ging er in den Besitz der Habsburger über. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Kaiser Friedrich III und dem ungarischen König Matthias Corvinus wurde auch Krems belagert. Die Stadt verteidigte sich tapfer und bekam als Dank viele Rechte, wie die Einhebung von Steuern. Unter Kaiser Maximilian I. kam es zu einer Teilung der Anlage. Im östlichen Teil war eine lutherische Schule untergebracht, die bald verboten wurde. Den anderen Teil erwarb der Stadtrichter.
Im 17. Jahrhundert wurde die Stadt Besitzer. In einem Teil war bis ins 19. Jahrhundert – mit vielen Umbauten – eine Bierbrauerei eingerichtet. In einem anderen Teil eine Fleischerei. Vieles wurde im 19. Jahrhundert zerstört, als das Gebäude in privaten Besitz kam und zu einem Wohnhaus umgebaut wurde. So wurde etwa in der Kapelle eine Zwischendecke eingezogen, um zwei Wohngeschosse zu gewinnen. Die Wandmalereien der Kapelle wurden dabei zerstört. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhundert begann man mit der Renovierung, die bis in die 60er Jahre dauerte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden die beiden Gebäudekomplexe wieder zusammengeführt und einer Generalsanierung unterzogen. Heute beherbergt die Gozzoburg neben einem Gasthaus das Bundesdenkmalamt für Niederösterreich und einen Teil der Fachhochschule IMC Krems.
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Die mittelalterliche Stadt Krems hatte am Hohen Markt einen Palast, den der damalige Stadtrichter Gozzo errichten ließ. In der Vergangenheit nahm man an, dass es sich um eine Burg handelt. Als solche wurde auch ein erstes Gebäude von den Kuenringern erbaut. Gozzo ließ aber alles umbauen und erweitern und schuf einen ansehnlichen Palast.
Das vom heutigen Besitzer – der Stadtgemeinde Krems – herausgegebene Buch ist mit Fragen und deren Antworten aufgebaut. Die Titel der einzelnen Kapitel sind Fragen, die dann in der Folge von Experten beantwortet werden. Ein interessanter und unüblicher Aufbau eines Kunstführers.
Der angesehene Bürger Gozzo war zum Großteil seines Lebens als Stadtrichter aktiv. Nach seinem Tod übernahm den Palast sein Sohn. Später ging er in den Besitz der Habsburger über. Im Zuge der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Kaiser Friedrich III und dem ungarischen König Matthias Corvinus wurde auch Krems belagert. Die Stadt verteidigte sich tapfer und bekam als Dank viele Rechte, wie die Einhebung von Steuern. Unter Kaiser Maximilian I. kam es zu einer Teilung der Anlage. Im östlichen Teil war eine lutherische Schule untergebracht, die bald verboten wurde. Den anderen Teil erwarb der Stadtrichter.
Im 17. Jahrhundert wurde die Stadt Besitzer. In einem Teil war bis ins 19. Jahrhundert – mit vielen Umbauten – eine Bierbrauerei eingerichtet. In einem anderen Teil eine Fleischerei. Vieles wurde im 19. Jahrhundert zerstört, als das Gebäude in privaten Besitz kam und zu einem Wohnhaus umgebaut wurde. So wurde etwa in der Kapelle eine Zwischendecke eingezogen, um zwei Wohngeschosse zu gewinnen. Die Wandmalereien der Kapelle wurden dabei zerstört. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhundert begann man mit der Renovierung, die bis in die 60er Jahre dauerte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurden die beiden Gebäudekomplexe wieder zusammengeführt und einer Generalsanierung unterzogen. Heute beherbergt die Gozzoburg neben einem Gasthaus das Bundesdenkmalamt für Niederösterreich und einen Teil der Fachhochschule IMC Krems.
ERNAUX, Annie
Der Platz Buch
2022.
@book{ERNAUX2022b,
title = {Der Platz},
author = {Annie ERNAUX},
year = {2022},
date = {2022-12-05},
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abstract = {ERNAUX, Annie: „Der Platz“, Berlin 2022
Die Nobelpreisträgerin erzählt in diesem Buch vom Leben ihrer Großeltern und Eltern. Ein Leben, wie es auch in Österreich oder einem anderen Land sein hätte können. So gesehen war die Welt schon früher global. Es beginnt mit dem Tod des Vaters. Wie er stirbt, welchen Eindruck der Gestorbene auf die Autorin machte und wie er dann für das Begräbnis gewaschen und gekleidet wird. Verwandte reisen an und bald geht das Alltagsleben weiter und die Mutter steht allein im eigenen Geschäft.
Annie Ernaux ist als Arbeiterkind aufgewachsen und durfte – weil die Eltern wollten, dass es dem Kind einmal besser gehe – studieren. Der Vater verstand das nicht mehr. Mit autobiografischen Romanen und Erzählungen wurde sie berühmt und bekam letztlich 2022 den Nobelpreis. Der vorliegende Roman „Der Platz“ war der erste, der ausschließlich aus ihrem eigenen Leben handelte. Sie wollte einen Roman über ihren Vater schreiben und nahm sich des Themas sehr vorsichtig an. „Ich schreibe langsam. Bei dem Versuch, die bedeutsamen Etappen eines Lebens freizulegen, das Zusammenspiel aus Gegebenheiten und Entscheidungen, habe ich den Eindruck, dass mir die Einzigartigkeit meines Vaters mehr und mehr abhandenkommt.“ (Seite 37/38)
Die Beschreibung des Vaters beginnt aus der Sicht des Kindes und wie sie sich selbst dann aus dem Milieu der Eltern wegentwickelte und so den Vater aus einem anderen Blickwinkel sah. Mit dem Tod des Vaters beginnt das Buch und mit dem Begräbnis endet es. Dazwischen ist sein Leben direkt und indirekt beschrieben.
Der Titel „Der Platz“ bezieht sich nicht auf eine physische Stelle, sondern auf die Position, die der Vater in seinem Leben einnahm. Respekt vor den Intellektuellen und Reichen. „Oberste Regel: Dem kritischen Blick der anderen zuvorkommen, durch Höflichkeit, durch die Abwesenheit einer eigenen Meinung, für ein feines Gespür der Launen der anderen, die einen treffen könnten.“ (Seite 51) Er war gegenüber neumodischen Dingen skeptisch und verstand nicht, warum man ständig „sicher nicht“ sagte und „warum man zwei Wörter kombinierte, die einander widersprachen.“ (Seite 53)
Auch wenn eine Geschichte wie diese autobiografisch, also aus dem Leben der Autorin geschrieben ist, kann man als Leser viel Allgemeines und vielleicht sogar selbst Erlebtes herauslesen.
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Die Nobelpreisträgerin erzählt in diesem Buch vom Leben ihrer Großeltern und Eltern. Ein Leben, wie es auch in Österreich oder einem anderen Land sein hätte können. So gesehen war die Welt schon früher global. Es beginnt mit dem Tod des Vaters. Wie er stirbt, welchen Eindruck der Gestorbene auf die Autorin machte und wie er dann für das Begräbnis gewaschen und gekleidet wird. Verwandte reisen an und bald geht das Alltagsleben weiter und die Mutter steht allein im eigenen Geschäft.
Annie Ernaux ist als Arbeiterkind aufgewachsen und durfte – weil die Eltern wollten, dass es dem Kind einmal besser gehe – studieren. Der Vater verstand das nicht mehr. Mit autobiografischen Romanen und Erzählungen wurde sie berühmt und bekam letztlich 2022 den Nobelpreis. Der vorliegende Roman „Der Platz“ war der erste, der ausschließlich aus ihrem eigenen Leben handelte. Sie wollte einen Roman über ihren Vater schreiben und nahm sich des Themas sehr vorsichtig an. „Ich schreibe langsam. Bei dem Versuch, die bedeutsamen Etappen eines Lebens freizulegen, das Zusammenspiel aus Gegebenheiten und Entscheidungen, habe ich den Eindruck, dass mir die Einzigartigkeit meines Vaters mehr und mehr abhandenkommt.“ (Seite 37/38)
Die Beschreibung des Vaters beginnt aus der Sicht des Kindes und wie sie sich selbst dann aus dem Milieu der Eltern wegentwickelte und so den Vater aus einem anderen Blickwinkel sah. Mit dem Tod des Vaters beginnt das Buch und mit dem Begräbnis endet es. Dazwischen ist sein Leben direkt und indirekt beschrieben.
Der Titel „Der Platz“ bezieht sich nicht auf eine physische Stelle, sondern auf die Position, die der Vater in seinem Leben einnahm. Respekt vor den Intellektuellen und Reichen. „Oberste Regel: Dem kritischen Blick der anderen zuvorkommen, durch Höflichkeit, durch die Abwesenheit einer eigenen Meinung, für ein feines Gespür der Launen der anderen, die einen treffen könnten.“ (Seite 51) Er war gegenüber neumodischen Dingen skeptisch und verstand nicht, warum man ständig „sicher nicht“ sagte und „warum man zwei Wörter kombinierte, die einander widersprachen.“ (Seite 53)
Auch wenn eine Geschichte wie diese autobiografisch, also aus dem Leben der Autorin geschrieben ist, kann man als Leser viel Allgemeines und vielleicht sogar selbst Erlebtes herauslesen.
Kohlenberger, Judith
Die Couragierten. Über die transformative Kraft der Zivilgesellschft Booklet
2022.
@booklet{Kohlenberger2022,
title = {Die Couragierten. Über die transformative Kraft der Zivilgesellschft},
author = {Judith Kohlenberger},
editor = {GlobArt},
year = {2022},
date = {2022-12-01},
urldate = {2022-12-01},
abstract = {KOHLENBERGER, Judith: „Die Couragierten. Über die transformative Kraft der Zivilgesellschaft“, Wien 2022
Der Herausgeber dieser kleinen Broschüre ist GlobArt. Wikipedia definiert GlobArt als „eine Denkfabrik in Wien. Der Verein befasst sich mit Zukunftsthemen. Prominenten Künstlern und Philosophen wird eine Plattform geboten, um mit Referenten aus Wissenschaft und Wirtschaft in einen Diskurs zu treten und gesellschaftsrelevante Themen zu diskutieren.“ Selbst nennt sich GlobArt nicht „Denkfabrik“. Sie sind es einfach. Sie brauchen sich nicht den Namen „Denkfabrik“ zu geben.
Viel verbindet mich mit GlobArt. Schon vor seiner Gründung kontaktierte mich der damalige Abt von Geras an der Donau-Universität und lud mich zu einem Austausch ein. Lange Jahre war ich dann im Vorstand. Die letzten Jahre habe ich den Kontakt verloren, die Generalsekretärin und Freundin Heide Dobner, informiert mich aber regelmäßig und so bekam ich diese Broschüre. Sie zeigt wieder das Vordenkertum des Vereins.
Die Autorin Judith Kohlenberger ist Migrationsforscherin an der Wirtschafts-Universität Wien. Sie beleuchtet sehr anschaulich wie wichtig die Zivilgesellschaft und mutige Menschen sind.
Untermauert mit guter Literatur wendet sie sich dem Thema mit einem persönlichen Geständnis zu: „Ich bin einer der ängstlichen Menschen, die ich kenne. Ich habe Angst vor Krankheiten (sehr gemütlich während einer Pandemie), vor langen Reisen, vor bösen Menschen, vor Schmerzen und Trägheit, vor schlaflosen Nächten, vor Einsamkeit, vorm Zahnarzt und seinen Gerätschaften, vor Übergewicht, Pickel und Haarausfall, vor Nachtfaltern, die sich in Innenräumen verirren und nicht mehr hinausfinden, vor dem Versagen und Scheitern, vor dem Tod geliebter Menschen.“ (Seite 9/10) Unsere Leistungsgesellschaft ist aber nicht dafür angelegt, dass man seine Ängste artikuliert und kommuniziert. In Zeiten mit Krieg, Teuerung, Seuchen und Flucht, trauen sich die Menschen aber doch mehr zu ihren Ängsten zu stehen. Trotz allem sehen Millionen von Menschen eine Zukunft und fordern Veränderung. Es sind die Couragierten, die sich öffentlich engagieren. Sie sind nicht Teil der Machtträger und trotzdem haben sie als Angehörige der Zivilgesellschaft Einfluss. Aus der Geschichte lernend kann man feststellen, dass nur friedliche Proteste Erfolg haben. Digitale Medien verändern die Gesellschaft sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Sie erzeugen aber auch eine größere Distanz zum Nächsten. Die letzten Jahre der Corona-Pandemie haben die Risse in der Gesellschaft verstärkt zum Vorschein gebracht. „Couragiertsein“ ist das Gegenteil von Furchtlosigkeit. Couragierte agieren, weil sie sich fürchten.
GlobArt und die Autorin zeigen damit die heute in Gang gesetzte Zeitenwende für die Zivilgesellschaft mit Platz für Neuem auf.
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Der Herausgeber dieser kleinen Broschüre ist GlobArt. Wikipedia definiert GlobArt als „eine Denkfabrik in Wien. Der Verein befasst sich mit Zukunftsthemen. Prominenten Künstlern und Philosophen wird eine Plattform geboten, um mit Referenten aus Wissenschaft und Wirtschaft in einen Diskurs zu treten und gesellschaftsrelevante Themen zu diskutieren.“ Selbst nennt sich GlobArt nicht „Denkfabrik“. Sie sind es einfach. Sie brauchen sich nicht den Namen „Denkfabrik“ zu geben.
Viel verbindet mich mit GlobArt. Schon vor seiner Gründung kontaktierte mich der damalige Abt von Geras an der Donau-Universität und lud mich zu einem Austausch ein. Lange Jahre war ich dann im Vorstand. Die letzten Jahre habe ich den Kontakt verloren, die Generalsekretärin und Freundin Heide Dobner, informiert mich aber regelmäßig und so bekam ich diese Broschüre. Sie zeigt wieder das Vordenkertum des Vereins.
Die Autorin Judith Kohlenberger ist Migrationsforscherin an der Wirtschafts-Universität Wien. Sie beleuchtet sehr anschaulich wie wichtig die Zivilgesellschaft und mutige Menschen sind.
Untermauert mit guter Literatur wendet sie sich dem Thema mit einem persönlichen Geständnis zu: „Ich bin einer der ängstlichen Menschen, die ich kenne. Ich habe Angst vor Krankheiten (sehr gemütlich während einer Pandemie), vor langen Reisen, vor bösen Menschen, vor Schmerzen und Trägheit, vor schlaflosen Nächten, vor Einsamkeit, vorm Zahnarzt und seinen Gerätschaften, vor Übergewicht, Pickel und Haarausfall, vor Nachtfaltern, die sich in Innenräumen verirren und nicht mehr hinausfinden, vor dem Versagen und Scheitern, vor dem Tod geliebter Menschen.“ (Seite 9/10) Unsere Leistungsgesellschaft ist aber nicht dafür angelegt, dass man seine Ängste artikuliert und kommuniziert. In Zeiten mit Krieg, Teuerung, Seuchen und Flucht, trauen sich die Menschen aber doch mehr zu ihren Ängsten zu stehen. Trotz allem sehen Millionen von Menschen eine Zukunft und fordern Veränderung. Es sind die Couragierten, die sich öffentlich engagieren. Sie sind nicht Teil der Machtträger und trotzdem haben sie als Angehörige der Zivilgesellschaft Einfluss. Aus der Geschichte lernend kann man feststellen, dass nur friedliche Proteste Erfolg haben. Digitale Medien verändern die Gesellschaft sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Sie erzeugen aber auch eine größere Distanz zum Nächsten. Die letzten Jahre der Corona-Pandemie haben die Risse in der Gesellschaft verstärkt zum Vorschein gebracht. „Couragiertsein“ ist das Gegenteil von Furchtlosigkeit. Couragierte agieren, weil sie sich fürchten.
GlobArt und die Autorin zeigen damit die heute in Gang gesetzte Zeitenwende für die Zivilgesellschaft mit Platz für Neuem auf.
HESSE, Hermann
Narziss und Goldmund Buch
2022.
@book{HESSE2022,
title = {Narziss und Goldmund},
author = {Hermann HESSE},
year = {2022},
date = {2022-11-29},
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abstract = {HESSE, Hermann: „Narziss und Goldmund“, Baden Baden 1989
Manchmal gibt es einen Anlass, ein schon vor langer Zeit gelesenes Buch wieder aus dem Regal zu nehmen und erneut zu lesen. Mit anderem Zugang, anders als vor einigen Jahrzehnten. Der Anlass für das Wiederlesen des Buches „Narziss und Goldmund“ war eine ausgezeichnete Verfilmung dieses Romans. Obwohl ein Film nicht vergleichbar mit einem Buch ist. Ein Film ist eben anders als ein Buch. Aber die Idee dahinter ist dieselbe. Da ist der junge zielstrebige Kleriker und Mönch Narziss, der schon als Schüler zum Lehrer wird. Dann tritt ein junger Mann ins Kloster ein. Der Vater bringt ihn, weil ihm seine Ehefrau, die Mutter des Knaben abhandengekommen ist. Sie hat Schuld auf sich geladen und der Vater denkt, dass diese Schuld getilgt werden kann, wenn der Sohn Mönch wird. Das Leben dieser beiden jungen Männer - Narziss und Goldmund - kreuzt sich, Sie werden Freunde, obwohl sie grundverschieden waren. Narziss hat die Gabe Menschen sehr gut analysieren zu können. So erkennt er das Andersartige in Goldmund, akzeptiert und schätzt es. Mit seinen analytischen Kenntnissen bringt er ihn vom Weg, selbst Mönch zu werden ab. Die Freundschaft, die nur eine temporäre war, ging zu Ende und beide gingen ihre eigenen Wege. Narziss jenen des Intellektuellen, des Klostermenschen und Goldmund zog es in die Welt hinaus. Mit vielen Frauen schläft er. Er ist vogelfrei. Im Winter kommt er zu einem Ritter, der seine Schreibkunst schätzt und ihn zum Niederschreiben seines Lebens engagiert. Er hat zwei Töchter. In eine verliebt er sich. Die zweite erfährt von diesem Verhältnis und die Geliebte informiert den Vater, der Goldmund vertreibt. Er ist wieder allein unterwegs. Es ist Winter. Die Geliebte hatte ihm einen Reiter mit wärmender Jacke und einem Goldstück nachgeschickt. Er machte Bekanntschaft mit einem Wanderprediger, der sich mit fatalen Tricks durchs Leben schlug. In einer Nacht wollte dieser ihn bestehlen. In der Verteidigung töte er ihn. Schuld auf sich geladen lief er wirr durch die Gegend. In einem Dorf fand man ihn bewusstlos. Eine Frau, mit der er auch geschlafen hatte, brachte ihn in einem Stall in Sicherheit und päppelte ihn wieder auf. In seinen Wanderjahren traf er auf verschiedenste Menschen. Zwei Mal begleitete ihn ein Mann. Den ersten – er wollte ihn bestehlen – erdrosselte er und schlug so Schuld auf sich.
Die Pest war ausgebrochen. Ganze Städte waren ausgestorben. Häuser standen leer. Menschen lagen, ohne begraben zu werden und verwesten. Einerseits gab es viel zum Stehlen. Kühe standen ungemolken auf der Wiese, weil alle Mitglieder des Bauern verstorben waren. Mit einem Mädchen und einem Pilger bezog er im Wald eine Hütte. Sie bauten sich ein Zuhause auf. Ein Mann vergewaltigte seine Liebschaft. Er hörte ihre Hilferufe und brachte den Mann um. Sein zweiter Mord. Letztlich erkrankte die Geliebte an der Pest. Als sie gestorben war, zündete er die Hütte mit ihrem Leichnam an und begab sich wieder auf Wanderschaft. Diesmal war das Ziel sein ehemaliger Meister. Am Weg wieder viele leere Ort. Die Pest hat viele Menschenleben gekostet. Enttäuscht musste er, am Ziel angekommen, feststellen, dass sein Meister verstorben war. Die Tochter hatte Pest. Er pflegte sie. Er starb und die Tochter überlebte. Unfreundlich wurde er abgewiesen. Die Werkstatt war geschlossen. In der Stadt erkannte ihn aber die Tochter seines ehemaligen Zimmervermieters. Enttäuscht suche er eine Kirche auf und wollte beichten, aber alle Priester waren verstorben oder abgezogen und geflüchtet. So kniete er vor einem leeren Beichtstuhl bekannte seine Schuld. In dieser Formulierung sieht man auch die Größe des Dichters Hermann Hesse. Ein alter Text, der noch heute seine Wirkung hat: „Ich komme aus der Welt zurück und bin ein schlechter und unnützer Mensch geworden, ich habe meine jungen Jahre vertan wie ein Verschwender, wenig ist übriggeblieben. Ich habe getötet, ich habe gestohlen, ich habe gehurt, ich bin müßig gegangen und habe anderen das Brot weggegessen. Lieber Gott, warum hast du uns so geschaffen, warum führst du uns solche Wege? Sind wir nicht deine Kinder? Ist nicht dein Sohn für uns gestorben? Gibt es nicht Heilige und Engel uns zu leiten? Oder sind das alles hübsche erfundene Geschichten, die man den Kindern erzählt und über die die Pfaffen selber lachen? Ich bin irr an dir geworden, Gottvater, du hast die Welt übel geschaffen, schlecht hältst du sie in Ordnung. Ich habe Häuser und Gassen voll von Toten liegen sehen, ich habe gesehen, wie die Reichen sich in ihren Häusern verschanzt haben oder geflohen sind und wie die Armen ihre Brüder unbegraben haben liegenlassen, wie sie einer dem anderen verdächtigt und die Juden wie Vieh totgeschlagen haben. Ich habe so viele Unschuldige leiden und untergehen sehen und so viel Böse im Wohlleben schwimmen. Hast du uns denn ganz vergessen und verlassen, ist dir deine Schöpfung ganz entleidet, willst du uns alle zugrunde gehen lassen?“ (Seite 303)
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Manchmal gibt es einen Anlass, ein schon vor langer Zeit gelesenes Buch wieder aus dem Regal zu nehmen und erneut zu lesen. Mit anderem Zugang, anders als vor einigen Jahrzehnten. Der Anlass für das Wiederlesen des Buches „Narziss und Goldmund“ war eine ausgezeichnete Verfilmung dieses Romans. Obwohl ein Film nicht vergleichbar mit einem Buch ist. Ein Film ist eben anders als ein Buch. Aber die Idee dahinter ist dieselbe. Da ist der junge zielstrebige Kleriker und Mönch Narziss, der schon als Schüler zum Lehrer wird. Dann tritt ein junger Mann ins Kloster ein. Der Vater bringt ihn, weil ihm seine Ehefrau, die Mutter des Knaben abhandengekommen ist. Sie hat Schuld auf sich geladen und der Vater denkt, dass diese Schuld getilgt werden kann, wenn der Sohn Mönch wird. Das Leben dieser beiden jungen Männer - Narziss und Goldmund - kreuzt sich, Sie werden Freunde, obwohl sie grundverschieden waren. Narziss hat die Gabe Menschen sehr gut analysieren zu können. So erkennt er das Andersartige in Goldmund, akzeptiert und schätzt es. Mit seinen analytischen Kenntnissen bringt er ihn vom Weg, selbst Mönch zu werden ab. Die Freundschaft, die nur eine temporäre war, ging zu Ende und beide gingen ihre eigenen Wege. Narziss jenen des Intellektuellen, des Klostermenschen und Goldmund zog es in die Welt hinaus. Mit vielen Frauen schläft er. Er ist vogelfrei. Im Winter kommt er zu einem Ritter, der seine Schreibkunst schätzt und ihn zum Niederschreiben seines Lebens engagiert. Er hat zwei Töchter. In eine verliebt er sich. Die zweite erfährt von diesem Verhältnis und die Geliebte informiert den Vater, der Goldmund vertreibt. Er ist wieder allein unterwegs. Es ist Winter. Die Geliebte hatte ihm einen Reiter mit wärmender Jacke und einem Goldstück nachgeschickt. Er machte Bekanntschaft mit einem Wanderprediger, der sich mit fatalen Tricks durchs Leben schlug. In einer Nacht wollte dieser ihn bestehlen. In der Verteidigung töte er ihn. Schuld auf sich geladen lief er wirr durch die Gegend. In einem Dorf fand man ihn bewusstlos. Eine Frau, mit der er auch geschlafen hatte, brachte ihn in einem Stall in Sicherheit und päppelte ihn wieder auf. In seinen Wanderjahren traf er auf verschiedenste Menschen. Zwei Mal begleitete ihn ein Mann. Den ersten – er wollte ihn bestehlen – erdrosselte er und schlug so Schuld auf sich.
Die Pest war ausgebrochen. Ganze Städte waren ausgestorben. Häuser standen leer. Menschen lagen, ohne begraben zu werden und verwesten. Einerseits gab es viel zum Stehlen. Kühe standen ungemolken auf der Wiese, weil alle Mitglieder des Bauern verstorben waren. Mit einem Mädchen und einem Pilger bezog er im Wald eine Hütte. Sie bauten sich ein Zuhause auf. Ein Mann vergewaltigte seine Liebschaft. Er hörte ihre Hilferufe und brachte den Mann um. Sein zweiter Mord. Letztlich erkrankte die Geliebte an der Pest. Als sie gestorben war, zündete er die Hütte mit ihrem Leichnam an und begab sich wieder auf Wanderschaft. Diesmal war das Ziel sein ehemaliger Meister. Am Weg wieder viele leere Ort. Die Pest hat viele Menschenleben gekostet. Enttäuscht musste er, am Ziel angekommen, feststellen, dass sein Meister verstorben war. Die Tochter hatte Pest. Er pflegte sie. Er starb und die Tochter überlebte. Unfreundlich wurde er abgewiesen. Die Werkstatt war geschlossen. In der Stadt erkannte ihn aber die Tochter seines ehemaligen Zimmervermieters. Enttäuscht suche er eine Kirche auf und wollte beichten, aber alle Priester waren verstorben oder abgezogen und geflüchtet. So kniete er vor einem leeren Beichtstuhl bekannte seine Schuld. In dieser Formulierung sieht man auch die Größe des Dichters Hermann Hesse. Ein alter Text, der noch heute seine Wirkung hat: „Ich komme aus der Welt zurück und bin ein schlechter und unnützer Mensch geworden, ich habe meine jungen Jahre vertan wie ein Verschwender, wenig ist übriggeblieben. Ich habe getötet, ich habe gestohlen, ich habe gehurt, ich bin müßig gegangen und habe anderen das Brot weggegessen. Lieber Gott, warum hast du uns so geschaffen, warum führst du uns solche Wege? Sind wir nicht deine Kinder? Ist nicht dein Sohn für uns gestorben? Gibt es nicht Heilige und Engel uns zu leiten? Oder sind das alles hübsche erfundene Geschichten, die man den Kindern erzählt und über die die Pfaffen selber lachen? Ich bin irr an dir geworden, Gottvater, du hast die Welt übel geschaffen, schlecht hältst du sie in Ordnung. Ich habe Häuser und Gassen voll von Toten liegen sehen, ich habe gesehen, wie die Reichen sich in ihren Häusern verschanzt haben oder geflohen sind und wie die Armen ihre Brüder unbegraben haben liegenlassen, wie sie einer dem anderen verdächtigt und die Juden wie Vieh totgeschlagen haben. Ich habe so viele Unschuldige leiden und untergehen sehen und so viel Böse im Wohlleben schwimmen. Hast du uns denn ganz vergessen und verlassen, ist dir deine Schöpfung ganz entleidet, willst du uns alle zugrunde gehen lassen?“ (Seite 303)
STREERUWITZ, Marlene
Partygirl Buch
2022.
@book{STREERUWITZ2022,
title = {Partygirl},
author = {Marlene STREERUWITZ},
year = {2022},
date = {2022-11-21},
urldate = {2022-11-21},
abstract = {STREERUWITZ, Marlene: „Partygirl“, Frankfurt 2011
Mehrmals habe ich dieses Buch zur Hand genommen, um mit dem Lesen zu beginnen. Immer wieder habe ich es wieder weggelegt. Es war schwierig der Erzählung zu folgen. Ein eigenartiger Schreibstil. Manche Sätze bestehen nur aus zwei Wörtern. Alles wirkt beim Lesen sehr abgehackt. Sehr detailgenau werden Eindrücke und Erlebnisse erzählt. Letztlich habe ich es aber doch geschafft.
Die Hauptfigur des Romans ist Madeline. Ihr Leben wird auf einer umgekehrten Zeitachse erzählt. Das Buch beginnt in Chicago im Jahr 2000. Madeline arbeitet in einem Kleiderreinigungsgeschäft. Dann springt die Erzählung zurück ins Jahr 1997, wo sich Madeline mit Freunden in Havanna befindet, um dann 1994 aus Berlin zu berichten. 1989 ist Madeline in Santa Barbara in Kalifornien unterwegs. Durch intensives in die Sonne Schauen verliert sie kurzfristig ihr Sehvermögen. Die Freunde sind besorgt und versuchen sie wieder zu heilen. 1984 ist sie in Kreta. Sie wollte einige Wochen ausspannen und Urlaub machen, wurde aber mit der machoistischen Gepflogenheit der Männer konfrontiert. Es kam zu einer Vergewaltigung. Das Kapitel aus dem Jahr 1981 spielt in Arezzo im Ferienhaus eines Freundes. Sie ist die einzige Frau und muss sich mit dem fremden Verhalten der Männer zurechtfinden. Es ist eine Männergruppe aus Wien, die aus besseren Kreisen stammt und die sich im Urlaub in Italien ausgelassen geben. Es geht dann auf der Zeitachse weiter zurück ins Jahr 1976. Die Geschichte spielt in Wien. Das Nachtleben in verschiedenen Bars. Männer versuchen sie zu verführen. Sie flieht aus einem Auto und fährt mit dem Taxi heim. Und dann dreht die Autorin die Zeit nochmals zurück. Auf das Jahr 1973. Es spielt wieder in Wien. Madeline hat eine Wohnung mit ihrem Bruder in Wien im Zentrum. Sie ist von ihren Eltern weggezogen. Hat sich selbstständig gemacht. „Dass sie unbekannt war. Und sie hat sich das gewünscht. Weg von Baden. Weg aus diesem vertratschten Kaff.“ (Seite 229) Es ist die Zeit der Ölkrise. Energie war teuer. Die Wohnung schlecht geheizt. Sie hat eine Therapeutin. „Die verschrieb Emanzipation wir Schnupfentropfen. Wollte einen in die Emanzipation loswerden.“ (Seite 235) Warum sie eine Therapie bekam, konnte man als Leser nicht feststellen, weil die Geschichte ja gegen die Zeit läuft. 1968 geht auf eine Periode in Baden zurück. Es spielt im Elternhaus, einer alten Villa. Die Mutter von Madeline ist schwer krank. Ein Arzt, der Onkel, behandelt sie. Er will die Tochter, die ihre Mutter pflegt auf andere Gedanken bringen und fährt mit ihr in einen Nachtklub. Der Onkel meinte „Sie müsse aus dem Haus. Wahrscheinlich sei sie seit Wochen nicht aus dem Haus gewesen.“ (Seite 269) Madelines Bruder Rick sei bei Grabungen in Kleinasien, und so fiele die Betreuung der Mutter ihr zu. Der Onkel wollte im Restaurant mit ihr anbandeln. Sie bestand darauf heimgeführt zu werden. Der Mutter könnte etwas passieren. Als sie zum Haus kommen, sind alle Fenster beleuchtet, in jedem Raum das Licht aufgedreht. In der Küche findet sie einen Zettel: der Bruder war unangekündigt hier und habe alle Lichter aufgedreht.
Im nächsten Kapitel – es ist das Jahr 1965 – ist Madeline als junge Frau auf einem Sprachkurs in der italienischen Stadt Perugia. Ihr Bruder war auch da. Sie vereinbarten ein Treffen, aber er kam nicht. Ein Freund des Bruders holte sie ab. Im angegebenen Treffpunkt ist der Bruder nicht. Sie fahren weiter. Auch dort nicht. Ein anderer Freund übernimmt sie. Sie kommt in eine andere Gesellschaft. Eine Frau aus der Runde bringt sie in ein Zimmer, wo ein Mann mit einer Hure Geschlechtsverkehr hat. Die junge Frau Madeline flüchtet.
Die Erzählung geht weiter zurück ins Jahr 1960 und wieder nach Wien. Madeline besucht ihre Tante Lilly in Wien. Ihre Monatsregel auf der Fahrt im Bus wird ausführlich beschrieben. Die Tante erwartet, dass Madeline während ihres bevorstehenden Studiums bei ihr wohnt. Sie aber sagt ab.
Und die Zeit dreht sich weiter auf das Jahr 1957 in Baden zurück. Sie geht in die Maturaklasse und ist eine schlechte Schülerin. Rick half ihr in Latein. Im Bad wartete sie auf ihn. Ihn, den sie liebte.
Das Buch endet mit dem Jahr 1950. Madeline macht die Aufnahmeprüfung in die Mittelschule. Die anderen Bewerberinnen wurden von ihren Eltern begleitet. Madeline war allein und sie wurde auch als letzte im Klassenzimmer vergessen. Als man sie dann fand, war die Direktorin und die Lehrer sehr freundlich zu ihr. Sie wurde aufgenommen.
Die einzelnen Kapitel sind Stationen im Leben von Madeline. Man muss sich als Leser aus diesen Momentaufnahmen die Gesamtheit des Lebens der Frau zusammendenken, praktisch von vorne nach hinten durcharbeiten. Das der rote Faden eine inzestuöse Beziehung zu Madelines Bruder sein soll ist nur schwer herauszulesen.
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Mehrmals habe ich dieses Buch zur Hand genommen, um mit dem Lesen zu beginnen. Immer wieder habe ich es wieder weggelegt. Es war schwierig der Erzählung zu folgen. Ein eigenartiger Schreibstil. Manche Sätze bestehen nur aus zwei Wörtern. Alles wirkt beim Lesen sehr abgehackt. Sehr detailgenau werden Eindrücke und Erlebnisse erzählt. Letztlich habe ich es aber doch geschafft.
Die Hauptfigur des Romans ist Madeline. Ihr Leben wird auf einer umgekehrten Zeitachse erzählt. Das Buch beginnt in Chicago im Jahr 2000. Madeline arbeitet in einem Kleiderreinigungsgeschäft. Dann springt die Erzählung zurück ins Jahr 1997, wo sich Madeline mit Freunden in Havanna befindet, um dann 1994 aus Berlin zu berichten. 1989 ist Madeline in Santa Barbara in Kalifornien unterwegs. Durch intensives in die Sonne Schauen verliert sie kurzfristig ihr Sehvermögen. Die Freunde sind besorgt und versuchen sie wieder zu heilen. 1984 ist sie in Kreta. Sie wollte einige Wochen ausspannen und Urlaub machen, wurde aber mit der machoistischen Gepflogenheit der Männer konfrontiert. Es kam zu einer Vergewaltigung. Das Kapitel aus dem Jahr 1981 spielt in Arezzo im Ferienhaus eines Freundes. Sie ist die einzige Frau und muss sich mit dem fremden Verhalten der Männer zurechtfinden. Es ist eine Männergruppe aus Wien, die aus besseren Kreisen stammt und die sich im Urlaub in Italien ausgelassen geben. Es geht dann auf der Zeitachse weiter zurück ins Jahr 1976. Die Geschichte spielt in Wien. Das Nachtleben in verschiedenen Bars. Männer versuchen sie zu verführen. Sie flieht aus einem Auto und fährt mit dem Taxi heim. Und dann dreht die Autorin die Zeit nochmals zurück. Auf das Jahr 1973. Es spielt wieder in Wien. Madeline hat eine Wohnung mit ihrem Bruder in Wien im Zentrum. Sie ist von ihren Eltern weggezogen. Hat sich selbstständig gemacht. „Dass sie unbekannt war. Und sie hat sich das gewünscht. Weg von Baden. Weg aus diesem vertratschten Kaff.“ (Seite 229) Es ist die Zeit der Ölkrise. Energie war teuer. Die Wohnung schlecht geheizt. Sie hat eine Therapeutin. „Die verschrieb Emanzipation wir Schnupfentropfen. Wollte einen in die Emanzipation loswerden.“ (Seite 235) Warum sie eine Therapie bekam, konnte man als Leser nicht feststellen, weil die Geschichte ja gegen die Zeit läuft. 1968 geht auf eine Periode in Baden zurück. Es spielt im Elternhaus, einer alten Villa. Die Mutter von Madeline ist schwer krank. Ein Arzt, der Onkel, behandelt sie. Er will die Tochter, die ihre Mutter pflegt auf andere Gedanken bringen und fährt mit ihr in einen Nachtklub. Der Onkel meinte „Sie müsse aus dem Haus. Wahrscheinlich sei sie seit Wochen nicht aus dem Haus gewesen.“ (Seite 269) Madelines Bruder Rick sei bei Grabungen in Kleinasien, und so fiele die Betreuung der Mutter ihr zu. Der Onkel wollte im Restaurant mit ihr anbandeln. Sie bestand darauf heimgeführt zu werden. Der Mutter könnte etwas passieren. Als sie zum Haus kommen, sind alle Fenster beleuchtet, in jedem Raum das Licht aufgedreht. In der Küche findet sie einen Zettel: der Bruder war unangekündigt hier und habe alle Lichter aufgedreht.
Im nächsten Kapitel – es ist das Jahr 1965 – ist Madeline als junge Frau auf einem Sprachkurs in der italienischen Stadt Perugia. Ihr Bruder war auch da. Sie vereinbarten ein Treffen, aber er kam nicht. Ein Freund des Bruders holte sie ab. Im angegebenen Treffpunkt ist der Bruder nicht. Sie fahren weiter. Auch dort nicht. Ein anderer Freund übernimmt sie. Sie kommt in eine andere Gesellschaft. Eine Frau aus der Runde bringt sie in ein Zimmer, wo ein Mann mit einer Hure Geschlechtsverkehr hat. Die junge Frau Madeline flüchtet.
Die Erzählung geht weiter zurück ins Jahr 1960 und wieder nach Wien. Madeline besucht ihre Tante Lilly in Wien. Ihre Monatsregel auf der Fahrt im Bus wird ausführlich beschrieben. Die Tante erwartet, dass Madeline während ihres bevorstehenden Studiums bei ihr wohnt. Sie aber sagt ab.
Und die Zeit dreht sich weiter auf das Jahr 1957 in Baden zurück. Sie geht in die Maturaklasse und ist eine schlechte Schülerin. Rick half ihr in Latein. Im Bad wartete sie auf ihn. Ihn, den sie liebte.
Das Buch endet mit dem Jahr 1950. Madeline macht die Aufnahmeprüfung in die Mittelschule. Die anderen Bewerberinnen wurden von ihren Eltern begleitet. Madeline war allein und sie wurde auch als letzte im Klassenzimmer vergessen. Als man sie dann fand, war die Direktorin und die Lehrer sehr freundlich zu ihr. Sie wurde aufgenommen.
Die einzelnen Kapitel sind Stationen im Leben von Madeline. Man muss sich als Leser aus diesen Momentaufnahmen die Gesamtheit des Lebens der Frau zusammendenken, praktisch von vorne nach hinten durcharbeiten. Das der rote Faden eine inzestuöse Beziehung zu Madelines Bruder sein soll ist nur schwer herauszulesen.
ERNAUX, Annie
Das andere Mädchen Buch
2022.
@book{ERNAUX2022,
title = {Das andere Mädchen},
author = {Annie ERNAUX},
year = {2022},
date = {2022-11-08},
urldate = {2022-11-08},
abstract = {ERNAUX, Annie: „Das andere Mädchen“, Berlin 2022
Annie Ernaux hat heuer – 2022 – den Nobelpreis für Literatur bekommen. Das regte mich an ein Buch von ihr, das lieferbar war, zu lesen (nach einer Nobelpreisverleihung sind die Bücher der Preisträger schnell vergriffen). Beim „anderen Mädchen“ handelt es sich um eine Schwester der Erzählerin. Eine Schwester, die einige Jahre vor ihrer Geburt verstorben war. „Bei meiner Geburt warst du schon zweieinhalb Jahre tot. Du bist das Kind im Himmel, das unsichtbare kleine Mädchen, über das nie geredet wurde, die Abwesende aller Gespräche. Das Geheimnis.“ (Seite 14)
Sie wusste nichts von ihrer Schwester. Erst bei einem Gespräch ihrer Mutter mit einer Kundin hörte sie davon. Sie war nur „der Ersatz“ für die verstorbene Schwester. „Ich wurde geboren, weil du gestorben warst, ich habe dich ersetzt.“ (Seite 57) Die Schwester hatte denselben Namen wie sie. Die Verstorbene wurde geliebt. Liebe – so hat sie das Gefühl – ist bei ihr, der Lebenden, nicht angebracht.
Im Alter besucht sie das Grab und schreibt diesen „Brief“ in Buchform an die unbekannte, verstorbene Schwester.
Am Ende des Buches wendet sie sich direkt an die Verstorbene: „Selbstverständlich ist dieses Buch nicht an dich gerichtet, und du wirst ihn nicht lesen. Andere Menschen, Leserinnen und Leser, die beim Schreiben für mich genauso unsichtbar sind wie du, werden ihn in den Händen halten. Trotzdem gibt es in mir einen Rest magischen Denkens, und so stelle ich mir vor, er könnte dich auf irgendeinem verschlungenen Weg erreichen…“
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Annie Ernaux hat heuer – 2022 – den Nobelpreis für Literatur bekommen. Das regte mich an ein Buch von ihr, das lieferbar war, zu lesen (nach einer Nobelpreisverleihung sind die Bücher der Preisträger schnell vergriffen). Beim „anderen Mädchen“ handelt es sich um eine Schwester der Erzählerin. Eine Schwester, die einige Jahre vor ihrer Geburt verstorben war. „Bei meiner Geburt warst du schon zweieinhalb Jahre tot. Du bist das Kind im Himmel, das unsichtbare kleine Mädchen, über das nie geredet wurde, die Abwesende aller Gespräche. Das Geheimnis.“ (Seite 14)
Sie wusste nichts von ihrer Schwester. Erst bei einem Gespräch ihrer Mutter mit einer Kundin hörte sie davon. Sie war nur „der Ersatz“ für die verstorbene Schwester. „Ich wurde geboren, weil du gestorben warst, ich habe dich ersetzt.“ (Seite 57) Die Schwester hatte denselben Namen wie sie. Die Verstorbene wurde geliebt. Liebe – so hat sie das Gefühl – ist bei ihr, der Lebenden, nicht angebracht.
Im Alter besucht sie das Grab und schreibt diesen „Brief“ in Buchform an die unbekannte, verstorbene Schwester.
Am Ende des Buches wendet sie sich direkt an die Verstorbene: „Selbstverständlich ist dieses Buch nicht an dich gerichtet, und du wirst ihn nicht lesen. Andere Menschen, Leserinnen und Leser, die beim Schreiben für mich genauso unsichtbar sind wie du, werden ihn in den Händen halten. Trotzdem gibt es in mir einen Rest magischen Denkens, und so stelle ich mir vor, er könnte dich auf irgendeinem verschlungenen Weg erreichen…“
KIM, Anna
Die grosse Heimkehr Buch
2022.
@book{KIM2022b,
title = {Die grosse Heimkehr},
author = {Anna KIM},
year = {2022},
date = {2022-11-07},
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abstract = {KIM, Anna: „Die grosse Heimkehr“, Berlin 2017
Anna Kim, die in Südkorea geboren wurde und mit 2 Jahren nach Deutschland beziehungsweise mit 5 Jahren nach Wien kam, ist eine Schriftstellerin, die viel Abwechslung bietet. In ihrem letzten Roman „Geschichte eines Kindes“ hadert sie noch mit sich selbst, zu welchem Kulturkreis sie gehöre. Dem Aussehen nach zur asiatischen, in der Art des Denkens aber zur europäischen Kultur. Im Roman der „großen Heimkehr“ zeigt sie sich aber koreanisch und bietet viel Wissen und Informationen der jüngeren Vergangenheit des Landes an. Das Wissen schöpft sie aus vielen Gesprächen mit dem Koreaner Yunho. Er blickt zurück auf seine Erlebnisse mit den Veränderungen Koreas. Die Autorin des vorliegenden Buchs schreibt mit Personen, Proponenten des Romans, die Geschichte Koreas. Es ist ein historischer Roman, der gespickt ist mit Spionagegeschichten und der Erzählung politischer Ereignisse. Es geht um die Teilung in Nord- und Südkorea, wie sich die Großmächte Sowjetunion und USA ihre Einflussbereiche teilten und die ehemaligen Besatzer, die Japaner vertrieben. Diktatur herrschte aber auf beiden Seiten der neu gezogenen Grenze. Zu Beginn mehr im Süden des Landes. Erst mit fortschreitender Regentschaft von Kim Il Sung und seiner Nachfolger verschärfte sich die Diktatur und im Süden wechselte sie zu Demokratie.
Die drei Hauptakteure des Romans sind Johnny Kim, Eve Moon und der Erzähler Yunho Kang. Im April 1969 müssen sie vor der, unter dem Schutz der Regierung stehenden antikommunistischen, paramilitärischen Schlägertruppe nach Japan flüchten. Sie geben sich als Geschwister aus und tauchen in einem koreanischen Exilviertel Japans unter. Nordkorea, das sich als das „wahre“ Korea ansieht bietet koreanischen Asylanten in Japan die Rückkehr an. 90.000 folgen dem Aufruf. Im Vergleich dazu verließen 1945 500.000 Menschen den Norden, um in Südkorea einen neuen Anfang zu schaffen. Viele haben ihre Heimat und ihr Glück auch in Nordkorea gefunden, aber viele wurden ausgenutzt, verfolgt und vernichtet. Johnny nimmt von dieser Heimkehr Gebrauch und verschwindet mit der Tochter eines exilkoreanischen, in Japan etablierten Geschäftsmanns. Der Erzähler hat von ihm nie mehr etwas gehört. Auch die vereinbarten Geheimbotschaften, die Zensur überstehen sollten, kamen nicht. Eve, die er liebte und die ihn später verraten hatte und sich als Spionin entpuppte, traf er in Soul, wo er in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zurückgekehrt war, wieder. Sie war mit einem Amerikaner verheiratet und übersiedelte in die USA. Von seinen Freunden, die nach Nordkorea gingen und das Heimkehr-Angebot annahmen hofft er das beste: „Er zieht es vor, zu glauben, dass er, Tomoko, Eiko und Yunsu einander trafen und halfen, über Hungersnöte, Dürreperioden und Überschwemmungen hinweg, dass sie ein glückliches Leben führen und noch immer führen.“ (Seite 552) Aber auch der Erzähler, Yunho, hatte keine leichte Heimkehr nach Südkorea. Auch in seiner Heimat musste er untertauchen, um nicht verfolgt zu werden. Nach verschiedenen Aushilfsarbeiten, mit denen er sich über Wasser hielt, ging er in ein Leprakrankenzentrum, wo niemand hineinwollte, er aber sicher war. Mit den Geheilten wurden Farmen aufgebaut. Erst 1975 verließ er das Lepradorf.
Für den Erzähler war es ein Loslassen der Vergangenheit und die Autorin Anna Kim machte daraus einen sehr lesenswerten Roman, der nicht nur spannend ist, sondern Leute aus dem Westen in die historischen Verhältnisse dieser asiatischen Region einführt.
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Anna Kim, die in Südkorea geboren wurde und mit 2 Jahren nach Deutschland beziehungsweise mit 5 Jahren nach Wien kam, ist eine Schriftstellerin, die viel Abwechslung bietet. In ihrem letzten Roman „Geschichte eines Kindes“ hadert sie noch mit sich selbst, zu welchem Kulturkreis sie gehöre. Dem Aussehen nach zur asiatischen, in der Art des Denkens aber zur europäischen Kultur. Im Roman der „großen Heimkehr“ zeigt sie sich aber koreanisch und bietet viel Wissen und Informationen der jüngeren Vergangenheit des Landes an. Das Wissen schöpft sie aus vielen Gesprächen mit dem Koreaner Yunho. Er blickt zurück auf seine Erlebnisse mit den Veränderungen Koreas. Die Autorin des vorliegenden Buchs schreibt mit Personen, Proponenten des Romans, die Geschichte Koreas. Es ist ein historischer Roman, der gespickt ist mit Spionagegeschichten und der Erzählung politischer Ereignisse. Es geht um die Teilung in Nord- und Südkorea, wie sich die Großmächte Sowjetunion und USA ihre Einflussbereiche teilten und die ehemaligen Besatzer, die Japaner vertrieben. Diktatur herrschte aber auf beiden Seiten der neu gezogenen Grenze. Zu Beginn mehr im Süden des Landes. Erst mit fortschreitender Regentschaft von Kim Il Sung und seiner Nachfolger verschärfte sich die Diktatur und im Süden wechselte sie zu Demokratie.
Die drei Hauptakteure des Romans sind Johnny Kim, Eve Moon und der Erzähler Yunho Kang. Im April 1969 müssen sie vor der, unter dem Schutz der Regierung stehenden antikommunistischen, paramilitärischen Schlägertruppe nach Japan flüchten. Sie geben sich als Geschwister aus und tauchen in einem koreanischen Exilviertel Japans unter. Nordkorea, das sich als das „wahre“ Korea ansieht bietet koreanischen Asylanten in Japan die Rückkehr an. 90.000 folgen dem Aufruf. Im Vergleich dazu verließen 1945 500.000 Menschen den Norden, um in Südkorea einen neuen Anfang zu schaffen. Viele haben ihre Heimat und ihr Glück auch in Nordkorea gefunden, aber viele wurden ausgenutzt, verfolgt und vernichtet. Johnny nimmt von dieser Heimkehr Gebrauch und verschwindet mit der Tochter eines exilkoreanischen, in Japan etablierten Geschäftsmanns. Der Erzähler hat von ihm nie mehr etwas gehört. Auch die vereinbarten Geheimbotschaften, die Zensur überstehen sollten, kamen nicht. Eve, die er liebte und die ihn später verraten hatte und sich als Spionin entpuppte, traf er in Soul, wo er in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zurückgekehrt war, wieder. Sie war mit einem Amerikaner verheiratet und übersiedelte in die USA. Von seinen Freunden, die nach Nordkorea gingen und das Heimkehr-Angebot annahmen hofft er das beste: „Er zieht es vor, zu glauben, dass er, Tomoko, Eiko und Yunsu einander trafen und halfen, über Hungersnöte, Dürreperioden und Überschwemmungen hinweg, dass sie ein glückliches Leben führen und noch immer führen.“ (Seite 552) Aber auch der Erzähler, Yunho, hatte keine leichte Heimkehr nach Südkorea. Auch in seiner Heimat musste er untertauchen, um nicht verfolgt zu werden. Nach verschiedenen Aushilfsarbeiten, mit denen er sich über Wasser hielt, ging er in ein Leprakrankenzentrum, wo niemand hineinwollte, er aber sicher war. Mit den Geheilten wurden Farmen aufgebaut. Erst 1975 verließ er das Lepradorf.
Für den Erzähler war es ein Loslassen der Vergangenheit und die Autorin Anna Kim machte daraus einen sehr lesenswerten Roman, der nicht nur spannend ist, sondern Leute aus dem Westen in die historischen Verhältnisse dieser asiatischen Region einführt.
KIM, Anna
2022.
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title = {Geschichte eines Kindes},
author = {Anna KIM},
year = {2022},
date = {2022-10-31},
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abstract = {KIM, Anna: „Geschichte eines Kindes“, Berlin 2022
„Als Autorin werden mir von Zeit zu Zeit Geschichten geschenkt. Geschichten, die mehr sind als Geschichten, Geschichten, die Welten in sich tragen.“ So beschreibt die Autorin das vorliegende Buch in ihrer Einleitung. Sie sieht es als ein „äußerst kostbares Geschenk“, solche Texte zu bekommen und sie fühlt sich auch verpflichtet damit verantwortungsvoll und respektvoll umzugehen. Im ersten Kapitel erzählt sie dann, dass sie 2013 ein Semester als „Writer in Residence“ im mittleren Westen der USA verbrachte. Mit der ihr angebotenen Gästewohnung der Universität war sie unzufrieden und übersiedelte in ein Zimmer einer alten Dame, von der sie die Protokolle aus der Kindheit ihres Mannes bekam.
Der Ehemann dieser Frau war ein weggelegtes Kind. Seine junge Mutter gab das Kind zur Adoption frei. Da sich aber herausstellte, dass es eventuell einen „colored“ Vater hatte und die Mutter nicht bereit war den Namen des Mannes zu nennen, wurde die Adoption beziehungsweise das Sorgerecht für das Kind sehr kompliziert. Experten arbeiteten an einer rassistischen Zuordnung, die aus heutiger Sicht befremdend wirkt. „Daniel hat nun eine leichte Trichternase, sie ist etwas breiter und derber im Vergleich zu unserer Nase. Die Obernase ist jedoch dabei, sich zu erheben. An ihr ist gut erkennbar, dass es sich bei ihm um ein Rassengemisch handelt – sein Gesicht erinnert an unseres, obwohl noch Primitives darin zu spüren ist.“ (Seite53) Für Adoptiv- oder Pflegeeltern ist es ein Hindernis, ein andersfärbiges Kind anzunehmen. So wird etwa bei einem interessierten Pflegeelternpaar vermerkt: „Ein farbiges Kind sei ein Risiko: Walt, der in einer Stadtverwaltung arbeite, habe einen Ruf zu verlieren. Es würde viel Gerede um Daniel (dem Baby) geben.“ (Seite 58) Selbst die katholische Einrichtung fand es „unverantwortlich, ein herrenloses Kind in eine bestehende, gesunde Familie zu bringen.“ (Seite 62) Die Verschiedenheit im Aussehen ruft auch bei der Autorin, deren Mutter Asiatin und der Vater Europäer ist, viel Nachdenkliches hervor, dem sie im Text Platz einräumt.
Eine aus Wien stammende Sozialarbeiterin war mit der Betreuung des Mischling-Babys verantwortlich. Bis zur Klärung der Vaterschaft blieb es in der Obhut eines kirchlichen Hauses. Die junge Sozialarbeiterin arbeitete sehr genau und dokumentierte alles. Als Kim die Protokolle bekommt, ist der 1953 geborene Mann allerdings ein Pflegefall geworden.
Anna Kim arbeitete sich durch die übergebenen Unterlagen, führte viele Gespräche und fand in Wien die Tochter der ehemaligen Sozialarbeiterin. Aus all dem Material wurde dieses sehr spannende Buch zusammengestellt. Es zeigte auch, dass die Rasse eines Menschen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur unter den Nationalsozialisten Deutschlands wichtig war, sondern auch im so freien Amerika.
Im Buch sind die Texte der Protokolle unverändert abgedruckt. Sie geben dadurch einen Einblick in die Denkweise der damaligen Zeit. In Amerika wurden andere Rassen – wie in Deutschland die Juden – nicht ermordet, aber doch gemieden.
Normalerweise ist die Zeit eines „Writers in Residence“ dazu da, um ungestört an einem Manuskript zu arbeiten. Anna Kim kam aber mit viel neuem Material aus ihrem USA Aufenthalt zurück und letztlich entstand dieses Buch. Ein Zeitzeugnis, das sich über zwei Kontinente erstreckt. Ob man sich dieses wertvollen Ergebnisses auch im Gastgeberland bewusst ist ?
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„Als Autorin werden mir von Zeit zu Zeit Geschichten geschenkt. Geschichten, die mehr sind als Geschichten, Geschichten, die Welten in sich tragen.“ So beschreibt die Autorin das vorliegende Buch in ihrer Einleitung. Sie sieht es als ein „äußerst kostbares Geschenk“, solche Texte zu bekommen und sie fühlt sich auch verpflichtet damit verantwortungsvoll und respektvoll umzugehen. Im ersten Kapitel erzählt sie dann, dass sie 2013 ein Semester als „Writer in Residence“ im mittleren Westen der USA verbrachte. Mit der ihr angebotenen Gästewohnung der Universität war sie unzufrieden und übersiedelte in ein Zimmer einer alten Dame, von der sie die Protokolle aus der Kindheit ihres Mannes bekam.
Der Ehemann dieser Frau war ein weggelegtes Kind. Seine junge Mutter gab das Kind zur Adoption frei. Da sich aber herausstellte, dass es eventuell einen „colored“ Vater hatte und die Mutter nicht bereit war den Namen des Mannes zu nennen, wurde die Adoption beziehungsweise das Sorgerecht für das Kind sehr kompliziert. Experten arbeiteten an einer rassistischen Zuordnung, die aus heutiger Sicht befremdend wirkt. „Daniel hat nun eine leichte Trichternase, sie ist etwas breiter und derber im Vergleich zu unserer Nase. Die Obernase ist jedoch dabei, sich zu erheben. An ihr ist gut erkennbar, dass es sich bei ihm um ein Rassengemisch handelt – sein Gesicht erinnert an unseres, obwohl noch Primitives darin zu spüren ist.“ (Seite53) Für Adoptiv- oder Pflegeeltern ist es ein Hindernis, ein andersfärbiges Kind anzunehmen. So wird etwa bei einem interessierten Pflegeelternpaar vermerkt: „Ein farbiges Kind sei ein Risiko: Walt, der in einer Stadtverwaltung arbeite, habe einen Ruf zu verlieren. Es würde viel Gerede um Daniel (dem Baby) geben.“ (Seite 58) Selbst die katholische Einrichtung fand es „unverantwortlich, ein herrenloses Kind in eine bestehende, gesunde Familie zu bringen.“ (Seite 62) Die Verschiedenheit im Aussehen ruft auch bei der Autorin, deren Mutter Asiatin und der Vater Europäer ist, viel Nachdenkliches hervor, dem sie im Text Platz einräumt.
Eine aus Wien stammende Sozialarbeiterin war mit der Betreuung des Mischling-Babys verantwortlich. Bis zur Klärung der Vaterschaft blieb es in der Obhut eines kirchlichen Hauses. Die junge Sozialarbeiterin arbeitete sehr genau und dokumentierte alles. Als Kim die Protokolle bekommt, ist der 1953 geborene Mann allerdings ein Pflegefall geworden.
Anna Kim arbeitete sich durch die übergebenen Unterlagen, führte viele Gespräche und fand in Wien die Tochter der ehemaligen Sozialarbeiterin. Aus all dem Material wurde dieses sehr spannende Buch zusammengestellt. Es zeigte auch, dass die Rasse eines Menschen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht nur unter den Nationalsozialisten Deutschlands wichtig war, sondern auch im so freien Amerika.
Im Buch sind die Texte der Protokolle unverändert abgedruckt. Sie geben dadurch einen Einblick in die Denkweise der damaligen Zeit. In Amerika wurden andere Rassen – wie in Deutschland die Juden – nicht ermordet, aber doch gemieden.
Normalerweise ist die Zeit eines „Writers in Residence“ dazu da, um ungestört an einem Manuskript zu arbeiten. Anna Kim kam aber mit viel neuem Material aus ihrem USA Aufenthalt zurück und letztlich entstand dieses Buch. Ein Zeitzeugnis, das sich über zwei Kontinente erstreckt. Ob man sich dieses wertvollen Ergebnisses auch im Gastgeberland bewusst ist ?
BULGAKOW, Michail
Der Meister und Margarita Buch
2022.
@book{BULGAKOW2022,
title = {Der Meister und Margarita},
author = {Michail BULGAKOW},
year = {2022},
date = {2022-10-28},
urldate = {2022-10-28},
abstract = {BULGAKOW, Michail: „Der Meister und Margarita“, München 2021
Nachdem ich das Buch gelesen hatte, war meine erste Reaktion „Ein verrückter Roman“. Dem folgte aber die zweite Reaktion mit „Grandios verrückt“. Es geht hier einerseits um verrückt gewordene Menschen, die aber andererseits im Rahmen einer Diktatur, wie sie eben unter Stalin war, eine gesellschaftliche Situation auszudrücken versuchten.
Moskau wurde vom Teufel heimgesucht. Mit Gehilfen treibt er sein Unwesen. Menschen sterben, werden verführt. Mit Zaubertricks stürzt er die Gesellschaft ins Chaos. So wird das Leben in der Stadt Moskau der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts geschildert. Bulgakow setzt sich aber auch mit „Gut“ und „Böse“, „Gott“ und „Teufel“ und „Leben“ und „Tod“ auseinander. „Was würde das Gute anfangen, wenn es das Böse nicht gäbe? Wie würde die Erde aussehen, wenn die Schatten von ihr verschwänden? Es sind schließlich Dinge und Menschen, die Schatten werfen. … Willst du die ganze Erde verwüsten, alles Grün und alles Leben von ihr reißen, weil du die Grille hast, reines Licht zu genießen? Dumm bist du.“ (Seite 499/500)
Einer der Proponenten ist ein junger Dichter, der einen Roman über die letzten Tage von Pontius Pilatus und seiner Auseinandersetzung mit Jesus, den er verurteilt hatte, schrieb. In verschiedenen Kapiteln des Buches scheint diese Erzählung auf. Und damit stellt er auch den Bezug zwischen den Moskauer Bürgern und Pontius Pilatus her: es ist die Feigheit sich aufzulehnen und nicht systemkonform zu handeln.
Zum Schluss gehen sie alle in die „ewigen Jagdgründe“ ein. Sowohl Pilatus als auch die Hauptproponenten des Teufels gehen in das „ewige Haus“.
Bulgakow ist wohl der berühmteste russische Dichter des 20. Jahrhunderts, wenngleich er erst nach seinem Tod weit verbreitet wurde. Er hatte Probleme mit der Diktatur und Stalin. Eigentlich war er ausgebildeter Arzt, quittierte diesen Beruf aber, um nicht in den Krieg (Erster Weltkrieg) einrücken zu müssen. 1920 wurde er Schriftsteller. Der in Kiew geborene Russe zieht nach Moskau, wo er auch sein ganzes Leben wegen Reiseeinschränkungen lebte. Am Roman „Der Meister und Margarita“ schrieb er zwölf Jahre. Es gab verschiedenste Fassungen. Erst nach seinem Tod (er starb 1940) erschien 1966 eine erste, von der Zensur stark verkürzte Version. Die erste unzensurierte Version erschien 1973 und erst in den 1990er Jahren kamen es zu einer millionenfachen Auflage.
Im „Nachtrag“ gesteht die Übersetzerin, dass sie ohne dieses Buch nicht existieren würde. Ihr Vater hatte sich bei einer Frau, die später ihre Mutter wurde, das Buch ausgeborgt …
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Nachdem ich das Buch gelesen hatte, war meine erste Reaktion „Ein verrückter Roman“. Dem folgte aber die zweite Reaktion mit „Grandios verrückt“. Es geht hier einerseits um verrückt gewordene Menschen, die aber andererseits im Rahmen einer Diktatur, wie sie eben unter Stalin war, eine gesellschaftliche Situation auszudrücken versuchten.
Moskau wurde vom Teufel heimgesucht. Mit Gehilfen treibt er sein Unwesen. Menschen sterben, werden verführt. Mit Zaubertricks stürzt er die Gesellschaft ins Chaos. So wird das Leben in der Stadt Moskau der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts geschildert. Bulgakow setzt sich aber auch mit „Gut“ und „Böse“, „Gott“ und „Teufel“ und „Leben“ und „Tod“ auseinander. „Was würde das Gute anfangen, wenn es das Böse nicht gäbe? Wie würde die Erde aussehen, wenn die Schatten von ihr verschwänden? Es sind schließlich Dinge und Menschen, die Schatten werfen. … Willst du die ganze Erde verwüsten, alles Grün und alles Leben von ihr reißen, weil du die Grille hast, reines Licht zu genießen? Dumm bist du.“ (Seite 499/500)
Einer der Proponenten ist ein junger Dichter, der einen Roman über die letzten Tage von Pontius Pilatus und seiner Auseinandersetzung mit Jesus, den er verurteilt hatte, schrieb. In verschiedenen Kapiteln des Buches scheint diese Erzählung auf. Und damit stellt er auch den Bezug zwischen den Moskauer Bürgern und Pontius Pilatus her: es ist die Feigheit sich aufzulehnen und nicht systemkonform zu handeln.
Zum Schluss gehen sie alle in die „ewigen Jagdgründe“ ein. Sowohl Pilatus als auch die Hauptproponenten des Teufels gehen in das „ewige Haus“.
Bulgakow ist wohl der berühmteste russische Dichter des 20. Jahrhunderts, wenngleich er erst nach seinem Tod weit verbreitet wurde. Er hatte Probleme mit der Diktatur und Stalin. Eigentlich war er ausgebildeter Arzt, quittierte diesen Beruf aber, um nicht in den Krieg (Erster Weltkrieg) einrücken zu müssen. 1920 wurde er Schriftsteller. Der in Kiew geborene Russe zieht nach Moskau, wo er auch sein ganzes Leben wegen Reiseeinschränkungen lebte. Am Roman „Der Meister und Margarita“ schrieb er zwölf Jahre. Es gab verschiedenste Fassungen. Erst nach seinem Tod (er starb 1940) erschien 1966 eine erste, von der Zensur stark verkürzte Version. Die erste unzensurierte Version erschien 1973 und erst in den 1990er Jahren kamen es zu einer millionenfachen Auflage.
Im „Nachtrag“ gesteht die Übersetzerin, dass sie ohne dieses Buch nicht existieren würde. Ihr Vater hatte sich bei einer Frau, die später ihre Mutter wurde, das Buch ausgeborgt …
SCHOLL, Susanne
Omas Bankraub Buch
2022.
@book{SCHOLL2022,
title = {Omas Bankraub},
author = {Susanne SCHOLL},
year = {2022},
date = {2022-10-17},
abstract = {SCHOLL, Susanne: „Omas Bankraub“, Salzburg Wien 2022
Susanne Scholl ist eine eifrige Schreiberin. Meine private Datenbank meldet, dass ich zehn Bücher von ihr habe. Ich versuche Neuerscheinung möglichst schnell zu bekommen. So auch dieses Buch, dass sich im Stil doch etwas von den neun Vorgängern, die ich bisher gelesen habe, unterscheidet. Das Buch baut primär auf Dialogen der handelnden Personen auf. Diese erzählen sich gegenseitig ihre Geschichten. Die Proponenten sind vier ältere Frauen, die sich regelmässig treffen und auch gegenseitig aushelfen. Sie kommen aus unterschiedlichen sozialen Gesellschaftsschichten. Eine ist eine pensionierte Volksschullehrerin, eine (erfolglose) Musikerin, eine Krankenschwester und die Hauptperson Anna, die eine, unter chronischem Geldmangel leidende Pensionistin aus gutbürgerlichem Haus ist. Was alle vereint ist, dass sie zu wenig Geld haben. Sie wollen das gemeinsam lösen und versuchen es auf verschiedene Weise. Sie veranstalteten einen privaten Flohmarkt, der nichts einbrachte. Dann boten sie Kurse für Kochen, Tanzen und Malen an. Auch das war wirtschaftlich kein Erfolg. Letztlich verfielen sie auf die Idee eine Bank zu überfallen. Laienhaft – fast wie in einem Kabarett – wird der Cup vorbereitet, den sie dann selbst abbrechen. Letztlichen leben alle mit ihrem „zu wenig Geld“ weiter und sorgen sich um die Kinder, Enkelkinder und andere.
Es ist ein einfacher Roman, der aber vom Konstrukt und vom Aufbau interessant ist. Vier ältere Frauen, die sich einerseits Gedanken und Überlegungen machen, wie sie zu Geld – von dem sie alle zu wenig haben - kommen können und andererseits sorgen sie sich um Dinge, auf die sie keinen Einfluss mehr haben.
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Susanne Scholl ist eine eifrige Schreiberin. Meine private Datenbank meldet, dass ich zehn Bücher von ihr habe. Ich versuche Neuerscheinung möglichst schnell zu bekommen. So auch dieses Buch, dass sich im Stil doch etwas von den neun Vorgängern, die ich bisher gelesen habe, unterscheidet. Das Buch baut primär auf Dialogen der handelnden Personen auf. Diese erzählen sich gegenseitig ihre Geschichten. Die Proponenten sind vier ältere Frauen, die sich regelmässig treffen und auch gegenseitig aushelfen. Sie kommen aus unterschiedlichen sozialen Gesellschaftsschichten. Eine ist eine pensionierte Volksschullehrerin, eine (erfolglose) Musikerin, eine Krankenschwester und die Hauptperson Anna, die eine, unter chronischem Geldmangel leidende Pensionistin aus gutbürgerlichem Haus ist. Was alle vereint ist, dass sie zu wenig Geld haben. Sie wollen das gemeinsam lösen und versuchen es auf verschiedene Weise. Sie veranstalteten einen privaten Flohmarkt, der nichts einbrachte. Dann boten sie Kurse für Kochen, Tanzen und Malen an. Auch das war wirtschaftlich kein Erfolg. Letztlich verfielen sie auf die Idee eine Bank zu überfallen. Laienhaft – fast wie in einem Kabarett – wird der Cup vorbereitet, den sie dann selbst abbrechen. Letztlichen leben alle mit ihrem „zu wenig Geld“ weiter und sorgen sich um die Kinder, Enkelkinder und andere.
Es ist ein einfacher Roman, der aber vom Konstrukt und vom Aufbau interessant ist. Vier ältere Frauen, die sich einerseits Gedanken und Überlegungen machen, wie sie zu Geld – von dem sie alle zu wenig haben - kommen können und andererseits sorgen sie sich um Dinge, auf die sie keinen Einfluss mehr haben.
GRILL, Evelyn
Der Nachlass Buch
2022.
@book{GRILL2022,
title = {Der Nachlass},
author = {Evelyn GRILL},
year = {2022},
date = {2022-10-13},
abstract = {GRILL, Evelyn: „Der Nachlass“, Salzburg Wien 2022
Eine „alte Frau“ – im Romantext wird sie auch so anonym bezeichnet - erzählt aus ihrem Leben allein und während der COVID19 Pandemie. Sie ist eine alte Frau, die „nicht mehr weiß, ob sie sich jetzt in der Außen- oder in ihrer Innenwelt befindet.“ (Seite 8) Verordnungen sagen, dass sie als alter Mensch geschützt werden muss. Nicht verstehen kann sie, warum gerade alte Menschen als vulnerabel bezeichnet werden. Die jüngeren, die noch im Arbeitsprozess stehen, sind doch die wichtigeren einer Gesellschaft. Warum sind sie nicht oberste Priorität beim „Schützen“? „Es fragte, soviel sie wusste, niemand die Vulnerablen, ob sie so vorsorglich behandelt werden wollten, ob sie ganz keimfrei aufbewahrt werden wollten, und die Frage schien auch nicht nötig, weil es jedermann klar, unhinterfragbar klar war, dass jeder Mensch jeder Behandlung zustimmen würde, die ihn vor dem Tod bewahrte, und jeder Hundertjährige verstand, dass man nicht einen einzigen Keim, kein Virus in seine Nähe lassen durfte, auch keinen kühlen Luftzug.“ (Seite 18) Viele der staatlichen Verordnung versteht die alte Frau nicht. Die Geschichte hatte solche Situationen ja auch schon in früheren Zeiten gehabt. So siniert sie und mein: „In Pestzeiten half den Menschen damals wohl Musik und nicht ein Babyelefant.“ (Seite 21) Weiters meint sie – und damit sprach sie vielen Menschen aus der Seele – „Man hat ihr die Freiheit genommen, sich zu gefährden.“ (Seite 34) Das Wort „Lockdown“ erinnert sie an ein Gefängnis und an Eingesperrtsein.
Im Laufe des Buches erlebt man die verschiedenen Stadien der Pandemie aus Sicht einer alten Frau. Etwa, wie es erste Lockerungen gibt und dann wieder schließen alle Geschäfte. Obwohl: „Wenn die Waffengeschäfte offen sind, dann sind die Buchhandlungen geschlossen, das ist hier so die Regel, die man nicht verstehen muss. Sie versteht sowieso vieles nicht mehr. Sie ist ja schon alt.“ (Seite 54)
Sie erzählt aus einem 100 Jahre alten Lehnstuhl heraus, der einer Tante gehörte, die im Zweiten Weltkrieg als Jüdin alles zurücklassen musste und ins KZ transportiert wurde, wo sie umkam. Ein Beispiel dessen, wie es alten Menschen in der Einsamkeit geht. Eine Situation die durch staatliche Verwaltungen noch verstärkt wird. Sie vergleicht ihre Situation mit der während des Hitlerregimes. In den Zeiten der Quarantänen kramt sie in alten Unterlagen und findet eine Mappe mit Briefen ihrer Vorfahren aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. So auch einen Abschiedsbrief von ihrer Tante, von der sie diesen Lehnstuhl, in dem sie sitzt geerbt hat, bevor sie ins KZ übersiedelt. In einem Brief einer Bekannten aus dem Jahr 1946 – also nach dem Krieg – erfährtt sie, dass ihre Tante Paula vergast wurde und ihre Mutter verhungert ist. Daraus schließt sie, dass sie eine „Übriggebliebene“ ist. Am Ende träumt sie in ihrem Stuhl, „Dass es geheißen hat, dass wir wieder ins Kaffeehaus gehen dürfen und Zeitungen lesen und dass die Regierung zurückgetreten ist…“ (Seite 107)
Die Autorin – selbst 80 Jahre alt – erzählt auch aus eigener Erfahrung und kann deswegen das Leben dieser Proponentin sehr gut beschreiben. Sie kann sich hineinfühlen in so ein Menschenleben. Kein wirklich spannender und schöner Roman, aber ein Zeitzeugnis einer alten Frau, die mit den staatlichen Regulierungen der COVID-Pandemie leben muss.
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Eine „alte Frau“ – im Romantext wird sie auch so anonym bezeichnet - erzählt aus ihrem Leben allein und während der COVID19 Pandemie. Sie ist eine alte Frau, die „nicht mehr weiß, ob sie sich jetzt in der Außen- oder in ihrer Innenwelt befindet.“ (Seite 8) Verordnungen sagen, dass sie als alter Mensch geschützt werden muss. Nicht verstehen kann sie, warum gerade alte Menschen als vulnerabel bezeichnet werden. Die jüngeren, die noch im Arbeitsprozess stehen, sind doch die wichtigeren einer Gesellschaft. Warum sind sie nicht oberste Priorität beim „Schützen“? „Es fragte, soviel sie wusste, niemand die Vulnerablen, ob sie so vorsorglich behandelt werden wollten, ob sie ganz keimfrei aufbewahrt werden wollten, und die Frage schien auch nicht nötig, weil es jedermann klar, unhinterfragbar klar war, dass jeder Mensch jeder Behandlung zustimmen würde, die ihn vor dem Tod bewahrte, und jeder Hundertjährige verstand, dass man nicht einen einzigen Keim, kein Virus in seine Nähe lassen durfte, auch keinen kühlen Luftzug.“ (Seite 18) Viele der staatlichen Verordnung versteht die alte Frau nicht. Die Geschichte hatte solche Situationen ja auch schon in früheren Zeiten gehabt. So siniert sie und mein: „In Pestzeiten half den Menschen damals wohl Musik und nicht ein Babyelefant.“ (Seite 21) Weiters meint sie – und damit sprach sie vielen Menschen aus der Seele – „Man hat ihr die Freiheit genommen, sich zu gefährden.“ (Seite 34) Das Wort „Lockdown“ erinnert sie an ein Gefängnis und an Eingesperrtsein.
Im Laufe des Buches erlebt man die verschiedenen Stadien der Pandemie aus Sicht einer alten Frau. Etwa, wie es erste Lockerungen gibt und dann wieder schließen alle Geschäfte. Obwohl: „Wenn die Waffengeschäfte offen sind, dann sind die Buchhandlungen geschlossen, das ist hier so die Regel, die man nicht verstehen muss. Sie versteht sowieso vieles nicht mehr. Sie ist ja schon alt.“ (Seite 54)
Sie erzählt aus einem 100 Jahre alten Lehnstuhl heraus, der einer Tante gehörte, die im Zweiten Weltkrieg als Jüdin alles zurücklassen musste und ins KZ transportiert wurde, wo sie umkam. Ein Beispiel dessen, wie es alten Menschen in der Einsamkeit geht. Eine Situation die durch staatliche Verwaltungen noch verstärkt wird. Sie vergleicht ihre Situation mit der während des Hitlerregimes. In den Zeiten der Quarantänen kramt sie in alten Unterlagen und findet eine Mappe mit Briefen ihrer Vorfahren aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. So auch einen Abschiedsbrief von ihrer Tante, von der sie diesen Lehnstuhl, in dem sie sitzt geerbt hat, bevor sie ins KZ übersiedelt. In einem Brief einer Bekannten aus dem Jahr 1946 – also nach dem Krieg – erfährtt sie, dass ihre Tante Paula vergast wurde und ihre Mutter verhungert ist. Daraus schließt sie, dass sie eine „Übriggebliebene“ ist. Am Ende träumt sie in ihrem Stuhl, „Dass es geheißen hat, dass wir wieder ins Kaffeehaus gehen dürfen und Zeitungen lesen und dass die Regierung zurückgetreten ist…“ (Seite 107)
Die Autorin – selbst 80 Jahre alt – erzählt auch aus eigener Erfahrung und kann deswegen das Leben dieser Proponentin sehr gut beschreiben. Sie kann sich hineinfühlen in so ein Menschenleben. Kein wirklich spannender und schöner Roman, aber ein Zeitzeugnis einer alten Frau, die mit den staatlichen Regulierungen der COVID-Pandemie leben muss.
MANNHART, Urs
Geschwind oder Das mutmaßlich zweckfreie Zirpen der Grillen Buch
2022.
@book{MANNHART2022,
title = {Geschwind oder Das mutmaßlich zweckfreie Zirpen der Grillen},
author = {Urs MANNHART},
year = {2022},
date = {2022-10-07},
abstract = {MANNHART, Urs: „Gschwind oder Das mutmaßlich zweckreie Zirpen der Grillen“, Berlin 2021
Der Besuch des Forums „Literatur&Wein“ im Stift Göttweig hatte sich allein mit dem Kennenlernen des Schriftstellers Mannhart aus der Schweiz bezahlt gemacht. Leider kam ich erst jetzt zum Lesen dieses Buches. Es spielt in einem Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Umwelt. Die Hauptperson – Gschwind ist ein führender Manager eines internationalen Konzerns, der sich mit dem Abbau von seltenen Mineralen beschäftigt. Der Roman beginnt damit, dass zwei Höhlenforscher nach einem unterirdischen Tauchvorgang eine seltene Erde finden, die für den Bau von Batterien wichtig sind. Sofort interessiert sich auch der Konzern für dieses Gebiet und der Generaldirektor beauftragt Gschwind, den Berg mit dem unterirdischen Schatz zu kaufen. Seiner Karriere willen scheut er auch nicht davor zurück eine Urkunde zu fälschen und sich als Landwirt auszugeben, um so das Recht zum Kauf des Bauernhofs mit dem Umland zu bekommen. Der Sohn des aufstrebenden und erfolgreichen Manager verläßt wenige Monate vor Abschluss seine Schule und gründet eine alternative Schule, die sich in einem Blockhaus ohne Strom und sanitäre Anlagen befindet. Gschwinds Frau unterstützt den Sohn bei seinem Projekt und letztlich verlässt sie ihren Mann, der nur selten zu Hause ist, auch noch. Sie sei in den Nachbarn verliebt. Für Gschwind stürzt nicht eine Welt, sondern mehrere zusammen. Sein Sohn verläßt die Schule und wird ein Wirtschaftsgegner, seine Frau will sich scheiden lassen, seine Firma steht unter schweren Vorwürfen der Bestechung, seine Mutter – eine erfahrene Bootskapitänin – setzt ein neues Schiff bei der Jungfernfahrt auf Grund. Er kann dem inneren Druck nur schwer standhalten. Nachdem er sein Bett in den Keller verlegt hatte und auch dort nicht schlafen kann, „bewaffnet“ er sich mit einer Bohrmaschien und durchlöchert den Rumpf des Bootes seines Nachbarn. Zurück von einer Dienstreise in Südamerika besucht er seine Mutter und Großmutter. Bedingt durch Probebohrungen (was nicht bewiesen werden kann), um die seltenen Erden zu lokalisieren, verliert der angrenzende See Wasser und es kommt zu schweren Erdbeben. Bei einem solchen kommt auch er mit seinem Auto zu Schaden. In seinem Auto befindet sich eine riesige Summe Schwarzgeld, die er für den Kauf des Grundstücks über den Mineralvorkommen verwenden sollte. Er erwacht im Spitalsbett und verläßt das Krankenhaus, kommt aber nicht zu seinem Auto, ja er muss zusehen, wie neuerliche Steinlawinen den Tesla total zerstören. In seinem Wohnhaus sucht er Zuflucht. Seine Frau verrät ihn und er wird verhaftet. Am Ende befindet er sich im Gefängnis. Sein Nachbar, der Liebhaber seiner Frau, ist mit dem Boot ertrunken und er, Gschwind, wegen Mordes angeklagt. Sein Chef, der wegen der Bestechung eingekerkert ist wird zur selben Zeit wie Gschwind aus der Untersuchungshaft entlassen. Sie dürfen aber die Schweiz nicht verlassen. Sie tun es aber mit einem Privatjet.
Selbst einmal im Management gearbeitet, fand ich die Beschreibung des Szenarios in diesem Bereich sehr professionell und wirklichkeitsnahe.
Ausgelöst hat dieses Spektakel um die Gewinnung eines seltenen Rohstoffs ein Amateur-Taucherpaar, die eine unerforschte Höhle fanden. Von dort nahmen sie einen Stein mit, der lange in der Wohnung der Frau lag. Sie wollte ihn schon wegwerfen, brachte ihn aber letztlich zu einer Freundin in der ETH Zürich, die ihn untersuchte und das seltene Mineral feststellte. Daraus verfasste der Autor Mannhart diese furiose Geschichte, die sich sehr gut liest.
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Der Besuch des Forums „Literatur&Wein“ im Stift Göttweig hatte sich allein mit dem Kennenlernen des Schriftstellers Mannhart aus der Schweiz bezahlt gemacht. Leider kam ich erst jetzt zum Lesen dieses Buches. Es spielt in einem Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Umwelt. Die Hauptperson – Gschwind ist ein führender Manager eines internationalen Konzerns, der sich mit dem Abbau von seltenen Mineralen beschäftigt. Der Roman beginnt damit, dass zwei Höhlenforscher nach einem unterirdischen Tauchvorgang eine seltene Erde finden, die für den Bau von Batterien wichtig sind. Sofort interessiert sich auch der Konzern für dieses Gebiet und der Generaldirektor beauftragt Gschwind, den Berg mit dem unterirdischen Schatz zu kaufen. Seiner Karriere willen scheut er auch nicht davor zurück eine Urkunde zu fälschen und sich als Landwirt auszugeben, um so das Recht zum Kauf des Bauernhofs mit dem Umland zu bekommen. Der Sohn des aufstrebenden und erfolgreichen Manager verläßt wenige Monate vor Abschluss seine Schule und gründet eine alternative Schule, die sich in einem Blockhaus ohne Strom und sanitäre Anlagen befindet. Gschwinds Frau unterstützt den Sohn bei seinem Projekt und letztlich verlässt sie ihren Mann, der nur selten zu Hause ist, auch noch. Sie sei in den Nachbarn verliebt. Für Gschwind stürzt nicht eine Welt, sondern mehrere zusammen. Sein Sohn verläßt die Schule und wird ein Wirtschaftsgegner, seine Frau will sich scheiden lassen, seine Firma steht unter schweren Vorwürfen der Bestechung, seine Mutter – eine erfahrene Bootskapitänin – setzt ein neues Schiff bei der Jungfernfahrt auf Grund. Er kann dem inneren Druck nur schwer standhalten. Nachdem er sein Bett in den Keller verlegt hatte und auch dort nicht schlafen kann, „bewaffnet“ er sich mit einer Bohrmaschien und durchlöchert den Rumpf des Bootes seines Nachbarn. Zurück von einer Dienstreise in Südamerika besucht er seine Mutter und Großmutter. Bedingt durch Probebohrungen (was nicht bewiesen werden kann), um die seltenen Erden zu lokalisieren, verliert der angrenzende See Wasser und es kommt zu schweren Erdbeben. Bei einem solchen kommt auch er mit seinem Auto zu Schaden. In seinem Auto befindet sich eine riesige Summe Schwarzgeld, die er für den Kauf des Grundstücks über den Mineralvorkommen verwenden sollte. Er erwacht im Spitalsbett und verläßt das Krankenhaus, kommt aber nicht zu seinem Auto, ja er muss zusehen, wie neuerliche Steinlawinen den Tesla total zerstören. In seinem Wohnhaus sucht er Zuflucht. Seine Frau verrät ihn und er wird verhaftet. Am Ende befindet er sich im Gefängnis. Sein Nachbar, der Liebhaber seiner Frau, ist mit dem Boot ertrunken und er, Gschwind, wegen Mordes angeklagt. Sein Chef, der wegen der Bestechung eingekerkert ist wird zur selben Zeit wie Gschwind aus der Untersuchungshaft entlassen. Sie dürfen aber die Schweiz nicht verlassen. Sie tun es aber mit einem Privatjet.
Selbst einmal im Management gearbeitet, fand ich die Beschreibung des Szenarios in diesem Bereich sehr professionell und wirklichkeitsnahe.
Ausgelöst hat dieses Spektakel um die Gewinnung eines seltenen Rohstoffs ein Amateur-Taucherpaar, die eine unerforschte Höhle fanden. Von dort nahmen sie einen Stein mit, der lange in der Wohnung der Frau lag. Sie wollte ihn schon wegwerfen, brachte ihn aber letztlich zu einer Freundin in der ETH Zürich, die ihn untersuchte und das seltene Mineral feststellte. Daraus verfasste der Autor Mannhart diese furiose Geschichte, die sich sehr gut liest.
Al-Mousli, Luna
Um mich herum Geschichten Buch
2022.
@book{Al-Mousli2022,
title = {Um mich herum Geschichten},
author = {Luna Al-Mousli},
year = {2022},
date = {2022-10-02},
abstract = {AL-MOUSLI, Luna: „Um mich herum Geschichten“, Frankfurt 2022
Die Autorin ist in Damaskus geboren und lebt heute in Wien. Als Designerin und Graphikerin ist sie in Österreich integriert. Als Autorin kann sie aber ihre Erlebnisse aus der Heimat Syrien nicht verbergen. Schon ihr erstes Buch handelte von Damaskus („Eine Träne, ein Lächeln. Meine Kindheit in Damaskus“). Im vorliegenden Buch erzählt sie in fünf Geschichten aus dem Leben von Geflüchteten. Nicht extreme Abenteuergeschichten, sondern die menschliche Seite, wenn man „verpflanzt“ wird und aus dem eigenen Land gehen muss. Al-Mousli macht es in einer sehr interessanten Form. Die Geschichten werden meist von Dingen des jeweils Betroffenen erzählt. Im ersten Kapitel ist es ein Computer, der erzählt, wie seine Besitzerin, eine ältere Frau, ihre Erlebnisse niederschreibt. Der Computer agiert wie eine Person und erzählt, wie sie, die Proponentin, als erste Frau nicht nur die Grundschule abgeschlossen hat, sondern auch an der Universität studiert hat. Im Exil verfolgt sie alle Nachrichten aus dem Radio, Fernsehen und sozialen Medien. Sie engagiert sich und ist Computersüchtig geworden. Die Töchter sorgen sich um sie. Zu Beginn flog sich noch manchmal heim, als aber dann die Flüge nach Damaskus eingestellt wurden, blieb nur mehr das Internet als Verbindung.
Im zweiten Kapitel ist es eine Abschlussurkunde der Universität, die von ihrem Besitzer erzählt. Achtlos wurde sie nach einer Übersiedlung hinter einer Tür abgestellt und bald ging das Glas in Bruch. Sie, die Urkunde, erzählt aber alles, was sie sieht.
Wie es einem Syrier ging, der flüchtete, eine Familie gründete und sich die Familie durch Scheidung wieder auflöste, erzählt seine Oud, ein Gitarre ähnliches Musikinstrument. Seiner Frau hatte er versprochen, mit ihr „in guten, wie in schlechten Zeiten zusammen zu bleiben, aufeinander aufzupassen und sich nicht aus den Augen zu verlieren.“ (Seite 47) Aber zusammenbleibt er mit seinem Musikinstrument, mit dem er öffentlich und für Freunde spielt. Das Ding Oud als Partnerin ist ihm aber zu wenig. Sein Leben kommt ins Trudeln. Er verfällt dem Alkohol und letztlich geht die Oud in Bruch.
Weiter geht es mit einem syrischen Vater, der sich zum Studienabschluss seines Sohnes einen neuen Anzug kauft, den er aber nie trägt. Seine Frau organisiert mit anderen Frauen den Schmuggel von Medikamenten in die Kriegsgebiete des Landes. Sie schweißen sie in Damenbinden ein, die von keinem Wachsoldaten geprüft werden. Die Scham eines Muslims ist dazu zu groß. Erst als sie ins Exil gehen wird ihm von einer Frau der Anzug aus dem ausgebombten Haus gebracht. Am Weg dahin wurde er gefoltert.
Ein Haustorschlüssel erzählt den Lebensweg einer Frau, wie sie trotz Kriegs blieb und wo sie ihren Bruder, der untertauchen musste, aufnimmt.
„Das Brot wurde teurer.
Sie blieb.
Ich blieb.
Neureiche wurden gefeiert.
Sie blieb.
Ich blieb.
Die Winter wurden kälter.
Wir blieben.“ (Seite 120)
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Die Autorin ist in Damaskus geboren und lebt heute in Wien. Als Designerin und Graphikerin ist sie in Österreich integriert. Als Autorin kann sie aber ihre Erlebnisse aus der Heimat Syrien nicht verbergen. Schon ihr erstes Buch handelte von Damaskus („Eine Träne, ein Lächeln. Meine Kindheit in Damaskus“). Im vorliegenden Buch erzählt sie in fünf Geschichten aus dem Leben von Geflüchteten. Nicht extreme Abenteuergeschichten, sondern die menschliche Seite, wenn man „verpflanzt“ wird und aus dem eigenen Land gehen muss. Al-Mousli macht es in einer sehr interessanten Form. Die Geschichten werden meist von Dingen des jeweils Betroffenen erzählt. Im ersten Kapitel ist es ein Computer, der erzählt, wie seine Besitzerin, eine ältere Frau, ihre Erlebnisse niederschreibt. Der Computer agiert wie eine Person und erzählt, wie sie, die Proponentin, als erste Frau nicht nur die Grundschule abgeschlossen hat, sondern auch an der Universität studiert hat. Im Exil verfolgt sie alle Nachrichten aus dem Radio, Fernsehen und sozialen Medien. Sie engagiert sich und ist Computersüchtig geworden. Die Töchter sorgen sich um sie. Zu Beginn flog sich noch manchmal heim, als aber dann die Flüge nach Damaskus eingestellt wurden, blieb nur mehr das Internet als Verbindung.
Im zweiten Kapitel ist es eine Abschlussurkunde der Universität, die von ihrem Besitzer erzählt. Achtlos wurde sie nach einer Übersiedlung hinter einer Tür abgestellt und bald ging das Glas in Bruch. Sie, die Urkunde, erzählt aber alles, was sie sieht.
Wie es einem Syrier ging, der flüchtete, eine Familie gründete und sich die Familie durch Scheidung wieder auflöste, erzählt seine Oud, ein Gitarre ähnliches Musikinstrument. Seiner Frau hatte er versprochen, mit ihr „in guten, wie in schlechten Zeiten zusammen zu bleiben, aufeinander aufzupassen und sich nicht aus den Augen zu verlieren.“ (Seite 47) Aber zusammenbleibt er mit seinem Musikinstrument, mit dem er öffentlich und für Freunde spielt. Das Ding Oud als Partnerin ist ihm aber zu wenig. Sein Leben kommt ins Trudeln. Er verfällt dem Alkohol und letztlich geht die Oud in Bruch.
Weiter geht es mit einem syrischen Vater, der sich zum Studienabschluss seines Sohnes einen neuen Anzug kauft, den er aber nie trägt. Seine Frau organisiert mit anderen Frauen den Schmuggel von Medikamenten in die Kriegsgebiete des Landes. Sie schweißen sie in Damenbinden ein, die von keinem Wachsoldaten geprüft werden. Die Scham eines Muslims ist dazu zu groß. Erst als sie ins Exil gehen wird ihm von einer Frau der Anzug aus dem ausgebombten Haus gebracht. Am Weg dahin wurde er gefoltert.
Ein Haustorschlüssel erzählt den Lebensweg einer Frau, wie sie trotz Kriegs blieb und wo sie ihren Bruder, der untertauchen musste, aufnimmt.
„Das Brot wurde teurer.
Sie blieb.
Ich blieb.
Neureiche wurden gefeiert.
Sie blieb.
Ich blieb.
Die Winter wurden kälter.
Wir blieben.“ (Seite 120)
MEDUSA, Mieze
Was über Frauen geredet wird Buch
2022.
@book{MEDUSA2022,
title = {Was über Frauen geredet wird},
author = {Mieze MEDUSA},
year = {2022},
date = {2022-10-01},
abstract = {MEDUSA, Mieze: „Was über Frauen geredet wird“, Salzburg Wien 2022
Die Autorin mit dem Künstlernamen Mieze Medusa ist eine bekannte Rapperin. 2008 erschien ihr erster Roman. Heuer „Was über Frauen geredet wird“. Dabei kommen auch ihre Erfahrungen mit der Musik zum Vorschein: Texte der Rapperin und Musikerfahrungen. In einer Art Zugabe am Ende des Buches – sie nennt es „Bonus Track“ – liefert sie den Text zum Rapp „Strahl aus, rappe oder werde still“.
Der Titel des Buches heißt zwar „Was über Frauen geredet wird“, aber die Rolle der Frauen wird von Frauen selbst erzählt. Im Roman kommen fast ausschließlich junge Frauen vor. Sie geben Einblick in die Szene der Jüngeren. Ihren Zugang zum Leben und zum Thema Beziehungen. So wird etwa bei einer Hochzeit nicht die Braut, sondern der Bräutigam entführt. Wie ein roter Faden zieht sich die Darstellung der Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft durch. „Es gibt in Österreich mehr Bürgermeister, die Franz heißen, als Bürgermeisterinnen.“ (Seite 110)
Die Hauptschauplätze des Romans sind Innsbruck und Wien, die beide detailgenau erzählt werden. Für zwei Szenen rückt auch Venedig ins Bild. Über Wien – und da schlägt die Rapperin durch – sagt sie etwa:
„Das Schlimmste an Wien ist der Februar.
Es ist dunkel, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt der Winter.
Es ist Unglück, sagt die Berechnung.
Es ist nichts bis März, sagt die Angst.
Es ist aussichtslos, sagt der Nebel.
Es ist, was es ist, sagt der Winter.“ (Seite 55)
Innsbruck dagegen wird für seine Schönheit und Nähe zur Natur gelobt und beschrieben, wenngleich es eine Stadt ist, die für junge Menschen fast unerschwinglich zum Wohnen ist.
Wie schon gesagt, im Roman treten fast ausschließlich Frauen auf. Eine der Ausnahmen ist der Freund von Freds Schwester, die ihn auch heiratet. Eines der Kapitel des Buches handelt von der Hochzeit in Innsbruck. Hier kommen die beiden Frauenkreise aus Wien und Innsbruck zusammen. Fred, die eigentlich Fredericke heißt, lebt in Wien. Mit über 40 Jahren hat sie noch keine klare Lebensposition bezogen. Zwar hatte sie, als ihre Wohnungsmitbewohnerin schwanger wird und der Vater davon nichts wissen will, von dieser Freundin ein Heiratsangebot bekommen, das sie überrascht und abgelehnt hat. Die Freundschaft ging in Brüche und sie musste aus der schönen Wohnung ausziehen und eine winzige, laute Herberge direkt am Wiener Gürtel beziehen.
Bei einem Ausflug mit Freundinnen, die in Venedig einen Film drehen bleibt sie allein zurück, um über ihr Leben nachzudenken. Das Hochwasser – Aqua Alta – gibt ihr Hoffnung, denn „die Menschen hier begegnen dem Hochwasser als wäre es eine Nebensache. Wieder eine Katastrophe gemeistert, wieder gut durch eine Krisensituation gekommen.“ (Seite 260) Das Buch wurde in der Zeit von COVID19 Pandemie, hoher Inflation und Krieg in der Ukraine geschrieben. Die Erkenntnis der Akteurin Fred kann jedem Leser, jeder Leserin vielleicht auch helfen, denn sie nimmt diesen Mut aus Venedig mit:
„Wird schon.
Wirst sehen.
Muss ja.“
Auch Schriftstellerinnen haben ein Seelenleben und Mieze Medusa zeigt es als Doris Mitterbacher in ihrem abschließenden Dank. Ein Nachwort, dass sich grundlegend von Danksagungen in Büchern unterscheidet und ein literarischer Teil ist. Während der Schreibarbeiten ist ihre Mutter gestorben und sie sagt über sie:
„Meine Mutter hat viele gute Eigenschaften, über drei möchte ich hier sprechen: Sie hat außerordentlich gut Dinge mit sich selbst ausmachen können. Wenn sie darüber nachgedacht hat, die Welt zu verbessern, hat sie bei sich selbst angefangen. Und sie war richtig gut im Packen. So auch hier: ihr Tod am 2. Juni 2022 war trotz schwerer Krankheit für uns unerwartet, hat uns aber Dank ihrer Vorbereitungen und der Gespräche mit ihr, nicht unvorbereitet getroffen. Was für eine Leistung das ist, beginne ich gerade erst zu erahnen. … „Was über Frauen geredet wird“ ist das erste meiner Bücher, die sie nicht lesen wird.“ (Seite 269)
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Die Autorin mit dem Künstlernamen Mieze Medusa ist eine bekannte Rapperin. 2008 erschien ihr erster Roman. Heuer „Was über Frauen geredet wird“. Dabei kommen auch ihre Erfahrungen mit der Musik zum Vorschein: Texte der Rapperin und Musikerfahrungen. In einer Art Zugabe am Ende des Buches – sie nennt es „Bonus Track“ – liefert sie den Text zum Rapp „Strahl aus, rappe oder werde still“.
Der Titel des Buches heißt zwar „Was über Frauen geredet wird“, aber die Rolle der Frauen wird von Frauen selbst erzählt. Im Roman kommen fast ausschließlich junge Frauen vor. Sie geben Einblick in die Szene der Jüngeren. Ihren Zugang zum Leben und zum Thema Beziehungen. So wird etwa bei einer Hochzeit nicht die Braut, sondern der Bräutigam entführt. Wie ein roter Faden zieht sich die Darstellung der Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft durch. „Es gibt in Österreich mehr Bürgermeister, die Franz heißen, als Bürgermeisterinnen.“ (Seite 110)
Die Hauptschauplätze des Romans sind Innsbruck und Wien, die beide detailgenau erzählt werden. Für zwei Szenen rückt auch Venedig ins Bild. Über Wien – und da schlägt die Rapperin durch – sagt sie etwa:
„Das Schlimmste an Wien ist der Februar.
Es ist dunkel, sagt die Vernunft.
Es ist, was es ist, sagt der Winter.
Es ist Unglück, sagt die Berechnung.
Es ist nichts bis März, sagt die Angst.
Es ist aussichtslos, sagt der Nebel.
Es ist, was es ist, sagt der Winter.“ (Seite 55)
Innsbruck dagegen wird für seine Schönheit und Nähe zur Natur gelobt und beschrieben, wenngleich es eine Stadt ist, die für junge Menschen fast unerschwinglich zum Wohnen ist.
Wie schon gesagt, im Roman treten fast ausschließlich Frauen auf. Eine der Ausnahmen ist der Freund von Freds Schwester, die ihn auch heiratet. Eines der Kapitel des Buches handelt von der Hochzeit in Innsbruck. Hier kommen die beiden Frauenkreise aus Wien und Innsbruck zusammen. Fred, die eigentlich Fredericke heißt, lebt in Wien. Mit über 40 Jahren hat sie noch keine klare Lebensposition bezogen. Zwar hatte sie, als ihre Wohnungsmitbewohnerin schwanger wird und der Vater davon nichts wissen will, von dieser Freundin ein Heiratsangebot bekommen, das sie überrascht und abgelehnt hat. Die Freundschaft ging in Brüche und sie musste aus der schönen Wohnung ausziehen und eine winzige, laute Herberge direkt am Wiener Gürtel beziehen.
Bei einem Ausflug mit Freundinnen, die in Venedig einen Film drehen bleibt sie allein zurück, um über ihr Leben nachzudenken. Das Hochwasser – Aqua Alta – gibt ihr Hoffnung, denn „die Menschen hier begegnen dem Hochwasser als wäre es eine Nebensache. Wieder eine Katastrophe gemeistert, wieder gut durch eine Krisensituation gekommen.“ (Seite 260) Das Buch wurde in der Zeit von COVID19 Pandemie, hoher Inflation und Krieg in der Ukraine geschrieben. Die Erkenntnis der Akteurin Fred kann jedem Leser, jeder Leserin vielleicht auch helfen, denn sie nimmt diesen Mut aus Venedig mit:
„Wird schon.
Wirst sehen.
Muss ja.“
Auch Schriftstellerinnen haben ein Seelenleben und Mieze Medusa zeigt es als Doris Mitterbacher in ihrem abschließenden Dank. Ein Nachwort, dass sich grundlegend von Danksagungen in Büchern unterscheidet und ein literarischer Teil ist. Während der Schreibarbeiten ist ihre Mutter gestorben und sie sagt über sie:
„Meine Mutter hat viele gute Eigenschaften, über drei möchte ich hier sprechen: Sie hat außerordentlich gut Dinge mit sich selbst ausmachen können. Wenn sie darüber nachgedacht hat, die Welt zu verbessern, hat sie bei sich selbst angefangen. Und sie war richtig gut im Packen. So auch hier: ihr Tod am 2. Juni 2022 war trotz schwerer Krankheit für uns unerwartet, hat uns aber Dank ihrer Vorbereitungen und der Gespräche mit ihr, nicht unvorbereitet getroffen. Was für eine Leistung das ist, beginne ich gerade erst zu erahnen. … „Was über Frauen geredet wird“ ist das erste meiner Bücher, die sie nicht lesen wird.“ (Seite 269)
JUNG, Jochen
Das Buch. Dinge des Lebens Buch
2022.
@book{JUNG2022,
title = {Das Buch. Dinge des Lebens},
author = {Jochen JUNG},
year = {2022},
date = {2022-09-29},
abstract = {JUNG, Jochen: „Das Buch. Dinge des Lebens“, Salzburg Wien 2022
Mit einem Buch über das Buch zu schreiben. Eine echte Herausforderung. Es beginnt mit einem kurzen Abriss der Geschichte von den Anfängen der Menschheit bis zum „Sich Mitteilen“ und letztlich zum Dichten. Als erster Inhaltsschwerpunkt wird die Liebe hervorgehoben. „Die Menschen leben und lieben einander … kein Wunder, dass die damit verbundenen Themen die häufigsten der erzählenden Dichter sind.“ (Seite 8) Obwohl man beim Lesen allein ist, bekommt man Kontakt zu vielen Menschen und Gesellschaften.
Der Autor hatte in seinem Leben einen intensiven Kontakt mit Büchern. Er war Lektor und letztlich sogar Verlagsleiter in jenem Verlag, in dem dieses Buch über „Das Buch“ erschienen ist. Seine Beziehung zum Buch geht aber auf seine Familie zurück. Sein Großvater mütterlicherseits war Dichter und hinterließ viele Bücher. Die Mutter hat die Liebe zu Büchern von ihrem Vater übernommen, wie er – Jung – von ihr. Auch dem Vater waren Bücher wichtig und von ihm erbte er alte Ausgaben.
Neben der eigenen Familie war es aber sein Beruf, der ihm mit vielen Autoren Bekanntschaften und Freundschaften einbrachte. In diesem Büchl outet er sich und erzählt von seinem Verhältnis zu H.C. Artmann, Peter Handke und Thomas Bernhard.
Beruflich musste er viele Manuskripte und Bücher lesen. Viele davon fielen in die Kategorie „Arbeitspflicht“. Dem kann ich als Rezensent von bisher über 1000 Büchern nur beipflichten.
Auch ich habe viele Bücher (10.000) und schätze sie. Noch mehr schätze ich es aber, wenn sie eine Widmung des Autors tragen. Für Herrn Jung ist es auch wichtig, zu wissen, von wem er welches Buch bekommen hat. Also Widmungen vom Schenker.
Bücher sind auch ein Teil des eigenen Lebens. Bücher, die man früher gelesen hat, sagen auch etwas aus, welcher Mensch man damals war. Später ein frühes Buch zur Hand zu nehmen und wieder zu lesen ist auch ein zurückschauen in die eigene Vergangenheit.
Bücher kosten, im Vergleich zu anderen kulturellen Veranstaltungen, wenig Geld. Sie verlangen vom Konsumenten, vom Leser aber Zeit, die er sich nehmen muss, um den Content zu konsumieren, das Geschriebene zu öffnen.
Menschen, die Literarisches schreiben, haben selbst viel gelesen und müssen dann ein Verhältnis zu IHREN Lesern aufbauen, wobei Schönheit der Texte eine wichtige Eigenschaft ist.
Lyrik kommt aus dem altgriechischen Lyra, einem Musikinstrument. Musik und Text gehören zusammen. Geschriebene Texte kommen zu einem Rhythmus, einer Musik. Nicht nur der Inhalt eines Buches ist wichtig, sondern auch seine sprachliche Darstellung. In einem Postskriptum – am Ende des Buches – nimmt Jochen Jung auch Bezug auf das Lesen von Notenbüchern, von Partituren, die man beim Hören der Musik mitliest. So bekommt das Geschriebene auch Töne.
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Mit einem Buch über das Buch zu schreiben. Eine echte Herausforderung. Es beginnt mit einem kurzen Abriss der Geschichte von den Anfängen der Menschheit bis zum „Sich Mitteilen“ und letztlich zum Dichten. Als erster Inhaltsschwerpunkt wird die Liebe hervorgehoben. „Die Menschen leben und lieben einander … kein Wunder, dass die damit verbundenen Themen die häufigsten der erzählenden Dichter sind.“ (Seite 8) Obwohl man beim Lesen allein ist, bekommt man Kontakt zu vielen Menschen und Gesellschaften.
Der Autor hatte in seinem Leben einen intensiven Kontakt mit Büchern. Er war Lektor und letztlich sogar Verlagsleiter in jenem Verlag, in dem dieses Buch über „Das Buch“ erschienen ist. Seine Beziehung zum Buch geht aber auf seine Familie zurück. Sein Großvater mütterlicherseits war Dichter und hinterließ viele Bücher. Die Mutter hat die Liebe zu Büchern von ihrem Vater übernommen, wie er – Jung – von ihr. Auch dem Vater waren Bücher wichtig und von ihm erbte er alte Ausgaben.
Neben der eigenen Familie war es aber sein Beruf, der ihm mit vielen Autoren Bekanntschaften und Freundschaften einbrachte. In diesem Büchl outet er sich und erzählt von seinem Verhältnis zu H.C. Artmann, Peter Handke und Thomas Bernhard.
Beruflich musste er viele Manuskripte und Bücher lesen. Viele davon fielen in die Kategorie „Arbeitspflicht“. Dem kann ich als Rezensent von bisher über 1000 Büchern nur beipflichten.
Auch ich habe viele Bücher (10.000) und schätze sie. Noch mehr schätze ich es aber, wenn sie eine Widmung des Autors tragen. Für Herrn Jung ist es auch wichtig, zu wissen, von wem er welches Buch bekommen hat. Also Widmungen vom Schenker.
Bücher sind auch ein Teil des eigenen Lebens. Bücher, die man früher gelesen hat, sagen auch etwas aus, welcher Mensch man damals war. Später ein frühes Buch zur Hand zu nehmen und wieder zu lesen ist auch ein zurückschauen in die eigene Vergangenheit.
Bücher kosten, im Vergleich zu anderen kulturellen Veranstaltungen, wenig Geld. Sie verlangen vom Konsumenten, vom Leser aber Zeit, die er sich nehmen muss, um den Content zu konsumieren, das Geschriebene zu öffnen.
Menschen, die Literarisches schreiben, haben selbst viel gelesen und müssen dann ein Verhältnis zu IHREN Lesern aufbauen, wobei Schönheit der Texte eine wichtige Eigenschaft ist.
Lyrik kommt aus dem altgriechischen Lyra, einem Musikinstrument. Musik und Text gehören zusammen. Geschriebene Texte kommen zu einem Rhythmus, einer Musik. Nicht nur der Inhalt eines Buches ist wichtig, sondern auch seine sprachliche Darstellung. In einem Postskriptum – am Ende des Buches – nimmt Jochen Jung auch Bezug auf das Lesen von Notenbüchern, von Partituren, die man beim Hören der Musik mitliest. So bekommt das Geschriebene auch Töne.
GSTREIN, Norbert
2022.
@book{GSTREIN2022,
title = {Vier Tage drei Nächte},
author = {Norbert GSTREIN},
year = {2022},
date = {2022-09-28},
abstract = {GSTREIN, Norbert: „Vier Tage vier Nächte“, München 2022
Norbert Gstrein hat in den vorliegenden Roman sehr viel hineingepackt, ohne dass es aber an anspruchsvoller detaillierter Beschreibung fehlt.
Drei Hauptakteure prägen den Roman: Ines und Elias, die Kinder eines Hoteliers und Carl der Freund von Elias. Ines und Elias sind nur Halbgeschwister und pflegen ein, über die Freundschaft und Geschwisterlichkeit hinausgehendes Verhältnis. Ines hat viele Beziehungen mit Männern, die immer wieder zu Trennungsszenarien führen, bei denen der Bruder einschreiten muss. Elias hat ein homosexuelles Verhältnis mit seinem Kollegen Carl.
Noch vor einiger Zeit war es wichtig, dass der Autor in einen Roman auch sexistische Geschichten einbaute, um den Verkauf des Buches anzuregen. Heute ist es fast ein notwendiges Klischee, über gleichgeschlechtliche Beziehungen zu schreiben. So macht es auch Norbert Gstrein, der nicht nur von der Liebe seines Proponenten Elias zu dessen Halbschwester schreibt, sondern auch zur Beziehung eines Exfreunds der Schwester und eines Freundes aus beruflicher Beziehung. Dabei kommt auch zum Ausdruck, wie liebevoll die Beziehung zwischen Männern sein kann: „Ich hatte ihn meinen kleinen Zeisig genannt, meinen Wiedehopf und meinen Haubentaucher, einen Mann von annähernd ein Meter neunzig, der mich mit seinen Armen umschlingen und in die Luft heben konnte wie ein Kind, und er mich seine Goldamsel, sein Rotkehlchen sowie seinen Stieglitz oder vielmehr Stiegelitz nannte.“ (Seite 191)
Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte. Im ersten wird die Geschichte der beiden Geschwister aus der Sicht von Elias erzählt. Die große Liebe zur Halbschwester und das schlechte Verhältnis zum Vater. Der Vater, der in Amerika Erfahrungen gesammelt hatte, wollte auch seinen Kindern die USA näherbringen und zahlte ihnen einen Aufenthalt. Der Tochter ein Studium und dem Sohn eine Helikopterausbildung, nachdem dieser sein Wirtschaftsstudium erfolglos abgebrochen hatte. Aber auch diese Ausbildung endete ohne Abschluss, und um die negativen Ereignisse beim Fliegen zu verarbeiten, nahm er die Hilfe einer Therapeutin ins Anspruch, was im zweiten Abschnitt beschrieben wird. Im Kapitel „Ich bin ihr Bruder“ kommen alle drei Hauptakteure zusammen und der Freund von Elias, Carl, tritt in das Geschehen ein. Er wird auch von der Schwester akzeptiert. Sie verbringen die Weihnachtsfeiertage im Berliner Haus von Ines und, um hier Abwechslung in die trostlose Zeit der COVID19 Quarantäne zu bringen, erzählen sie sich Geschichten. Jeder seine erste Liebe. Diese sehr unterschiedlichen Geschichten werden dann im vierten Abschnitt des Romans detaillierter beschrieben. Jene von Carl in englischer Sprache, weil er sie in seiner Zeit in Amerika erlebte und in der „Originalsprache“ wiedergeben wollte.
Ines kündigt ihre Stelle an der Universität als Expertin der Literaturwissenschaften. Mit finanzieller Hilfe des Vaters zieht sie sich auf die Insel Sizilien zurück und versucht selbst einen Roman zu schreiben. Im Sommer treffen die drei hier zusammen und Ines weiht sie in ihr Projekt ein, was letztlich zu einem Eklat kommt. Dieser letzte Buchabschnitt beschreibt indirekt den Roman von Ines. Die Autorin beschreibt ihr Werk so: „Es ist eine Dreiecksgeschichte. Gehobenes Milieu, alles aufgeklärte, tolerante Leute, und sie geht trotzdem auf katastrophale Weise schief.“ (Seite 319) Vieles hat sie aus dem eigenen Leben hineingearbeitet. Das Dreieck besteht aus einem anerkannten älteren Professor, seiner jungen und aktiven Frau, die neben der Ehe viele Verhältnisse hat, diese ihrem Mann aber nicht verschweigt. Er akzeptiert das, bis einer der Liebhaber ein Schwarzer ist.
Der Titel „Vier Tage drei Nächte“ bezieht sich auf zwei Ereignisse: Einerseits lädt der Vater von Elias unerlaubterweise trotz Quarantäne durch die COVID19 Pandemie Gäste in sein Hotel für drei Nächte ein und andererseits verbringen die drei Hauptakteure des Romans – Ines, Elias und Carl – vier Tage zu Weihnachten miteinander.
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Norbert Gstrein hat in den vorliegenden Roman sehr viel hineingepackt, ohne dass es aber an anspruchsvoller detaillierter Beschreibung fehlt.
Drei Hauptakteure prägen den Roman: Ines und Elias, die Kinder eines Hoteliers und Carl der Freund von Elias. Ines und Elias sind nur Halbgeschwister und pflegen ein, über die Freundschaft und Geschwisterlichkeit hinausgehendes Verhältnis. Ines hat viele Beziehungen mit Männern, die immer wieder zu Trennungsszenarien führen, bei denen der Bruder einschreiten muss. Elias hat ein homosexuelles Verhältnis mit seinem Kollegen Carl.
Noch vor einiger Zeit war es wichtig, dass der Autor in einen Roman auch sexistische Geschichten einbaute, um den Verkauf des Buches anzuregen. Heute ist es fast ein notwendiges Klischee, über gleichgeschlechtliche Beziehungen zu schreiben. So macht es auch Norbert Gstrein, der nicht nur von der Liebe seines Proponenten Elias zu dessen Halbschwester schreibt, sondern auch zur Beziehung eines Exfreunds der Schwester und eines Freundes aus beruflicher Beziehung. Dabei kommt auch zum Ausdruck, wie liebevoll die Beziehung zwischen Männern sein kann: „Ich hatte ihn meinen kleinen Zeisig genannt, meinen Wiedehopf und meinen Haubentaucher, einen Mann von annähernd ein Meter neunzig, der mich mit seinen Armen umschlingen und in die Luft heben konnte wie ein Kind, und er mich seine Goldamsel, sein Rotkehlchen sowie seinen Stieglitz oder vielmehr Stiegelitz nannte.“ (Seite 191)
Das Buch gliedert sich in fünf Abschnitte. Im ersten wird die Geschichte der beiden Geschwister aus der Sicht von Elias erzählt. Die große Liebe zur Halbschwester und das schlechte Verhältnis zum Vater. Der Vater, der in Amerika Erfahrungen gesammelt hatte, wollte auch seinen Kindern die USA näherbringen und zahlte ihnen einen Aufenthalt. Der Tochter ein Studium und dem Sohn eine Helikopterausbildung, nachdem dieser sein Wirtschaftsstudium erfolglos abgebrochen hatte. Aber auch diese Ausbildung endete ohne Abschluss, und um die negativen Ereignisse beim Fliegen zu verarbeiten, nahm er die Hilfe einer Therapeutin ins Anspruch, was im zweiten Abschnitt beschrieben wird. Im Kapitel „Ich bin ihr Bruder“ kommen alle drei Hauptakteure zusammen und der Freund von Elias, Carl, tritt in das Geschehen ein. Er wird auch von der Schwester akzeptiert. Sie verbringen die Weihnachtsfeiertage im Berliner Haus von Ines und, um hier Abwechslung in die trostlose Zeit der COVID19 Quarantäne zu bringen, erzählen sie sich Geschichten. Jeder seine erste Liebe. Diese sehr unterschiedlichen Geschichten werden dann im vierten Abschnitt des Romans detaillierter beschrieben. Jene von Carl in englischer Sprache, weil er sie in seiner Zeit in Amerika erlebte und in der „Originalsprache“ wiedergeben wollte.
Ines kündigt ihre Stelle an der Universität als Expertin der Literaturwissenschaften. Mit finanzieller Hilfe des Vaters zieht sie sich auf die Insel Sizilien zurück und versucht selbst einen Roman zu schreiben. Im Sommer treffen die drei hier zusammen und Ines weiht sie in ihr Projekt ein, was letztlich zu einem Eklat kommt. Dieser letzte Buchabschnitt beschreibt indirekt den Roman von Ines. Die Autorin beschreibt ihr Werk so: „Es ist eine Dreiecksgeschichte. Gehobenes Milieu, alles aufgeklärte, tolerante Leute, und sie geht trotzdem auf katastrophale Weise schief.“ (Seite 319) Vieles hat sie aus dem eigenen Leben hineingearbeitet. Das Dreieck besteht aus einem anerkannten älteren Professor, seiner jungen und aktiven Frau, die neben der Ehe viele Verhältnisse hat, diese ihrem Mann aber nicht verschweigt. Er akzeptiert das, bis einer der Liebhaber ein Schwarzer ist.
Der Titel „Vier Tage drei Nächte“ bezieht sich auf zwei Ereignisse: Einerseits lädt der Vater von Elias unerlaubterweise trotz Quarantäne durch die COVID19 Pandemie Gäste in sein Hotel für drei Nächte ein und andererseits verbringen die drei Hauptakteure des Romans – Ines, Elias und Carl – vier Tage zu Weihnachten miteinander.
Fagerholm, Monika
2022.
@book{Fagerholm2022,
title = {Wer hat Bambi getötet?},
author = {Monika Fagerholm},
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date = {2022-09-18},
abstract = {FRAGERHOLM, Monika: „Wer hat Bambi getötet?“, Salzburg Wien 2022
Der Residenzverlag bringt die in Finnland anerkannte und ausgezeichnete Autorin dem deutschsprachigen Leserpublikum näher.
Es beginnt mit dem Mädchen Emmy, das in der eigentlichen Handlung erst am Ende auftritt. Emmys erste Liebe starb bei einem Busunglück des Sportvereins. Sie tröstet dessen Schwester Saga-Lill und die beiden Mädchen werden Freundinnen. Emmy hat einen neuen Freund. Nachdem sie sich von ihm getrennt hat, lebt er mit der Freundin Saga-Lill zusammen, was die Beziehung der beiden jungen Frauen stört. Sie verzeiht es auch ihrem Ex-Freund Gusten nicht, dass er sich mit ihrer Freundin zusammengetan hat. Irgendwie sieht sie das wie einen Verrat. Gustens Mutter ist Opernsängerin und das neue Paar fährt zu einer Vorstellung der Mutter nach Wien. Emmy heiratet einen älteren Mann. Gusten bleibt aber ihre große und geheime Liebe. Sie formulierte es während ihres Zusammenlebens so: „Ich will die Liebe leben, nicht darüber reden. Die Liebe leben, wie die Musik, wie etwas, das nicht erklärt werden muss …“ (Seite 139)
Die Geschichten werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Einerseits aus Emmys Sicht und dann wieder Saga-Lills Version.
Die Proponenten leben in einem kleinen Vorort von Helsinki. In einem Villenviertel, wo normal angesehene Menschen leben. Die zwei jungen Frauen kommen aber vom Land. Durch die Heirat mit dem älteren Mann steigt Emmy in die Hierarchie der Villenbewohner auf.
Der Kern des Romans geht aber auf eine Gruppenvergewaltigung zurück. Vier Freunde haben ein Mädchen vergewaltigt. Das Ganze fand im Haus einer einflussreichen Familie statt. Die Mutter wurde erst kürzlich zur Präsidentin einer prominenten Wirtschaftsstiftung gewählt und der Vater ist ein anerkannter Richter. Mit dem Gewicht dieser Eltern hätte man den Vorfall vertuschen können und auch wollen. Aber da war Gusten, einer der vier Täter, der das Mädchen geknebelt und gefesselt im Studio des Freundes fand. Der Freund war abgehauen und hatte sich in einem Wochenendhaus der Familie verschanzt. Gusten ist geschockt, als er das Mädchen findet und bringt es ins Spital. Sie selbst will nicht, dass er zur Polizei gehe. Sie erfand eine Geschichte. Sie sei im Wald von einer Gang, an deren Gesichter sie sich nicht erinnern könne, überfallen wollen. Gusten aber geht zur Polizei. Es wird ein Skandal. Die erst kürzlich zur Präsidentin erhobene Mutter wird von einem Fernsehteam überrascht und sie äußert sich unflätig, nennt die Journalisten Kommunisten, was die Angelegenheit in alle Medien bringt. Sie wurde überrascht „von Journalisten und Fotografen und gezwungen, eine Stellungnahme abzugeben. Wild um sich schlagen, jeder Vernunft, jeder Realität, jeder Wirklichkeit zum Trotz, denn schließlich weiß sie es schon, aber Gehirn und Gefühle und Auffassungsvermögen sind auf sonderbare Weise miteinander verbunden, was in Situationen von extremem Druck sowohl zu Verleugnung als auch zu Fehleinschätzung führen kann und infolgedessen zu absurdem Verhalten: „Kommunistenpresse!““ (Seite 145)
Gusten, der wie ein eigenes Kind im Haus des Freundes aus- und einging, weil seine Mutter – eine Opernsängerin – oft auf Tournee war, wurde als Verräter aus dem Haus geschmissen. Gusten kann aber keine Rachegefühle entwickeln. „Es klappt einfach nicht; also ist das wohl seine Veranlagung. Das zeigt sich auch ein bisschen im Job; beispielweise ist er völlig außerstande, seine Aufgaben als irgendeine Art von Leistung zu verstehen, die erbracht wird, um jemanden aus dem Feld zu schlagen. Um zu gewinnen, um der Beste zu sein oder so was in der Art.“ (Seite 125)
Letztlich steht nur die eine, reiche und einflussreiche Familie im Blickpunkt der Medien. Für sie bricht vieles zusammen und nach einigen Jahren liest Gusten, dass die Mutter seine ehemaligen Freundes und Mittäters verstorben sei.
Die Eltern der „Täter“ treffen sich regelmäßig während des Prozess und besprechen die Vorgangsweise. Reich sind sie fast alle und so leisten sie sich einen Medienberater, um richtig in der Öffentlichkeit aufzutreten und so indirekt den Prozess zu beeinflussen. Man tritt aber nicht nur für die eigenen Kinder ein, sondern macht auch das vergewaltigte Mädchen in der Öffentlich schlecht. Sie komme ja aus der sozialpädagogischen „Einrichtung für Verhaltensgestörte und Kleinkriminelle, die das Mädchenheim ebenfalls war. Und die Delikte, die Sascha sich zuschulden kommen hat lassen (kleine, die aber natürlich größer wurden, wenn man über sie sprach) und für die man eigentlich ins Gefängnis kam, wenn man nicht minderjährig war.“ (Seite 197) Sie selbst, Sascha sprach vor Gerichts nichts. Nur die Beschuldigten kamen zu Wort. Das Urteil fiel gut aus. Drei der Beschuldigten wurden freigesprochen, nur der Sohn der angesehenen Familie – Nathan – bekam eine bedingte Gefängnisstrafe. Seine Mutter kommentierte es vor der Presse so: „Jetzt blättern wir die Seiten um. Und eines schönen Tages haben wir so viele Seiten umgeblättert, dass nichts von alldem passiert ist.“ (Seite 209) Die Buben wurden in eine psychiatrische Behandlung geschickt. Gusten sogar in eine Irrenanstalt eingeliefert. Die Mutter von Nathan verlor ihren angesehen Job und versuchte es erfolglos mit einer neuen Organisation, bis sie selbst Krebskrank nach einiger Zeit starb. Ihr Mann setzte sich mit einer Freundin in die Schweiz ab. Gusten aber hadert mit seiner Vorgangsweise, die Polizei eingeschalten zu haben. Letztlich erfährt er vom misshandelten Mädchen Sascha, dass ihre Mutter Schwarzgeld geboten bekam, um die Sache zu verschweigen. Seine Mutter versucht ihn zu erinnern: „Aber du wurdest ja nicht verurteilt, mein lieber Junge. Du wurdest doch freigesprochen!“ (Seite 221) Der Sohn aber fragte sich „Wie konnte er weiterhin in dieser Welt sein?“ (Seite 223) und er will sich von einer Brücke stürzen, wo ihn aber die Mutter seines ehemaligen Freundes Nathan zurückhält. Erst als er Emmy kennenlernt (der Leser kommt mit ihr gleich zu Beginn des Buches in Kontakt), fast er Boden unter den Füßen und beginnt ein Studium an einer Schauspielschule und gewinnt einen Preis für seine erste Dichtung.
Der Titel „Wer hat Bambi getötet?“ stammt von einem Song der Band „Pistols“ und einer der vier „Vergewaltiger“ versucht sich als Filmproduzent und nennt sein Erstlingswerk auch so, wie dieses Buch. Emmy, eine der Hauptakteurinnen, wurde für den Poster des Films mit einem Kaninchen fotografiert.
Die Handlung des Romans ist sehr sprunghaft und macht es dem Leser nicht leicht zu folgen. So ist das letzte Kapitel der Erzählung eigentlich der Beginn.
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Der Residenzverlag bringt die in Finnland anerkannte und ausgezeichnete Autorin dem deutschsprachigen Leserpublikum näher.
Es beginnt mit dem Mädchen Emmy, das in der eigentlichen Handlung erst am Ende auftritt. Emmys erste Liebe starb bei einem Busunglück des Sportvereins. Sie tröstet dessen Schwester Saga-Lill und die beiden Mädchen werden Freundinnen. Emmy hat einen neuen Freund. Nachdem sie sich von ihm getrennt hat, lebt er mit der Freundin Saga-Lill zusammen, was die Beziehung der beiden jungen Frauen stört. Sie verzeiht es auch ihrem Ex-Freund Gusten nicht, dass er sich mit ihrer Freundin zusammengetan hat. Irgendwie sieht sie das wie einen Verrat. Gustens Mutter ist Opernsängerin und das neue Paar fährt zu einer Vorstellung der Mutter nach Wien. Emmy heiratet einen älteren Mann. Gusten bleibt aber ihre große und geheime Liebe. Sie formulierte es während ihres Zusammenlebens so: „Ich will die Liebe leben, nicht darüber reden. Die Liebe leben, wie die Musik, wie etwas, das nicht erklärt werden muss …“ (Seite 139)
Die Geschichten werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Einerseits aus Emmys Sicht und dann wieder Saga-Lills Version.
Die Proponenten leben in einem kleinen Vorort von Helsinki. In einem Villenviertel, wo normal angesehene Menschen leben. Die zwei jungen Frauen kommen aber vom Land. Durch die Heirat mit dem älteren Mann steigt Emmy in die Hierarchie der Villenbewohner auf.
Der Kern des Romans geht aber auf eine Gruppenvergewaltigung zurück. Vier Freunde haben ein Mädchen vergewaltigt. Das Ganze fand im Haus einer einflussreichen Familie statt. Die Mutter wurde erst kürzlich zur Präsidentin einer prominenten Wirtschaftsstiftung gewählt und der Vater ist ein anerkannter Richter. Mit dem Gewicht dieser Eltern hätte man den Vorfall vertuschen können und auch wollen. Aber da war Gusten, einer der vier Täter, der das Mädchen geknebelt und gefesselt im Studio des Freundes fand. Der Freund war abgehauen und hatte sich in einem Wochenendhaus der Familie verschanzt. Gusten ist geschockt, als er das Mädchen findet und bringt es ins Spital. Sie selbst will nicht, dass er zur Polizei gehe. Sie erfand eine Geschichte. Sie sei im Wald von einer Gang, an deren Gesichter sie sich nicht erinnern könne, überfallen wollen. Gusten aber geht zur Polizei. Es wird ein Skandal. Die erst kürzlich zur Präsidentin erhobene Mutter wird von einem Fernsehteam überrascht und sie äußert sich unflätig, nennt die Journalisten Kommunisten, was die Angelegenheit in alle Medien bringt. Sie wurde überrascht „von Journalisten und Fotografen und gezwungen, eine Stellungnahme abzugeben. Wild um sich schlagen, jeder Vernunft, jeder Realität, jeder Wirklichkeit zum Trotz, denn schließlich weiß sie es schon, aber Gehirn und Gefühle und Auffassungsvermögen sind auf sonderbare Weise miteinander verbunden, was in Situationen von extremem Druck sowohl zu Verleugnung als auch zu Fehleinschätzung führen kann und infolgedessen zu absurdem Verhalten: „Kommunistenpresse!““ (Seite 145)
Gusten, der wie ein eigenes Kind im Haus des Freundes aus- und einging, weil seine Mutter – eine Opernsängerin – oft auf Tournee war, wurde als Verräter aus dem Haus geschmissen. Gusten kann aber keine Rachegefühle entwickeln. „Es klappt einfach nicht; also ist das wohl seine Veranlagung. Das zeigt sich auch ein bisschen im Job; beispielweise ist er völlig außerstande, seine Aufgaben als irgendeine Art von Leistung zu verstehen, die erbracht wird, um jemanden aus dem Feld zu schlagen. Um zu gewinnen, um der Beste zu sein oder so was in der Art.“ (Seite 125)
Letztlich steht nur die eine, reiche und einflussreiche Familie im Blickpunkt der Medien. Für sie bricht vieles zusammen und nach einigen Jahren liest Gusten, dass die Mutter seine ehemaligen Freundes und Mittäters verstorben sei.
Die Eltern der „Täter“ treffen sich regelmäßig während des Prozess und besprechen die Vorgangsweise. Reich sind sie fast alle und so leisten sie sich einen Medienberater, um richtig in der Öffentlichkeit aufzutreten und so indirekt den Prozess zu beeinflussen. Man tritt aber nicht nur für die eigenen Kinder ein, sondern macht auch das vergewaltigte Mädchen in der Öffentlich schlecht. Sie komme ja aus der sozialpädagogischen „Einrichtung für Verhaltensgestörte und Kleinkriminelle, die das Mädchenheim ebenfalls war. Und die Delikte, die Sascha sich zuschulden kommen hat lassen (kleine, die aber natürlich größer wurden, wenn man über sie sprach) und für die man eigentlich ins Gefängnis kam, wenn man nicht minderjährig war.“ (Seite 197) Sie selbst, Sascha sprach vor Gerichts nichts. Nur die Beschuldigten kamen zu Wort. Das Urteil fiel gut aus. Drei der Beschuldigten wurden freigesprochen, nur der Sohn der angesehenen Familie – Nathan – bekam eine bedingte Gefängnisstrafe. Seine Mutter kommentierte es vor der Presse so: „Jetzt blättern wir die Seiten um. Und eines schönen Tages haben wir so viele Seiten umgeblättert, dass nichts von alldem passiert ist.“ (Seite 209) Die Buben wurden in eine psychiatrische Behandlung geschickt. Gusten sogar in eine Irrenanstalt eingeliefert. Die Mutter von Nathan verlor ihren angesehen Job und versuchte es erfolglos mit einer neuen Organisation, bis sie selbst Krebskrank nach einiger Zeit starb. Ihr Mann setzte sich mit einer Freundin in die Schweiz ab. Gusten aber hadert mit seiner Vorgangsweise, die Polizei eingeschalten zu haben. Letztlich erfährt er vom misshandelten Mädchen Sascha, dass ihre Mutter Schwarzgeld geboten bekam, um die Sache zu verschweigen. Seine Mutter versucht ihn zu erinnern: „Aber du wurdest ja nicht verurteilt, mein lieber Junge. Du wurdest doch freigesprochen!“ (Seite 221) Der Sohn aber fragte sich „Wie konnte er weiterhin in dieser Welt sein?“ (Seite 223) und er will sich von einer Brücke stürzen, wo ihn aber die Mutter seines ehemaligen Freundes Nathan zurückhält. Erst als er Emmy kennenlernt (der Leser kommt mit ihr gleich zu Beginn des Buches in Kontakt), fast er Boden unter den Füßen und beginnt ein Studium an einer Schauspielschule und gewinnt einen Preis für seine erste Dichtung.
Der Titel „Wer hat Bambi getötet?“ stammt von einem Song der Band „Pistols“ und einer der vier „Vergewaltiger“ versucht sich als Filmproduzent und nennt sein Erstlingswerk auch so, wie dieses Buch. Emmy, eine der Hauptakteurinnen, wurde für den Poster des Films mit einem Kaninchen fotografiert.
Die Handlung des Romans ist sehr sprunghaft und macht es dem Leser nicht leicht zu folgen. So ist das letzte Kapitel der Erzählung eigentlich der Beginn.
BOZSOKI, Jürgen
CAMINO-WELT, Mein Pilgerweg durch Philosophie und Theologie Artikel
In: 2022.
@article{BOZSOKI2022,
title = {CAMINO-WELT, Mein Pilgerweg durch Philosophie und Theologie},
author = {Jürgen BOZSOKI},
year = {2022},
date = {2022-09-11},
abstract = {BOZSOKI, Jürgen: „CAMINO-WELT, Mein Pilgerweg durch Philosophie und Theologie“, Wien 2021
Ein Pilgertagebuch kombiniert mit philosophischen und theologischen Überlegungen. Der Tod einer Freundin führt den Autor zu einem Neuanfang und er versucht dies mit einer Wallfahrt von Saint Jean-Pied-de-Port nach Santiago. Im Zuge dieser Pilgerwanderung kommt er selbst zum Nachdenken und lernt andere Pilger mit deren Problemen kennen. Dem jeweiligen Problem stellt er die Idee eines Philosophen oder Theologen gegenüber.
Um den Tod der Freundin zu verarbeiten nimmt er Anleihen bei verschiedenen Philosophen. Auch ein mit ihm wandernder Priester öffnet sich ihm und erklärt, warum er Priester wurde. Gegenseitig helfen sie sich bei der Bewältigung ihres Lebens. Auch über den Sinn und der Position Gottes nimmt der Autor philosophische Anleihen wie etwa bei Aristoteles, der den Anstoß unseres Lebens, unserer Welt im „unbewegten Beweger“ sieht. Wissenschaftler nennen es Urknall. Aber was war vor dem Urknall? Für Thomas von Aquin ist vorher etwas, das man „Gott“ nennen kann. Hegel sah zwischen Sein und Nichts als Synthese das WERDEN. Diese philosophischen Überlegungen sind eingebettet in der Erzählung der Wanderung. Den Anstoß zum jeweiligen Thema geben immer Pilger, auf die der Autor während der Pilgerung trifft. Da ist eine ältere brasilianische Frau, die ihren Präsidenten verehrt und im rechten, diktatorischen Lager das Heil der Welt sieht. Hier kommt der Philosoph Machiavelli zu Wort. Er „versucht nicht, wie politische Philosophen vor ihm,die Welt zu sehen, wie sie sein soll, um moralische Grundsätze zu formulieren. Denn die Menschen sind für ihn grundsätzlich schlecht, egoistisch und hinterlistig. Deshalb ist es aus seiner Sicht besser, grausam zu sein, als milde. Liebe kann als Schwäche aufgefasst werden.“ (Seite 91) Platon kann wiederum nur der Aristokratie etwas abgewinnen. Die Brasilianerin ist auch kämpferisch und es kommt zu einem Streit mit einem muslimischen Pilger. Letztlich versöhnen sich die Beiden in der Gemeinsamkeit des Diktatorischen.
Bei der Frage zur Existenz Gottes greift der Theologe sogar auf die Mathematik zurück und belegt diesen mit Berechnungen von Werner Gitt und Peter W. Stoner. Erstaunlicherweise werden bei diesem, doch religiösen Thema nicht nur Theologen und Philosophen, sondern auch Naturwissenschaftler wie Descartes zitiert. Descart etwa beim Versuch zwischen Realität und Traum zu unterscheiden. Im Laufe des Buches wird man als Leser mit den wichtigsten Philosophen zu verschiedensten, wichtigen Themen der Menschheit konfrontiert.
Die Proponenten des Buches sind der Autor selbst, ein italienischer Priester, ein Naturwissenschafter, der unheilbar krank in einigen Monaten seinen Tod erleben wird, eine konservative Katholikin aus Brasilien, eine junge Frau, die schon einmal diesen Weg gegangen ist und dabei von einem Pilger geschwängert wurde, ein gläubiger Moslem und ein pensionierter Buchhalter. Wie in einem Theaterstück kommt es am Ziel in Santiago de Compostela zu einem großen Finale. Zwar wird es, je näher die Pilger an das Ziel herankommen immer kommerzieller und die sogenannten „Disney-Pilger“, die nur die letzten Kilometer gehen, bevölkern die Wege. Ohne es zu wissen, entpuppte sich der mitpilgernde Priester der Gruppe als wichtige Persönlichkeit und sie werden zu einem Empfang mit dem Erzbischof geladen. Ein Finale, wie es ein normaler Pilger des „Camino“, wie der spanische Pilgerweg heißt, nicht erlebt.
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Ein Pilgertagebuch kombiniert mit philosophischen und theologischen Überlegungen. Der Tod einer Freundin führt den Autor zu einem Neuanfang und er versucht dies mit einer Wallfahrt von Saint Jean-Pied-de-Port nach Santiago. Im Zuge dieser Pilgerwanderung kommt er selbst zum Nachdenken und lernt andere Pilger mit deren Problemen kennen. Dem jeweiligen Problem stellt er die Idee eines Philosophen oder Theologen gegenüber.
Um den Tod der Freundin zu verarbeiten nimmt er Anleihen bei verschiedenen Philosophen. Auch ein mit ihm wandernder Priester öffnet sich ihm und erklärt, warum er Priester wurde. Gegenseitig helfen sie sich bei der Bewältigung ihres Lebens. Auch über den Sinn und der Position Gottes nimmt der Autor philosophische Anleihen wie etwa bei Aristoteles, der den Anstoß unseres Lebens, unserer Welt im „unbewegten Beweger“ sieht. Wissenschaftler nennen es Urknall. Aber was war vor dem Urknall? Für Thomas von Aquin ist vorher etwas, das man „Gott“ nennen kann. Hegel sah zwischen Sein und Nichts als Synthese das WERDEN. Diese philosophischen Überlegungen sind eingebettet in der Erzählung der Wanderung. Den Anstoß zum jeweiligen Thema geben immer Pilger, auf die der Autor während der Pilgerung trifft. Da ist eine ältere brasilianische Frau, die ihren Präsidenten verehrt und im rechten, diktatorischen Lager das Heil der Welt sieht. Hier kommt der Philosoph Machiavelli zu Wort. Er „versucht nicht, wie politische Philosophen vor ihm,die Welt zu sehen, wie sie sein soll, um moralische Grundsätze zu formulieren. Denn die Menschen sind für ihn grundsätzlich schlecht, egoistisch und hinterlistig. Deshalb ist es aus seiner Sicht besser, grausam zu sein, als milde. Liebe kann als Schwäche aufgefasst werden.“ (Seite 91) Platon kann wiederum nur der Aristokratie etwas abgewinnen. Die Brasilianerin ist auch kämpferisch und es kommt zu einem Streit mit einem muslimischen Pilger. Letztlich versöhnen sich die Beiden in der Gemeinsamkeit des Diktatorischen.
Bei der Frage zur Existenz Gottes greift der Theologe sogar auf die Mathematik zurück und belegt diesen mit Berechnungen von Werner Gitt und Peter W. Stoner. Erstaunlicherweise werden bei diesem, doch religiösen Thema nicht nur Theologen und Philosophen, sondern auch Naturwissenschaftler wie Descartes zitiert. Descart etwa beim Versuch zwischen Realität und Traum zu unterscheiden. Im Laufe des Buches wird man als Leser mit den wichtigsten Philosophen zu verschiedensten, wichtigen Themen der Menschheit konfrontiert.
Die Proponenten des Buches sind der Autor selbst, ein italienischer Priester, ein Naturwissenschafter, der unheilbar krank in einigen Monaten seinen Tod erleben wird, eine konservative Katholikin aus Brasilien, eine junge Frau, die schon einmal diesen Weg gegangen ist und dabei von einem Pilger geschwängert wurde, ein gläubiger Moslem und ein pensionierter Buchhalter. Wie in einem Theaterstück kommt es am Ziel in Santiago de Compostela zu einem großen Finale. Zwar wird es, je näher die Pilger an das Ziel herankommen immer kommerzieller und die sogenannten „Disney-Pilger“, die nur die letzten Kilometer gehen, bevölkern die Wege. Ohne es zu wissen, entpuppte sich der mitpilgernde Priester der Gruppe als wichtige Persönlichkeit und sie werden zu einem Empfang mit dem Erzbischof geladen. Ein Finale, wie es ein normaler Pilger des „Camino“, wie der spanische Pilgerweg heißt, nicht erlebt.
LUX, Claudia
GRADO Lieblingsziel im nahen Süden Buch
2022.
@book{LUX2022,
title = {GRADO Lieblingsziel im nahen Süden},
author = {Claudia LUX},
year = {2022},
date = {2022-09-04},
abstract = {LUX, Claudia: „GRADO Lieblingsziel im nahen Süden“, Wien Graz 2022
Ein etwas anderer Reiseführer, der sehr intim in die Stadt und ihre Region einführt. Es beginnt mit einem historischen Teil, den man normal in einem Kunstführer findet. Dann geht die Autorin in die einzelnen Inseln der Lagune ein, um letztlich den angehenden Besucher zum Bummeln zu animieren. Sie führt quasi auf den gedruckten Seiten des Buches durch die Stadt und motiviert zum „Nachgehen“. Einkaufen, Essengehen, eine Bar besuchen, Strände aufsuchen … sachkundige Tipps. Aber auch Sportmöglichkeiten und hier vor allem der Vorteil des Radfahrens werden aufgezeigt. Letztlich wird auch die Situation in den verschiedenen Jahreszeiten beschrieben und was man dann von der Stadt erwarten kann. Wem die Stadt zu klein wird empfiehlt das Buch Ausflugsziele.
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Ein etwas anderer Reiseführer, der sehr intim in die Stadt und ihre Region einführt. Es beginnt mit einem historischen Teil, den man normal in einem Kunstführer findet. Dann geht die Autorin in die einzelnen Inseln der Lagune ein, um letztlich den angehenden Besucher zum Bummeln zu animieren. Sie führt quasi auf den gedruckten Seiten des Buches durch die Stadt und motiviert zum „Nachgehen“. Einkaufen, Essengehen, eine Bar besuchen, Strände aufsuchen … sachkundige Tipps. Aber auch Sportmöglichkeiten und hier vor allem der Vorteil des Radfahrens werden aufgezeigt. Letztlich wird auch die Situation in den verschiedenen Jahreszeiten beschrieben und was man dann von der Stadt erwarten kann. Wem die Stadt zu klein wird empfiehlt das Buch Ausflugsziele.
BEICHL, Moritz Franz
Die Abschaffung der Wochentage Buch
2022.
@book{BEICHL2022,
title = {Die Abschaffung der Wochentage},
author = {Moritz Franz BEICHL},
year = {2022},
date = {2022-08-28},
abstract = {BEICHL, Moritz Franz: „Die Abschaffung der Wochentage“, Wien Salzburg 2022
Der erste Teil des Buches besteht aus WhatsApp Nachrichten. Allerdings sind diese einseitig. Ein Mann hat sich von seinem Freund getrennt. Er hadert mit seinem Unglück und hat Liebesschmerz, den er ihm in den WhatsApps mitteilt. Er bekommt keine Antworten und will auch keine. Er trinkt viel Rotwein. Allerdings hat er sich vorgenommen erst nach Sonnenuntergang zu trinken. Er sucht eine Psychotherapeutin auf und wechselt sie bald gegen eine andere. Sind die WhatsApp Meldungen zu Beginn noch kurz, so werden deren Texte immer länger. Er hadert mit einem Selbstmordversuch. Dazu warf er alle Möbel auf die Straße. Vom Selbstmord wurde aber nicht direkt geschrieben.
Dieser Abschnitt erinnert an Glattauers „Gut gegen Nordwind“, wo sich ein Liebespaaar via eMails austauscht. Das Konzept ist hier anders, aber das System dasselbe, nur dass das modernere Medium WhatsApp anstelle von eMails verwendet wurde.
Im zweiten Teil ist die alleinige Hauptfigur in einer psychiatrischen Anstalt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus (der erste Teil handelte in Berlin). Er schreibt weiter an seinen Freund, aber jetzt sind es Briefe. Im letzten Brief spricht er dann seinen Selbstmord an und beschreibt ihn. „Das war der schlimmste Tag in meinem Leben. Und dennoch denke ich mit Freude daran zurück.“ (Seite 141) Er wurde gerettet und ist enttäuscht: „Und auf eine Art bin ich froh, dass ich es überlebt habe. Auf der anderen Seite bin ich enttäuscht von mir, dass ich nicht einmal das hinbekommen habe.“ (Seite 136)
Der dritte Teil des Buches besteht nur aus einem Brief an seinen Ex-Freund, den er schon bei den handgeschriebenen Briefen mit „Dear Nobody“ angesprochen hat. Er ist bereits acht Wochen im Krankenhaus. Jetzt hat er erst seinen Laptop und das Mobiltelefon in Betrieb genommen. Es ist ein langer Brief, der jetzt am Computer geschrieben wurde. Er ist 32 Seiten lang. Es ist eigentlich ein Mail und er ist sich der Länge bewusst: „Dieses Mail ist schon recht lang, ich wollte gar nicht so viel schreiben, aber eine Sache habe ich dir noch zu erzählen.“ (Seite 148) Und jetzt zählt er seine Tagesabläufe auf und macht den Vorschlag die Namen der Wochentage abzuschaffen und durch andere zu ersetzen. „Etwas Neues schaffen. Den Tag heute Julia nennen, nicht Dienstag und morgen ist Fatih und nicht Mittwoch und niemals wird sich auch ein Name nur wiederholen.“! (Seite 150)
Im vierten Teil ist der Hauptakteur in Paris. In diesem Kapitrel schreibt er Ansichtskarten mit dem Eifelturm drauf an sich selbst. An besonderen Tagen schreibt er auch zwei Karten. Er lebt von der Erbschaft durch den Tod seiner Mutter. „Arbeiten werde ich nicht mehr, das ist beschlossen. Meinen Körper den Zwängen der Ökonomie zu unterwerfen, diese Zeiten sind vorbei für mich.“ (Seite 178) Seine Depression vergeht und kommt wieder. Verschiedene homosexuelle Freunde treten in sein Leben. Mit einem vermählt er sich. Zu jedem Geburtstag und jedem Weihnachten schickt er sich eine Ansichtskarte mit dem Eifelturm. Bis zu seinem 39. Geburtstag. Dann endet das vierte Kapitel. Das fünfte beginnt damit, dass sein Lebenspartner ihn von Paris nach Wien in die psychiatrische Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses gefahren hat. Hier wird er wieder behandelt und kommt zu der Erkenntnis, dass die Depression sein ganzes Leben vorhanden sein wird. Er träumt von einer Reise zum Mars. Scheint also komplett verrückt geworden zu sein (wenn das erlaubt ist, so zu formulieren). Das Buch endet mit dem Satz „Ich werde zum Mars reisen. Vielleicht wird sie uns da endlich gelingen: die Abschaffung der Wochentage.“ (Seite 208)
Ein im wahrsten Sinne verrücktes Buch.
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Der erste Teil des Buches besteht aus WhatsApp Nachrichten. Allerdings sind diese einseitig. Ein Mann hat sich von seinem Freund getrennt. Er hadert mit seinem Unglück und hat Liebesschmerz, den er ihm in den WhatsApps mitteilt. Er bekommt keine Antworten und will auch keine. Er trinkt viel Rotwein. Allerdings hat er sich vorgenommen erst nach Sonnenuntergang zu trinken. Er sucht eine Psychotherapeutin auf und wechselt sie bald gegen eine andere. Sind die WhatsApp Meldungen zu Beginn noch kurz, so werden deren Texte immer länger. Er hadert mit einem Selbstmordversuch. Dazu warf er alle Möbel auf die Straße. Vom Selbstmord wurde aber nicht direkt geschrieben.
Dieser Abschnitt erinnert an Glattauers „Gut gegen Nordwind“, wo sich ein Liebespaaar via eMails austauscht. Das Konzept ist hier anders, aber das System dasselbe, nur dass das modernere Medium WhatsApp anstelle von eMails verwendet wurde.
Im zweiten Teil ist die alleinige Hauptfigur in einer psychiatrischen Anstalt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus (der erste Teil handelte in Berlin). Er schreibt weiter an seinen Freund, aber jetzt sind es Briefe. Im letzten Brief spricht er dann seinen Selbstmord an und beschreibt ihn. „Das war der schlimmste Tag in meinem Leben. Und dennoch denke ich mit Freude daran zurück.“ (Seite 141) Er wurde gerettet und ist enttäuscht: „Und auf eine Art bin ich froh, dass ich es überlebt habe. Auf der anderen Seite bin ich enttäuscht von mir, dass ich nicht einmal das hinbekommen habe.“ (Seite 136)
Der dritte Teil des Buches besteht nur aus einem Brief an seinen Ex-Freund, den er schon bei den handgeschriebenen Briefen mit „Dear Nobody“ angesprochen hat. Er ist bereits acht Wochen im Krankenhaus. Jetzt hat er erst seinen Laptop und das Mobiltelefon in Betrieb genommen. Es ist ein langer Brief, der jetzt am Computer geschrieben wurde. Er ist 32 Seiten lang. Es ist eigentlich ein Mail und er ist sich der Länge bewusst: „Dieses Mail ist schon recht lang, ich wollte gar nicht so viel schreiben, aber eine Sache habe ich dir noch zu erzählen.“ (Seite 148) Und jetzt zählt er seine Tagesabläufe auf und macht den Vorschlag die Namen der Wochentage abzuschaffen und durch andere zu ersetzen. „Etwas Neues schaffen. Den Tag heute Julia nennen, nicht Dienstag und morgen ist Fatih und nicht Mittwoch und niemals wird sich auch ein Name nur wiederholen.“! (Seite 150)
Im vierten Teil ist der Hauptakteur in Paris. In diesem Kapitrel schreibt er Ansichtskarten mit dem Eifelturm drauf an sich selbst. An besonderen Tagen schreibt er auch zwei Karten. Er lebt von der Erbschaft durch den Tod seiner Mutter. „Arbeiten werde ich nicht mehr, das ist beschlossen. Meinen Körper den Zwängen der Ökonomie zu unterwerfen, diese Zeiten sind vorbei für mich.“ (Seite 178) Seine Depression vergeht und kommt wieder. Verschiedene homosexuelle Freunde treten in sein Leben. Mit einem vermählt er sich. Zu jedem Geburtstag und jedem Weihnachten schickt er sich eine Ansichtskarte mit dem Eifelturm. Bis zu seinem 39. Geburtstag. Dann endet das vierte Kapitel. Das fünfte beginnt damit, dass sein Lebenspartner ihn von Paris nach Wien in die psychiatrische Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses gefahren hat. Hier wird er wieder behandelt und kommt zu der Erkenntnis, dass die Depression sein ganzes Leben vorhanden sein wird. Er träumt von einer Reise zum Mars. Scheint also komplett verrückt geworden zu sein (wenn das erlaubt ist, so zu formulieren). Das Buch endet mit dem Satz „Ich werde zum Mars reisen. Vielleicht wird sie uns da endlich gelingen: die Abschaffung der Wochentage.“ (Seite 208)
Ein im wahrsten Sinne verrücktes Buch.
SCHNEIDER, Anna-Maria
Das Geheimnis der Libellen Buch
2022.
@book{SCHNEIDER2022,
title = {Das Geheimnis der Libellen},
author = {Anna-Maria SCHNEIDER},
year = {2022},
date = {2022-08-27},
abstract = {SCHNEIDER, Anna-Maria: „Das Geheimnis der Libellen“, Hinterbrühl 2022
Es ist dies eine Neuauflage des Kinderbuchs von Anna-Maria Schneider mit Zeichnungen von Melina Reinberger.
Auf den ersten Blick ist es ein Kinderbuch. Schön, für das Niveau von Kleinkindern illustriert. Beim Lesen wird das Thema aber tiefgreifend und beschäftigt sich mit dem Tod und der Zeit danach. Die Autorin greift dabei auf das Beispiel der Libellen zurück. Die Großmutter erklärt einem Mädchen namens Lilli, wie Libellen entstehen, und dass sie ihren Körper abstreifen und als neues Lebewesen weiterleben. Als dann die Großmutter stirbt und ihre Eltern sehr traurig sind, erklärt sie ihnen an Hand der Libellen, dass die Großmutter weiterlebt. So können Kinder Erwachsenen den Weg zeigen. Auch dieses Buch.},
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Es ist dies eine Neuauflage des Kinderbuchs von Anna-Maria Schneider mit Zeichnungen von Melina Reinberger.
Auf den ersten Blick ist es ein Kinderbuch. Schön, für das Niveau von Kleinkindern illustriert. Beim Lesen wird das Thema aber tiefgreifend und beschäftigt sich mit dem Tod und der Zeit danach. Die Autorin greift dabei auf das Beispiel der Libellen zurück. Die Großmutter erklärt einem Mädchen namens Lilli, wie Libellen entstehen, und dass sie ihren Körper abstreifen und als neues Lebewesen weiterleben. Als dann die Großmutter stirbt und ihre Eltern sehr traurig sind, erklärt sie ihnen an Hand der Libellen, dass die Großmutter weiterlebt. So können Kinder Erwachsenen den Weg zeigen. Auch dieses Buch.
RANSMAYR, Christoph
Atlas eines ängstlichen Mannes Buch
2022.
@book{RANSMAYR2022,
title = {Atlas eines ängstlichen Mannes},
author = {Christoph RANSMAYR},
year = {2022},
date = {2022-08-20},
abstract = {RANSMAYR, Christoph: „Atlas eines ängstlichen Mannes“, Frankfurt 2020
Im Rahmen des alternativen Festivals „glatt&verkehrt“ hatte der Dichter aus diesem Buch gelesen und eine amerikanische Band begleitete ihn. Es waren wunderbare Kurzgeschichten, die sicher viele Leute anregten dieses Buch zu kaufen. So auch ich. Es sind 70 Erzählungen auf über 450 Seiten, die man in einer Rezension nicht wiedergeben kann. In den erzählten Episoden – so Ransmayr im Vorwort – „ist ausschließlich von Orten die Rede, an denen ich gelebt, die ich bereist oder durchwandert habe, und ausschließlich von Menschen, denen ich dabei begegnet bin.“ (Seite 5) Und er hat ausgefallene Gebiete bereist. Geschichten aus mehr als 50 Ländern wurden in diesem Buch zusammengefasst. Unglaubliches hat er erlebt und beschrieben. Den Heiligen Abend in Sri Lanka vor einer wilden Elefantenherde. Das Leben auf einsamen Inseln im Pazifik, einem kindlichen Mönch, der in Tibet Steine mit heiligen Sprüchen versieht. Wie er Lenins Mausolum besucht und niemand sonst drinnen war. Einem japanischen Barpianisten, der sich Stelzen an die Füße binden musste, um die Pedale des Klaviers zu erreichen. Auch persönliches kommt zur Sprache, wie seine verstorbene Frau, die sich als Kind vor Hunden und Gewittern gefürchtet hatte, aber am Schulweg bei Gewitter am scharfen Hund des Nachbarbauern vorbei musste. Der ältere Bruder hatte sie beschützt, aber gerade an diesem Tag allein gelassen. Es sind zu viele Erzählungen, um hier darauf einzugehen. Man muss sie selbst lesen. Es sind viele und es empfiehlt sich daher das Lesen mit Pausen zu versehen, um jede einzelne als Geschichte stehen zu lassen.
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Im Rahmen des alternativen Festivals „glatt&verkehrt“ hatte der Dichter aus diesem Buch gelesen und eine amerikanische Band begleitete ihn. Es waren wunderbare Kurzgeschichten, die sicher viele Leute anregten dieses Buch zu kaufen. So auch ich. Es sind 70 Erzählungen auf über 450 Seiten, die man in einer Rezension nicht wiedergeben kann. In den erzählten Episoden – so Ransmayr im Vorwort – „ist ausschließlich von Orten die Rede, an denen ich gelebt, die ich bereist oder durchwandert habe, und ausschließlich von Menschen, denen ich dabei begegnet bin.“ (Seite 5) Und er hat ausgefallene Gebiete bereist. Geschichten aus mehr als 50 Ländern wurden in diesem Buch zusammengefasst. Unglaubliches hat er erlebt und beschrieben. Den Heiligen Abend in Sri Lanka vor einer wilden Elefantenherde. Das Leben auf einsamen Inseln im Pazifik, einem kindlichen Mönch, der in Tibet Steine mit heiligen Sprüchen versieht. Wie er Lenins Mausolum besucht und niemand sonst drinnen war. Einem japanischen Barpianisten, der sich Stelzen an die Füße binden musste, um die Pedale des Klaviers zu erreichen. Auch persönliches kommt zur Sprache, wie seine verstorbene Frau, die sich als Kind vor Hunden und Gewittern gefürchtet hatte, aber am Schulweg bei Gewitter am scharfen Hund des Nachbarbauern vorbei musste. Der ältere Bruder hatte sie beschützt, aber gerade an diesem Tag allein gelassen. Es sind zu viele Erzählungen, um hier darauf einzugehen. Man muss sie selbst lesen. Es sind viele und es empfiehlt sich daher das Lesen mit Pausen zu versehen, um jede einzelne als Geschichte stehen zu lassen.
PROSE, Francine
Lügen auf Albanisch Buch
2022.
@book{PROSE2022,
title = {Lügen auf Albanisch},
author = {Francine PROSE},
year = {2022},
date = {2022-08-08},
abstract = {PROSE, Francine: „Lügen auf Albanisch“, München 2014
Lange schon stand dieses Buch auf der Wunschliste meines Amazon Accounts. Warum wusste ich nicht mehr. War es wegen Albanien und Kosovo? War es wegen der vielen Lügen, die wir im Rahmen unseres Kosovoaufenthalts erfahren mussten? Endlich bekam ich das Buch als Second Hand Version und es war enttäuschend. Es enthielt schon viel albanisches Denken und Tun, aber es handelte in den USA. Noch enttäuschender für mich war, als ich herausfand, dass die Autorin eine Amerikanerin ist. Sie beschreibt, wie die Albaner in Amerika sind! Die Geschichte selbst ist sehr trivial. Die Eltern einer jungen Frau kommen bei einem Verkehrunfall auf der Fahrt von Albanien in den Kosovo ums Leben. Sie wohnt bei einer Tante in Albanien und studiert. Nach dem Studium gelingt es ihr nach Amerika zu kommen, wo sie als Kellnerin arbeitet. Später bekommt sie einen Job als „Kindermädchen“ für einen vor dem Eintritt ins College stehenden Buben. Der Vater ist Alleinerzieher und mit Hilfe seines Freundes, einem erfolgreichen Anwalt, bekommt sie die offizielle Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt dann noch zu einem sehr kitschigen Happy End, das ich hier nicht erzählen will, denn vielleicht schaffen es viele Leser nicht soweit und wenn doch, will ich es nicht verraten.
Eigentlich sollte man, wenn man während des Lesens feststellt, dass es nicht gut ist, aufhören zu lesen. Als Kind der Nachkriegsgeneration wurde ich darauf angehalten alles aufzuessen, was auf den Teller kam und so halte ich es (leider) auch mit Büchern. Auch wenn sie schlecht sind, lese ich sie zu Ende.
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Lange schon stand dieses Buch auf der Wunschliste meines Amazon Accounts. Warum wusste ich nicht mehr. War es wegen Albanien und Kosovo? War es wegen der vielen Lügen, die wir im Rahmen unseres Kosovoaufenthalts erfahren mussten? Endlich bekam ich das Buch als Second Hand Version und es war enttäuschend. Es enthielt schon viel albanisches Denken und Tun, aber es handelte in den USA. Noch enttäuschender für mich war, als ich herausfand, dass die Autorin eine Amerikanerin ist. Sie beschreibt, wie die Albaner in Amerika sind! Die Geschichte selbst ist sehr trivial. Die Eltern einer jungen Frau kommen bei einem Verkehrunfall auf der Fahrt von Albanien in den Kosovo ums Leben. Sie wohnt bei einer Tante in Albanien und studiert. Nach dem Studium gelingt es ihr nach Amerika zu kommen, wo sie als Kellnerin arbeitet. Später bekommt sie einen Job als „Kindermädchen“ für einen vor dem Eintritt ins College stehenden Buben. Der Vater ist Alleinerzieher und mit Hilfe seines Freundes, einem erfolgreichen Anwalt, bekommt sie die offizielle Aufenthaltsgenehmigung. Es kommt dann noch zu einem sehr kitschigen Happy End, das ich hier nicht erzählen will, denn vielleicht schaffen es viele Leser nicht soweit und wenn doch, will ich es nicht verraten.
Eigentlich sollte man, wenn man während des Lesens feststellt, dass es nicht gut ist, aufhören zu lesen. Als Kind der Nachkriegsgeneration wurde ich darauf angehalten alles aufzuessen, was auf den Teller kam und so halte ich es (leider) auch mit Büchern. Auch wenn sie schlecht sind, lese ich sie zu Ende.
Marianne WINTER, Peter WACKER
Iron Curtain Trail. 9000 Kilometer 17 Länder mit dem Fahrrad Buch
2022.
@book{WINTER2022,
title = {Iron Curtain Trail. 9000 Kilometer 17 Länder mit dem Fahrrad},
author = {Marianne WINTER, Peter WACKER},
year = {2022},
date = {2022-07-26},
abstract = {Entlang der Grenze zwischen NATO und Warschauer Pakt hat man einen Radweg geschaffen, der an diese Zeit erinnern soll. Das Autorenpaar ist es nachgefahren. Drei Urlaube haben sie dazu aufgebraucht. 2012 sind sie von Kirgenes in Norwegen bis Vaalimaa im Süden Finnlands gefahren. 2013 setzen sie dann fort und fuhren den Rest Finnlands hinüber nach Sankt Petersburg in Russland und weiter über Estland, Lettland, Litauen nach Polen. Immer der ehemaligen Grenze zwischen Kommunismus und Kapitalismus entlang. An vielen Mahnmalen und Erinnerungsstätten kamen sie vorbei. Der Radweg ist nicht immer ausreichend beschildert und ausgebaut, aber er ist noch neu. 2014 fahren sie die ehemalige Grenze zwischen West- und Ostdeutschland entlang, dann zwischen Tschechien, Deutschland und Österreich bis zur Slowakei. Weiter durch Ungarn, Slowenien, Kroatien, Serbien und Bulgarien. Die außergewöhnliche Reise endet nach 9000 Kilometern in Constanza am Schwarzen Meer in Rumänien. Allgemeine Tipps am Ende des Buches runden die Erzählung ab. Für einen fahrradinteressierten Leser ist es interessant den Beiden auf ihren Wegen zu folgen.
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MENASSE, Eva
Tiere für Fortgeschrittene Buch
2022.
@book{MENASSE2022,
title = {Tiere für Fortgeschrittene},
author = {Eva MENASSE},
year = {2022},
date = {2022-07-24},
abstract = {MENASSE, Eva: „Tiere für Fortgeschrittene“, München 2018
Im Rahmen von „Literatur & Wein“ 2022 im Stift Göttweig hat die Autorin selbst aus diesem Werk gelesen. Dies war dann auch der Anlass für mich das Buch zu kaufen und zu lesen.
Die acht Kapitel – Geschichten –tragen als Titel einen Namen eines Tieres. Das erste Kapitel gleich drei:
„Schmetterling, Biene, Krokodil“
Die Geschichte spiegelt die Szene einer Patchworkfamilie wieder. Die Kinder vom ersten Mann fahren gemeinsam mit dem Kind des zweiten Ehepartners in die Türkei, um einen konservativen Familienurlaub zu absolvieren. Dies bedeutet viel Stress für die Stiefmutter des Kindes, weil sie sich im Nachhinein der Kritik der leiblichen Mutter aussetzen muss.
„Raupen“
Die Autorin zeigt hier ein älteres Ehepaar. Die Frau ist dement und der Ehemann pflegt sie. Was da so alles passieren kann wird sehr realistisch beschrieben. Beim Besuch eines Enkels wird die demente Frau aber geistig hellwach.
„Igel“
Ein reiches Ehepaar. Er ein internationaler Manager und sie eine extrovertierte Ehefrau ohne Beschäftigung. Ein Igel, den Jugendliche mit Stöcken schlagen, wird zum Themengeber dieser Geschichte. Ein Eisplastikbecher von McDonald wurde dem Igel zum Verhängnis. Er schleckte die Reste des Eises auf und blieb im Becher stecken.
„Schafe“
Wie Schafe wohnen Menschen nebeneinander in Bungalows. Sie gehören einem Projekt an, von dem nicht klar ist, was produziert werden soll. Künstler und Intellektuelle. Eine der Teilnehmerinnen schreibt ein Protokoll, was da alles passiert. Charakterbeschreibungen verschiedener Menschen reihen sich aneinander.
„Opossum“
Angeregt durch einen Autofahrer, der versuchte eine angefahrene Ratte wieder zu beleben, entstand diese Geschichte, in der ein Mann auf der Heimfahrt von der Geliebten ist und feststellen muss, dass ihm das Benzin ausgeht. Bei einem Wirten oben am Berg bekommt er zu essen und etwas Sprit. Bei der Weiterfahrt überholt ihn ein Raser. Er verfolgt ihn und erreicht ihn, als da ein totes Reh auf der Straße liegt, dem er in die Augen schaut. Durch seinen Kopf laufen Gedanken über zwei Frauen, die er liebt.
„Haie“
In dieser Geschichte geht es darum, wie mit anderen Menschen und vor allem anderen Nationalitäten – den Ausländern – umgegangen wird. Erzählt am Beispiel eines Kindes, das das erste Jahr in die Schule geht, in dessen Klasse auch ein Ausländerkind ist, das letztendlich zum Jahresende in eine andere Schule übersiedelt wird. Am Weg zur Schule sah man sie festlich gekleidet „Generationsbilder, sogar solche mit stolzen vier Stammbaumstufen. Insgesamt war es vertrakter als früher, die Mütter von den Großmüttern zu unterscheiden, die Väter von den Großvätern. Nur bei den Türken war es oft so, dass einer, der wie ein Bruder aussah, in Wahrheit doch der Vater war. Aber alle, alle strahlten und schienen ein bisschen gerührt. Nora empfand es als einen Morgen voller Einigkeit und völkerverbindenden Harmonie.“ (Seite 212) Im Laufe des Schuljahres wurde es aber anders …
„Schlangen“
Die Frau hatte ihn verlassen. Er lebt alleine. Ein junges Paar zieht ins Nachbarhaus. Er hilft den jungen Leuten bei ihren Umbauarbeiten. Er denkt an seine Frau, die ihn verlassen hat. Der jungen Nachbarin gesteht er, dass er sie vertrieben habe, weil sie ihm untreu geworden war.
„Enten“
Jeder Geschichte ist ein kurzer Bericht über das jeweilige Tier vorangestellt. So erfährt man, dass Enten gleichzeitig schlafen und nach Feinden Ausschau halten können. Auf dieser Basis stellt sie ein Ehepaar vor, das mit einem Kind auf Urlaub fährt. Sie zeigt die Abnützungerscheinung des Ehepaars und ein Verhätnis der Mutter mit einem Maler. Eigentlich eine belanglose Geschichte und doch zeigt sie wie sich Beziehungen im Laufe der Zeit verändern.
Das Buch besteht aus Geschichten und Erzählungen, die in verschiedenen Zeitungen, Zeitschriften oder Sammelbänden schon veröffentlicht waren. In diesem Buch werden sie über die Klammer „Tiere“ zusammengehalten.
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Im Rahmen von „Literatur & Wein“ 2022 im Stift Göttweig hat die Autorin selbst aus diesem Werk gelesen. Dies war dann auch der Anlass für mich das Buch zu kaufen und zu lesen.
Die acht Kapitel – Geschichten –tragen als Titel einen Namen eines Tieres. Das erste Kapitel gleich drei:
„Schmetterling, Biene, Krokodil“
Die Geschichte spiegelt die Szene einer Patchworkfamilie wieder. Die Kinder vom ersten Mann fahren gemeinsam mit dem Kind des zweiten Ehepartners in die Türkei, um einen konservativen Familienurlaub zu absolvieren. Dies bedeutet viel Stress für die Stiefmutter des Kindes, weil sie sich im Nachhinein der Kritik der leiblichen Mutter aussetzen muss.
„Raupen“
Die Autorin zeigt hier ein älteres Ehepaar. Die Frau ist dement und der Ehemann pflegt sie. Was da so alles passieren kann wird sehr realistisch beschrieben. Beim Besuch eines Enkels wird die demente Frau aber geistig hellwach.
„Igel“
Ein reiches Ehepaar. Er ein internationaler Manager und sie eine extrovertierte Ehefrau ohne Beschäftigung. Ein Igel, den Jugendliche mit Stöcken schlagen, wird zum Themengeber dieser Geschichte. Ein Eisplastikbecher von McDonald wurde dem Igel zum Verhängnis. Er schleckte die Reste des Eises auf und blieb im Becher stecken.
„Schafe“
Wie Schafe wohnen Menschen nebeneinander in Bungalows. Sie gehören einem Projekt an, von dem nicht klar ist, was produziert werden soll. Künstler und Intellektuelle. Eine der Teilnehmerinnen schreibt ein Protokoll, was da alles passiert. Charakterbeschreibungen verschiedener Menschen reihen sich aneinander.
„Opossum“
Angeregt durch einen Autofahrer, der versuchte eine angefahrene Ratte wieder zu beleben, entstand diese Geschichte, in der ein Mann auf der Heimfahrt von der Geliebten ist und feststellen muss, dass ihm das Benzin ausgeht. Bei einem Wirten oben am Berg bekommt er zu essen und etwas Sprit. Bei der Weiterfahrt überholt ihn ein Raser. Er verfolgt ihn und erreicht ihn, als da ein totes Reh auf der Straße liegt, dem er in die Augen schaut. Durch seinen Kopf laufen Gedanken über zwei Frauen, die er liebt.
„Haie“
In dieser Geschichte geht es darum, wie mit anderen Menschen und vor allem anderen Nationalitäten – den Ausländern – umgegangen wird. Erzählt am Beispiel eines Kindes, das das erste Jahr in die Schule geht, in dessen Klasse auch ein Ausländerkind ist, das letztendlich zum Jahresende in eine andere Schule übersiedelt wird. Am Weg zur Schule sah man sie festlich gekleidet „Generationsbilder, sogar solche mit stolzen vier Stammbaumstufen. Insgesamt war es vertrakter als früher, die Mütter von den Großmüttern zu unterscheiden, die Väter von den Großvätern. Nur bei den Türken war es oft so, dass einer, der wie ein Bruder aussah, in Wahrheit doch der Vater war. Aber alle, alle strahlten und schienen ein bisschen gerührt. Nora empfand es als einen Morgen voller Einigkeit und völkerverbindenden Harmonie.“ (Seite 212) Im Laufe des Schuljahres wurde es aber anders …
„Schlangen“
Die Frau hatte ihn verlassen. Er lebt alleine. Ein junges Paar zieht ins Nachbarhaus. Er hilft den jungen Leuten bei ihren Umbauarbeiten. Er denkt an seine Frau, die ihn verlassen hat. Der jungen Nachbarin gesteht er, dass er sie vertrieben habe, weil sie ihm untreu geworden war.
„Enten“
Jeder Geschichte ist ein kurzer Bericht über das jeweilige Tier vorangestellt. So erfährt man, dass Enten gleichzeitig schlafen und nach Feinden Ausschau halten können. Auf dieser Basis stellt sie ein Ehepaar vor, das mit einem Kind auf Urlaub fährt. Sie zeigt die Abnützungerscheinung des Ehepaars und ein Verhätnis der Mutter mit einem Maler. Eigentlich eine belanglose Geschichte und doch zeigt sie wie sich Beziehungen im Laufe der Zeit verändern.
Das Buch besteht aus Geschichten und Erzählungen, die in verschiedenen Zeitungen, Zeitschriften oder Sammelbänden schon veröffentlicht waren. In diesem Buch werden sie über die Klammer „Tiere“ zusammengehalten.
SCHMITT, Eric-Emmanuel
Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte Buch
2022.
@book{SCHMITT2022c,
title = {Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte},
author = {Eric-Emmanuel SCHMITT},
year = {2022},
date = {2022-06-24},
abstract = {SCHMITT, Eric-Emmanuel: „Die zehn Kinder, die Frau Ming nie hatte“,
Frankfurt 2019
Der Icherzähler des Buches ist zu Verhandlungen für eine französische Firma regelmäßig in China. Zur zentralen Figur dieses Romans erschafft er aber Frau Ming, eine Klofrau in einem Hotel. Er, der auch chinesisch spricht, kommt mit ihr ins Gespräch. Da ihm ein Foto mit zwei Kindern aus der Brieftasche fällt, fragt sie ihn nach seinen Kindern. Sie selbst, so antwortet sie, habe zehn. Der Franzose ist überrascht und denkt, sie spricht nicht die Wahrheit. In einem Land mit der Ein-Kind-Politik kann diese Frau nicht zehn Kinder haben. Im Hotel verhandelt er mit einem Handelspartner. Eine seiner Taktiken ist es, das Gespräch durch häufige Klobesuche zu unterbrechen und den Partner etwas zu verunsichern. Bei jedem dieser Besuche kommt er mit Frau Ming ins Gespräch und sie stellt ihm laufend ihre Kinder vor. Beginnend mit Zwillingen, die unerschrockene Kinder seien. Sie wurden berühmte Artisten in einem Zirkus und traten – so erzählte sie ihm – auch in Monaco (sie dachte, das sei Frankreich) auf. Eine andere Tochter hatte im Sinn, die Frau von Mao zu morden. Den zweitältesten Sohn präsentiert sie als Pokerspieler.
Obwohl er denkt, die Frau lüge ihn an, hat er sie angelogen und die beiden Kinder am Foto sind sein Neffe und seine Nichte. Frau Ming klärt das auf und nun wendet sich das Blatt. Er ist der Lügner und nicht Frau Ming.
Nach einer Wiederkehr nach China wird gerade in den chinesischen Medien verkündet, dass durch die Ein-Kind-Politik 400 Millionen Chinesen nicht geboren wurden. Ein Thema, das auch mit Frau Ming diskutiert wird. Wenig später erfährt er, dass seine Freundin schwanger wurde. Er lehnt eine Ehe ab, distanziert sich vom Kind und bricht die Freundschaft zur werdenden Mutter ab. Er will seine Unabhängigkeit und Freiheit.
Wieder in China erfährt er mehr über Frau Mings Kinder. Da sind die Söhne Ru und Zhou. Beide sehr intellektuelle Typen. Einer spricht sieben Sprachen, der andere ist ein Geistesblitz. Ein anderer Sohn verdient sein Geld mit dem Erfinden von Gärten. Er beschreibt Gartenanlagen, die nicht echt existieren. Entwickelt so Gärten für Leute, die sich keinen eigenen Grund und Boden leisten können. Für den schriftlichen Entwurf der Gartenbeschreibungen wird er bezahlt. Und in diesem Sinne geht es weiter mit der Beschreibung der Kinder von Frau Ming. Inzwischen bestaunt der Franzose die Erfindergabe der Frau. Unsicher wird er, als einer der Geschäftspartner von der Frau erzählt, dass er selbst bei ihr zu Hause war und Unterlagen und Briefe der zehn Kinder sah. Er hat ihr also doch unrecht getan; die Kinder existieren? So freut er sich auf jeden Tag, an dem er mit ihr reden kann, aber eines Morgens sitzt eine andere Frau in der Toilette. Frau Ming habe einen Unfall gehabt. Der Franzose besucht sie im Spital und dabei trifft er auf die zehnte Tochter. Nun kann er mit einem realen Kind von Frau Ming sprechen, muss aber erfahren, dass die Kinder alle von ihr, der einzigen Tochter erfunden sind. Sie hat es mit einem sehr ausgeklügelten System gemacht und lässt an einem Tag sogar alle „gefakten Kinder“ auftreten. Alles Menschen aus ihrem Freundeskreis. Zum ersten Mal brachte sie sie live zusammen und die „Mama schwebt im siebenten Himmel“. (Seite 103) Nachdem alle Verträge abgeschlossen sind, kehrt er nach Frankreich zurück und erfährt, dass sein Sohn geboren wurde. Wie er sich als Vater verhält, erfahren sie, wenn sie das Buch lesen.
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Frankfurt 2019
Der Icherzähler des Buches ist zu Verhandlungen für eine französische Firma regelmäßig in China. Zur zentralen Figur dieses Romans erschafft er aber Frau Ming, eine Klofrau in einem Hotel. Er, der auch chinesisch spricht, kommt mit ihr ins Gespräch. Da ihm ein Foto mit zwei Kindern aus der Brieftasche fällt, fragt sie ihn nach seinen Kindern. Sie selbst, so antwortet sie, habe zehn. Der Franzose ist überrascht und denkt, sie spricht nicht die Wahrheit. In einem Land mit der Ein-Kind-Politik kann diese Frau nicht zehn Kinder haben. Im Hotel verhandelt er mit einem Handelspartner. Eine seiner Taktiken ist es, das Gespräch durch häufige Klobesuche zu unterbrechen und den Partner etwas zu verunsichern. Bei jedem dieser Besuche kommt er mit Frau Ming ins Gespräch und sie stellt ihm laufend ihre Kinder vor. Beginnend mit Zwillingen, die unerschrockene Kinder seien. Sie wurden berühmte Artisten in einem Zirkus und traten – so erzählte sie ihm – auch in Monaco (sie dachte, das sei Frankreich) auf. Eine andere Tochter hatte im Sinn, die Frau von Mao zu morden. Den zweitältesten Sohn präsentiert sie als Pokerspieler.
Obwohl er denkt, die Frau lüge ihn an, hat er sie angelogen und die beiden Kinder am Foto sind sein Neffe und seine Nichte. Frau Ming klärt das auf und nun wendet sich das Blatt. Er ist der Lügner und nicht Frau Ming.
Nach einer Wiederkehr nach China wird gerade in den chinesischen Medien verkündet, dass durch die Ein-Kind-Politik 400 Millionen Chinesen nicht geboren wurden. Ein Thema, das auch mit Frau Ming diskutiert wird. Wenig später erfährt er, dass seine Freundin schwanger wurde. Er lehnt eine Ehe ab, distanziert sich vom Kind und bricht die Freundschaft zur werdenden Mutter ab. Er will seine Unabhängigkeit und Freiheit.
Wieder in China erfährt er mehr über Frau Mings Kinder. Da sind die Söhne Ru und Zhou. Beide sehr intellektuelle Typen. Einer spricht sieben Sprachen, der andere ist ein Geistesblitz. Ein anderer Sohn verdient sein Geld mit dem Erfinden von Gärten. Er beschreibt Gartenanlagen, die nicht echt existieren. Entwickelt so Gärten für Leute, die sich keinen eigenen Grund und Boden leisten können. Für den schriftlichen Entwurf der Gartenbeschreibungen wird er bezahlt. Und in diesem Sinne geht es weiter mit der Beschreibung der Kinder von Frau Ming. Inzwischen bestaunt der Franzose die Erfindergabe der Frau. Unsicher wird er, als einer der Geschäftspartner von der Frau erzählt, dass er selbst bei ihr zu Hause war und Unterlagen und Briefe der zehn Kinder sah. Er hat ihr also doch unrecht getan; die Kinder existieren? So freut er sich auf jeden Tag, an dem er mit ihr reden kann, aber eines Morgens sitzt eine andere Frau in der Toilette. Frau Ming habe einen Unfall gehabt. Der Franzose besucht sie im Spital und dabei trifft er auf die zehnte Tochter. Nun kann er mit einem realen Kind von Frau Ming sprechen, muss aber erfahren, dass die Kinder alle von ihr, der einzigen Tochter erfunden sind. Sie hat es mit einem sehr ausgeklügelten System gemacht und lässt an einem Tag sogar alle „gefakten Kinder“ auftreten. Alles Menschen aus ihrem Freundeskreis. Zum ersten Mal brachte sie sie live zusammen und die „Mama schwebt im siebenten Himmel“. (Seite 103) Nachdem alle Verträge abgeschlossen sind, kehrt er nach Frankreich zurück und erfährt, dass sein Sohn geboren wurde. Wie er sich als Vater verhält, erfahren sie, wenn sie das Buch lesen.
HABELER, Peter
2022.
@book{HABELER2022,
title = {Das Ziel ist der Gipfel},
author = {Peter HABELER},
year = {2022},
date = {2022-06-22},
abstract = {HABELER, Peter: „Das Ziel ist der Gipfel“, Innsbruck Wien 2022
Der 1942 geborene Bergsteiger blickt nach 80 Jahren auf sein Leben zurück. Wie er, aus einfachen Verhältnissen kommend, zu einem der weltweit besten Bergsteiger wurde. 1978 hat er mit Reinhold Messner den Mount Everest ohne Sauerstoff bestiegen. Aber schon als Jugendlicher war er regelmäßig in den Bergen. „Mit 16 Jahren verdiente ich das erste Mal ein Paar Schilling, als wir mit Engländern unterwegs waren, am Möseler.“ (Seite 91) Sein Auftritt war dabei nicht der beste, denn er rutschte ab und wurde vom Bergführer noch gefangen. Gelernt hat er Glasmalerei, aber er fühlte sich nie als Künstler und war daher froh, dass er als Schilehrer und Bergführer sein Geld verdienen konnte. 1965 bestand er die Bergführerprüfung. „Die Ausbildung war begehrt, Bergführer war ein angesehener und toller Beruf. Man verdiente relativ gut.“ (Seite 101) So konnte er sich bald ein eigenes Haus leisten und seiner Familie ein Zuhause bieten, obwohl er viel unterwegs war. Keiner seiner Söhne nahm den Beruf des Vaters an, worüber er froh ist. Er selbst wurde vom Bergführer zum Unternehmer und hat seine eigene Schi- und Alpinschule. Ausführlich erzählt er auch, wie er mit dem damaligen Bundeskanzler Schüssel in die Berge ging. Er lobt seinen „Kunden“, dass er ein sehr einfacher und freundlicher Mensch sei.
Auf der ganzen Welt ist er schon geklettert und hat Berge bestiegen. Im vorliegenden Buch werden Rückblicke und Einblicke dieser Abenteuer gegeben.
Mehrere Kapitel des Buches sind Interviews, die die Co-Autorin Karin Steinbach mit Habeler gemacht hat. So entsteht ein Dialog. Nicht nur im Interview, sondern die Interviews nehmen Bezug auf das jeweils vorangegangene Kapitel von Peter Habeler selbst.
Wenn das Buch nicht nur für Insider gedacht ist, so würde ich dem Verlag empfehlen im Anhang einen Lebenslauf und eine Tabelle mit den Highlights von Peter Habeler zu bringen.
Der Titel des Buches heißt „Das Ziel ist der Gipfel“ und das war und ist auch das Motto Habelers. Dazu gehört das Hüttenleben genauso wie die Schwierigkeiten und Anstrengungen des Kletterns.
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Der 1942 geborene Bergsteiger blickt nach 80 Jahren auf sein Leben zurück. Wie er, aus einfachen Verhältnissen kommend, zu einem der weltweit besten Bergsteiger wurde. 1978 hat er mit Reinhold Messner den Mount Everest ohne Sauerstoff bestiegen. Aber schon als Jugendlicher war er regelmäßig in den Bergen. „Mit 16 Jahren verdiente ich das erste Mal ein Paar Schilling, als wir mit Engländern unterwegs waren, am Möseler.“ (Seite 91) Sein Auftritt war dabei nicht der beste, denn er rutschte ab und wurde vom Bergführer noch gefangen. Gelernt hat er Glasmalerei, aber er fühlte sich nie als Künstler und war daher froh, dass er als Schilehrer und Bergführer sein Geld verdienen konnte. 1965 bestand er die Bergführerprüfung. „Die Ausbildung war begehrt, Bergführer war ein angesehener und toller Beruf. Man verdiente relativ gut.“ (Seite 101) So konnte er sich bald ein eigenes Haus leisten und seiner Familie ein Zuhause bieten, obwohl er viel unterwegs war. Keiner seiner Söhne nahm den Beruf des Vaters an, worüber er froh ist. Er selbst wurde vom Bergführer zum Unternehmer und hat seine eigene Schi- und Alpinschule. Ausführlich erzählt er auch, wie er mit dem damaligen Bundeskanzler Schüssel in die Berge ging. Er lobt seinen „Kunden“, dass er ein sehr einfacher und freundlicher Mensch sei.
Auf der ganzen Welt ist er schon geklettert und hat Berge bestiegen. Im vorliegenden Buch werden Rückblicke und Einblicke dieser Abenteuer gegeben.
Mehrere Kapitel des Buches sind Interviews, die die Co-Autorin Karin Steinbach mit Habeler gemacht hat. So entsteht ein Dialog. Nicht nur im Interview, sondern die Interviews nehmen Bezug auf das jeweils vorangegangene Kapitel von Peter Habeler selbst.
Wenn das Buch nicht nur für Insider gedacht ist, so würde ich dem Verlag empfehlen im Anhang einen Lebenslauf und eine Tabelle mit den Highlights von Peter Habeler zu bringen.
Der Titel des Buches heißt „Das Ziel ist der Gipfel“ und das war und ist auch das Motto Habelers. Dazu gehört das Hüttenleben genauso wie die Schwierigkeiten und Anstrengungen des Kletterns.
MORNSTAJNOVA, Alena:
2022.
@book{MORNSTAJNOVA2022,
title = {Es geschah im November},
author = {MORNSTAJNOVA, Alena:},
year = {2022},
date = {2022-06-17},
abstract = {MORNSTAJNOVA, Alena: „Es geschah im November“, Klagenfurt 2022
Die tschechische Autorin veröffentlichte seit 2013 fünf Romane und drei Kinderbücher. Ihre Romane wurden in 14 Sprachen übersetzt und dieser ist jetzt auch auf Deutsch verfügbar. Sie ist – und das ist für das Thema des hier besprochenen Buches wichtig – 1962 geboren. Sie erzählt also aus einer Zeit vor der politischen Wende; eine Zeit, die sie selbst bewusst erlebt hatte. Es beginnt mit den Demonstrationen im Jahr 1989. In ihrem Roman geht es aber nicht zugunsten der Aufständischen aus, sondern das kommunistische System schlägt zurück und inhaftiert alle, die an einer Veränderung des Systems gearbeitet haben. Sie bringt dies sehr anschaulich am Beispiel einer jungen Familie. Wie sie aufgewachsen sind, wie es zur Ehe und der Familiengründung kam. Während die zwei Kinder bei den Großeltern sind, weil die Eltern die Wohnung neu ausmalen, werden sie in der Nacht – so wie viel andere – verhaftet. Erzählt werden (sehr anschaulich!) die Haftverhältnisse. Beim Lesen fragte ich mich „Muss eine Dichterin selbst in einem Gefängnis gesessen haben, um die Verhältnisse so genau beschreiben zu können?“ Wie auch immer. Sie kann es und zieht beim Lesen in den Bann.
Maria hat ihren Ehemann nie mehr gesehen. 15 Jahre war sie in Haft. Mit Nichts wurde sie entlassen. Der Vater half ihr weiter. Sie wurde einer Zwangsarbeit am Land zugeteilt, wo sie sich ein neues Leben aufbaute. Bei ihrer Verhaftung waren die zwei Kinder bei den Großeltern. Sie sehnte sich, die Kinder wieder zu sehen. Der Vater musste ihr aber gestehen, dass beide weg sind. Der Bub – ein voreheliches Kind mit einem Oberarzt – wurde von diesem in den Westen entführt. Das Mädchen kam in eine Umerziehungsanstalt und machte Karriere. Erst als sie erfolgreiche Journalistin und Autorin ist, bekommt sie ersten Kontakt mit der Mutter, der aber mit Missverständnissen auseinandergeht. Als sie dann wieder Kontakt aufnehmen will, muss sie erfahren, dass die Mutter bei einer Flucht in den Westen erschossen wurde.
Mornstajnova ist eine anerkannte Schriftstellerin. 2019 wurde eines ihrer Bücher vom Publikum zum „Buch des Jahres“ gekürt. Es ist wert Bücher diese Autorin zu lesen.
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Die tschechische Autorin veröffentlichte seit 2013 fünf Romane und drei Kinderbücher. Ihre Romane wurden in 14 Sprachen übersetzt und dieser ist jetzt auch auf Deutsch verfügbar. Sie ist – und das ist für das Thema des hier besprochenen Buches wichtig – 1962 geboren. Sie erzählt also aus einer Zeit vor der politischen Wende; eine Zeit, die sie selbst bewusst erlebt hatte. Es beginnt mit den Demonstrationen im Jahr 1989. In ihrem Roman geht es aber nicht zugunsten der Aufständischen aus, sondern das kommunistische System schlägt zurück und inhaftiert alle, die an einer Veränderung des Systems gearbeitet haben. Sie bringt dies sehr anschaulich am Beispiel einer jungen Familie. Wie sie aufgewachsen sind, wie es zur Ehe und der Familiengründung kam. Während die zwei Kinder bei den Großeltern sind, weil die Eltern die Wohnung neu ausmalen, werden sie in der Nacht – so wie viel andere – verhaftet. Erzählt werden (sehr anschaulich!) die Haftverhältnisse. Beim Lesen fragte ich mich „Muss eine Dichterin selbst in einem Gefängnis gesessen haben, um die Verhältnisse so genau beschreiben zu können?“ Wie auch immer. Sie kann es und zieht beim Lesen in den Bann.
Maria hat ihren Ehemann nie mehr gesehen. 15 Jahre war sie in Haft. Mit Nichts wurde sie entlassen. Der Vater half ihr weiter. Sie wurde einer Zwangsarbeit am Land zugeteilt, wo sie sich ein neues Leben aufbaute. Bei ihrer Verhaftung waren die zwei Kinder bei den Großeltern. Sie sehnte sich, die Kinder wieder zu sehen. Der Vater musste ihr aber gestehen, dass beide weg sind. Der Bub – ein voreheliches Kind mit einem Oberarzt – wurde von diesem in den Westen entführt. Das Mädchen kam in eine Umerziehungsanstalt und machte Karriere. Erst als sie erfolgreiche Journalistin und Autorin ist, bekommt sie ersten Kontakt mit der Mutter, der aber mit Missverständnissen auseinandergeht. Als sie dann wieder Kontakt aufnehmen will, muss sie erfahren, dass die Mutter bei einer Flucht in den Westen erschossen wurde.
Mornstajnova ist eine anerkannte Schriftstellerin. 2019 wurde eines ihrer Bücher vom Publikum zum „Buch des Jahres“ gekürt. Es ist wert Bücher diese Autorin zu lesen.
VÁSQUEZ, Juan Gabriel
Lieder für die Feuersbrunst Buch
2022.
@book{VÁSQUEZ2022,
title = {Lieder für die Feuersbrunst},
author = {Juan Gabriel VÁSQUEZ},
year = {2022},
date = {2022-06-13},
abstract = {Hinterbrühl-Wöglerin-Heiligenkreuz-Hinterbrühl,
Montag 13. Juni 2022
Endlich wieder länger schlafen. Nini machte es möglich, dass wir heute, am ersten Tag nach dem Urlaub, nicht mit Florian zur Schule gehen mussten. Ich war zwar um ½ 7 Uhr auf, bin aber irgendwie doch wieder eingeschlafen. Um 9 Uhr standen wir dann auf und frühstückten. Ich setzte mich dann aufs Rad und fuhr über Gaaden, Sulz zur Wöglerin hinauf und in Gruberau hinunter nach Heiligenkreuz, wo ich im Gastgarten einen Kaffee trank. Der neue Radweg nach Gaaden ist fast fertig. Nach zwei Stunden war ich wieder zu Hause. Ich merkte beim Fahren, dass ich noch nicht fit bin. Die Verkühlung oder was immer das mit den Viren war, steckt noch in mir und ich hoffe, dass es bis zu meiner Radtour ausgeheilt ist. Lorli kochte dann Dinge, die sie im Kühlschrank hatte. Nach dem Mittagessen fuhr sie einkaufen. Ich schrieb einige Tage im Tagebuch nach. Als sie nach Hause kam aß ich ein Eis, das sie mitbrachte und dann machten wir uns einen Kaffee. Im Garten hatte ich den Liegestuhl aufgestellt. Am späteren Nachmittag schnitt ich dann die Hecke und auch jene bei Nini. Den Schnitt brachte ich noch in die grüne Mülltonne. Am Abend hatten wir ein Telefonat mit Magda. Sie klang noch sehr verschnupft und beide – auch Peter – haben große Nachwirkungen ihrer Coronakrankheit. Magda hatte ihren Geschmackssinn verloren, der aber langsam wieder zurückkommt. Beide sind sie aber immer müde und es ist ihnen ständig im Magen schlecht. In zwei Wochen wollen sie in Urlaub fahren und hoffen, dass sie bis dahin geheilt sind. Seit Langem sahen wir wieder Abendnachrichten im Fernsehen. Eigentlich habe ich das Interesse dazu verloren, weil dies alles sehr dumm und primitiv ist. Später kam Nini und gratulierte mir zum Vatertag. Am Abend habe ich das Buch von Vásquez ausgelesen. Zwei Wochen lag es unbenützt in meinem Reisegepäck.
VÁSQUEZ, Juan Gabriel: „Lieder für die Feuersbrunst“, Frankfurt 2021
Seminare, Konferenzen, Tagungen und Symposien sind Einrichtungen zum Lernen; zur Weiterbildung. Lebenslanges Lernen. So auch die Literaturtage „Literatur & Wein“, die jedes Jahr im Stift Göttweig stattfinden. Die Veranstalter verstehen es immer schon bekannte Dichter und jene, die (vielleicht nur in unserem Land) noch nicht so bekannt sind zu präsentieren. Also neue. Weiterbildung.
So ging es mir mit Juan Gabriel Vásquez aus Kolumbien. In seinem Heimatland ist er ein bekannter Schriftsteller und nun kennen ihn auch wir Österreicher. Als einfachen Einstieg in die Dichtkunst von Vásquez empfehle ich die „Lieder für die Feuersbrunst“. Neun Kurzgeschichten sind in diesem Buch zusammengefasst. Sie erzählen von aufs erste belanglos wirkenden Szenen. Unabhängig von der großartigen Ausdrucksweise des Schreibers, stellen sie sich dann doch als Meilensteine der Weltgeschichte dar.
„Frau am Ufer“: Einleitend erklärt er, dass er über Menschen nur schreibt, wenn er deren Einwilligung bekommen hat. So war es auch bei einer Geschichte, die ihm eine Fotografin erzählte. Sie spielt auf einer kolumbianischen Farm, wo sie einige Tage entspannenden Urlaub machte und eine Gruppe um einen bekannten Politiker kennenlernte. Bei einem Ausritt stürzt eine Frau vom Pferd. Sie ist schwer verletzt. Da sie eine Vertraute des Politikers ist, macht sich dieser Sorgen und es kommt zu nächtlichen Gesprächen zwischen der Fotografin und dem Politiker. Zwanzig Jahre später trifft sie diese Frau wieder in derselben Farm. Es kommt zum Gespräch, bei dem die fremde Frau die Fotografin aber nicht erkennt.
„Der Doppelgänger“: Zwei Freunde wurden zum Militärdienst eingezogen. Einer war nicht tauglich. Der andere bekam seine Stelle und starb im Krieg. In der Geschichte werden die Gewissensbisse des Überlebenden literarisch verarbeitet.
„Die Frösche“: Bei einem Kriegsveteranentreffen tritt eine Frau auf, die dem Erzähler bekannt vorkommt. Er erinnert sich. Sie war eine vornehme Frau. Die Verlobte eines Offiziers, der im Krieg war. Sie wurde schwanger. Er, der Erzähler, verdiente sich damit Geld, Frösche für ein Labor zu sammeln. Die Frösche wurden dafür verwendet, um festzustellen, ob eine Frau schwanger war. Die Frau, die er hier wieder traf, sprach ihn vor dem Labor an und bat ihn, ihr einen Schwangerschaftstest machen zu lassen, bei dem sie anonym bleiben konnte.
„Schlechte Nachrichten“: Während seines Paris Aufenthalts lernt Vásquez einen ehemaligen amerikanischen Militärpiloten kennen. Es passiert, während eines, auf einem Großbildschirm am Pariser Rathaus übertragenen Fußballmatches, in dem die USA gegen den Iran spielen und der Iran gewinnt. Der Helikopterpilot erzählt von seiner Stationierung in der amerikanischen Militärbasis Rota, die ihre größte in Europa ist. Der fremde Amerikaner erzählt auch von einem talentierten Pilotenkollegen und der Schriftsteller fragt sich laufend „Warum erzählt mir der das?“ Dieser Pilot sei bei einem Unfall umgekommen, und er, sein Freund, sollte die Frau informieren. Detailliert erzählt er, wie er die schlechte Meldung weitergab.
Nach einigen Jahren übersiedelt der Schreiber dieser Kurzgeschichte nach Barcelona und die Militärbase Rota kam ihm wieder in den Sinn. Bei einem Familienurlaub in Malaga sucht er die Witwe auf und bekommt eine gänzlich andere Version erzählt.
„Wir“: Ein Freund war verschwunden. Spurlos war er weg. Seine Freunde spekulieren und interpretieren. Über soziale Medien werden Kommentare abgegeben. Der Dichter lässt daraus eine Kurzgeschichte entstehen.
„Flughafen“: Der Schreiber dieser Geschichte wurde als Statist für einen Film engagiert, der auf einem Pariser Flughafen gedreht wurde. Dabei lernt er den Regisseur Polanski kennen. Aus der Sicht eines einfachen Statisten beschreibt Vásquez das Entstehen einer Filmszene
„Die Jungen“: In einem Nobelviertel, einem gut bewachten Compound entstand eine Jungendbande. Söhne von wohlhabenden Eltern werden zu Schlägern. Auf Vorschlag eines Bandenmitglieds wird eine Mordszene nachgestellt. Zwei Welten, die hier aufeinandertreffen: die Reichen und die verwahrlosten Kinder.
„Der letzte Corrido“: Der Autor erhielt den Auftrag, eine lateinamerikanische Band bei ihrer Spanientournee zu begleiten und einen Bericht darüber zu schreiben. Sie treten in Barcelona, Valencia, Madrid und am Ende in Cartagena auf. Er wurde von den Bandmitgliedern behandelt „wie ein Gast, der auf dem Fest nicht willkommen war.“ Er war für sie ein „literarischer Paparazzo“. Letztlich stellte er fest, dass die Band dieselbe Tournee vor 5 Jahren schon gemacht hatte. Nach dem letzten Konzert schied ihr Gründer und Leadsänger aus. Er gestand Krebs zu haben sich den Kehlkopf rausschneiden zu lassen. Damit verlor er seine Stimme. Der bekannte Sänger wurde stimmlos. Er wollte aber das letzte Konzert noch singen, weil aus dieser Tournee eine Schallplatte entstehen sollte. „All die Tage hat er sich Kortison gespritzt, allein in seinem Zimmer. Hat die Spitzen selbst aufgezogen, da muss man schon ein Kerl sein.“ (Seite 180) erzählte ihm der derzeitige Leadsänger. Sehr emotionell wird hier von einer Konzerttournee geschrieben, die es aber fünf Jahre vorher schon gegeben hat und nach der sie den Gründer der Band, die 1968 entstand, verloren hatten. Der „Paparazzi Vásquez“ zeigt sich in dieser Geschichte als literarischer Akrobat, der Emotionen beschreibt, die keinen Leser tränenlos zurücklassen.
„Lieder für die Feuersbrunst“: Eine Geschichte, die aus Recherchearbeiten für einen Roman entstanden sind. Die Hauptperson ist eine junge Frau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als uneheliche Tochter eines kolumbianischen Soldaten in Europa geboren wurde. Der Vater stirbt im Krieg, die Mutter versucht sich zu den Großeltern nach Kolumbien, wo diese eine Kaffeeplantage besitzen, durchzuschlagen. Der Autor beschreibt, wie sich das Mädchen nach einer Schulbildung in einem Klosterinternat sehr liberal entwickelt und zur Journalistin avanciert. Vieles stellt sie in Frage und wird auf einem Friedhof begraben, wo nur jene beerdigt werden, denen die Kirche eine Bestattung am offiziellen (katholischen Friedhof) verweigert.
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Montag 13. Juni 2022
Endlich wieder länger schlafen. Nini machte es möglich, dass wir heute, am ersten Tag nach dem Urlaub, nicht mit Florian zur Schule gehen mussten. Ich war zwar um ½ 7 Uhr auf, bin aber irgendwie doch wieder eingeschlafen. Um 9 Uhr standen wir dann auf und frühstückten. Ich setzte mich dann aufs Rad und fuhr über Gaaden, Sulz zur Wöglerin hinauf und in Gruberau hinunter nach Heiligenkreuz, wo ich im Gastgarten einen Kaffee trank. Der neue Radweg nach Gaaden ist fast fertig. Nach zwei Stunden war ich wieder zu Hause. Ich merkte beim Fahren, dass ich noch nicht fit bin. Die Verkühlung oder was immer das mit den Viren war, steckt noch in mir und ich hoffe, dass es bis zu meiner Radtour ausgeheilt ist. Lorli kochte dann Dinge, die sie im Kühlschrank hatte. Nach dem Mittagessen fuhr sie einkaufen. Ich schrieb einige Tage im Tagebuch nach. Als sie nach Hause kam aß ich ein Eis, das sie mitbrachte und dann machten wir uns einen Kaffee. Im Garten hatte ich den Liegestuhl aufgestellt. Am späteren Nachmittag schnitt ich dann die Hecke und auch jene bei Nini. Den Schnitt brachte ich noch in die grüne Mülltonne. Am Abend hatten wir ein Telefonat mit Magda. Sie klang noch sehr verschnupft und beide – auch Peter – haben große Nachwirkungen ihrer Coronakrankheit. Magda hatte ihren Geschmackssinn verloren, der aber langsam wieder zurückkommt. Beide sind sie aber immer müde und es ist ihnen ständig im Magen schlecht. In zwei Wochen wollen sie in Urlaub fahren und hoffen, dass sie bis dahin geheilt sind. Seit Langem sahen wir wieder Abendnachrichten im Fernsehen. Eigentlich habe ich das Interesse dazu verloren, weil dies alles sehr dumm und primitiv ist. Später kam Nini und gratulierte mir zum Vatertag. Am Abend habe ich das Buch von Vásquez ausgelesen. Zwei Wochen lag es unbenützt in meinem Reisegepäck.
VÁSQUEZ, Juan Gabriel: „Lieder für die Feuersbrunst“, Frankfurt 2021
Seminare, Konferenzen, Tagungen und Symposien sind Einrichtungen zum Lernen; zur Weiterbildung. Lebenslanges Lernen. So auch die Literaturtage „Literatur & Wein“, die jedes Jahr im Stift Göttweig stattfinden. Die Veranstalter verstehen es immer schon bekannte Dichter und jene, die (vielleicht nur in unserem Land) noch nicht so bekannt sind zu präsentieren. Also neue. Weiterbildung.
So ging es mir mit Juan Gabriel Vásquez aus Kolumbien. In seinem Heimatland ist er ein bekannter Schriftsteller und nun kennen ihn auch wir Österreicher. Als einfachen Einstieg in die Dichtkunst von Vásquez empfehle ich die „Lieder für die Feuersbrunst“. Neun Kurzgeschichten sind in diesem Buch zusammengefasst. Sie erzählen von aufs erste belanglos wirkenden Szenen. Unabhängig von der großartigen Ausdrucksweise des Schreibers, stellen sie sich dann doch als Meilensteine der Weltgeschichte dar.
„Frau am Ufer“: Einleitend erklärt er, dass er über Menschen nur schreibt, wenn er deren Einwilligung bekommen hat. So war es auch bei einer Geschichte, die ihm eine Fotografin erzählte. Sie spielt auf einer kolumbianischen Farm, wo sie einige Tage entspannenden Urlaub machte und eine Gruppe um einen bekannten Politiker kennenlernte. Bei einem Ausritt stürzt eine Frau vom Pferd. Sie ist schwer verletzt. Da sie eine Vertraute des Politikers ist, macht sich dieser Sorgen und es kommt zu nächtlichen Gesprächen zwischen der Fotografin und dem Politiker. Zwanzig Jahre später trifft sie diese Frau wieder in derselben Farm. Es kommt zum Gespräch, bei dem die fremde Frau die Fotografin aber nicht erkennt.
„Der Doppelgänger“: Zwei Freunde wurden zum Militärdienst eingezogen. Einer war nicht tauglich. Der andere bekam seine Stelle und starb im Krieg. In der Geschichte werden die Gewissensbisse des Überlebenden literarisch verarbeitet.
„Die Frösche“: Bei einem Kriegsveteranentreffen tritt eine Frau auf, die dem Erzähler bekannt vorkommt. Er erinnert sich. Sie war eine vornehme Frau. Die Verlobte eines Offiziers, der im Krieg war. Sie wurde schwanger. Er, der Erzähler, verdiente sich damit Geld, Frösche für ein Labor zu sammeln. Die Frösche wurden dafür verwendet, um festzustellen, ob eine Frau schwanger war. Die Frau, die er hier wieder traf, sprach ihn vor dem Labor an und bat ihn, ihr einen Schwangerschaftstest machen zu lassen, bei dem sie anonym bleiben konnte.
„Schlechte Nachrichten“: Während seines Paris Aufenthalts lernt Vásquez einen ehemaligen amerikanischen Militärpiloten kennen. Es passiert, während eines, auf einem Großbildschirm am Pariser Rathaus übertragenen Fußballmatches, in dem die USA gegen den Iran spielen und der Iran gewinnt. Der Helikopterpilot erzählt von seiner Stationierung in der amerikanischen Militärbasis Rota, die ihre größte in Europa ist. Der fremde Amerikaner erzählt auch von einem talentierten Pilotenkollegen und der Schriftsteller fragt sich laufend „Warum erzählt mir der das?“ Dieser Pilot sei bei einem Unfall umgekommen, und er, sein Freund, sollte die Frau informieren. Detailliert erzählt er, wie er die schlechte Meldung weitergab.
Nach einigen Jahren übersiedelt der Schreiber dieser Kurzgeschichte nach Barcelona und die Militärbase Rota kam ihm wieder in den Sinn. Bei einem Familienurlaub in Malaga sucht er die Witwe auf und bekommt eine gänzlich andere Version erzählt.
„Wir“: Ein Freund war verschwunden. Spurlos war er weg. Seine Freunde spekulieren und interpretieren. Über soziale Medien werden Kommentare abgegeben. Der Dichter lässt daraus eine Kurzgeschichte entstehen.
„Flughafen“: Der Schreiber dieser Geschichte wurde als Statist für einen Film engagiert, der auf einem Pariser Flughafen gedreht wurde. Dabei lernt er den Regisseur Polanski kennen. Aus der Sicht eines einfachen Statisten beschreibt Vásquez das Entstehen einer Filmszene
„Die Jungen“: In einem Nobelviertel, einem gut bewachten Compound entstand eine Jungendbande. Söhne von wohlhabenden Eltern werden zu Schlägern. Auf Vorschlag eines Bandenmitglieds wird eine Mordszene nachgestellt. Zwei Welten, die hier aufeinandertreffen: die Reichen und die verwahrlosten Kinder.
„Der letzte Corrido“: Der Autor erhielt den Auftrag, eine lateinamerikanische Band bei ihrer Spanientournee zu begleiten und einen Bericht darüber zu schreiben. Sie treten in Barcelona, Valencia, Madrid und am Ende in Cartagena auf. Er wurde von den Bandmitgliedern behandelt „wie ein Gast, der auf dem Fest nicht willkommen war.“ Er war für sie ein „literarischer Paparazzo“. Letztlich stellte er fest, dass die Band dieselbe Tournee vor 5 Jahren schon gemacht hatte. Nach dem letzten Konzert schied ihr Gründer und Leadsänger aus. Er gestand Krebs zu haben sich den Kehlkopf rausschneiden zu lassen. Damit verlor er seine Stimme. Der bekannte Sänger wurde stimmlos. Er wollte aber das letzte Konzert noch singen, weil aus dieser Tournee eine Schallplatte entstehen sollte. „All die Tage hat er sich Kortison gespritzt, allein in seinem Zimmer. Hat die Spitzen selbst aufgezogen, da muss man schon ein Kerl sein.“ (Seite 180) erzählte ihm der derzeitige Leadsänger. Sehr emotionell wird hier von einer Konzerttournee geschrieben, die es aber fünf Jahre vorher schon gegeben hat und nach der sie den Gründer der Band, die 1968 entstand, verloren hatten. Der „Paparazzi Vásquez“ zeigt sich in dieser Geschichte als literarischer Akrobat, der Emotionen beschreibt, die keinen Leser tränenlos zurücklassen.
„Lieder für die Feuersbrunst“: Eine Geschichte, die aus Recherchearbeiten für einen Roman entstanden sind. Die Hauptperson ist eine junge Frau, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts als uneheliche Tochter eines kolumbianischen Soldaten in Europa geboren wurde. Der Vater stirbt im Krieg, die Mutter versucht sich zu den Großeltern nach Kolumbien, wo diese eine Kaffeeplantage besitzen, durchzuschlagen. Der Autor beschreibt, wie sich das Mädchen nach einer Schulbildung in einem Klosterinternat sehr liberal entwickelt und zur Journalistin avanciert. Vieles stellt sie in Frage und wird auf einem Friedhof begraben, wo nur jene beerdigt werden, denen die Kirche eine Bestattung am offiziellen (katholischen Friedhof) verweigert.
Bartoszewski, Wladyslaw
Es lohnt sich anständig zu sein. Meine Erinnerungen. Mit der Rede zum 8.Mai Buch
2022.
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title = {Es lohnt sich anständig zu sein. Meine Erinnerungen. Mit der Rede zum 8.Mai},
author = {Wladyslaw Bartoszewski},
year = {2022},
date = {2022-05-30},
abstract = {BARTOSZEWSKI, Wladyslaw: „Es lohnt sich anständig zu sein. Meine Erinnerungen. Mit der Rede zum 8.Mai“, Freiburg 1995
Ein großartiger Mensch, der in diesem Buch seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben hatte. Dabei zeigt er sich auch als ausgezeichneter Schriftsteller. Ich durfte ihn mehrmals treffen und konnte so selbst erleben, welches Charisma von diesem Menschen ausging. Vor allem aber ist er ein sehr verzeihender Mensch. Mehrmals war er eingesperrt – unter den Nationalsozialisten, den Russen und der polnischen Regierung. Acht Jahre seines Lebens verbrachte er in Kerkern. Er war Häftling in Auschwitz, obwohl er kein Jude war, diesen aber geholfen hatte. „Weil ich eine große Nase habe, wurde auch ich für einen Juden gehalten.“ (Seite 30) „In Auschwitz“, so schreibt er, „wurden wir erniedrigt … Am 22. September 1940 kam Lagerkommandant Fritsch und sagte „Ja, seht ihr den Kamin da drüben, seht ihr dort drüben, dort ist das Krematorium. Alles zum Krematorium, 3000 Grad Hitze.“ (Seite 42) Bartoszewski hat die ersten Menschen gesehen, die zum Verbrennen gebracht wurden. Zu Weihnachten wurde für die Häftlinge ein Tannenbaum aufgestellt, der mit elektrischen Kerzen beleuchtet war. Darunter legte man nicht Geschenke, sondern Lagerleichen.
Im Untergrund hat er gekämpft und damit sein Leben riskiert. Er sieht einen Grund in der Judenverfolgung in den Ursprüngen der katholischen Religion. „Die Juden haben unseren Jesus ermordet.“ (Seite 32)
Und trotz all dieser Erlebnisse war er nicht nachtragend und versuchte nicht voreingenommen zu sein. Bartoszewski ist nicht verbittert und er sann nicht nach Rache, „ganz im Gegenteil. Ich möchte junge Menschen in allen Ländern Europas und der Welt das ersparen, was ich erleben musste.“ (Seite 68) Er kann dies, weil er zwischen System und Mensch unterscheidet. „Ich halte die einzelnen Menschen nicht für schuldig, auch nicht meine Vernehmungsoffiziere. Auch nicht die, die mich unter diesem System verurteilt haben. Ich unterscheide zwischen System und Mensch. In dem Sinn suche ich nicht die Rache, auch nicht die prinzipielle Abrechnung. Ich suche die Abrechnung von oben, nicht von unten her. Nicht von denen, die die Befehle angenommen haben, sondern von denen, die sie befohlen haben.“ (Seite 110)
Sehr persönlich werden weltpolitische Ereignisse erzählt, wie etwa die Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland. „Es war etwa 12,30 Uhr, der Priester predigte. Plötzlich kam ein Bote mit einem Zettel, und der Priester sagte „Ich unterbreche jetzt meine Predigt, denn ich muss eine gute Nachricht verlesen. Wir sind nicht allein, Großbritannien ist in den Krieg eingetreten für unser Land.“ Er stimmte das „Te Deum laudamus“ an. Alle Menschen in der Kirche weinten.“ (Seite 27) Als Sanitäter erlebte er den Krieg vor seiner Haustür. „Aber die Brandbomben fielen auf den Rasen und ich sah, wie die Menschen, Frauen, Männer, Junge, Alte, Kinder, auf diesem riesigen Vorplatz wie Fackeln verbrannten, schreiend und weinend, andere ohnmächtig still. Brandbomben wie Lichter am Weihnachtsbaum. Lebende Menschen, lebende Fackeln, bei lebendigem Leib verbrannt.“ (Seite 29)
Aussagen über die Situation Warschaus im Zweiten Weltkrieg erinnern an die heutige Situation in der Ukraine.
Auf Vermittlung Heinrich Bölls kam er 1965 erstmals ins Ausland und nach Deutschland wo er sich für ein friedliches Zusammenleben der beiden Völker Deutschland und Polen einsetzte. „Es kann keine allgemeine Rache geben. Ein allgemeines Gefühl der Rache bringt dem Rächer noch größeren Schaden als dem Opfer, weil er in seinem Rachegefühl nicht mehr zu sich selbst zurückfindet.“ (Seite 99)
Bartoszewski ist ein wichtiger Zeitzeuge und in diesem Buch hält er das Erlebte für die nachkommenden Generationen fest. „Ich habe dieses Land nicht gewählt. Ich habe Auschwitz nicht ausgesucht. Auch habe ich in Polen den Einmarsch der Russen nicht begeistert begrüßt. Ich hätte bei uns lieber die Amerikaner und die Engländer gesehen. Polen wäre mir als neutrales Land lieber. Mindestens so neutral wie Finnland, eher noch wie Österreich. … Ich lebe in einem Land, wo ich zu einer kleinen Minderheit gehöre. Nicht wegen meiner Weltanschauung, meiner Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, ganz im Gegenteil. Sondern aufgrund der Erfahrung. Zwei Drittel der Menschen bei uns sind nach dem Zweiten Weltkrieg geboren und erzogen worden. Sie haben diese Erfahrungen nicht.“ (Seite 106) Als Bartoszewski 2015 starb, ging ein wichtiger Zeitzeuge verloren. In diesem Buch bleibt aber sein Gedankengut erhalten.
In der Ausgabe aus dem Jahr 1995 ist am Ende noch eine Rede Bartoszewski vor dem deutschen Bundestag und Bundesrat vom 28. April 1995 abgedruckt. Darin geht Bartoszewski in die deutsch-polnische Beziehung ein. Er verweist darin, dass etwa 100.000 Polen als Soldaten in den Armeen der Alliierten des Zweiten Weltkriegs gekämpft haben. Auch das Verhältnis der Nationalsozialisten zu den Juden und Polen sprach er offen an: „Die Hitler-Okkupation sprach den Juden das Recht auf Leben ab. Den Polen sprach er das Recht ab, Mensch zu sein und behandelte sie als „Untermenschen“, für die es keinen Platz in der gesamteuropäischen Kultur gab. Das stalinistische Nachkriegssystem verabreichte den Polen – ähnlich wie den Deutschen in der DDR – eine „antinationalistische“ Therapie…“ (Seite 123) Unermüdlich setzte sich Bartoszewski für eine friedliche und freundschaftliche Kooperation der beiden Länder ein.
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Ein großartiger Mensch, der in diesem Buch seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben hatte. Dabei zeigt er sich auch als ausgezeichneter Schriftsteller. Ich durfte ihn mehrmals treffen und konnte so selbst erleben, welches Charisma von diesem Menschen ausging. Vor allem aber ist er ein sehr verzeihender Mensch. Mehrmals war er eingesperrt – unter den Nationalsozialisten, den Russen und der polnischen Regierung. Acht Jahre seines Lebens verbrachte er in Kerkern. Er war Häftling in Auschwitz, obwohl er kein Jude war, diesen aber geholfen hatte. „Weil ich eine große Nase habe, wurde auch ich für einen Juden gehalten.“ (Seite 30) „In Auschwitz“, so schreibt er, „wurden wir erniedrigt … Am 22. September 1940 kam Lagerkommandant Fritsch und sagte „Ja, seht ihr den Kamin da drüben, seht ihr dort drüben, dort ist das Krematorium. Alles zum Krematorium, 3000 Grad Hitze.“ (Seite 42) Bartoszewski hat die ersten Menschen gesehen, die zum Verbrennen gebracht wurden. Zu Weihnachten wurde für die Häftlinge ein Tannenbaum aufgestellt, der mit elektrischen Kerzen beleuchtet war. Darunter legte man nicht Geschenke, sondern Lagerleichen.
Im Untergrund hat er gekämpft und damit sein Leben riskiert. Er sieht einen Grund in der Judenverfolgung in den Ursprüngen der katholischen Religion. „Die Juden haben unseren Jesus ermordet.“ (Seite 32)
Und trotz all dieser Erlebnisse war er nicht nachtragend und versuchte nicht voreingenommen zu sein. Bartoszewski ist nicht verbittert und er sann nicht nach Rache, „ganz im Gegenteil. Ich möchte junge Menschen in allen Ländern Europas und der Welt das ersparen, was ich erleben musste.“ (Seite 68) Er kann dies, weil er zwischen System und Mensch unterscheidet. „Ich halte die einzelnen Menschen nicht für schuldig, auch nicht meine Vernehmungsoffiziere. Auch nicht die, die mich unter diesem System verurteilt haben. Ich unterscheide zwischen System und Mensch. In dem Sinn suche ich nicht die Rache, auch nicht die prinzipielle Abrechnung. Ich suche die Abrechnung von oben, nicht von unten her. Nicht von denen, die die Befehle angenommen haben, sondern von denen, die sie befohlen haben.“ (Seite 110)
Sehr persönlich werden weltpolitische Ereignisse erzählt, wie etwa die Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland. „Es war etwa 12,30 Uhr, der Priester predigte. Plötzlich kam ein Bote mit einem Zettel, und der Priester sagte „Ich unterbreche jetzt meine Predigt, denn ich muss eine gute Nachricht verlesen. Wir sind nicht allein, Großbritannien ist in den Krieg eingetreten für unser Land.“ Er stimmte das „Te Deum laudamus“ an. Alle Menschen in der Kirche weinten.“ (Seite 27) Als Sanitäter erlebte er den Krieg vor seiner Haustür. „Aber die Brandbomben fielen auf den Rasen und ich sah, wie die Menschen, Frauen, Männer, Junge, Alte, Kinder, auf diesem riesigen Vorplatz wie Fackeln verbrannten, schreiend und weinend, andere ohnmächtig still. Brandbomben wie Lichter am Weihnachtsbaum. Lebende Menschen, lebende Fackeln, bei lebendigem Leib verbrannt.“ (Seite 29)
Aussagen über die Situation Warschaus im Zweiten Weltkrieg erinnern an die heutige Situation in der Ukraine.
Auf Vermittlung Heinrich Bölls kam er 1965 erstmals ins Ausland und nach Deutschland wo er sich für ein friedliches Zusammenleben der beiden Völker Deutschland und Polen einsetzte. „Es kann keine allgemeine Rache geben. Ein allgemeines Gefühl der Rache bringt dem Rächer noch größeren Schaden als dem Opfer, weil er in seinem Rachegefühl nicht mehr zu sich selbst zurückfindet.“ (Seite 99)
Bartoszewski ist ein wichtiger Zeitzeuge und in diesem Buch hält er das Erlebte für die nachkommenden Generationen fest. „Ich habe dieses Land nicht gewählt. Ich habe Auschwitz nicht ausgesucht. Auch habe ich in Polen den Einmarsch der Russen nicht begeistert begrüßt. Ich hätte bei uns lieber die Amerikaner und die Engländer gesehen. Polen wäre mir als neutrales Land lieber. Mindestens so neutral wie Finnland, eher noch wie Österreich. … Ich lebe in einem Land, wo ich zu einer kleinen Minderheit gehöre. Nicht wegen meiner Weltanschauung, meiner Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, ganz im Gegenteil. Sondern aufgrund der Erfahrung. Zwei Drittel der Menschen bei uns sind nach dem Zweiten Weltkrieg geboren und erzogen worden. Sie haben diese Erfahrungen nicht.“ (Seite 106) Als Bartoszewski 2015 starb, ging ein wichtiger Zeitzeuge verloren. In diesem Buch bleibt aber sein Gedankengut erhalten.
In der Ausgabe aus dem Jahr 1995 ist am Ende noch eine Rede Bartoszewski vor dem deutschen Bundestag und Bundesrat vom 28. April 1995 abgedruckt. Darin geht Bartoszewski in die deutsch-polnische Beziehung ein. Er verweist darin, dass etwa 100.000 Polen als Soldaten in den Armeen der Alliierten des Zweiten Weltkriegs gekämpft haben. Auch das Verhältnis der Nationalsozialisten zu den Juden und Polen sprach er offen an: „Die Hitler-Okkupation sprach den Juden das Recht auf Leben ab. Den Polen sprach er das Recht ab, Mensch zu sein und behandelte sie als „Untermenschen“, für die es keinen Platz in der gesamteuropäischen Kultur gab. Das stalinistische Nachkriegssystem verabreichte den Polen – ähnlich wie den Deutschen in der DDR – eine „antinationalistische“ Therapie…“ (Seite 123) Unermüdlich setzte sich Bartoszewski für eine friedliche und freundschaftliche Kooperation der beiden Länder ein.
Erwin; SCHINDLER PÖNITZ, Ingrid
Mit der SY um die halbe Welt 2016-2020 Artikel
In: 2022.
@article{PÖNITZ2022,
title = {Mit der SY um die halbe Welt 2016-2020},
author = {PÖNITZ, Erwin; SCHINDLER, Ingrid},
year = {2022},
date = {2022-05-18},
abstract = {PÖNITZ, Erwin; SCHINDLER, Ingrid: „Mit der SY um die halbe Welt 2016-2020“, Wien 2022
Erwin Pönitz ist ein Schulfreund aus der Zeit der HTL. Wir saßen mehrere Jahre in der ersten Reihe nebeneinander. Erwin war und ist ein sehr ruhiger und ausgeglichener Mensch. Überraschend erfuhr ich dann, dass er mit seiner Frau nach der Pensionierung ein Segelboot kaufte und mit ihr eine Weltumseglung macht. Dabei ging es nicht um Geschwindigkeit. Sie wechselten von der Wiener Wohnung auf das Wohnen am Schiff und blieben, wo es ihnen gefiel. Zeit hatte einen anderen Stellenwert bekommen. Es war aber auch ein Abenteuer, das man normalerweise mit jungen Jahren macht. Immer wieder gibt es Gefahren, die zu meistern sind. Zuerst musste das Boot kennengelernt werden. Vieles mussten die beiden selbst reparieren, weil Niemand zu Hilfe war und sie irgendwo im weiten Meer unterwegs waren. Ingrid ist Ärztin, was bei so einer Expedition auch wichtig ist und war, denn bei der Atlantik-Querung brach sie sich den Fuß. Zwei Wochen musste sie mit Schmerztabletten und einem provisorisch bandagierten Bein ausharren, bis sie eine Insel erreichten. Die Schwere der Verletzung zeigte dann das Röntgenbild des lokalen Krankenhauses. Zum Operieren flogen sie aber heim und pausierten drei Monate in Wien. Wieder zurück am Boot muss alles wieder auf Schuss gebracht werden und letztlich geht es im Jänner 2018 durch den Panamakanal in den Pazifischen Ozean. Die Galapagos Inseln erleben die beiden Segler in einer Form, wie man es als normaler Tourist nicht kann. Mehrere Inseln werden angefahren und vom Tierleben aus vergangenen Zeiten wird im Buch berichtet und mit schönen Bildern illustriert. Über Französisch-Polynesien geht es nach Neuseeland. Immer wieder kommt es zu Treffen mit Seglern, die sie auf der Reise kennengelernt haben. Verwandte und Freunde kommen nach, um mit ihnen einige Wochen Urlaub zu verbringen. Nach den Fidschi-Inseln und Neukaledonien kehren sie wieder nach Neuseeland zurück, wo letztlich im April 2020 die Reise unterbrochen werden muss. Bedingt durch die ausgebrochene Corona-Pandemie werden sie von der österreichischen Regierung in einem Sonderflug mit ihrer Katze nach Wien zurückgeholt. Die Katze muss in Österreich offiziell einreisen, denn sie hatte bereits die Quarantänebedingungen für Neuseeland und Australien erfüllt und war eine Kiwi-Katze geworden. Die Reise, die 2016 begann endete so 2020 und wird 2022 wieder fortgesetzt. Demnach heißt der Titel des Buchs auch „… um die halbe Welt“.
Spannend ist von den vielen Problemen und Hindernissen der Reise zu lesen. Wie auch bei einem neuen Boot vieles kaputt geht und in entlegenen Gebieten eine Hilfe nur schwierig zu bekommen ist. Das ist das wahre Abenteuer. Oft auch lebensgefährliche Situationen. So wie ihre Katze, der man sieben Leben nachsagt, hatten auch die Beiden mehrere Leben. Erwin und Ingrid – so war mein Eindruck beim Lesen – haben in diesen Pensionsjahren mehr erlebt als viele, viele Menschen in ihrem ganzen Leben.
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Erwin Pönitz ist ein Schulfreund aus der Zeit der HTL. Wir saßen mehrere Jahre in der ersten Reihe nebeneinander. Erwin war und ist ein sehr ruhiger und ausgeglichener Mensch. Überraschend erfuhr ich dann, dass er mit seiner Frau nach der Pensionierung ein Segelboot kaufte und mit ihr eine Weltumseglung macht. Dabei ging es nicht um Geschwindigkeit. Sie wechselten von der Wiener Wohnung auf das Wohnen am Schiff und blieben, wo es ihnen gefiel. Zeit hatte einen anderen Stellenwert bekommen. Es war aber auch ein Abenteuer, das man normalerweise mit jungen Jahren macht. Immer wieder gibt es Gefahren, die zu meistern sind. Zuerst musste das Boot kennengelernt werden. Vieles mussten die beiden selbst reparieren, weil Niemand zu Hilfe war und sie irgendwo im weiten Meer unterwegs waren. Ingrid ist Ärztin, was bei so einer Expedition auch wichtig ist und war, denn bei der Atlantik-Querung brach sie sich den Fuß. Zwei Wochen musste sie mit Schmerztabletten und einem provisorisch bandagierten Bein ausharren, bis sie eine Insel erreichten. Die Schwere der Verletzung zeigte dann das Röntgenbild des lokalen Krankenhauses. Zum Operieren flogen sie aber heim und pausierten drei Monate in Wien. Wieder zurück am Boot muss alles wieder auf Schuss gebracht werden und letztlich geht es im Jänner 2018 durch den Panamakanal in den Pazifischen Ozean. Die Galapagos Inseln erleben die beiden Segler in einer Form, wie man es als normaler Tourist nicht kann. Mehrere Inseln werden angefahren und vom Tierleben aus vergangenen Zeiten wird im Buch berichtet und mit schönen Bildern illustriert. Über Französisch-Polynesien geht es nach Neuseeland. Immer wieder kommt es zu Treffen mit Seglern, die sie auf der Reise kennengelernt haben. Verwandte und Freunde kommen nach, um mit ihnen einige Wochen Urlaub zu verbringen. Nach den Fidschi-Inseln und Neukaledonien kehren sie wieder nach Neuseeland zurück, wo letztlich im April 2020 die Reise unterbrochen werden muss. Bedingt durch die ausgebrochene Corona-Pandemie werden sie von der österreichischen Regierung in einem Sonderflug mit ihrer Katze nach Wien zurückgeholt. Die Katze muss in Österreich offiziell einreisen, denn sie hatte bereits die Quarantänebedingungen für Neuseeland und Australien erfüllt und war eine Kiwi-Katze geworden. Die Reise, die 2016 begann endete so 2020 und wird 2022 wieder fortgesetzt. Demnach heißt der Titel des Buchs auch „… um die halbe Welt“.
Spannend ist von den vielen Problemen und Hindernissen der Reise zu lesen. Wie auch bei einem neuen Boot vieles kaputt geht und in entlegenen Gebieten eine Hilfe nur schwierig zu bekommen ist. Das ist das wahre Abenteuer. Oft auch lebensgefährliche Situationen. So wie ihre Katze, der man sieben Leben nachsagt, hatten auch die Beiden mehrere Leben. Erwin und Ingrid – so war mein Eindruck beim Lesen – haben in diesen Pensionsjahren mehr erlebt als viele, viele Menschen in ihrem ganzen Leben.
HELFER, Monika
Löwenherz Buch
2022.
@book{HELFER2022,
title = {Löwenherz},
author = {Monika HELFER},
year = {2022},
date = {2022-05-15},
abstract = {HELFER, Monika: „Löwenherz“, München 2022
Im Rahmen des Kulturfestivals „Literatur & Wein 2022“ stellte die Autorin dieses Buch vor und las daraus. Mit vielen Büchern kam ich von diesen Lesungen heim. Darunter das Buch über den Bruder der Dichterin, den sie „Löwenherz“ nannte.
Es ist sicher schwer als Frau eines erfolgreichen Schriftstellers selbst schriftstellerisch tätig zu sein. Monika Helfer nimmt in ihrem Buch „Löwenherz“ aber laufend Bezug auf ihn, den bekannteren, den berühmteren, den Dichter Michael Köhlmeier. „Löwenherz“ sollte eine Biografie über ihren verstorbenen Bruder sein, sie erzählt aber mehr von sich selbst und ihrem Mann, als über den Bruder. Ja, die Verwebung zwischen dem Dichtermann und der Dichterfrau geht so weit, dass Manuskripttexte dem Mann vorgelesen werden und dass er Input zum Thema „Bruder“ einbringt.
Wie gesagt; als Leser erfährt man auch viel über die Beziehung von Köhlmeier und Helfer. Wie sie zusammenkamen, wie sich Helfer von ihrem Mann scheiden ließ und wie sie mit ihrem Geliebten, dem jetzigen Ehemann, zusammenkam.
Der Bruder ist und soll aber der Leitfaden des Buches sein. Als die Mutter starb wurden die Kinder aufgeteilt und der Vater ging in ein Kloster. Der Bruder kam zu einer anderen Tante als sie und die zwei Schwestern. So wird erzählt, wie die Mädchen ihren Bruder besuchten. Später wird er dann zum Freund des eigenen Freunds, eben Michael Köhlmeier, weswegen dieser viel Input zum vorliegenden Buch liefern konnte.
Der Bruder war behindert oder anders. Seine Interessen lagen im Erfinden von Geschichten und im Malen von Bildern. Er selbst arbeitete im aussterbenden Beruf des Setzers. Wie ein Clochard hatte er einen Hund, den er Schamasch nannte. „Mein Bruder und Schamasch gehören inzwischen zum Stadtbild. Zwei Käuze. Der Mann mit dem Hund. Dabei war er erst Mitte der zwanzig.“ (Seite 105)
Am Fluss wäre er beinahe ertrunken. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind hatte ihn gerettet. Dieses Kind gab sie ihm später zur Pflege, weil sie ja sein Lebensretter sei, solle auch er einen Beitrag leisten. Das Kind blieb bei ihm. Er wusste nicht, wie es hieß, so nannte er es Putzi. Später heiratete er eine sehr vornehme und reiche Frau, eine Anwältin. Sie liebte ihn, trotz oder wegen seiner Seltenheiten. Eine Ehe, in der zwei Personen aus unterschiedlichsten Verhältnissen zusammenkamen. Sie wollte eine richtige Familie und bemühte sich Putzi zu adoptieren, was schief ging. Der Hund wurde zu Silvester im Wald von einem Jäger erschossen und Richard versank emotionell. Tanja, sein Frau blieb ihm treu, bis „der Tod sie schied“. Mit 30 Jahren nahm er sich das Leben.
Monika Helfer erzählt aus Abschnitten ihres Lebens, die mit dem Bruder zu tun hatten. Immer wieder kommt auch Michael, ihr Ehemann ins Bild, der den Bruder, den Schwager vielleicht besser kannte und von dem viele Erinnerungen ins Buch einflossen.},
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Im Rahmen des Kulturfestivals „Literatur & Wein 2022“ stellte die Autorin dieses Buch vor und las daraus. Mit vielen Büchern kam ich von diesen Lesungen heim. Darunter das Buch über den Bruder der Dichterin, den sie „Löwenherz“ nannte.
Es ist sicher schwer als Frau eines erfolgreichen Schriftstellers selbst schriftstellerisch tätig zu sein. Monika Helfer nimmt in ihrem Buch „Löwenherz“ aber laufend Bezug auf ihn, den bekannteren, den berühmteren, den Dichter Michael Köhlmeier. „Löwenherz“ sollte eine Biografie über ihren verstorbenen Bruder sein, sie erzählt aber mehr von sich selbst und ihrem Mann, als über den Bruder. Ja, die Verwebung zwischen dem Dichtermann und der Dichterfrau geht so weit, dass Manuskripttexte dem Mann vorgelesen werden und dass er Input zum Thema „Bruder“ einbringt.
Wie gesagt; als Leser erfährt man auch viel über die Beziehung von Köhlmeier und Helfer. Wie sie zusammenkamen, wie sich Helfer von ihrem Mann scheiden ließ und wie sie mit ihrem Geliebten, dem jetzigen Ehemann, zusammenkam.
Der Bruder ist und soll aber der Leitfaden des Buches sein. Als die Mutter starb wurden die Kinder aufgeteilt und der Vater ging in ein Kloster. Der Bruder kam zu einer anderen Tante als sie und die zwei Schwestern. So wird erzählt, wie die Mädchen ihren Bruder besuchten. Später wird er dann zum Freund des eigenen Freunds, eben Michael Köhlmeier, weswegen dieser viel Input zum vorliegenden Buch liefern konnte.
Der Bruder war behindert oder anders. Seine Interessen lagen im Erfinden von Geschichten und im Malen von Bildern. Er selbst arbeitete im aussterbenden Beruf des Setzers. Wie ein Clochard hatte er einen Hund, den er Schamasch nannte. „Mein Bruder und Schamasch gehören inzwischen zum Stadtbild. Zwei Käuze. Der Mann mit dem Hund. Dabei war er erst Mitte der zwanzig.“ (Seite 105)
Am Fluss wäre er beinahe ertrunken. Eine junge Frau mit einem kleinen Kind hatte ihn gerettet. Dieses Kind gab sie ihm später zur Pflege, weil sie ja sein Lebensretter sei, solle auch er einen Beitrag leisten. Das Kind blieb bei ihm. Er wusste nicht, wie es hieß, so nannte er es Putzi. Später heiratete er eine sehr vornehme und reiche Frau, eine Anwältin. Sie liebte ihn, trotz oder wegen seiner Seltenheiten. Eine Ehe, in der zwei Personen aus unterschiedlichsten Verhältnissen zusammenkamen. Sie wollte eine richtige Familie und bemühte sich Putzi zu adoptieren, was schief ging. Der Hund wurde zu Silvester im Wald von einem Jäger erschossen und Richard versank emotionell. Tanja, sein Frau blieb ihm treu, bis „der Tod sie schied“. Mit 30 Jahren nahm er sich das Leben.
Monika Helfer erzählt aus Abschnitten ihres Lebens, die mit dem Bruder zu tun hatten. Immer wieder kommt auch Michael, ihr Ehemann ins Bild, der den Bruder, den Schwager vielleicht besser kannte und von dem viele Erinnerungen ins Buch einflossen.
NEUWIRTH, Günter
Caffé in Triest Buch
2022.
@book{NEUWIRTH2022,
title = {Caffé in Triest},
author = {Günter NEUWIRTH},
year = {2022},
date = {2022-05-08},
abstract = {NEUWIRTH, Günter: „Caffé in Triest“, Meßkirch 2022
Wenn man das Buch zu lesen beginnt, denkt man, es sei von einem Schriftsteller zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben worden. Der Autor ist aber 1966 geboren und wohnt in Graz. Es muss sehr viel Recherchearbeit dahinter stecken, um so detailgenau die Zeit um 1907 nachzuzeichnen.
Das Buch besteht aus 15 Kapiteln, die jeweils einen Tag beschreiben. Mit über 400 Seiten werden nur 15 Tage, die sich auf die Zeit vom 10. September bis zum 9. Oktober 1907 erstrecken, behandelt. Durch die historischen Rückblicke gibt es aber einen Einblick in einen größeren Zeitraum.
Als Leser bekommt man Zutritt zu verschiedenen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit: dem aus einfachen Verhältnissen aufstrebenden Proponenten Jure, dem Polizeiinspektor Bruno und seiner Welt der Polizei, einem Verbrechermilieu und der Familie eines Seemanns. Auch der, zu dieser Zeit in Triest wohnende irische Dichter James Joyce wird eingebunden und tritt als Englischlehrer auf. Geschickt werden diese verschiedenen Milieus miteinander verstrickt. Nicht in friedlichem Sinne, sondern in einem Kriminalfall.
Ich bin kein Kriminalromanleser. Ja, ich vermeide sie sogar. Im vorliegenden Buch habe ich eine historische Geschichte vermutet und erst in der zweiten Hälfte des Buches musste ich feststellen, dass es sich zu einem Kriminalroman entwickelt. Ich genoss es aber und habe es in kurzer Zeit gelesen, um die Spannung anhalten zu lassen.
Das Buch entführt in die Welt des österreichischen Triests des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen sozialen Problemen zwischen Italienern, Slowenen und „Deutschen“, wie die Österreicher hier genannt wurden. Wie schon gesagt, entpuppt es sich im Laufe der fortgeschrittenen Seiten als Krimi und endet etwas kitschig. Aber die geistige Reise ins vorige Jahrhundert Triests ist es wert gelesen zu werden.
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Wenn man das Buch zu lesen beginnt, denkt man, es sei von einem Schriftsteller zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben worden. Der Autor ist aber 1966 geboren und wohnt in Graz. Es muss sehr viel Recherchearbeit dahinter stecken, um so detailgenau die Zeit um 1907 nachzuzeichnen.
Das Buch besteht aus 15 Kapiteln, die jeweils einen Tag beschreiben. Mit über 400 Seiten werden nur 15 Tage, die sich auf die Zeit vom 10. September bis zum 9. Oktober 1907 erstrecken, behandelt. Durch die historischen Rückblicke gibt es aber einen Einblick in einen größeren Zeitraum.
Als Leser bekommt man Zutritt zu verschiedenen Gesellschaftsschichten der damaligen Zeit: dem aus einfachen Verhältnissen aufstrebenden Proponenten Jure, dem Polizeiinspektor Bruno und seiner Welt der Polizei, einem Verbrechermilieu und der Familie eines Seemanns. Auch der, zu dieser Zeit in Triest wohnende irische Dichter James Joyce wird eingebunden und tritt als Englischlehrer auf. Geschickt werden diese verschiedenen Milieus miteinander verstrickt. Nicht in friedlichem Sinne, sondern in einem Kriminalfall.
Ich bin kein Kriminalromanleser. Ja, ich vermeide sie sogar. Im vorliegenden Buch habe ich eine historische Geschichte vermutet und erst in der zweiten Hälfte des Buches musste ich feststellen, dass es sich zu einem Kriminalroman entwickelt. Ich genoss es aber und habe es in kurzer Zeit gelesen, um die Spannung anhalten zu lassen.
Das Buch entführt in die Welt des österreichischen Triests des beginnenden 20. Jahrhunderts mit seinen sozialen Problemen zwischen Italienern, Slowenen und „Deutschen“, wie die Österreicher hier genannt wurden. Wie schon gesagt, entpuppt es sich im Laufe der fortgeschrittenen Seiten als Krimi und endet etwas kitschig. Aber die geistige Reise ins vorige Jahrhundert Triests ist es wert gelesen zu werden.
OSKAMP, Katja
Marzahn mon Amour, Geschichten einer Fusspflegerin Buch
2022.
@book{OSKAMP2022,
title = {Marzahn mon Amour, Geschichten einer Fusspflegerin},
author = {Katja OSKAMP},
year = {2022},
date = {2022-05-02},
abstract = {OSKAMP, Katja: „Marzahn mon amour, Geschichten einer Fusspflegerin“, Berlin 2021
Ich habe die Schriftstellerin beim Kulurfestival „Literatur & Wein“ im Stift Göttweig kennengelernt. Ihren Vortrag habe ich interessant und lustig empfunden. Es war aber so wie mit dem herrlichen Rezzina-Wein, den man im Urlaub in Griechenland trinkt, sich eine Flasche mit nach Hause nimmt und zu Hause schmeckt er nicht mehr so gut. So war es auch mit Oskamps Buch. Es war zwar nicht uninteressant, aber nach mehreren Geschichten wurde es langweilig. Die Struktur des Buches ist sehr einfach: eine Fusspflegerin erzählt die Lebensgeschichten ihrer Kunden, wie sie sie während einer Fussbehandlung erzählen. Die Icherzählerin ist die Schriftstellerin selbst. Als ihre Mansukripte von vielen Verlagen abgelehnt wurden, musste sie sich einen anderen Gelderwerb suchen und machte eine Fußpflegerinnenausbildung, um dann in einem Körperpflegestudio im Ostberlin Plattenbaubezirk Marzahn zu arbeiten. Ob es sich um alleinstehende Witwen handelt oder um einen ehemaligen DDR-Politbonzen, die Geschichten wiederspiegeln Menschen, die in diesem Viertel wohnen. Hauptsächlich sind es aber alte Leute, deren Geschichten verschriftlicht werden. Bei einem Ausflug mit Kolleginnen schwingt sie sich „zu einer Hymne über Marzahn und seine Bewohner, über diese Leute, die dort vor vierzig Jahren hingezogen sind und jetzt mit Rollator, Sauerstoffgerät und Mindestrente tapfer ihr Leben zu Ende bringen, die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten, jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht wie die Vollidoten der Nation behandelt werden“ (Seite 92) auf.
Die Fusspflegerin Oskamp liebt ihre Kunden, auch wenn ihre Füße stinken, verkrüppelt und ungepflegt sind. Genauso liebevoll erzählt sie die Geschichten über diese, ihre Kunden. Seit 2015 hat sie 3500 Füße gepflegt. Das sind – so ihre Hochrechnung – 19.000 Zehen.
Mit den letzten beiden Geschichten läuft die Erzählerin – oder die zu beschreibenden Personen mit ihren Lebensläufen – zu einer Hochform auf. Da ist Gerlinde Bonkat, die 1945 als siebenjähriges Kind mit ihrer Mutter aus Königsberg mit ihrer Mutter in den Westen geflüchtet ist. Sie hat sich von gefängnisähnlichen Flüchtlingslagern hochgearbeitet und viele Berufe ausgeübt. Nie hat sie sich unterkriegen lassen und immer ist die positiv und fröhlich gewesen. „Ich verneige mich vor der Lebensleistung von Gerlinde Bonkat, weil es sonst niemand tut. Sie hat jede Chance ergriffen, um den verpfuschten Start ins Leben auszugleichen.“ (Seite 130) Alleine die Geschichte dieser Frau ist es wert dieses Buch zu lesen.
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Ich habe die Schriftstellerin beim Kulurfestival „Literatur & Wein“ im Stift Göttweig kennengelernt. Ihren Vortrag habe ich interessant und lustig empfunden. Es war aber so wie mit dem herrlichen Rezzina-Wein, den man im Urlaub in Griechenland trinkt, sich eine Flasche mit nach Hause nimmt und zu Hause schmeckt er nicht mehr so gut. So war es auch mit Oskamps Buch. Es war zwar nicht uninteressant, aber nach mehreren Geschichten wurde es langweilig. Die Struktur des Buches ist sehr einfach: eine Fusspflegerin erzählt die Lebensgeschichten ihrer Kunden, wie sie sie während einer Fussbehandlung erzählen. Die Icherzählerin ist die Schriftstellerin selbst. Als ihre Mansukripte von vielen Verlagen abgelehnt wurden, musste sie sich einen anderen Gelderwerb suchen und machte eine Fußpflegerinnenausbildung, um dann in einem Körperpflegestudio im Ostberlin Plattenbaubezirk Marzahn zu arbeiten. Ob es sich um alleinstehende Witwen handelt oder um einen ehemaligen DDR-Politbonzen, die Geschichten wiederspiegeln Menschen, die in diesem Viertel wohnen. Hauptsächlich sind es aber alte Leute, deren Geschichten verschriftlicht werden. Bei einem Ausflug mit Kolleginnen schwingt sie sich „zu einer Hymne über Marzahn und seine Bewohner, über diese Leute, die dort vor vierzig Jahren hingezogen sind und jetzt mit Rollator, Sauerstoffgerät und Mindestrente tapfer ihr Leben zu Ende bringen, die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten, jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht wie die Vollidoten der Nation behandelt werden“ (Seite 92) auf.
Die Fusspflegerin Oskamp liebt ihre Kunden, auch wenn ihre Füße stinken, verkrüppelt und ungepflegt sind. Genauso liebevoll erzählt sie die Geschichten über diese, ihre Kunden. Seit 2015 hat sie 3500 Füße gepflegt. Das sind – so ihre Hochrechnung – 19.000 Zehen.
Mit den letzten beiden Geschichten läuft die Erzählerin – oder die zu beschreibenden Personen mit ihren Lebensläufen – zu einer Hochform auf. Da ist Gerlinde Bonkat, die 1945 als siebenjähriges Kind mit ihrer Mutter aus Königsberg mit ihrer Mutter in den Westen geflüchtet ist. Sie hat sich von gefängnisähnlichen Flüchtlingslagern hochgearbeitet und viele Berufe ausgeübt. Nie hat sie sich unterkriegen lassen und immer ist die positiv und fröhlich gewesen. „Ich verneige mich vor der Lebensleistung von Gerlinde Bonkat, weil es sonst niemand tut. Sie hat jede Chance ergriffen, um den verpfuschten Start ins Leben auszugleichen.“ (Seite 130) Alleine die Geschichte dieser Frau ist es wert dieses Buch zu lesen.
RABINOVICI, Doron
Andernorts Buch
2022.
@book{RABINOVICI2022,
title = {Andernorts},
author = {Doron RABINOVICI},
year = {2022},
date = {2022-04-27},
abstract = {RABINOVICI, Doron: „Andernorts“, Berlin 2020
Durch eine Fernsehsendung mit dem Autor wurde ich angeregt dieses Buch zu lesen. Der in Israel geborene und in Wien wohnende Rabinivici kann – bedingt durch seine Herkunft und sein Leben – auf das Leben zweier sehr unterschiedlicher Kulturen blicken, die auch in diesem Buch zum Ausdruck kommen. Zwar in Israel, wo sich seine Eltern hin geflüchtet hatten, ist er – und auch der Protagonist dieses Buches – geboren, aber dann an vielen Orten der Welt aufgewachsen. „Jahre später seid ihr nach Paris, nach London und nach New York gezogen. Aber überall warst du der Israeli; nur in Israel wurdest du zum Wiener, zum Jekke, zum Franzosen, zum Amerikaner. Schon als Siebenjähriger bist du im Hebräischen und im Deutschen gleichermaßen zu Hause gewesen. Deine Aussprache war frei von jedem Akzent, und eben deshalb warst du nirgends bodenständig, bist es immer noch nicht, sondern wirkst überall abgehoben.“ (Seite 50) Ethan heißt der Proponent und nennt sich einen Mischmasch aus Wien und Tel Aviv. Auf den Reisen zwischen den beiden Ländern werden Mozartkugeln und Manner Schnitten von Wien nach Tel Aviv gebracht und Falafel, Humus und hebräische Literatur in umgekehrter Richtung als Gastgeschenke transportiert.
Die Familie war mehrmals geflüchtet. Der Sohn, der letztlich nur ein „halber Sohn“ war, wurde in Israel geboren. Übersiedlungen veränderten das Leben und die Gewohnheiten. Als sie von Israel nach Wien übersiedelten fiel dem Jungen auf, dass er, um aus dem Haus zu kommen, einen Schlüssel brauchte. „In Tel Aviv hatten die Türen offen gestanden. ... Nach dem Sechstagekrieg lagen noch Sandsäcke vor den Eingängen.“ (Seite 229) In Wien fehlten ihm auch die Spielkameraden, die er in Israel auf der Straße fand. „In Tel Aviv sagte ein einstiger Freund aus dem Kindergarten, die Rosens seien Abtrünnige und Verräter, aber in Wien erklärte ihm ein Klassenkamerad, der jüdische Staat in Zion sei doch nichts als Rassismus. Seine Existenz stand unter Misskredit.“ (Seite 231)
In diesem Zwiespalt wuchs der Junge auf und wurde ein, in Wien anerkannter, Wissenschaftler, der auch international lehrt. Seine Eltern wohnen in Israel. In der Funktion des Wissenschaftlers schreibt er einen Artikel über seinen verstorbenen Freund Dov Zedek. Zu seinem Nachruf kommt ein Gegenartikel von einem Kollegen, der sich um dieselbe Stelle an der Wiener Universität bewirbt.
Das Buch nimmt ab hier an Fahrt auf, als dieser, bisher unbekannter außerehelicher, Sohn auftritt, der gleichzeitig ein Mitbewerber für Ethan wird. Für eine Position, die auf ihn zugeschnitten ist. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Irgendwie könnte es auch das Konzept einer Biedermeierkomödie sein, aber es spielt in einer jüdischen Kultur und hat ein hohes Niveau. Der Vater hat eine Niere seiner Frau, die versagt und er erkrankt. Ethan reist nach Israel. Dort tritt auch der Bruder in sein Leben. Der Vater stirbt und hinterlässt ein Chaos. Ein Rabbiner sah im Vater einen Vorfahren des ungeborenen Messias. Die schwangere Mutter wurde im Zweiten Weltkrieg ermordet. Mit den Samen des Vaters könnte man – so die Ansicht des berühmten und konservativen Rabbiners – den Messias im Labor züchten. Aber der Vater stirbt, bevor die Idee des Rabbiners umgesetzt werden kann. Bei den Untersuchungen zu einer „Nachzüchtung“ über die Söhne stellt sich heraus, dass er für beide nicht der Vater ist. Es kommt zu Streit und Zank, das noch am Begräbnis des Verstorbenen anhält, obwohl der Rabbiner in seiner Rede sagt „Es ist unsere Pflicht, so steht es geschrieben, über einen Verstorbenen nur Gutes zu sagen.“ (Seite 280) Unabhängig vom Konstrukt dieses Romans wird der Leser in die Unterschiedlichkeit der jüdischen zur europäischen Kultur eingeführt.
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Durch eine Fernsehsendung mit dem Autor wurde ich angeregt dieses Buch zu lesen. Der in Israel geborene und in Wien wohnende Rabinivici kann – bedingt durch seine Herkunft und sein Leben – auf das Leben zweier sehr unterschiedlicher Kulturen blicken, die auch in diesem Buch zum Ausdruck kommen. Zwar in Israel, wo sich seine Eltern hin geflüchtet hatten, ist er – und auch der Protagonist dieses Buches – geboren, aber dann an vielen Orten der Welt aufgewachsen. „Jahre später seid ihr nach Paris, nach London und nach New York gezogen. Aber überall warst du der Israeli; nur in Israel wurdest du zum Wiener, zum Jekke, zum Franzosen, zum Amerikaner. Schon als Siebenjähriger bist du im Hebräischen und im Deutschen gleichermaßen zu Hause gewesen. Deine Aussprache war frei von jedem Akzent, und eben deshalb warst du nirgends bodenständig, bist es immer noch nicht, sondern wirkst überall abgehoben.“ (Seite 50) Ethan heißt der Proponent und nennt sich einen Mischmasch aus Wien und Tel Aviv. Auf den Reisen zwischen den beiden Ländern werden Mozartkugeln und Manner Schnitten von Wien nach Tel Aviv gebracht und Falafel, Humus und hebräische Literatur in umgekehrter Richtung als Gastgeschenke transportiert.
Die Familie war mehrmals geflüchtet. Der Sohn, der letztlich nur ein „halber Sohn“ war, wurde in Israel geboren. Übersiedlungen veränderten das Leben und die Gewohnheiten. Als sie von Israel nach Wien übersiedelten fiel dem Jungen auf, dass er, um aus dem Haus zu kommen, einen Schlüssel brauchte. „In Tel Aviv hatten die Türen offen gestanden. ... Nach dem Sechstagekrieg lagen noch Sandsäcke vor den Eingängen.“ (Seite 229) In Wien fehlten ihm auch die Spielkameraden, die er in Israel auf der Straße fand. „In Tel Aviv sagte ein einstiger Freund aus dem Kindergarten, die Rosens seien Abtrünnige und Verräter, aber in Wien erklärte ihm ein Klassenkamerad, der jüdische Staat in Zion sei doch nichts als Rassismus. Seine Existenz stand unter Misskredit.“ (Seite 231)
In diesem Zwiespalt wuchs der Junge auf und wurde ein, in Wien anerkannter, Wissenschaftler, der auch international lehrt. Seine Eltern wohnen in Israel. In der Funktion des Wissenschaftlers schreibt er einen Artikel über seinen verstorbenen Freund Dov Zedek. Zu seinem Nachruf kommt ein Gegenartikel von einem Kollegen, der sich um dieselbe Stelle an der Wiener Universität bewirbt.
Das Buch nimmt ab hier an Fahrt auf, als dieser, bisher unbekannter außerehelicher, Sohn auftritt, der gleichzeitig ein Mitbewerber für Ethan wird. Für eine Position, die auf ihn zugeschnitten ist. Und dann geht es Schlag auf Schlag. Irgendwie könnte es auch das Konzept einer Biedermeierkomödie sein, aber es spielt in einer jüdischen Kultur und hat ein hohes Niveau. Der Vater hat eine Niere seiner Frau, die versagt und er erkrankt. Ethan reist nach Israel. Dort tritt auch der Bruder in sein Leben. Der Vater stirbt und hinterlässt ein Chaos. Ein Rabbiner sah im Vater einen Vorfahren des ungeborenen Messias. Die schwangere Mutter wurde im Zweiten Weltkrieg ermordet. Mit den Samen des Vaters könnte man – so die Ansicht des berühmten und konservativen Rabbiners – den Messias im Labor züchten. Aber der Vater stirbt, bevor die Idee des Rabbiners umgesetzt werden kann. Bei den Untersuchungen zu einer „Nachzüchtung“ über die Söhne stellt sich heraus, dass er für beide nicht der Vater ist. Es kommt zu Streit und Zank, das noch am Begräbnis des Verstorbenen anhält, obwohl der Rabbiner in seiner Rede sagt „Es ist unsere Pflicht, so steht es geschrieben, über einen Verstorbenen nur Gutes zu sagen.“ (Seite 280) Unabhängig vom Konstrukt dieses Romans wird der Leser in die Unterschiedlichkeit der jüdischen zur europäischen Kultur eingeführt.
SCHMITT, Eric-Emmanuel
2022.
@book{SCHMITT2022b,
title = {Mein Leben mit Mozart},
author = {Eric-Emmanuel SCHMITT },
year = {2022},
date = {2022-04-11},
abstract = {SCHMITT, Eric-Emmanuel: „Mein Leben mit Mozart“, Frankfurt 2008
Der pubertierende Ich-Erzähler kommt mit seinem Leben nicht zurecht. Er ist am Weg zum Erwachsensein. Kein Kind mehr und auch noch kein Erwachsener. Die Gefühle dieses Buben werden im ersten Kapitel großartig geschildert. Welchen Ängsten, Sorgen und Beschwerden so ein Kind ausgesetzt ist. Mozart und seine Musik veränderten die Situation. Er denkt nicht mehr an Selbstmord, sondern hat eher Angst nicht alt genug zu werden, um all das Schöne noch zu erleben. Der junge Mann tritt nun in einen Briefwechsel mit Mozart ein. „Hier nun das Wesentliche unseres Austausches; seine Stücke, meine Briefe. Mehr noch als ein Meister der Musik ist er für mich ein Meister in Sachen Weisheit geworden, er lehrt mich Kostbares: Staunen, Milde, Heiterkeit und Freude …“ (Seite 7) In den verschiedenen Briefen, die vom Kindsein bis ins Erwachsenenalter geschrieben wurden, setzt sich der Dichter mit Mozart über verschiedenste Themen auseinander. So auch über Gott, wenn er meint „Ob Gott oder Jesus überhaupt existiert, weiß ich heute nicht zu sagen. Doch du hast mich überzeugt, dass der Mensch existiert.“ (Seite 41) Er vergleicht auch die verschiedenen Komponisten miteinander. Beim Komponieren einer Messe meint er: „Wenn Mozart eine Messe schreibt, dann für keinen schwerhörigen Gott. Anders als die Romantiker und die Modernen wetteifert er weder mit dem Himmel um Lautstärke, noch bringt er, um sich Gehör zu verschaffen, so große Chöre und Orchester zum Einsatz wie die chinesische Armee Soldaten.“ (Seite 83)
Schmitt wartet auch mit viel Fachwissen über Mozart auf. So berichtet er, dass er den Mediziner getroffen hatte, der eine DNA Analyse an Mozarts Leiche vornahm und feststellte, dass Mozart sehr schlechte Zähne und fast immer Schmerzen hatte.
Schmitt bewundert, wieviel Mozart in seinem kurzen Leben geleistet hat. Wieviel wäre es geworden, wäre er älter geworden. Er stellt dabei fest, dass er als Wunderknabe musiziert hat wie ein älterer, erfahrener Musiker und als älterer Mann dann in der Zauberflöte das Kindliche und Unbeschwerte.
Als wir auf die Welt kamen hatten wir keine Angst. Zumindest können wir uns daran nicht erinnern. Daher sollten wir es „wie das Kind im Mutterleib (halten) und ängstigen uns so wenig vor dem Tod wie das Kind vor dem Leben.“ (Seite 117)
Es ist Schmitts persönlichstes Buch, in dem er von seiner Liebe zum Seelenverwandten Mozart schreibt.
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Der pubertierende Ich-Erzähler kommt mit seinem Leben nicht zurecht. Er ist am Weg zum Erwachsensein. Kein Kind mehr und auch noch kein Erwachsener. Die Gefühle dieses Buben werden im ersten Kapitel großartig geschildert. Welchen Ängsten, Sorgen und Beschwerden so ein Kind ausgesetzt ist. Mozart und seine Musik veränderten die Situation. Er denkt nicht mehr an Selbstmord, sondern hat eher Angst nicht alt genug zu werden, um all das Schöne noch zu erleben. Der junge Mann tritt nun in einen Briefwechsel mit Mozart ein. „Hier nun das Wesentliche unseres Austausches; seine Stücke, meine Briefe. Mehr noch als ein Meister der Musik ist er für mich ein Meister in Sachen Weisheit geworden, er lehrt mich Kostbares: Staunen, Milde, Heiterkeit und Freude …“ (Seite 7) In den verschiedenen Briefen, die vom Kindsein bis ins Erwachsenenalter geschrieben wurden, setzt sich der Dichter mit Mozart über verschiedenste Themen auseinander. So auch über Gott, wenn er meint „Ob Gott oder Jesus überhaupt existiert, weiß ich heute nicht zu sagen. Doch du hast mich überzeugt, dass der Mensch existiert.“ (Seite 41) Er vergleicht auch die verschiedenen Komponisten miteinander. Beim Komponieren einer Messe meint er: „Wenn Mozart eine Messe schreibt, dann für keinen schwerhörigen Gott. Anders als die Romantiker und die Modernen wetteifert er weder mit dem Himmel um Lautstärke, noch bringt er, um sich Gehör zu verschaffen, so große Chöre und Orchester zum Einsatz wie die chinesische Armee Soldaten.“ (Seite 83)
Schmitt wartet auch mit viel Fachwissen über Mozart auf. So berichtet er, dass er den Mediziner getroffen hatte, der eine DNA Analyse an Mozarts Leiche vornahm und feststellte, dass Mozart sehr schlechte Zähne und fast immer Schmerzen hatte.
Schmitt bewundert, wieviel Mozart in seinem kurzen Leben geleistet hat. Wieviel wäre es geworden, wäre er älter geworden. Er stellt dabei fest, dass er als Wunderknabe musiziert hat wie ein älterer, erfahrener Musiker und als älterer Mann dann in der Zauberflöte das Kindliche und Unbeschwerte.
Als wir auf die Welt kamen hatten wir keine Angst. Zumindest können wir uns daran nicht erinnern. Daher sollten wir es „wie das Kind im Mutterleib (halten) und ängstigen uns so wenig vor dem Tod wie das Kind vor dem Leben.“ (Seite 117)
Es ist Schmitts persönlichstes Buch, in dem er von seiner Liebe zum Seelenverwandten Mozart schreibt.
SETZ, Clemens J.
Gedankenspiele über die Wahrheit Booklet
2022.
@booklet{SETZ2022,
title = {Gedankenspiele über die Wahrheit},
author = {Clemens J. SETZ},
year = {2022},
date = {2022-04-07},
abstract = {SETZ, Clemens J.: „Gedankenspiele über die Wahrheit“, Graz Wien 2022
In einem kleinen Büchel beschäftigt sich der junge Grazer Schriftsteller mit der Frage was Wahrheit und was Unwahrheit ist. Er bringt Beispiele aus verschiedenen Bereichen und gliedert sie in fünf Kapitel.
Im ersten wird ein Dichter zitiert, der wiederum Grillparzer zitiert, wie er das erste Mal das Meer sieht. Der Dichter – Roger Willemsen – zitiert Grillparzer beim ersten Anblick des Meeres mit dem Satz „So hatte ich´s mir nicht gedacht.“ Eine eindeutig negative Feststellung. Stellt man diesen Satz dann dem Originalreisebericht gegenüber – wie es Setz macht – so war es eine positive Aussage, weil er sich weniger vorgestellt hatte, als es dann wirklich war.
Oft hat man von Dingen eine gewisse Vorstellung, die sich mit vielen anderen Leuten deckt, die aber nicht der Realität entsprechen muss. Man nennt das den „Mandela-Effekt“; anknüpfend an die Berichterstattung zu Mandelas Begräbnis.
Wahrheit und Unwahrheit kann auch eine Gegenüberstellung von der Aussage eines Buchhalters zu der eines Ekstatikers sein. Friedrich Nitsche meinte, „dass gewisse Unwahrheiten als Wahrheiten gelebt werden“ und schlägt im Nebensatz vor, dass „diese dann als eine neue Art von Wahrheit“ zu betrachten (Seite 25) Dichter halten sich nicht immer an Fakten. Etwa, wenn Alfred Lord Tennyson schreibt „Every moment dies a man. Every moment one is born“ (Seite 29) Da die Weltbevölkerung aber ständig wächst müsste es – so der Vorschlag im Buch – heißen „Every moment dies a man. Every moment 1 1/6 is born“ Dies wäre mathematisch auch nicht genau, aber zeige die Entwicklung auf.
Unter dem Titel „Die bedrohliche Wahrheit der Doppelgänger“ wird berichtet, dass bei einem Chaplin Wettbewerb die Nachahmer besser wegkamen als Chaplin selbst, weil dieser bei Dreharbeiten eben normal ging und der Watschelgang durch schnelleres Abspielen, also durch die Technik entstand. Die Nachahmer machten aber den schnellen Watschelgang, der theoretisch gar nicht der Wirklichkeit entsprach.
Manches wird in der Zukunft als unwahr oder als wahr eingestuft werden, obwohl es in der damaligen Zeit genau umgekehrt war. So verweist er auf eine Hexenwaage in der holländischen Stadt Oudewater. Am Marktplatz war eine geeichte Waage aufgestellt. Als Hexen angeklagte Frauen konnten sich hier wägen lassen und bekamen ein Dokument, in dem bestätigt wurde, dass sie nicht fliegen können, weil sie zu schwer seien. Alle Angeklagten mit diesem Attest wurden freigesprochen. Es waren aber nur diejenigen, die das Geld hatten in die Stadt Oudewater zu reisen, um einen derartigen Befund zu kaufen.
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In einem kleinen Büchel beschäftigt sich der junge Grazer Schriftsteller mit der Frage was Wahrheit und was Unwahrheit ist. Er bringt Beispiele aus verschiedenen Bereichen und gliedert sie in fünf Kapitel.
Im ersten wird ein Dichter zitiert, der wiederum Grillparzer zitiert, wie er das erste Mal das Meer sieht. Der Dichter – Roger Willemsen – zitiert Grillparzer beim ersten Anblick des Meeres mit dem Satz „So hatte ich´s mir nicht gedacht.“ Eine eindeutig negative Feststellung. Stellt man diesen Satz dann dem Originalreisebericht gegenüber – wie es Setz macht – so war es eine positive Aussage, weil er sich weniger vorgestellt hatte, als es dann wirklich war.
Oft hat man von Dingen eine gewisse Vorstellung, die sich mit vielen anderen Leuten deckt, die aber nicht der Realität entsprechen muss. Man nennt das den „Mandela-Effekt“; anknüpfend an die Berichterstattung zu Mandelas Begräbnis.
Wahrheit und Unwahrheit kann auch eine Gegenüberstellung von der Aussage eines Buchhalters zu der eines Ekstatikers sein. Friedrich Nitsche meinte, „dass gewisse Unwahrheiten als Wahrheiten gelebt werden“ und schlägt im Nebensatz vor, dass „diese dann als eine neue Art von Wahrheit“ zu betrachten (Seite 25) Dichter halten sich nicht immer an Fakten. Etwa, wenn Alfred Lord Tennyson schreibt „Every moment dies a man. Every moment one is born“ (Seite 29) Da die Weltbevölkerung aber ständig wächst müsste es – so der Vorschlag im Buch – heißen „Every moment dies a man. Every moment 1 1/6 is born“ Dies wäre mathematisch auch nicht genau, aber zeige die Entwicklung auf.
Unter dem Titel „Die bedrohliche Wahrheit der Doppelgänger“ wird berichtet, dass bei einem Chaplin Wettbewerb die Nachahmer besser wegkamen als Chaplin selbst, weil dieser bei Dreharbeiten eben normal ging und der Watschelgang durch schnelleres Abspielen, also durch die Technik entstand. Die Nachahmer machten aber den schnellen Watschelgang, der theoretisch gar nicht der Wirklichkeit entsprach.
Manches wird in der Zukunft als unwahr oder als wahr eingestuft werden, obwohl es in der damaligen Zeit genau umgekehrt war. So verweist er auf eine Hexenwaage in der holländischen Stadt Oudewater. Am Marktplatz war eine geeichte Waage aufgestellt. Als Hexen angeklagte Frauen konnten sich hier wägen lassen und bekamen ein Dokument, in dem bestätigt wurde, dass sie nicht fliegen können, weil sie zu schwer seien. Alle Angeklagten mit diesem Attest wurden freigesprochen. Es waren aber nur diejenigen, die das Geld hatten in die Stadt Oudewater zu reisen, um einen derartigen Befund zu kaufen.
HOFMANN, Thomas
Weinviertel Wunderbares - Unerforschtes - Verborgenes Buch
2022.
@book{HOFMANN2022,
title = {Weinviertel Wunderbares - Unerforschtes - Verborgenes},
author = {Thomas HOFMANN},
year = {2022},
date = {2022-04-07},
abstract = {HOFMANN, Thomas; KORAB, Nikolaus: „Weinviertel - wunderbar - unerforscht - verborgenes“, Wien Graz Klagenfurt 2003
Der bodenständige Kral Verlag bietet mit dem vorliegenden Buch wieder eine Region Österreichs aus verschiedensten Blickwinkeln. Geschichte, Gesundheitswesen, Kunst und vor allem viele schöne Fotos. Der Autor Thomas Hofmann ist ein sehr guter Weinviertel-Kenner. Als Autor dieses Buches erzählt er vom Räuber Grasel, verschiedenen Adelsgeschlechtern, Winzern und von Weinstöcken und Kellergassen. Der Fotograf Nikolaus Korab liefert dazu schöne Fotos. Allein das Durchblättern des Buches ergibt schon einen ersten Eindruck.
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Der bodenständige Kral Verlag bietet mit dem vorliegenden Buch wieder eine Region Österreichs aus verschiedensten Blickwinkeln. Geschichte, Gesundheitswesen, Kunst und vor allem viele schöne Fotos. Der Autor Thomas Hofmann ist ein sehr guter Weinviertel-Kenner. Als Autor dieses Buches erzählt er vom Räuber Grasel, verschiedenen Adelsgeschlechtern, Winzern und von Weinstöcken und Kellergassen. Der Fotograf Nikolaus Korab liefert dazu schöne Fotos. Allein das Durchblättern des Buches ergibt schon einen ersten Eindruck.
Schlembach, Mario
Heute graben Buch
2022.
@book{Schlembach2022,
title = {Heute graben},
author = {Mario Schlembach},
year = {2022},
date = {2022-03-27},
abstract = {SCHLEMBACH, Mario: „Heute graben“, Wien 2022
Der Proponent – der Autor selbst (?) – trifft bei seinen regelmäßigen Zugfahrten eine junge Frau, in die er sich verliebt. Er nennt sie A und versucht ein Buch darüber zu schreiben. Sie hat ihm ein Notizbuch geschenkt, das er bald vollgeschrieben hat. Das vorliegende Buch besteht aus der Abschrift von fünf Heften, die tagebuchartig geführt sind. Mit dem Versuch, ein Buch über A zu schreiben, stehen ihm eigene innere Monster im Wege und er fragt sich: „Und wer gewinnt diesen Kampf? Die romantische Seele? Der Todestrieb? Die künstlerische Hybris? Der Egomane im Schafpelz? Der Weltschmerzhypochonder? Oder der Depressionsclown, der tagtäglich seine Rolle als Totengräber spielt?“ (Seite 18)
Weitere Frauenbekanntschaften werden skizziert und der Autor gibt jeder, in sequenzieller Abfolge, einen Buchstaben: B, C, D … Bis er bei der Frau mit der Abkürzung Z landet. Alle Frauen wollen Individualistinnen sein, sehen aber für ihn letztlich alle gleich aus. Immer aber sucht er die Frau A aus dem Zug.
Er ist Totengräber und erzählt seine diesbezüglichen Erfahrungen. Den Job übt er gemeinsam mit seinem Vater aus. Als er Thomas Bernhard liest bekommt er dieselbe Lungenkrankheit wie dieser.
Neben einem Studium, das er später abbricht, teilt er seine Zeit zwischen der Arbeit als Totengräber und Schriftsteller. Viel Zeit nehmen ihm auch die vielen Untersuchungen seiner Krankheit. Letztlich schreibt er dem Halbbruder von Thomas Bernhard, der Mediziner ist, einen Brief und bittet ihn, ihm einen Spezialisten für diese Lungenkrankheit zu empfehlen. Eine Cortisonkur verunsichert ihn noch mehr und kombiniert mit Alkoholkonsum kommt es zu Black Outs.
Immer hat er an A gedacht und andere Frauen getroffen. „Vor vielen Jahren ist A gegangen. Seither nicht ein Tag ohne sie. Nicht ein Tag, an dem ich nicht ein Wort an sie gerichtet habe. Die Welt hat sich auch ohne sie weitergedreht, aber ich weiß, dass sie meine Stimme noch hört.“ (Seite 188) Letztlich fragt er sich „Warum ziehe ich alles Vergangene in jede meiner Gegenwarten?“ (Seite 98) Sein Kontakt mit ihr besteht im Schreiben und dieser Kontakt erscheint ihm wirklicher als jede Realität.
Am Ende muss man sich als Leser fragen, ob die Abschrift von Tagebucheintragungen wert ist sich Literatur zu nennen. Der Autor erzählt von seinen Erfahrung mit einem Verleger, dem er sein Manuskript über die Frau A anbietet. Dieser empfiehlt ihm eine Geschichte als Totengräber zu schreiben. Der Frau A sei er zu nahe. Auch selbst sieht er in seinem Manuskript keine schriftstellerische Tätigkeit, wenn er meint „Pubertätsgeschwängertes Gestammel … alles schon tausendmal gehört … autofiktionale Selbstbefriedigung.“ (Seite 79)
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Der Proponent – der Autor selbst (?) – trifft bei seinen regelmäßigen Zugfahrten eine junge Frau, in die er sich verliebt. Er nennt sie A und versucht ein Buch darüber zu schreiben. Sie hat ihm ein Notizbuch geschenkt, das er bald vollgeschrieben hat. Das vorliegende Buch besteht aus der Abschrift von fünf Heften, die tagebuchartig geführt sind. Mit dem Versuch, ein Buch über A zu schreiben, stehen ihm eigene innere Monster im Wege und er fragt sich: „Und wer gewinnt diesen Kampf? Die romantische Seele? Der Todestrieb? Die künstlerische Hybris? Der Egomane im Schafpelz? Der Weltschmerzhypochonder? Oder der Depressionsclown, der tagtäglich seine Rolle als Totengräber spielt?“ (Seite 18)
Weitere Frauenbekanntschaften werden skizziert und der Autor gibt jeder, in sequenzieller Abfolge, einen Buchstaben: B, C, D … Bis er bei der Frau mit der Abkürzung Z landet. Alle Frauen wollen Individualistinnen sein, sehen aber für ihn letztlich alle gleich aus. Immer aber sucht er die Frau A aus dem Zug.
Er ist Totengräber und erzählt seine diesbezüglichen Erfahrungen. Den Job übt er gemeinsam mit seinem Vater aus. Als er Thomas Bernhard liest bekommt er dieselbe Lungenkrankheit wie dieser.
Neben einem Studium, das er später abbricht, teilt er seine Zeit zwischen der Arbeit als Totengräber und Schriftsteller. Viel Zeit nehmen ihm auch die vielen Untersuchungen seiner Krankheit. Letztlich schreibt er dem Halbbruder von Thomas Bernhard, der Mediziner ist, einen Brief und bittet ihn, ihm einen Spezialisten für diese Lungenkrankheit zu empfehlen. Eine Cortisonkur verunsichert ihn noch mehr und kombiniert mit Alkoholkonsum kommt es zu Black Outs.
Immer hat er an A gedacht und andere Frauen getroffen. „Vor vielen Jahren ist A gegangen. Seither nicht ein Tag ohne sie. Nicht ein Tag, an dem ich nicht ein Wort an sie gerichtet habe. Die Welt hat sich auch ohne sie weitergedreht, aber ich weiß, dass sie meine Stimme noch hört.“ (Seite 188) Letztlich fragt er sich „Warum ziehe ich alles Vergangene in jede meiner Gegenwarten?“ (Seite 98) Sein Kontakt mit ihr besteht im Schreiben und dieser Kontakt erscheint ihm wirklicher als jede Realität.
Am Ende muss man sich als Leser fragen, ob die Abschrift von Tagebucheintragungen wert ist sich Literatur zu nennen. Der Autor erzählt von seinen Erfahrung mit einem Verleger, dem er sein Manuskript über die Frau A anbietet. Dieser empfiehlt ihm eine Geschichte als Totengräber zu schreiben. Der Frau A sei er zu nahe. Auch selbst sieht er in seinem Manuskript keine schriftstellerische Tätigkeit, wenn er meint „Pubertätsgeschwängertes Gestammel … alles schon tausendmal gehört … autofiktionale Selbstbefriedigung.“ (Seite 79)
WOLF, Helga Maria
Wiens beste Feste. Von Bräuchen und Events Buch
2022.
@book{WOLF2022,
title = {Wiens beste Feste. Von Bräuchen und Events},
author = {Helga Maria WOLF},
year = {2022},
date = {2022-03-24},
abstract = {WOLF, Helga Maria: „Wiens beste Feste. Von Bräuchen und Events“, Wien 2014
Das Buch stellt, nach Monaten gegliedert, Stadtfeste dar. Viele davon sind religiöse Feste. Es wirkt beim Lesen so, als sei Wien ein Dorf. Nur wenige, der hier beschriebenen Feste sind unbekannt. Meist handelt es sich um bekannte Feste, wie dem Wiener Silvesterpfad oder dem Donauinselfest. Es ist mehr ein Bildband als ein Veranstaltungskalender. Die Auswahl der beschriebenen Feste ist sehr subjektiv. Ein Buch, von dem man sich fragt, wozu und für wen es wohl geschrieben ist.
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Das Buch stellt, nach Monaten gegliedert, Stadtfeste dar. Viele davon sind religiöse Feste. Es wirkt beim Lesen so, als sei Wien ein Dorf. Nur wenige, der hier beschriebenen Feste sind unbekannt. Meist handelt es sich um bekannte Feste, wie dem Wiener Silvesterpfad oder dem Donauinselfest. Es ist mehr ein Bildband als ein Veranstaltungskalender. Die Auswahl der beschriebenen Feste ist sehr subjektiv. Ein Buch, von dem man sich fragt, wozu und für wen es wohl geschrieben ist.
FATLAND, Erika
2022.
@book{FATLAND2022b,
title = {Die Grenze. Eine Reise rund um Russland durch Nordkorea, China, die Mongolei, Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien, die Ukraine, Weißrussland, Litauen, Polen, Lettland, Estland, Finnland, Norwegen sowie die Nordostpassage},
author = {Erika FATLAND },
year = {2022},
date = {2022-03-20},
abstract = {WARNUNG!: Diese Rezension ist sehr lang. Zu lang. Der Grund? Ich war so fasziniert von diesem Buch, wie es Eindrücke und historische Hintergründe der Nachbarländer Russlands wiedergibt. Man versteht die Vorgangsweise Russlands nach diesem Buch anders.
Ich bin begeistert von Frau Fatland und ihrem Stil zu erzählen. Auf dieses Buch hatte ich mich schon gefreut und ich wurde wieder nicht enttäuscht. Eine großartige Frau, die sich ausgefallenste Reisen getraut zu machen und dann noch sehr anschaulich erzählen kann. Nicht nur das, was sie gesehen hatte, sondern auch Hintergrundinformationen und Geschichte. Da steckt viel Recherchearbeit dahinter, die aber sehr leicht lesbar verpackt ist.
Es geht um die Nachbarländer von Russland. Einerseits ein Bericht ihrer Reise und andererseits eine historische Abhandlung. So erfährt man gleich zu Beginn (oder sollte man das wissen?), dass alle europäischen Großmächte Kolonien besaßen. Nur Russland nicht. Russland dehnte sein Reich laufend aus. „Von der Machtübernahme der Romanows1613 an war das russische Imperium im Schnitt jeden einzelnen Tag über hundert Quadratkilometer gewachsen.“ (Seite 117) Viele Erweiterungen passierten ohne Krieg. Die asiatische Erweiterung brachten russische Pelzhändler, die immer weiter vorrückten, um von den Einheimischen zu günstigen Preisen Pelze zu kaufen, die im Westen viel wert waren.
Nordostpassage
Im ersten Kapitel wird die Fahrt mit einem Schiff entlang der Nordküste Russlands beschrieben. Die Fahrt begann in der Beringstraße in Anadyr und ging bis Murmansk im Westen. Sie dauerte für die über 10.000 Kilometer vier Wochen. Am Schiff waren 47 Passagiere. Durchwegs alte Menschen, die aber Weltenbummler waren und viel von ihren Reisen zu erzählen hatten. Vier Wochen gab es kein Internet und kein Telefon. Angelegt wurde in ehemaligen Wetterstationen oder Dörfern. Auf der Reise gab es nur Ruhe und manchmal Eisbären, Robben oder Seelöwen. Eine Reise, auf der es nicht allzu viel Abwechslung gab. Dafür liefert die Autorin viel Geschichtliches über die Eroberung der östlichen Teile Russlands und den Positionen im Norden. Vier Wochen ohne Internet, ohne Telefon und ohne Nachrichten aus der Welt sind ein Erlebnis der besonderen Art.
Nordkorea
Dass es kein freies Land ist, weiß man. Dass es von einem Diktator geführt wird, dessen Rechte schon in die dritte Generation vererbt sind, weiß man auch. Freies Reisen ist nicht möglich. Fatland hatte eine Gruppenreise gebucht, die sich nicht nur auf die Hauptstadt Pjöngjang konzentrierte. Sie kam auch aufs Land und erzählt in diesem Kapitel, wie anders das Reisen in Nordkorea ist. Alles wird überwacht. Alles ist nach einem vorgegebenen Programm organisiert. Als Reisender wird man laufend beschäftigt, um am Abend müde zu Bett zu gehen und keine Ansprüche auf Spaziergänge hat. Und wenn man das noch wünscht, so meint der Führer „Sie können noch ein bisschen auf dem Parkplatz spazieren gehen, wenn sie wollen.“ (Seite 102) Der große Führer Kim ist überall zu sehen. Auch Touristen müssen sich vor seiner Statue verneigen. Fatland nennt es ein „Verneigen, ohne sich zu verbiegen“. Man durfte eine Statue des Führers nur in vollem Umfang ablichten. Generell wurden die Fotoapparate der Touristen laufend von deren Führern geprüft und vieles sofort gelöscht. So muss sich die Autorin von ihrer Führerin sagen lassen, dass sie nur schöne Dinge fotografieren dürfe, während diese die Löschtaste drückt. „Der nordkoreanische Grenzpolizist war sogar noch gründlicher als Miss Pan. Übereifrig durchsuchte er sämtliche Fotos auf meiner Kamera, über sechshundert an der Zahl. Er löschte alle Bilder mit Menschen, die arm aussahen, sowie alle Fotos, die Männer in Militäruniform zeigten – davon gab es einige.“ (Seite 115) Im Nachsatz schreibt sie aber „Glücklicherweise hatte ich vorsichtshalber eine Sicherungskopie erstellt.“
Bei allen Länderberichten wird Bezug auf Russland genommen. So auch aus historischer Sicht. Die Beziehung zwischen Russland und Nordkorea war einmal bedeutend und verschlechterte sich. Nach der Okkupation der Krim durch die Russen wurden die Beziehung zu Nordkorea wieder ausgebaut. Russland strich neunzig Prozent der Staatsschulden Nordkoreas und investierte dreihundert Millionen Dollar in das nordkoreanische Eisenbahnnetz. Als allerdings die UNO die Atomversuche und Raketenabschüsse Nordkoreas kritisierte, distanzierte sich auch Russland wieder.
China
Nach Nordkorea und seinen Restriktionen, fühlte sich die Reisende in China wie in einem freien Land. Sie durfte hingehen, wo sie wollte, und musste nicht am Parkplatz spazieren gehen. Sie querte die Grenze mit einem Bus und kam in die chinesische Stadt Dalian. Die Stadt mit 7 Millionen Einwohnern ist eine, der am schnellsten wachsenden Städte Chinas und „wurde 2006 von China Daily zur chinesischen Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt.“ (Seite 117) Diese Stadt hatte Fatland ausgewählt, weil sie 1889 als Port Arthur in russische Hände fiel. In dieser Hafenstadt endete die Expansion Russlands nach Osten. Die Grenze zwischen China und Russland war immer umstritten und umkämpft. 1858 erhielten die Russen in einem Vertrag die Gebiete nördlich des Flusses Amur. In Europa war der Zweite Weltkrieg zwar am 30. April 1945 zu Ende, aber nach Abwurf der Atombombe über Hiroshima am 9. August marschierten 1,5 Millionen sowjetische Soldaten in China ein, um die japanischen Besatzer zu vertreiben. Da es noch heute Streitereien um eine Insel gibt, kam es zwischen Japan und Russland bis heute zu keinem Friedenvertrag. Die Sowjets zogen sich später zurück und übergaben das Land Maos Truppen. Von der Stadt Dalian reist die Autorin weiter nach Harbin. Sie nimmt einen Hochgeschwindigkeitszug und ist begeistert. „Jährlich transportieren chinesische Züge 2,5 Milliarden Passagiere, und diese Zahl ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Entfernung, die jeder Passagier zurücklegt, fünfhundert Kilometer beträgt.“ (Seite 129) Auch Harbin hat russische Wurzeln. Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier die Administration der „Ostchinesischen Eisenbahn“ von den Russen gegründet. Die Stadt blühte auf und wurde „das Paris des Fernen Ostens“ genannt. 1905 verloren die Russen gegen Japan einen Krieg. Viele Russen gingen heim. Harbin wurde aber eine internationale Stadt. Nach der russischen Revolution kamen viele politische Flüchtlinge und hatte den größten jüdischen Bevölkerungsanteil im Fernen Osten. Die Japaner entwickelten und produzierten hier biologische Waffen. Viele Menschen starben an den Folgen dieser Industrie. Die Chinesen betreiben heute ein „russisches Dorf“; eine Art Disney Land, das russische Kultur vermitteln soll. Viele Russen finden hier einen Arbeitsplatz. Die Autorin zeigt dies am Beispiel einer russischen Pensionistin aus Wladiwostok, die hier arbeitet, weil sie zu Hause mit der staatlichen Rente nur schwer leben könnte. Fatland reist entlang der Grenze weiter in die Grenzstadt Heihe am Fluss Amur. Auf russischer Seite, im östlichen Sibirien, leben sechs Millionen Menschen auf einer Fläche, die ein Drittel des Landes umfasst. Russland und China steht sich gegenüber. „Die Russen haben das meiste Land, die Chinesen die meisten Menschen.“ (Seite 144) Erst 2008 kam es zu einem friedlichen Nebeneinander. Eine Vereinbarung regelt die 4300 Kilometer lange Grenze. Die Nachbarstädte Heihe auf chinesischer Seite und Blagoweschtschensk auf der russischen Seite des Flusses bilden eine Freihandelszone. Bedingt durch die Sanktionen des Westens nach der Okkupation der Krim wurden die Beziehungen zwischen Russland und China ausgebaut und eine 4000 Kilometer lange Gaspipeline gebaut. Aber Europa und die USA haben ein zehn Mal größeres Handelsvolumen für China als Russland. Ein Besuch in so einem Freihandelseinkaufszentrum zeigt aber, dass es nicht funktioniert. Einkaufen ist für Russen zu teuer geworden. Vor einigen Jahren zahlten sie für einen Yuan 5 Rubel und heute 10.
Mongolei
Mit dem Zug geht es weiter von Peking nach Ulaanbaatar. Sie wählte einen Zug, der nur bis zur mongolischen Hauptstadt fuhr und nicht nach Moskau. Wenige Passagiere waren unterwegs. Sie war der einzige Passagier im Schlafwagen. Die Grenzkontrollen waren intensiv. Die Fahrt dauerte 27 Stunden. Neben persönlichen Eindrücken wird die Geschichte des Landes erzählt. Beginnend beim Nationalhelden Chinggis Khaan, über die Besetzung durch die Chinesen und Sowjets bis zum Jahr 1990 und dem Ende des kommunistischen Regimes. 1946 erkannte China die Mongolei als unabhängiges Land an, aber erst 1961 wurde es als unabhängiges Mitgliedsland in die UNO aufgenommen. Eine grundlegende gesellschaftliche Änderung brachte das Ende des Kommunismus. Die Nomaden zogen in die Hauptstadt, die sich in zwei Jahrzehnten von einer halben Million auf 1,5 Millionen verdreifachte. Ein Mönch im Kloster Erdene Zuu erzählt, wie das zutiefst religiöse Land nach Übernahme durch die Russen 1920 verändert wurde. Klöster wurden geschlossen und Religionsführer ermordet. In 1 ½ Jahren wurden 10.000 Lamas getötet. Ebenso Intellektuelle, hohe Militärs und Politiker. Erst 1992 durfte man wieder Mönch werden, so wie der Erzähler. Stalin wollte das Kolchosen System einführen und verlangte von den Nomaden ihren Viehbestand dem Staat zu überlassen. Diese aber töten ihre Tiere liebe, als sie dem kommunistischen Staat auszuliefern. Die Folge war eine Hungersnot. Militärisch wurde der Aufstand niedergeschlagen. Die neu gewonnene Religionsfreiheit brachte die Hälfte der Mongolen wieder zum Buddhismus zurück und die Klöster wachsen wieder.
Fatland besuchte dann Rentierhirten, die als Eremiten in der Taiga allein leben. Manche von ihnen sind auch Schamanen. Sie wohnen weit weg von ihren Familien und den nächsten Ortschaften. Es ist kalt. Ein Gesprächspartner aber meint „Erst bei minus 40 Grad kann man von Kälte reden.“ (Seite 191) „Nein hier ist es angenehm. Ich friere nur, wenn ich ins Dorf muss, nach Tsagaannuur. Manchmal dauert die Reise fünf Tage durch den Schnee. Wenn wir in die Stadt müssen, reiten wir auf einem Rentier. Sie sind im Winter schneller als Pferde, rutschen nie aus, stolpern niemals.“ (Seite 189)
Fatland besucht auch einen Obertonsänger, der ihr eine individuelle Vorführung bietet. Mit einem Auto fuhr sie zur chinesischen Grenze, um dann über Xinjiang nach Kasachstan zu gelangen. Die Straße zur chinesischen Grenze war dann besser. In der Mongolei sind sie meist ohne Straße querfeldein gefahren. Die bessere Straße vor der Grenze zu China signalisierte auch die Veränderung nach dem Ende des Kommunismus. „Nachdem die Mongolei 1990 eine Demokratie wurde, haben sich die Vorzeichen verändert. In der Zeit des Kommunismus wurden fünfundneunzig Prozent des Handels mit der Sowjetunion abgewickelt. Heute ist China, der alte Feind der Mongolei, der dediziert wichtigste Handelspartner. Über achtzig Prozent des gesamten Exports gehen an die Chinesen.“ (Seite 205)
Kasachstan
Um nach Kasachstan zu kommen, musste Fatland nochmals ein Stück durch China. Die, wegen der Unterdrückung von Minderheiten im Westen in die Presse gekommene Provinz Xinjiang grenzt an acht Länder: Mongolei, Afghanistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Pakistan, Indien und Russland. Die Provinz beherbergt über 50 Minderheiten. Die größte von ihnen ist jene der Uiguren mit fast 50 Prozent. Sie begannen sich als eigener Stamm zu deklarieren, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Sowjetunion ihre Nachbarvölker in Nationen einzuteilen begann und die Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan entstanden. In sehr sachlicher Form wird über den Widerstandskämpfer der Uiguren berichtet. Der Fokus auf Russlands Grenzen ging nicht verloren und so besuchte die Buchautorin die Stadt Urumtschi, wohin während der russischen Revolution viele Russen flüchteten. Sie war schon einmal in Kasachstan und damals hat sie sich geschworen dieses Land niemals mehr zu besuchen. Für das vorliegende Buch kam sie wieder. Sie berichtet vom zweitgrößten Gefangenenlager der UdSSR – Karaganda – wo Stalin zwischen 1929 und 1953 (seinem Tod) 800.000 politische Sträflinge internierte. Hier war auch ein Atomwaffen-Experimentiergelände. Über zwei Millionen Menschen wurden dabei verseucht. Kasachstan war die letzte Sowjetrepublik, die sich als selbstständig erklärte und ist immer noch durch Einrichtungen, wie der Raumfahrtstation Baikonur, von der die Reisende aber wenig berichten konnte, weil „die Verantwortlichen bei einer Konferenz weilten“. Sie reiste 27 Stunden mit dem Zug an und bezahlte 1000 Dollar“ Eintritt“ und bekam nichts zu sehen.
Als Leser kommt man bei dieser Reise in kleine Dörfer und zu Kleinbauern mit wenigen Tieren, wo es aber herzliche Gastfreundschaft gibt. Aber auch die neue Hauptstadt Astana wurde besucht. Ursprünglich war es eine kleine Provinzstadt – Zelinograd – die 1997 zur neuen Hauptstadt ausgerufen wurde. Eine schnell wachsende Stadt, in der die Infrastruktur nicht Schritt halten kann und Autostaus an der Tagesordnung sind.
Aserbaidschan
Mit der Fähre kam sie über das kaspische Meer nach Baku. Eine Transportform, die es nicht so genau nahm und deren Abfahrt sich oft um Tage verzögern kann. Außerdem ist die Strecke nicht sehr frequentiert. Nur wenige Passagiere waren am Fährschiff. Wie bei allen Ländern wird ein historischer Abriss gegeben. So etwa, dass Aserbaidschan sich schon 1917 als unabhängig von Russland erklärte. Das dauerte aber nur drei Jahre, bis die Bolschwiken das Land wieder besetzten. Baku war für 80 Prozent der Ölproduktion der UdSSR verantwortlich. Die Schlacht um Stalingrad sieht Fatland auch als Schlacht um die Ölfelder von Baku, denn nach Fall von Stalingrad wäre für Hitler dieser Weg frei gewesen und der Zweite Weltkrieg hätte einen anderen Ausgang genommen. Auch hier fährt sie möglichst nahe an die russische Grenze heran und besucht die Stadt Schäki.
Bergkarabach
Da die Grenze zwischen Bergkarabach und Aserbaidschan geschlossen war, musste sie über Georgien nach Bergkarabach reisen. „Zum ersten Mal auf meiner Reise war ich im christlichen Teil der Welt. Der Fahrer, der mich nach Tiflis fuhr, bekreuzigte sich an jeder Kirche, an der wir vorbeifuhren, drei Mal.“ (Seite 297) So kam sie in diese abtrünnige Republik, deren Hauptstadt Stepanakert eine verschlafene Provinzstadt war. Das Land mit 150.000 Einwohnern wird finanziert von Exil-Armeniern. Auch hier ging es um Krieg und die Autorin besuchte das Museum der toten Soldaten. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es schon Unruhen und Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. 1992 besetzte es die armenische Armee und die Aserbaidschaner mussten flüchten.
Georgien
Nach diesem „Sidestep“ kehrte sie wieder nach Georgien zurück. „Georgien ist eines meiner Lieblingsländer, es ist ein Land, das absolut alles hat: Im Norden finden sich einige der höchsten Berge Europas, im Westen kann man im Schwarzen Meer baden, im Osten gibt es Weingüter von Weltrang.“ (Seite 307) Es ist ein Land mit gutem Essen und Gastfreundschaft. Aber auch hier dominierte der Krieg und Auseinandersetzungen mit Russland. 1999 marschierte Russland in Tschetschenien ein. Hunderttausende Menschen wurden getötet oder flohen. Wichtige Verkehrsverbindungen sind in Richtung Russlands ausgerichtet. Auch hier gibt es zwei abtrünnige Republiken: Abchasien und Südossetien, die sich in den frühen 1990er Jahren lösten. Schewardnadse, der frühere russische Außenminister brachte Frieden. Der berühmteste Mann aus Georgien war Stalin. Für viele Auseinandersetzungen der Großmächte Russland und der NATO musste das Land herhalten. Russland versetzt laufend den Grenzzaun. Fatland besucht einen Mann, der eines Tages aufwachte und im Nachbarland war. Der Zaun war über Nacht verschoben worden. Um seine Pension abheben zu können, muss er heimlich (und verbotenerweise) über den Zaun klettern und sich in seinem Heimatland das Geld abholen, das er aber nicht eintauschen kann, weil man auf der anderen Seite des Zauns nur Rubel akzeptiert. Die abenteuerliche Buchautorin besucht auch die abtrünnigen Republiken. Viele Häuser sind noch Ruinen vom Krieg
Abchasien
Eine abtrünnige Republik von Georgien hat nur 250.000 Einwohner. Zu klein, um internationale anerkannt zu werden. Russland beschützt das Land, hat Truppen stationiert, den Rubel als Währungsmittel eingeführt und bringt jährlich im Sommer Touristen ans Schwarze Meer. Nicaragua und Venezuela haben Abchasien anerkannt. So wie in vielen Ländern des Kaukasus gab es hier in der Vergangenheit, bis in die heutige Zeit Kriege. Die Autorin des Buches definierte es sehr gut, indem sie sagte „Der Krieg, der es im Westen kaum in die Zeitungen schaffte, war geprägt von fürchterlichen Übergriffen auf beiden Seiten, immer wieder kam es zu Scharmützeln unterbrochen von flüchtigen Waffenstillstandsabkommen, die immer wieder gebrochen wurden.“ (Seite 338) Trotz Friedens zeigte sich Abchasien als zerstörtes Land: „Wir fuhren an halb niedergebrannten Gebäuden, verlassenen Dörfern und Fabriken vorbei, die seit der Sowjetzeit nicht mehr in Betrieb waren. Die Felder waren verwuchert und nicht bestellt, die Straßen in einem elenden Zustand, nur notdürftig instandgehalten und voller Schlaglöcher.“ (Seite 335) Unter Gorbatschow zeigte sich die tiefe Spaltung zwischen Georgien und Abchasien: Abchasien wollte Teil der Sowjetunion sein und Georgien wünschte sich die Unabhängigkeit, die 1991 ausgerufen wurde.
Ukraine
Wieder zurück in Georgien nahm die Berichterstatterin eine Fähre, die sie nach Odessa und damit nach Europa brachte. Alles wirkte wieder geordneter. „Im Gegensatz zu der Fähre über das Kaspische Meer hatte die Schwarzmeerfähre zwischen Batumi und Odessa feste Abfahrtszeiten.“ (Seite 353) „Ukraine“ bedeutet „Land an der Grenze“. Viele Gesprächspartner der Autorin glauben, dass hinter der Orangen Revolution 2004 die USA standen.
Fatland besucht auch eine schwedische Enklave in der Ukraine. Wer hätte das gedacht. Im 18. Jahrhundert wurden sie hier angesiedelt. Am Beispiel einer Familie wird das Schicksal dieser Leute beschrieben. Wie sie im Krieg als Feinde verfrachtet wurden. Viele kamen um. Einige wanderten wieder nach Schweden zurück, aber viele von ihnen kamen doch wieder zurück in die Ukraine. Der Besuch der Verwandten war schwierig. Im Zuge des Krieges kam der Vater der Familie in Kriegsgefangenschaft und wurde nach Schweden abgeschoben, wo er mit einer anderen Frau ein neues Leben begann. Erst spät lernen die Kinder, die nun schon Erwachsene geworden waren, ihren Vater kennen ….
Sehr sachlich wird die Geschichte der Krim aufgezeigt. Im Krieg wurden ganze Familien umgesiedelt. Kinder kamen in der Fremde zur Welt. Wuchsen etwa in Usbekistan auf. Lernten usbekisch und tatarisch. Als sie wieder in ihre Heimat Krim zurückkamen, konnten sie kein russisch. Sie waren in ihrer eigenen Heimat Fremde geworden. Wie sich im Laufe der Geschichte die Besitzverhältnisse änderten. Neu auch, dass das russische Territorium „Krim“ 1954 von Nikita Chruschtschow der Ukraine geschenkt wurde. Putin holte es wieder zurück.
Kiew wurde im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerstört. Hier wurden erstmals ferngesteuerte Bomben installiert. Als die rote Armee die Stadt vor den anrückenden und überlegenen Deutschen räumen mussten, installierten sie diese neuen Bomben und zündeten sie, nachdem die deutschen Soldaten die Stadt besetzt hatten. Anschaulich wird die Geschichte auch durch Zeitzeugen beschrieben. So besuchte die Autorin ein Krankenhaus, in dem Soldaten aus dem Krieg im Osten des Landes lagen. Einer formulierte es so: „Ich gehöre zu den Ersten, die eingezogen wurden, aber ich habe mich gefreut. Dies ist Russlands Krieg gegen uns. Putin ist wie Hitler. Wie kann ein Land einfach daherkommen und ein anderes Land einnehmen, im 21. Jahrhundert.“ (Seite 414) Dann fügte er noch hinzu „Fast alle Männer meiner Familie waren Soldaten. Mein Großvater war in Berlin. Mein Vater auf Kuba. Mein Onkel ist während des Krieges zwischen Israel und Ägypten in Syrien gewesen. Mein Bruder war in Afghanistan. Ich bin in Donezk gelandet. Es muss jetzt gut sein. Ich hoffe, dass mein Sohn davonkommt.“ (Seite 416) Dieses Gespräch fand 2017 statt. Heute wäre es noch treffender.
Nach der Hauptstadt besuchte sie noch Tschernobyl und beschreibt die derzeitige Situation dort. Auch hier wieder mit Berichten von Zeitzeugen und Leidtragenden.
Traf sie überall auf Menschen, die russisch sprachen, so fand sie in Lwiw – Lemberg – eine rein ukrainische Stadt. Auch eine Stadt, die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde.
Donezk
In der Kapitelüberschrift nennt sie dieses Gebiet „Die jüngste abtrünnige Republik der Welt“. 2012 wurde hier noch die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet. Donezk war eine der wohlhabenden Städte der Ukraine. Zur Entstehung des Buches war es Kriegsgebiet. Mit vielen Sondergenehmigungen gelang es das Gebiet zu besuchen. Es ist nach Russland ausgerichtet. Ein Gesprächspartner sagt „Das ganze Donezbecken soll wieder ein Teil Russlands werden. Die Menschen in Mariupol und Kramatorsk sehnen sich danach, befreit zu werden!“ (Seite 395) Während ich diese Zeilen lese, berichten die Medien über den Überfallskrieg und die Zerstörung der Ukraine durch russische Truppen. Bereits 2015 wurde viel zerstört. Nur alte Leute sind zurückgekommen und versuchten in den Ruinen Unterschlupf zu finden. Andere wünschen sich wieder: „Wir hoffen, dass Donezk wieder zu einem Teil der Ukraine wird.“ (Seite 401) Es war ein gefährlicher Ausflug. Die Begleiterin war selbst geflüchtet und kam nach einigen Jahren wieder zurück. Mit Tränen in den Augen fuhren sie über die Grenze wieder zurück in die Ukraine. Bedingt durch die geschaffene Infrastruktur während der Fußballmeisterschaft, konnte Fatland mit einem Expresszug nach Kiew zurückfahren.
Weißrussland
Von Lwiw nach Brest waren es weniger als 300 Kilometer. Weißrussland – so die Autorin – hat historisch nie existiert. 1918 genoss das Land eine kurze Periode der Unabhängigkeit. Nach einigen Monaten wurde es zu einer Sowjetrepublik. Russisch ist die Hauptsprache. Nur 15 Prozent aller Bücher erscheinen in weißrussischer Sprache. 1939 marschierten die Sowjets in Polen, dem Baltikum und Finnland ein und 1941 kamen die deutschen Truppen. Das flache Land konnte nur schwer verteidigt werden. Im Zweiten Weltkrieg wurden 9000 Dörfer niedergebrannt. In Wizebsk suchte Fatland nach Spuren von Marc Chagall, der hier aufgewachsen ist und später zurückkam. Als Jude hatte er kein einfaches Leben. Trotzdem schaffte er es, in Sankt Petersburg zu studieren und später nach Paris auszuwandern. Chagall wollte seine Werke seiner Heimatstadt vererben, aber die lehnten ab. Jetzt gibt es ein Museum, das keine Originale besitzt. Viele Juden lebten in Weißrussland. Fast alle wurden vernichtet. 100.000 lebten in Minsk in einem Ghetto. Eine ehemalige Zirkusakrobatin erzählt über das Leben im Ghetto. Ein unfassbares Leben wird hier beschrieben. Auch mit dem ehemaligen Präsidenten des Landes, dem Wissenschaftler Stanislau Schuschkewitsch konnte sie ein Gespräch führen. Sein Nachfolger Lukaschenko verordnete, dass er nur eine Pension von zwei Dollar pro Monat bekam. Ein Menschenbild anderer Natur. Um einen guten Preis für Öl und Gas zu bekommen, lud er den russischen Präsidenten Boris Jelzin zu einer Jagd ein. Mit dabei der ukrainische Präsident. In der Jagdhütte wurde die Auflösung der UdSSR beschlossen.
Litauen
Mit einem Bus kam sie nach Litauen. Schlagartig waren die Straßen besser und internationale Geschäfte tauchten auf. Vilnius, die Hauptstadt ist eine litauische Stadt. Im ganzen Land sind nur fünf Prozent Russen. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Situation anders. Damals bestand die Mehrheit der Bevölkerung aus Juden, an zweiter Stelle Polen. 20 Prozent waren Russen und nur ein Prozent Litauer. Deutsche, Polen, Russen wechselten sich in der Herrschaft ab. 1990 erklärte sich Litauen als erste Sowjetrepublik unabhängig. 1991 kam es noch zu Scharmützeln. An einer Grenze zu Russland kam es zu einem Überfall, bei dem die litauischen Beamten getötet wurden. Nur einer überlebte und die Autorin traf ihn zu einem Gespräch. In persönlichen Gesprächen mit Menschen des jeweiligen Landes wird die Geschichte und die Beziehung zu Russland beschrieben. Beim Besuch der Ostseeküste erinnert sie sich, dass hier der Deutsche Thomas Mann ein Haus hatte.
Polen
Gegenüber von Litauen liegt Danzig. Von Kaunas war es aber eine lange Reise bis Danzig. Erst im März 1945 konnte die rote Armee die Stadt einnehmen. 90 Prozent der Altstadt war durch das intensive Bombardement der Alliierten zerstört. Polen war damit theoretisch unabhängig, wurde aber als kommunistische Diktatur von der Sowjetunion aus geführt. 1989 wurden hinter dem Eisernen Vorhang in Polen die ersten freien Wahlen abgehalten. Solidarnosc gewann überlegen und ihr Führer Lech Walesa wurde erster Präsident. Die ehemalige Werft, in der die Aufstände begannen, ist heute ein Museum. Zu Beginn wurden auch heikle Themen wie die Mitverantwortung der Polen bei der Judenverfolgung, behandelt, daher wurde der Direktor von der konservativen Regierung abberufen.
Polen wurde oft besetzt und die Grenzen verschoben. Zu Russland gab es fast immer ein gespaltenes Verhältnis. Während des Zweiten Weltkriegs wurden auf Befehl Stalins 20.000 polnische Offiziere und Soldaten erschossen. Als der polnische Präsident und Parlamentsvertreter die Gedenkstätte besuchen wollten, stürzte die Maschine ab. Noch heute glauben Politiker in Polen, dass es eine Sabotage Russlands war.
Lettland
Nachdem sie ohne jegliche Kontrolle die Grenze zwischen Litauen und Lettland passiert hatte, besuchte sie die Stadt Daugavpils (russisch Dvinsk). Es ist die zweitgrößte Stadt Lettlands und die größte Stadt innerhalb der Europäischen Union, in der die Mehrheit Russen sind. Lettland hat generell ein negatives Wachstum. 1991 lebten über 2,6 Millionen Menschen im Land. 2016 weniger als 2 Millionen. Russen, die im Land wohnten, konnten die lettische Staatsbürgerschaft bekommen, wenn sie eine Prüfung in lettischer Sprache machten. Bis heute (Zeitpunkt des Besuchs der Autorin 2017), lebten so 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft. Auch der Fahrer Fatlands hatte keine und sprach kein Wort lettisch. Er brauche diese Sprache nicht, da alle russisch verstünden. Auch hier traf sie einen Zeitzeugen: den 92jährigen Visvaldis Läcis. Er war in Lettland – damals ein freies Land – geboren. Als er 16 Jahre alt war fielen die Russen ein. Während der sowjetischen Okkupation wurden tausende Letten deportiert oder ermordet. Er, ein Schriftsteller, meinte: „Wir haben unter Schweden, Polen, Deutschen und Russen gelebt, und von allen waren die Russen am schlimmsten.“ (Seite 492) Nach dem Hitler-Stalin-Pakt wurden die Deutschen 1939 evakuiert. Heim ins Reich. 1943 wurden 80.000 Letten in die Waffen-SS eingezogen. Nachdem die Sowjets die Deutschen vertrieben hatten, kam er ins Gefängnis. Da es nach dem Krieg zu wenige Männer gab, wurde er freigelassen. Er studierte und wurde mehrmals von der Universität ausgeschlossen. Obwohl er die besten Noten hatte, durfte er nicht promovieren. Er gehörte zu „Lettlands weißen Negern“. Er war zwei Mal Abgeordneter im lettischen Parlament. In einer neofaschistischen Partei, die für ein Verbot von Russisch an lettischen Schulen und eine Deportation aller Russen eintrat. Er meint „Die Russen sind eine Bedrohung für Lettland.“ (Seite 496) Von den fast 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft will die Hälfte einen Anschluss an Russland.
Ein anderer Gesprächspartner erzählt, dass 1949 an einem einzigen Tag 42.000 Letten nach Sibirien deportiert wurden. In Viehwagens wurden sie transportiert. 1956 starb sein Vater im Gefängnis und die Mutter 1960, während er beim Militär Dienst machte. Mit 26 Jahren – nach Beendigung des Militärdienst – kam er das erste Mal nach Riga zurück, aber es war alles fremd für ihn. Erst 1993, als Lettland selbstständig wurde, bekam er den Hof seiner Eltern zurück.
Estland
Die Grenze zwischen Lettland und Estland verläuft mitten durch die Stadt Valka. Viele Einwohner sind auf die estnischen Seite gewechselt, weil sie dort mehr verdienten und ein besseres Sozialsystem vorfanden. An der Universität Tartu traf die Autorin eine Professorin, die in den 1990er Jahren Sozialministerin war. Sie war eine Kämpferin für die Unabhängigkeit und erzählte, wie sie 1989 mit 2 Millionen Menschen eine Kette bildete. „Dieser Augenblick war vielleicht der Höhepunkt meines Lebens.“ (Seite 509) Die Grenze zwischen Russland und Estland wurde von beiden Ländern nicht ratifiziert. In Städten wie Navra wohnen fast ausschließlich Russen. Sie brauchen keine estnische Sprache.
Finnland
Bei dieser Reise, so schreibt sie, hatte ich in Finnland erstmals das Gefühl nach Hause zu kommen. Mit 18 Jahren ging sie in Helsinki zur Schule, bevor sie für zwei Jahre ins Lyzeum nach Lyon übersiedelte. Finnland war für sie wie ein Heimkommen. Die Geschichte Finnlands erzählt sie in diesem Buch mit der Biografie des Freiherrn Mannerheim. Er diente im russischen Heer und baute die finnische Armee für den unabhängigen Staat auf. Finnland schwankte im Zweiten Weltkrieg zwischen Deutschland und Russland. Mit Neutralität versuchte das Land durchzukommen. Es wurde teilweise mit den Deutschen kooperiert und später einigte man sich mit den Sowjets und vertrieb die Deutschen, die zum Abschied Städte wie Rovaniemi dem Erdboden gleich machten. Bei Friedensverhandlungen verlor Finnland Teile seines Landes, wurde aber unabhängig. Mannerheim war in allen Veränderungen involviert und ist heute in Finnland eine häufig beschriebene Person. Eine 75jährige erzählt im Interview, dass ihre Familie 1939 ein Haus gebaut hatte. Nach 5 Jahren wurden sie evakuiert. Die Halbinsel, auf der das Haus stand, wurde ein sowjetischer Militärstützpunkt. Die 7.000 Einwohner mussten innerhalb von wenigen Tagen ihre Häuser verlassen. Finnland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine halbe Million Vertriebener. 1955 gab Chruschtschow den Militärstützpunkt an Finnland zurück, so wie er die Krim den Ukrainern gab. Das Haus der Erzählerin existierte nicht mehr. Weiter im Norden veränderten sich die Grenzen mehrmals. Von 1920 bis 1944 grenzte Norwegen nur an Finnland und Schweden und nicht an Russland. 1944 musste Finnland wieder Teile abgeben. Die Menschen im Gebiet von Petsamo mussten umgesiedelt werden. Eine 83jährige Frau erzählt, wie dies damals war. Wie sie in Finnland lebte, ohne finnisch zu sprechen. Wie sie im Krieg nach Schweden kam und dort zur Schule ging und als sie zurück kam nur schwedisch sprach.
Norwegen
Als der Vater der Autorin hörte, dass seine Tochter zu Fuß und mit dem Kanu die Grenze zwischen Norwegen und Russland entlangfahren will, entschied er sich sie zu begleiten. Es war die einzige Wegstrecke, die sie nicht allein unternahm. Diese Grenze ist 196 Kilometer lang. Das sind aber nur acht Prozent der norwegischen Grenze. Die norwegische Stadt Kirkenes hat einen regen Austausch mit der russischen Stadt Nikel. Die Finnen „fahren mit Kind und Kegel nach Nikel auf der russischen Seite, um Wodka und Zigaretten zu kaufen und zu tanken. Und die Russen kamen in Scharen, um Sportausrüstung und Pulverkaffee zu kaufen … Außerdem kauften sie Windeln, die hier tatsächlich billiger sind als in Russland.“ (Seite 573) Kirkenes war im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt. Eine Neunundsiebzigjährige erzählt, wie sie 1944 erlebte, als sie von den Russen befreit wurden. Die abziehenden deutschen Truppen brannten noch alles nieder. Viele hatten keine Häuser mehr und wohnten in Stollen eines Bergwerks. Nach einem Jahr zogen sich die Russen wieder aus Norwegen zurück. Russland machte wenig später der norwegischen Regierung denselben Vorschlag wie Finnland, einen Nichtangriffspakt einzugehen. Norwegen entschied sich dagegen und trat der NATO bei.
Der Vater fuhr mit der Tochter im Kanu am Grenzfluss entlang nach Norden. Norwegische Soldaten zeigten ihnen die militärischen Einrichtungen. Einer der Offiziere erzählte, wie es 1968 fast zu einem Krieg kam, als an der Grenze Panzer und Militärkonvois auffuhren, die sich aber Gott sei Dank nach einigen Tagen wieder zurückzogen. Norwegen hatte mit Russland nie Krieg. „Norweger und Russen im Großen und Ganzen sind geprägt von gegenseitigem Respekt und Verständnis.“ (Seite 574)
Zusammenfassung
Die Autorin resümiert: Im Laufe des Jahres hatte sie 20.000 Kilometer entlang der russischen Grenze mit Hilfe von Inlandsflügen, Schnellzügen, Kleinbussen, Pferden, Taxis, Lastschiffen, Kajaks und zu Fuß zurückgelegt. Sie war durch 14 Länder und 3 abtrünnige Republiken gereist. „Keines der Länder, die ich besucht habe, war ohne Wunden oder Narben in Folge der Nachbarschaft zu Russland.“ (Seite 601) Sie wagt auch eine Prognose, wenn sie schreibt: „Das größte Land der Erde hat nur geringes Selbstvertrauen, wirtschaftlich geht es bergab, die Bevölkerung schrumpft. Der Bedarf nach Selbstbehauptung und Anerkennung ist umso größer. … Das russische Imperium wurde so groß, gerade weil die jeweiligen Herrscher jederzeit alle sich bietenden Möglichkeiten ergriffen, um die Grenzen zu erweitern, koste es, was es wolle. Nur selten vermieden sie dabei Brutalität, schmutzige Tricks oder auch einen weiteren Krieg.“ (Seite 602) „Langfristig ist es schwer zu beurteilen, ob Russland in einer Generation, in hundert oder zweihundert Jahren mit seinen nahezu zweihundert ethnischen Gruppen und Nationalitäten, mit seinen siebzehn Millionen Quadratkilometern und seinen sechzigtausend Kilometer langen Grenzen als ein zusammenhängendes Ganzes weiterhin existieren kann.“ (Seite 603)
Viele Grenzen wurden bei dieser Reise überschritten und daher möchte ich hier die Definition der Autorin von Grenze wiedergeben: „Eine Grenze zu überqueren, gehört zu den faszinierendsten Dingen, die es gibt. Geographisch gesehen ist der Schritt minimal, nahezu mikroskopisch. Man bewegt sich nur einige wenige Meter, doch man befindet sich plötzlich in einem anderen Universum. Manchmal ist absolut alles anders, vom Alphabet und der Währung bis hin zu Gesichtern, Farben, Geschmäckern, bedeutenden Jahreszahlen und den Namen, die die Menschen anerkennend nicken lassen.“ (Seite 223)
Meine Buchbesprechung ist etwas lang geworden, aber das Buch ist mit über 600 Seiten auch dick. Fast jedes der 14 hier beschriebenen russischen Nachbarländer würde ein eigenes Buch ergeben.
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Ich bin begeistert von Frau Fatland und ihrem Stil zu erzählen. Auf dieses Buch hatte ich mich schon gefreut und ich wurde wieder nicht enttäuscht. Eine großartige Frau, die sich ausgefallenste Reisen getraut zu machen und dann noch sehr anschaulich erzählen kann. Nicht nur das, was sie gesehen hatte, sondern auch Hintergrundinformationen und Geschichte. Da steckt viel Recherchearbeit dahinter, die aber sehr leicht lesbar verpackt ist.
Es geht um die Nachbarländer von Russland. Einerseits ein Bericht ihrer Reise und andererseits eine historische Abhandlung. So erfährt man gleich zu Beginn (oder sollte man das wissen?), dass alle europäischen Großmächte Kolonien besaßen. Nur Russland nicht. Russland dehnte sein Reich laufend aus. „Von der Machtübernahme der Romanows1613 an war das russische Imperium im Schnitt jeden einzelnen Tag über hundert Quadratkilometer gewachsen.“ (Seite 117) Viele Erweiterungen passierten ohne Krieg. Die asiatische Erweiterung brachten russische Pelzhändler, die immer weiter vorrückten, um von den Einheimischen zu günstigen Preisen Pelze zu kaufen, die im Westen viel wert waren.
Nordostpassage
Im ersten Kapitel wird die Fahrt mit einem Schiff entlang der Nordküste Russlands beschrieben. Die Fahrt begann in der Beringstraße in Anadyr und ging bis Murmansk im Westen. Sie dauerte für die über 10.000 Kilometer vier Wochen. Am Schiff waren 47 Passagiere. Durchwegs alte Menschen, die aber Weltenbummler waren und viel von ihren Reisen zu erzählen hatten. Vier Wochen gab es kein Internet und kein Telefon. Angelegt wurde in ehemaligen Wetterstationen oder Dörfern. Auf der Reise gab es nur Ruhe und manchmal Eisbären, Robben oder Seelöwen. Eine Reise, auf der es nicht allzu viel Abwechslung gab. Dafür liefert die Autorin viel Geschichtliches über die Eroberung der östlichen Teile Russlands und den Positionen im Norden. Vier Wochen ohne Internet, ohne Telefon und ohne Nachrichten aus der Welt sind ein Erlebnis der besonderen Art.
Nordkorea
Dass es kein freies Land ist, weiß man. Dass es von einem Diktator geführt wird, dessen Rechte schon in die dritte Generation vererbt sind, weiß man auch. Freies Reisen ist nicht möglich. Fatland hatte eine Gruppenreise gebucht, die sich nicht nur auf die Hauptstadt Pjöngjang konzentrierte. Sie kam auch aufs Land und erzählt in diesem Kapitel, wie anders das Reisen in Nordkorea ist. Alles wird überwacht. Alles ist nach einem vorgegebenen Programm organisiert. Als Reisender wird man laufend beschäftigt, um am Abend müde zu Bett zu gehen und keine Ansprüche auf Spaziergänge hat. Und wenn man das noch wünscht, so meint der Führer „Sie können noch ein bisschen auf dem Parkplatz spazieren gehen, wenn sie wollen.“ (Seite 102) Der große Führer Kim ist überall zu sehen. Auch Touristen müssen sich vor seiner Statue verneigen. Fatland nennt es ein „Verneigen, ohne sich zu verbiegen“. Man durfte eine Statue des Führers nur in vollem Umfang ablichten. Generell wurden die Fotoapparate der Touristen laufend von deren Führern geprüft und vieles sofort gelöscht. So muss sich die Autorin von ihrer Führerin sagen lassen, dass sie nur schöne Dinge fotografieren dürfe, während diese die Löschtaste drückt. „Der nordkoreanische Grenzpolizist war sogar noch gründlicher als Miss Pan. Übereifrig durchsuchte er sämtliche Fotos auf meiner Kamera, über sechshundert an der Zahl. Er löschte alle Bilder mit Menschen, die arm aussahen, sowie alle Fotos, die Männer in Militäruniform zeigten – davon gab es einige.“ (Seite 115) Im Nachsatz schreibt sie aber „Glücklicherweise hatte ich vorsichtshalber eine Sicherungskopie erstellt.“
Bei allen Länderberichten wird Bezug auf Russland genommen. So auch aus historischer Sicht. Die Beziehung zwischen Russland und Nordkorea war einmal bedeutend und verschlechterte sich. Nach der Okkupation der Krim durch die Russen wurden die Beziehung zu Nordkorea wieder ausgebaut. Russland strich neunzig Prozent der Staatsschulden Nordkoreas und investierte dreihundert Millionen Dollar in das nordkoreanische Eisenbahnnetz. Als allerdings die UNO die Atomversuche und Raketenabschüsse Nordkoreas kritisierte, distanzierte sich auch Russland wieder.
China
Nach Nordkorea und seinen Restriktionen, fühlte sich die Reisende in China wie in einem freien Land. Sie durfte hingehen, wo sie wollte, und musste nicht am Parkplatz spazieren gehen. Sie querte die Grenze mit einem Bus und kam in die chinesische Stadt Dalian. Die Stadt mit 7 Millionen Einwohnern ist eine, der am schnellsten wachsenden Städte Chinas und „wurde 2006 von China Daily zur chinesischen Stadt mit der höchsten Lebensqualität gekürt.“ (Seite 117) Diese Stadt hatte Fatland ausgewählt, weil sie 1889 als Port Arthur in russische Hände fiel. In dieser Hafenstadt endete die Expansion Russlands nach Osten. Die Grenze zwischen China und Russland war immer umstritten und umkämpft. 1858 erhielten die Russen in einem Vertrag die Gebiete nördlich des Flusses Amur. In Europa war der Zweite Weltkrieg zwar am 30. April 1945 zu Ende, aber nach Abwurf der Atombombe über Hiroshima am 9. August marschierten 1,5 Millionen sowjetische Soldaten in China ein, um die japanischen Besatzer zu vertreiben. Da es noch heute Streitereien um eine Insel gibt, kam es zwischen Japan und Russland bis heute zu keinem Friedenvertrag. Die Sowjets zogen sich später zurück und übergaben das Land Maos Truppen. Von der Stadt Dalian reist die Autorin weiter nach Harbin. Sie nimmt einen Hochgeschwindigkeitszug und ist begeistert. „Jährlich transportieren chinesische Züge 2,5 Milliarden Passagiere, und diese Zahl ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Entfernung, die jeder Passagier zurücklegt, fünfhundert Kilometer beträgt.“ (Seite 129) Auch Harbin hat russische Wurzeln. Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier die Administration der „Ostchinesischen Eisenbahn“ von den Russen gegründet. Die Stadt blühte auf und wurde „das Paris des Fernen Ostens“ genannt. 1905 verloren die Russen gegen Japan einen Krieg. Viele Russen gingen heim. Harbin wurde aber eine internationale Stadt. Nach der russischen Revolution kamen viele politische Flüchtlinge und hatte den größten jüdischen Bevölkerungsanteil im Fernen Osten. Die Japaner entwickelten und produzierten hier biologische Waffen. Viele Menschen starben an den Folgen dieser Industrie. Die Chinesen betreiben heute ein „russisches Dorf“; eine Art Disney Land, das russische Kultur vermitteln soll. Viele Russen finden hier einen Arbeitsplatz. Die Autorin zeigt dies am Beispiel einer russischen Pensionistin aus Wladiwostok, die hier arbeitet, weil sie zu Hause mit der staatlichen Rente nur schwer leben könnte. Fatland reist entlang der Grenze weiter in die Grenzstadt Heihe am Fluss Amur. Auf russischer Seite, im östlichen Sibirien, leben sechs Millionen Menschen auf einer Fläche, die ein Drittel des Landes umfasst. Russland und China steht sich gegenüber. „Die Russen haben das meiste Land, die Chinesen die meisten Menschen.“ (Seite 144) Erst 2008 kam es zu einem friedlichen Nebeneinander. Eine Vereinbarung regelt die 4300 Kilometer lange Grenze. Die Nachbarstädte Heihe auf chinesischer Seite und Blagoweschtschensk auf der russischen Seite des Flusses bilden eine Freihandelszone. Bedingt durch die Sanktionen des Westens nach der Okkupation der Krim wurden die Beziehungen zwischen Russland und China ausgebaut und eine 4000 Kilometer lange Gaspipeline gebaut. Aber Europa und die USA haben ein zehn Mal größeres Handelsvolumen für China als Russland. Ein Besuch in so einem Freihandelseinkaufszentrum zeigt aber, dass es nicht funktioniert. Einkaufen ist für Russen zu teuer geworden. Vor einigen Jahren zahlten sie für einen Yuan 5 Rubel und heute 10.
Mongolei
Mit dem Zug geht es weiter von Peking nach Ulaanbaatar. Sie wählte einen Zug, der nur bis zur mongolischen Hauptstadt fuhr und nicht nach Moskau. Wenige Passagiere waren unterwegs. Sie war der einzige Passagier im Schlafwagen. Die Grenzkontrollen waren intensiv. Die Fahrt dauerte 27 Stunden. Neben persönlichen Eindrücken wird die Geschichte des Landes erzählt. Beginnend beim Nationalhelden Chinggis Khaan, über die Besetzung durch die Chinesen und Sowjets bis zum Jahr 1990 und dem Ende des kommunistischen Regimes. 1946 erkannte China die Mongolei als unabhängiges Land an, aber erst 1961 wurde es als unabhängiges Mitgliedsland in die UNO aufgenommen. Eine grundlegende gesellschaftliche Änderung brachte das Ende des Kommunismus. Die Nomaden zogen in die Hauptstadt, die sich in zwei Jahrzehnten von einer halben Million auf 1,5 Millionen verdreifachte. Ein Mönch im Kloster Erdene Zuu erzählt, wie das zutiefst religiöse Land nach Übernahme durch die Russen 1920 verändert wurde. Klöster wurden geschlossen und Religionsführer ermordet. In 1 ½ Jahren wurden 10.000 Lamas getötet. Ebenso Intellektuelle, hohe Militärs und Politiker. Erst 1992 durfte man wieder Mönch werden, so wie der Erzähler. Stalin wollte das Kolchosen System einführen und verlangte von den Nomaden ihren Viehbestand dem Staat zu überlassen. Diese aber töten ihre Tiere liebe, als sie dem kommunistischen Staat auszuliefern. Die Folge war eine Hungersnot. Militärisch wurde der Aufstand niedergeschlagen. Die neu gewonnene Religionsfreiheit brachte die Hälfte der Mongolen wieder zum Buddhismus zurück und die Klöster wachsen wieder.
Fatland besuchte dann Rentierhirten, die als Eremiten in der Taiga allein leben. Manche von ihnen sind auch Schamanen. Sie wohnen weit weg von ihren Familien und den nächsten Ortschaften. Es ist kalt. Ein Gesprächspartner aber meint „Erst bei minus 40 Grad kann man von Kälte reden.“ (Seite 191) „Nein hier ist es angenehm. Ich friere nur, wenn ich ins Dorf muss, nach Tsagaannuur. Manchmal dauert die Reise fünf Tage durch den Schnee. Wenn wir in die Stadt müssen, reiten wir auf einem Rentier. Sie sind im Winter schneller als Pferde, rutschen nie aus, stolpern niemals.“ (Seite 189)
Fatland besucht auch einen Obertonsänger, der ihr eine individuelle Vorführung bietet. Mit einem Auto fuhr sie zur chinesischen Grenze, um dann über Xinjiang nach Kasachstan zu gelangen. Die Straße zur chinesischen Grenze war dann besser. In der Mongolei sind sie meist ohne Straße querfeldein gefahren. Die bessere Straße vor der Grenze zu China signalisierte auch die Veränderung nach dem Ende des Kommunismus. „Nachdem die Mongolei 1990 eine Demokratie wurde, haben sich die Vorzeichen verändert. In der Zeit des Kommunismus wurden fünfundneunzig Prozent des Handels mit der Sowjetunion abgewickelt. Heute ist China, der alte Feind der Mongolei, der dediziert wichtigste Handelspartner. Über achtzig Prozent des gesamten Exports gehen an die Chinesen.“ (Seite 205)
Kasachstan
Um nach Kasachstan zu kommen, musste Fatland nochmals ein Stück durch China. Die, wegen der Unterdrückung von Minderheiten im Westen in die Presse gekommene Provinz Xinjiang grenzt an acht Länder: Mongolei, Afghanistan, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Pakistan, Indien und Russland. Die Provinz beherbergt über 50 Minderheiten. Die größte von ihnen ist jene der Uiguren mit fast 50 Prozent. Sie begannen sich als eigener Stamm zu deklarieren, als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Sowjetunion ihre Nachbarvölker in Nationen einzuteilen begann und die Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan entstanden. In sehr sachlicher Form wird über den Widerstandskämpfer der Uiguren berichtet. Der Fokus auf Russlands Grenzen ging nicht verloren und so besuchte die Buchautorin die Stadt Urumtschi, wohin während der russischen Revolution viele Russen flüchteten. Sie war schon einmal in Kasachstan und damals hat sie sich geschworen dieses Land niemals mehr zu besuchen. Für das vorliegende Buch kam sie wieder. Sie berichtet vom zweitgrößten Gefangenenlager der UdSSR – Karaganda – wo Stalin zwischen 1929 und 1953 (seinem Tod) 800.000 politische Sträflinge internierte. Hier war auch ein Atomwaffen-Experimentiergelände. Über zwei Millionen Menschen wurden dabei verseucht. Kasachstan war die letzte Sowjetrepublik, die sich als selbstständig erklärte und ist immer noch durch Einrichtungen, wie der Raumfahrtstation Baikonur, von der die Reisende aber wenig berichten konnte, weil „die Verantwortlichen bei einer Konferenz weilten“. Sie reiste 27 Stunden mit dem Zug an und bezahlte 1000 Dollar“ Eintritt“ und bekam nichts zu sehen.
Als Leser kommt man bei dieser Reise in kleine Dörfer und zu Kleinbauern mit wenigen Tieren, wo es aber herzliche Gastfreundschaft gibt. Aber auch die neue Hauptstadt Astana wurde besucht. Ursprünglich war es eine kleine Provinzstadt – Zelinograd – die 1997 zur neuen Hauptstadt ausgerufen wurde. Eine schnell wachsende Stadt, in der die Infrastruktur nicht Schritt halten kann und Autostaus an der Tagesordnung sind.
Aserbaidschan
Mit der Fähre kam sie über das kaspische Meer nach Baku. Eine Transportform, die es nicht so genau nahm und deren Abfahrt sich oft um Tage verzögern kann. Außerdem ist die Strecke nicht sehr frequentiert. Nur wenige Passagiere waren am Fährschiff. Wie bei allen Ländern wird ein historischer Abriss gegeben. So etwa, dass Aserbaidschan sich schon 1917 als unabhängig von Russland erklärte. Das dauerte aber nur drei Jahre, bis die Bolschwiken das Land wieder besetzten. Baku war für 80 Prozent der Ölproduktion der UdSSR verantwortlich. Die Schlacht um Stalingrad sieht Fatland auch als Schlacht um die Ölfelder von Baku, denn nach Fall von Stalingrad wäre für Hitler dieser Weg frei gewesen und der Zweite Weltkrieg hätte einen anderen Ausgang genommen. Auch hier fährt sie möglichst nahe an die russische Grenze heran und besucht die Stadt Schäki.
Bergkarabach
Da die Grenze zwischen Bergkarabach und Aserbaidschan geschlossen war, musste sie über Georgien nach Bergkarabach reisen. „Zum ersten Mal auf meiner Reise war ich im christlichen Teil der Welt. Der Fahrer, der mich nach Tiflis fuhr, bekreuzigte sich an jeder Kirche, an der wir vorbeifuhren, drei Mal.“ (Seite 297) So kam sie in diese abtrünnige Republik, deren Hauptstadt Stepanakert eine verschlafene Provinzstadt war. Das Land mit 150.000 Einwohnern wird finanziert von Exil-Armeniern. Auch hier ging es um Krieg und die Autorin besuchte das Museum der toten Soldaten. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es schon Unruhen und Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. 1992 besetzte es die armenische Armee und die Aserbaidschaner mussten flüchten.
Georgien
Nach diesem „Sidestep“ kehrte sie wieder nach Georgien zurück. „Georgien ist eines meiner Lieblingsländer, es ist ein Land, das absolut alles hat: Im Norden finden sich einige der höchsten Berge Europas, im Westen kann man im Schwarzen Meer baden, im Osten gibt es Weingüter von Weltrang.“ (Seite 307) Es ist ein Land mit gutem Essen und Gastfreundschaft. Aber auch hier dominierte der Krieg und Auseinandersetzungen mit Russland. 1999 marschierte Russland in Tschetschenien ein. Hunderttausende Menschen wurden getötet oder flohen. Wichtige Verkehrsverbindungen sind in Richtung Russlands ausgerichtet. Auch hier gibt es zwei abtrünnige Republiken: Abchasien und Südossetien, die sich in den frühen 1990er Jahren lösten. Schewardnadse, der frühere russische Außenminister brachte Frieden. Der berühmteste Mann aus Georgien war Stalin. Für viele Auseinandersetzungen der Großmächte Russland und der NATO musste das Land herhalten. Russland versetzt laufend den Grenzzaun. Fatland besucht einen Mann, der eines Tages aufwachte und im Nachbarland war. Der Zaun war über Nacht verschoben worden. Um seine Pension abheben zu können, muss er heimlich (und verbotenerweise) über den Zaun klettern und sich in seinem Heimatland das Geld abholen, das er aber nicht eintauschen kann, weil man auf der anderen Seite des Zauns nur Rubel akzeptiert. Die abenteuerliche Buchautorin besucht auch die abtrünnigen Republiken. Viele Häuser sind noch Ruinen vom Krieg
Abchasien
Eine abtrünnige Republik von Georgien hat nur 250.000 Einwohner. Zu klein, um internationale anerkannt zu werden. Russland beschützt das Land, hat Truppen stationiert, den Rubel als Währungsmittel eingeführt und bringt jährlich im Sommer Touristen ans Schwarze Meer. Nicaragua und Venezuela haben Abchasien anerkannt. So wie in vielen Ländern des Kaukasus gab es hier in der Vergangenheit, bis in die heutige Zeit Kriege. Die Autorin des Buches definierte es sehr gut, indem sie sagte „Der Krieg, der es im Westen kaum in die Zeitungen schaffte, war geprägt von fürchterlichen Übergriffen auf beiden Seiten, immer wieder kam es zu Scharmützeln unterbrochen von flüchtigen Waffenstillstandsabkommen, die immer wieder gebrochen wurden.“ (Seite 338) Trotz Friedens zeigte sich Abchasien als zerstörtes Land: „Wir fuhren an halb niedergebrannten Gebäuden, verlassenen Dörfern und Fabriken vorbei, die seit der Sowjetzeit nicht mehr in Betrieb waren. Die Felder waren verwuchert und nicht bestellt, die Straßen in einem elenden Zustand, nur notdürftig instandgehalten und voller Schlaglöcher.“ (Seite 335) Unter Gorbatschow zeigte sich die tiefe Spaltung zwischen Georgien und Abchasien: Abchasien wollte Teil der Sowjetunion sein und Georgien wünschte sich die Unabhängigkeit, die 1991 ausgerufen wurde.
Ukraine
Wieder zurück in Georgien nahm die Berichterstatterin eine Fähre, die sie nach Odessa und damit nach Europa brachte. Alles wirkte wieder geordneter. „Im Gegensatz zu der Fähre über das Kaspische Meer hatte die Schwarzmeerfähre zwischen Batumi und Odessa feste Abfahrtszeiten.“ (Seite 353) „Ukraine“ bedeutet „Land an der Grenze“. Viele Gesprächspartner der Autorin glauben, dass hinter der Orangen Revolution 2004 die USA standen.
Fatland besucht auch eine schwedische Enklave in der Ukraine. Wer hätte das gedacht. Im 18. Jahrhundert wurden sie hier angesiedelt. Am Beispiel einer Familie wird das Schicksal dieser Leute beschrieben. Wie sie im Krieg als Feinde verfrachtet wurden. Viele kamen um. Einige wanderten wieder nach Schweden zurück, aber viele von ihnen kamen doch wieder zurück in die Ukraine. Der Besuch der Verwandten war schwierig. Im Zuge des Krieges kam der Vater der Familie in Kriegsgefangenschaft und wurde nach Schweden abgeschoben, wo er mit einer anderen Frau ein neues Leben begann. Erst spät lernen die Kinder, die nun schon Erwachsene geworden waren, ihren Vater kennen ….
Sehr sachlich wird die Geschichte der Krim aufgezeigt. Im Krieg wurden ganze Familien umgesiedelt. Kinder kamen in der Fremde zur Welt. Wuchsen etwa in Usbekistan auf. Lernten usbekisch und tatarisch. Als sie wieder in ihre Heimat Krim zurückkamen, konnten sie kein russisch. Sie waren in ihrer eigenen Heimat Fremde geworden. Wie sich im Laufe der Geschichte die Besitzverhältnisse änderten. Neu auch, dass das russische Territorium „Krim“ 1954 von Nikita Chruschtschow der Ukraine geschenkt wurde. Putin holte es wieder zurück.
Kiew wurde im Zweiten Weltkrieg ziemlich zerstört. Hier wurden erstmals ferngesteuerte Bomben installiert. Als die rote Armee die Stadt vor den anrückenden und überlegenen Deutschen räumen mussten, installierten sie diese neuen Bomben und zündeten sie, nachdem die deutschen Soldaten die Stadt besetzt hatten. Anschaulich wird die Geschichte auch durch Zeitzeugen beschrieben. So besuchte die Autorin ein Krankenhaus, in dem Soldaten aus dem Krieg im Osten des Landes lagen. Einer formulierte es so: „Ich gehöre zu den Ersten, die eingezogen wurden, aber ich habe mich gefreut. Dies ist Russlands Krieg gegen uns. Putin ist wie Hitler. Wie kann ein Land einfach daherkommen und ein anderes Land einnehmen, im 21. Jahrhundert.“ (Seite 414) Dann fügte er noch hinzu „Fast alle Männer meiner Familie waren Soldaten. Mein Großvater war in Berlin. Mein Vater auf Kuba. Mein Onkel ist während des Krieges zwischen Israel und Ägypten in Syrien gewesen. Mein Bruder war in Afghanistan. Ich bin in Donezk gelandet. Es muss jetzt gut sein. Ich hoffe, dass mein Sohn davonkommt.“ (Seite 416) Dieses Gespräch fand 2017 statt. Heute wäre es noch treffender.
Nach der Hauptstadt besuchte sie noch Tschernobyl und beschreibt die derzeitige Situation dort. Auch hier wieder mit Berichten von Zeitzeugen und Leidtragenden.
Traf sie überall auf Menschen, die russisch sprachen, so fand sie in Lwiw – Lemberg – eine rein ukrainische Stadt. Auch eine Stadt, die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde.
Donezk
In der Kapitelüberschrift nennt sie dieses Gebiet „Die jüngste abtrünnige Republik der Welt“. 2012 wurde hier noch die Fußball-Europameisterschaft ausgerichtet. Donezk war eine der wohlhabenden Städte der Ukraine. Zur Entstehung des Buches war es Kriegsgebiet. Mit vielen Sondergenehmigungen gelang es das Gebiet zu besuchen. Es ist nach Russland ausgerichtet. Ein Gesprächspartner sagt „Das ganze Donezbecken soll wieder ein Teil Russlands werden. Die Menschen in Mariupol und Kramatorsk sehnen sich danach, befreit zu werden!“ (Seite 395) Während ich diese Zeilen lese, berichten die Medien über den Überfallskrieg und die Zerstörung der Ukraine durch russische Truppen. Bereits 2015 wurde viel zerstört. Nur alte Leute sind zurückgekommen und versuchten in den Ruinen Unterschlupf zu finden. Andere wünschen sich wieder: „Wir hoffen, dass Donezk wieder zu einem Teil der Ukraine wird.“ (Seite 401) Es war ein gefährlicher Ausflug. Die Begleiterin war selbst geflüchtet und kam nach einigen Jahren wieder zurück. Mit Tränen in den Augen fuhren sie über die Grenze wieder zurück in die Ukraine. Bedingt durch die geschaffene Infrastruktur während der Fußballmeisterschaft, konnte Fatland mit einem Expresszug nach Kiew zurückfahren.
Weißrussland
Von Lwiw nach Brest waren es weniger als 300 Kilometer. Weißrussland – so die Autorin – hat historisch nie existiert. 1918 genoss das Land eine kurze Periode der Unabhängigkeit. Nach einigen Monaten wurde es zu einer Sowjetrepublik. Russisch ist die Hauptsprache. Nur 15 Prozent aller Bücher erscheinen in weißrussischer Sprache. 1939 marschierten die Sowjets in Polen, dem Baltikum und Finnland ein und 1941 kamen die deutschen Truppen. Das flache Land konnte nur schwer verteidigt werden. Im Zweiten Weltkrieg wurden 9000 Dörfer niedergebrannt. In Wizebsk suchte Fatland nach Spuren von Marc Chagall, der hier aufgewachsen ist und später zurückkam. Als Jude hatte er kein einfaches Leben. Trotzdem schaffte er es, in Sankt Petersburg zu studieren und später nach Paris auszuwandern. Chagall wollte seine Werke seiner Heimatstadt vererben, aber die lehnten ab. Jetzt gibt es ein Museum, das keine Originale besitzt. Viele Juden lebten in Weißrussland. Fast alle wurden vernichtet. 100.000 lebten in Minsk in einem Ghetto. Eine ehemalige Zirkusakrobatin erzählt über das Leben im Ghetto. Ein unfassbares Leben wird hier beschrieben. Auch mit dem ehemaligen Präsidenten des Landes, dem Wissenschaftler Stanislau Schuschkewitsch konnte sie ein Gespräch führen. Sein Nachfolger Lukaschenko verordnete, dass er nur eine Pension von zwei Dollar pro Monat bekam. Ein Menschenbild anderer Natur. Um einen guten Preis für Öl und Gas zu bekommen, lud er den russischen Präsidenten Boris Jelzin zu einer Jagd ein. Mit dabei der ukrainische Präsident. In der Jagdhütte wurde die Auflösung der UdSSR beschlossen.
Litauen
Mit einem Bus kam sie nach Litauen. Schlagartig waren die Straßen besser und internationale Geschäfte tauchten auf. Vilnius, die Hauptstadt ist eine litauische Stadt. Im ganzen Land sind nur fünf Prozent Russen. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Situation anders. Damals bestand die Mehrheit der Bevölkerung aus Juden, an zweiter Stelle Polen. 20 Prozent waren Russen und nur ein Prozent Litauer. Deutsche, Polen, Russen wechselten sich in der Herrschaft ab. 1990 erklärte sich Litauen als erste Sowjetrepublik unabhängig. 1991 kam es noch zu Scharmützeln. An einer Grenze zu Russland kam es zu einem Überfall, bei dem die litauischen Beamten getötet wurden. Nur einer überlebte und die Autorin traf ihn zu einem Gespräch. In persönlichen Gesprächen mit Menschen des jeweiligen Landes wird die Geschichte und die Beziehung zu Russland beschrieben. Beim Besuch der Ostseeküste erinnert sie sich, dass hier der Deutsche Thomas Mann ein Haus hatte.
Polen
Gegenüber von Litauen liegt Danzig. Von Kaunas war es aber eine lange Reise bis Danzig. Erst im März 1945 konnte die rote Armee die Stadt einnehmen. 90 Prozent der Altstadt war durch das intensive Bombardement der Alliierten zerstört. Polen war damit theoretisch unabhängig, wurde aber als kommunistische Diktatur von der Sowjetunion aus geführt. 1989 wurden hinter dem Eisernen Vorhang in Polen die ersten freien Wahlen abgehalten. Solidarnosc gewann überlegen und ihr Führer Lech Walesa wurde erster Präsident. Die ehemalige Werft, in der die Aufstände begannen, ist heute ein Museum. Zu Beginn wurden auch heikle Themen wie die Mitverantwortung der Polen bei der Judenverfolgung, behandelt, daher wurde der Direktor von der konservativen Regierung abberufen.
Polen wurde oft besetzt und die Grenzen verschoben. Zu Russland gab es fast immer ein gespaltenes Verhältnis. Während des Zweiten Weltkriegs wurden auf Befehl Stalins 20.000 polnische Offiziere und Soldaten erschossen. Als der polnische Präsident und Parlamentsvertreter die Gedenkstätte besuchen wollten, stürzte die Maschine ab. Noch heute glauben Politiker in Polen, dass es eine Sabotage Russlands war.
Lettland
Nachdem sie ohne jegliche Kontrolle die Grenze zwischen Litauen und Lettland passiert hatte, besuchte sie die Stadt Daugavpils (russisch Dvinsk). Es ist die zweitgrößte Stadt Lettlands und die größte Stadt innerhalb der Europäischen Union, in der die Mehrheit Russen sind. Lettland hat generell ein negatives Wachstum. 1991 lebten über 2,6 Millionen Menschen im Land. 2016 weniger als 2 Millionen. Russen, die im Land wohnten, konnten die lettische Staatsbürgerschaft bekommen, wenn sie eine Prüfung in lettischer Sprache machten. Bis heute (Zeitpunkt des Besuchs der Autorin 2017), lebten so 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft. Auch der Fahrer Fatlands hatte keine und sprach kein Wort lettisch. Er brauche diese Sprache nicht, da alle russisch verstünden. Auch hier traf sie einen Zeitzeugen: den 92jährigen Visvaldis Läcis. Er war in Lettland – damals ein freies Land – geboren. Als er 16 Jahre alt war fielen die Russen ein. Während der sowjetischen Okkupation wurden tausende Letten deportiert oder ermordet. Er, ein Schriftsteller, meinte: „Wir haben unter Schweden, Polen, Deutschen und Russen gelebt, und von allen waren die Russen am schlimmsten.“ (Seite 492) Nach dem Hitler-Stalin-Pakt wurden die Deutschen 1939 evakuiert. Heim ins Reich. 1943 wurden 80.000 Letten in die Waffen-SS eingezogen. Nachdem die Sowjets die Deutschen vertrieben hatten, kam er ins Gefängnis. Da es nach dem Krieg zu wenige Männer gab, wurde er freigelassen. Er studierte und wurde mehrmals von der Universität ausgeschlossen. Obwohl er die besten Noten hatte, durfte er nicht promovieren. Er gehörte zu „Lettlands weißen Negern“. Er war zwei Mal Abgeordneter im lettischen Parlament. In einer neofaschistischen Partei, die für ein Verbot von Russisch an lettischen Schulen und eine Deportation aller Russen eintrat. Er meint „Die Russen sind eine Bedrohung für Lettland.“ (Seite 496) Von den fast 300.000 Russen ohne Staatsbürgerschaft will die Hälfte einen Anschluss an Russland.
Ein anderer Gesprächspartner erzählt, dass 1949 an einem einzigen Tag 42.000 Letten nach Sibirien deportiert wurden. In Viehwagens wurden sie transportiert. 1956 starb sein Vater im Gefängnis und die Mutter 1960, während er beim Militär Dienst machte. Mit 26 Jahren – nach Beendigung des Militärdienst – kam er das erste Mal nach Riga zurück, aber es war alles fremd für ihn. Erst 1993, als Lettland selbstständig wurde, bekam er den Hof seiner Eltern zurück.
Estland
Die Grenze zwischen Lettland und Estland verläuft mitten durch die Stadt Valka. Viele Einwohner sind auf die estnischen Seite gewechselt, weil sie dort mehr verdienten und ein besseres Sozialsystem vorfanden. An der Universität Tartu traf die Autorin eine Professorin, die in den 1990er Jahren Sozialministerin war. Sie war eine Kämpferin für die Unabhängigkeit und erzählte, wie sie 1989 mit 2 Millionen Menschen eine Kette bildete. „Dieser Augenblick war vielleicht der Höhepunkt meines Lebens.“ (Seite 509) Die Grenze zwischen Russland und Estland wurde von beiden Ländern nicht ratifiziert. In Städten wie Navra wohnen fast ausschließlich Russen. Sie brauchen keine estnische Sprache.
Finnland
Bei dieser Reise, so schreibt sie, hatte ich in Finnland erstmals das Gefühl nach Hause zu kommen. Mit 18 Jahren ging sie in Helsinki zur Schule, bevor sie für zwei Jahre ins Lyzeum nach Lyon übersiedelte. Finnland war für sie wie ein Heimkommen. Die Geschichte Finnlands erzählt sie in diesem Buch mit der Biografie des Freiherrn Mannerheim. Er diente im russischen Heer und baute die finnische Armee für den unabhängigen Staat auf. Finnland schwankte im Zweiten Weltkrieg zwischen Deutschland und Russland. Mit Neutralität versuchte das Land durchzukommen. Es wurde teilweise mit den Deutschen kooperiert und später einigte man sich mit den Sowjets und vertrieb die Deutschen, die zum Abschied Städte wie Rovaniemi dem Erdboden gleich machten. Bei Friedensverhandlungen verlor Finnland Teile seines Landes, wurde aber unabhängig. Mannerheim war in allen Veränderungen involviert und ist heute in Finnland eine häufig beschriebene Person. Eine 75jährige erzählt im Interview, dass ihre Familie 1939 ein Haus gebaut hatte. Nach 5 Jahren wurden sie evakuiert. Die Halbinsel, auf der das Haus stand, wurde ein sowjetischer Militärstützpunkt. Die 7.000 Einwohner mussten innerhalb von wenigen Tagen ihre Häuser verlassen. Finnland hatte nach dem Zweiten Weltkrieg eine halbe Million Vertriebener. 1955 gab Chruschtschow den Militärstützpunkt an Finnland zurück, so wie er die Krim den Ukrainern gab. Das Haus der Erzählerin existierte nicht mehr. Weiter im Norden veränderten sich die Grenzen mehrmals. Von 1920 bis 1944 grenzte Norwegen nur an Finnland und Schweden und nicht an Russland. 1944 musste Finnland wieder Teile abgeben. Die Menschen im Gebiet von Petsamo mussten umgesiedelt werden. Eine 83jährige Frau erzählt, wie dies damals war. Wie sie in Finnland lebte, ohne finnisch zu sprechen. Wie sie im Krieg nach Schweden kam und dort zur Schule ging und als sie zurück kam nur schwedisch sprach.
Norwegen
Als der Vater der Autorin hörte, dass seine Tochter zu Fuß und mit dem Kanu die Grenze zwischen Norwegen und Russland entlangfahren will, entschied er sich sie zu begleiten. Es war die einzige Wegstrecke, die sie nicht allein unternahm. Diese Grenze ist 196 Kilometer lang. Das sind aber nur acht Prozent der norwegischen Grenze. Die norwegische Stadt Kirkenes hat einen regen Austausch mit der russischen Stadt Nikel. Die Finnen „fahren mit Kind und Kegel nach Nikel auf der russischen Seite, um Wodka und Zigaretten zu kaufen und zu tanken. Und die Russen kamen in Scharen, um Sportausrüstung und Pulverkaffee zu kaufen … Außerdem kauften sie Windeln, die hier tatsächlich billiger sind als in Russland.“ (Seite 573) Kirkenes war im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt. Eine Neunundsiebzigjährige erzählt, wie sie 1944 erlebte, als sie von den Russen befreit wurden. Die abziehenden deutschen Truppen brannten noch alles nieder. Viele hatten keine Häuser mehr und wohnten in Stollen eines Bergwerks. Nach einem Jahr zogen sich die Russen wieder aus Norwegen zurück. Russland machte wenig später der norwegischen Regierung denselben Vorschlag wie Finnland, einen Nichtangriffspakt einzugehen. Norwegen entschied sich dagegen und trat der NATO bei.
Der Vater fuhr mit der Tochter im Kanu am Grenzfluss entlang nach Norden. Norwegische Soldaten zeigten ihnen die militärischen Einrichtungen. Einer der Offiziere erzählte, wie es 1968 fast zu einem Krieg kam, als an der Grenze Panzer und Militärkonvois auffuhren, die sich aber Gott sei Dank nach einigen Tagen wieder zurückzogen. Norwegen hatte mit Russland nie Krieg. „Norweger und Russen im Großen und Ganzen sind geprägt von gegenseitigem Respekt und Verständnis.“ (Seite 574)
Zusammenfassung
Die Autorin resümiert: Im Laufe des Jahres hatte sie 20.000 Kilometer entlang der russischen Grenze mit Hilfe von Inlandsflügen, Schnellzügen, Kleinbussen, Pferden, Taxis, Lastschiffen, Kajaks und zu Fuß zurückgelegt. Sie war durch 14 Länder und 3 abtrünnige Republiken gereist. „Keines der Länder, die ich besucht habe, war ohne Wunden oder Narben in Folge der Nachbarschaft zu Russland.“ (Seite 601) Sie wagt auch eine Prognose, wenn sie schreibt: „Das größte Land der Erde hat nur geringes Selbstvertrauen, wirtschaftlich geht es bergab, die Bevölkerung schrumpft. Der Bedarf nach Selbstbehauptung und Anerkennung ist umso größer. … Das russische Imperium wurde so groß, gerade weil die jeweiligen Herrscher jederzeit alle sich bietenden Möglichkeiten ergriffen, um die Grenzen zu erweitern, koste es, was es wolle. Nur selten vermieden sie dabei Brutalität, schmutzige Tricks oder auch einen weiteren Krieg.“ (Seite 602) „Langfristig ist es schwer zu beurteilen, ob Russland in einer Generation, in hundert oder zweihundert Jahren mit seinen nahezu zweihundert ethnischen Gruppen und Nationalitäten, mit seinen siebzehn Millionen Quadratkilometern und seinen sechzigtausend Kilometer langen Grenzen als ein zusammenhängendes Ganzes weiterhin existieren kann.“ (Seite 603)
Viele Grenzen wurden bei dieser Reise überschritten und daher möchte ich hier die Definition der Autorin von Grenze wiedergeben: „Eine Grenze zu überqueren, gehört zu den faszinierendsten Dingen, die es gibt. Geographisch gesehen ist der Schritt minimal, nahezu mikroskopisch. Man bewegt sich nur einige wenige Meter, doch man befindet sich plötzlich in einem anderen Universum. Manchmal ist absolut alles anders, vom Alphabet und der Währung bis hin zu Gesichtern, Farben, Geschmäckern, bedeutenden Jahreszahlen und den Namen, die die Menschen anerkennend nicken lassen.“ (Seite 223)
Meine Buchbesprechung ist etwas lang geworden, aber das Buch ist mit über 600 Seiten auch dick. Fast jedes der 14 hier beschriebenen russischen Nachbarländer würde ein eigenes Buch ergeben.
SIMON, Cordula
2022.
@book{SIMON2022,
title = {Die Wölfe von Pripyat},
author = {Cordula SIMON},
year = {2022},
date = {2022-03-07},
abstract = {SIMON, Cordula: „Die Wölfe von Pripyat“, Salzburg Wien 2022
Der im Titel des Buches verwendete Ort Pripyat war mir unbekannt. Erst durch das erste „Friedengespräch“ zwischen Russland und der Ukraine am 28. Februar 2022 erfuhr ich, dass es in der Ukraine nahe der Grenze zu Weißrussland liegt. Aber auch die Thematik erinnert in vielen Zügen an die „Eroberung“ durch die russischen Truppen.
Die Autorin handelt das Thema wie George Orwell mit seinem Buch „1984“ ab. Man könnte es als Release 2.0 der Orwell Geschichte sehen. Vieles ist in Ansätzen schon realisiert und wir leben damit. Vieles ist sicher noch im Kommen und so gesehen ist es kein Science-Fiction Roman, sondern realitätsbezogen. Simon schließt aber neben dem Einfluss der Computertechnologien auch die Umwelt und Veränderung der Gesellschaft mit ein. Aber nicht aus tagespolitischer Sicht, sondern weitblickender. Etwa, dass man beim Bau eines Kraftwerks, das Lava aus dem Kern der Erde zum Heizen verwendet, einen Vulkanausbruch erzeugte, der ungeahnte Folgen hatte. Das hier beschriebene Reich schickt die Aschewolken auf das Gebiet eines Nachbarstaats. Das große, bevorstehende Unheil sieht die Autorin aber in einem Sonnensturm, der das gesamte Informatiksystem vernichten wird. Darauf bereitet sich einer der Proponenten des Buches, ein Wetterjournalist, vor. Er wird verfolgt und kommt letztlich ums Leben. Das diktatorische Regime lässt keine Gegenmeinung aufkommen. Alles wird durch Algorithmen entschieden. Letztlich braucht es auch keinen Führer mehr. Das System verwaltet sich selbst. Menschen werden künstlich manipuliert. Vor der Geburt bestimmen die Eltern, welche Qualifikationen ihr Kind haben soll. Dem entsprechend werden sie eingestuft und bekommen eine Rankingnummer zugeordnet. Die Überqualifizierten werden aber zunehmend zum Problem.
Alle Menschen sind gechipt und so laufend im Netz bei all ihren Handlungen nachverfolgbar. Sandor Karol erinnert sich: „Ein kleiner Stent in der Hand. Jemand mit bunt gefärbter Haut und vielen Löchern in Nase und Ohren hatte ihn in seine Haut gestochen, zwischen Daumen und Zeigefinger. Das war sein Ausweis, das war ein bankaccount, seine Adresse, darin war alles verzeichnet, was er jemals virtuell getan oder gesagt hatte.“ (Seite 25) Das System hatte sogar Berechtigungen in den Hormonhaushalt und in sensorische Wahrnehmungen einzugreifen. „Alles war unter Kontrolle: die Träume, die Launen … und die Kontoeinstellungen.“ (Seite 37) Ähnlich wie Alexa von Amazon, bekam dieser Chip einen Namen und beantwortet alle Fragen des Besitzers. Politisch gab es aber nur ein Netz. „Alle Informationen von nur einem Anbieter zu bekommen, zu scrollen, war so, als bettelte man darum, von Propaganda gelenkt zu werden.“ (Seite 29) Selbst das Wahlrecht hatte man an den „Log“ abgegeben, weil sich die Jugendlichen nicht mehr für Politik interessierten. Auch eine Zeitmaschine war entwickelt und in einer Box in der Wohnung – ähnlich einer Saunakabine – konnte man die Zeit und deren Lauf dehnen. Selbst das Sterben soll wiederholbar sein. Also nicht ein verlängertes Leben, sondern ein mehrmaliges Wiederauferstehen. Körperteile können nachwachsen oder ausgetauscht werden, so wie Kata neue Augen bekam, um bei den Augenerkennungsgeräten als jemand anderer registriert zu werden. Es ging so weit, dass „der Log nicht fragte, ob er auf die Nervenenden des Mastdarms zugreifen konnte, um das passende Klopapier für einen zu bestellen.“ (Seite 248) Für alte Menschen, die unter normalen Umständen Dinge vergessen, gab es einen eigenen Speicher für die Vergangenheit, auf die das eigene Gehirn zugreifen konnte. Was nicht realisiert wurde, war ein Gen, dass alle Menschen zueinander nett waren. Deswegen kam es zu Kriegen, was wieder auf Pripyat und die Ukraine zurückführt. Eine Realität die heute existiert. Im Buch ist es ein Krieg der Wölfe, der Abtrünnigen.
Die Handlung des Buches verläuft innerhalb einer Gruppe, die sich in einem Sommerlager befindet. Sie sollen hier zu „besseren“, folgsameren Menschen umerzogen werden. Sie durchschauen das System: „Wer in einer Diktatur lebt, bemerkt das oft nicht. Sie reden hier von Menschlichkeit, aber sie wollen uns zu Maschinen machen.“ (Seite 174) Die Gruppe bricht aus dem Lager aus. Sie suchen die „goldene Stadt“, wo es mehr Freiheit gibt. Eine abenteuerliche Reise stand bevor. Einer schneidet sich den Chip heraus, taucht in den Untergrund. Er lebt als Einsiedler und schneidet alle Sendemasten um, um auch virtuell isoliert zu sein. Aber man findet ihn. Die Mehrheit will ihn zum Führer machen. Er zeichnet eine Werberede auf: „Ich bin kein großes Licht, doch will ich in dieser Welt auch nicht im Dunkeln tappen. Vor den Toren unserer Wohnhäuser stehen Bewaffnete. Sie sollen den Frieden sichern, doch sind sie da, um uns einzuschüchtern. Unsere Gesetze garantieren uns Freiheit, doch wir wissen nicht mehr, was Freiheit bedeutet, da jene, die vorgeben, für Freiheit zu kämpfen, Einschränkungen wollen. Den Frieden zu sichern bedeutet, in Waffen zu stehen. … Wir haben die Freiheit unserer Gedanken aufgegeben. … Die Algorithmen kennen unsere Köpfe besser als wir selbst.“ (Seite 321) Als er sich schon als Sieger der Wahl sieht wird er verhaftet. Die Diktatur des Algorithmus erlaubt diesen Umbruch nicht. Alle Abtrünnigen werden gefunden, gestellt und verurteilt.
Orwell hat sein Werk 40 Jahre vor dem Titel des Buches 1948 geschrieben. Wird die Welt der Wölfe von Pripyat 2062 so aussehen? Ich denke, wir sind schon nahe dran.
},
keywords = {},
pubstate = {published},
tppubtype = {book}
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Der im Titel des Buches verwendete Ort Pripyat war mir unbekannt. Erst durch das erste „Friedengespräch“ zwischen Russland und der Ukraine am 28. Februar 2022 erfuhr ich, dass es in der Ukraine nahe der Grenze zu Weißrussland liegt. Aber auch die Thematik erinnert in vielen Zügen an die „Eroberung“ durch die russischen Truppen.
Die Autorin handelt das Thema wie George Orwell mit seinem Buch „1984“ ab. Man könnte es als Release 2.0 der Orwell Geschichte sehen. Vieles ist in Ansätzen schon realisiert und wir leben damit. Vieles ist sicher noch im Kommen und so gesehen ist es kein Science-Fiction Roman, sondern realitätsbezogen. Simon schließt aber neben dem Einfluss der Computertechnologien auch die Umwelt und Veränderung der Gesellschaft mit ein. Aber nicht aus tagespolitischer Sicht, sondern weitblickender. Etwa, dass man beim Bau eines Kraftwerks, das Lava aus dem Kern der Erde zum Heizen verwendet, einen Vulkanausbruch erzeugte, der ungeahnte Folgen hatte. Das hier beschriebene Reich schickt die Aschewolken auf das Gebiet eines Nachbarstaats. Das große, bevorstehende Unheil sieht die Autorin aber in einem Sonnensturm, der das gesamte Informatiksystem vernichten wird. Darauf bereitet sich einer der Proponenten des Buches, ein Wetterjournalist, vor. Er wird verfolgt und kommt letztlich ums Leben. Das diktatorische Regime lässt keine Gegenmeinung aufkommen. Alles wird durch Algorithmen entschieden. Letztlich braucht es auch keinen Führer mehr. Das System verwaltet sich selbst. Menschen werden künstlich manipuliert. Vor der Geburt bestimmen die Eltern, welche Qualifikationen ihr Kind haben soll. Dem entsprechend werden sie eingestuft und bekommen eine Rankingnummer zugeordnet. Die Überqualifizierten werden aber zunehmend zum Problem.
Alle Menschen sind gechipt und so laufend im Netz bei all ihren Handlungen nachverfolgbar. Sandor Karol erinnert sich: „Ein kleiner Stent in der Hand. Jemand mit bunt gefärbter Haut und vielen Löchern in Nase und Ohren hatte ihn in seine Haut gestochen, zwischen Daumen und Zeigefinger. Das war sein Ausweis, das war ein bankaccount, seine Adresse, darin war alles verzeichnet, was er jemals virtuell getan oder gesagt hatte.“ (Seite 25) Das System hatte sogar Berechtigungen in den Hormonhaushalt und in sensorische Wahrnehmungen einzugreifen. „Alles war unter Kontrolle: die Träume, die Launen … und die Kontoeinstellungen.“ (Seite 37) Ähnlich wie Alexa von Amazon, bekam dieser Chip einen Namen und beantwortet alle Fragen des Besitzers. Politisch gab es aber nur ein Netz. „Alle Informationen von nur einem Anbieter zu bekommen, zu scrollen, war so, als bettelte man darum, von Propaganda gelenkt zu werden.“ (Seite 29) Selbst das Wahlrecht hatte man an den „Log“ abgegeben, weil sich die Jugendlichen nicht mehr für Politik interessierten. Auch eine Zeitmaschine war entwickelt und in einer Box in der Wohnung – ähnlich einer Saunakabine – konnte man die Zeit und deren Lauf dehnen. Selbst das Sterben soll wiederholbar sein. Also nicht ein verlängertes Leben, sondern ein mehrmaliges Wiederauferstehen. Körperteile können nachwachsen oder ausgetauscht werden, so wie Kata neue Augen bekam, um bei den Augenerkennungsgeräten als jemand anderer registriert zu werden. Es ging so weit, dass „der Log nicht fragte, ob er auf die Nervenenden des Mastdarms zugreifen konnte, um das passende Klopapier für einen zu bestellen.“ (Seite 248) Für alte Menschen, die unter normalen Umständen Dinge vergessen, gab es einen eigenen Speicher für die Vergangenheit, auf die das eigene Gehirn zugreifen konnte. Was nicht realisiert wurde, war ein Gen, dass alle Menschen zueinander nett waren. Deswegen kam es zu Kriegen, was wieder auf Pripyat und die Ukraine zurückführt. Eine Realität die heute existiert. Im Buch ist es ein Krieg der Wölfe, der Abtrünnigen.
Die Handlung des Buches verläuft innerhalb einer Gruppe, die sich in einem Sommerlager befindet. Sie sollen hier zu „besseren“, folgsameren Menschen umerzogen werden. Sie durchschauen das System: „Wer in einer Diktatur lebt, bemerkt das oft nicht. Sie reden hier von Menschlichkeit, aber sie wollen uns zu Maschinen machen.“ (Seite 174) Die Gruppe bricht aus dem Lager aus. Sie suchen die „goldene Stadt“, wo es mehr Freiheit gibt. Eine abenteuerliche Reise stand bevor. Einer schneidet sich den Chip heraus, taucht in den Untergrund. Er lebt als Einsiedler und schneidet alle Sendemasten um, um auch virtuell isoliert zu sein. Aber man findet ihn. Die Mehrheit will ihn zum Führer machen. Er zeichnet eine Werberede auf: „Ich bin kein großes Licht, doch will ich in dieser Welt auch nicht im Dunkeln tappen. Vor den Toren unserer Wohnhäuser stehen Bewaffnete. Sie sollen den Frieden sichern, doch sind sie da, um uns einzuschüchtern. Unsere Gesetze garantieren uns Freiheit, doch wir wissen nicht mehr, was Freiheit bedeutet, da jene, die vorgeben, für Freiheit zu kämpfen, Einschränkungen wollen. Den Frieden zu sichern bedeutet, in Waffen zu stehen. … Wir haben die Freiheit unserer Gedanken aufgegeben. … Die Algorithmen kennen unsere Köpfe besser als wir selbst.“ (Seite 321) Als er sich schon als Sieger der Wahl sieht wird er verhaftet. Die Diktatur des Algorithmus erlaubt diesen Umbruch nicht. Alle Abtrünnigen werden gefunden, gestellt und verurteilt.
Orwell hat sein Werk 40 Jahre vor dem Titel des Buches 1948 geschrieben. Wird die Welt der Wölfe von Pripyat 2062 so aussehen? Ich denke, wir sind schon nahe dran.
BECKER, Zdenka
Es ist schon fast halb zwölf Buch
2022.
@book{BECKER2022,
title = {Es ist schon fast halb zwölf},
author = {Zdenka BECKER},
year = {2022},
date = {2022-02-19},
abstract = {BECKER, Zdenka: „Es ist schon fast halb zwölf“, Wien 2022
Der siebente Roman von Zdenka Becker. Ich verfolge ihre literarische Arbeit von Anbeginn und bin immer wieder erstaunt wie uns eine Nicht-Muttersprachliche vorführt, wie sie sich großartig in deutscher Sprache ausdrückt. Ich begegne ihr daher mit mehr Respekt als anderen Schriftstellerinnen. So habe ich auch auf diesen neuen Roman schon gewartet. Sie hatte mir schon vor Längerem erzählt, dass sie daran arbeitet. Durch die derzeitige Corona Pandemie verzögert sich aber vieles und auch Lesungen werden nicht so bald möglich sein. Aber das Lesen kann uns auch dieser Virus nicht nehmen. „Es ist schon fast halb zwölf“ ist wieder eine Familiengeschichte. Sie handelt in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Erzählung stammt aus der Jetztzeit. Ein altes Ehepaar – Karl und Hilde – genießen ihren Lebensabend. Sie sind schon gebrechlich und der Mann dement. Geduldig muss sich die Ehefrau mit ihrem Mann abgeben, der sie oft nicht mehr erkennt. Ihre Kinder würden sie gerne in einem Altersheim sehen. Hilde will aber ihren Lebensabend im eigenen Haus verbringen. Ein junger Zivildiener hilft dabei. Hilde denkt nach, was aus all ihren Sachen einmal werden wird. Wahrscheinlich werden die Kinder alles wegwerfen denkt sie. Da kommt ihr eine Kiste mit Briefen und Fotos in den Sinn, die am Dachboden steht und lässt sich diese vom Zivildiener bringen. Sie liest in alten Briefen und Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an den Beginn ihrer Liebschaft und Ehe. Der Mann hat die Vergangenheit vergessen und sie frischt sie mit Hilfe der Briefe auf.
Zdenka Becker komponiert aus über 500 Briefen, die sie am Dachboden ihres Hauses gefunden hatte, und einer von ihr dazu erfundenen Geschichte einen Roman. Sie beschreibt das Leben eines jungen Paares, das während des Zweiten Weltkriegs gelebt hat. Damit liefert sie ein zeitgeschichtliches Dokument aus der Zeit der Kriegswirren.
Die Hauptperson des Romans ist Hilde, weil ihr dementer Mann ja nicht mehr viel zu sagen hat. Als sie über den Briefen sitzt, merkt sie, dass sie es mit zwei Frauen zu tun hat: mit der jungen, die sie einmal war und der alten. Zwei Frauen, „die so unterschiedlich , so anders sind. Die junge, ängstliche und sich ständig anpassende Frau mit jungen, drallen Formen und verunsichertem Blick und die alte, von der Mühsal der Jahre gebückt, faltige Greisin, die, wäre da nicht die bewegte Vergangenheit, die auf ihren Schultern lastet, in sich ruhen und ihren Lebensabend genießen könnte.“ (Seite 83)
Die Briefe sind das Skelett dieses Romans. Da sie aus einer wirklich stattgefundenen Korrespondenz stammen, sind sie Zeitzeugnisse. Posthum sollte daher das Briefe schreibende Ehepaar einen Literatur- oder Wissenschaftspreis bekommen. Auch trifft die Formulierung „Das Leben schreibt Geschichten, wie man sie nicht erfinden kann“ zu. Zdenka Becker fügt alles so zusammen, dass alle nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen hautnah erleben können, wie es den Menschen damals ergangen ist.
Der in Österreich (Ostmark) arbeitslose Karl findet 1938 einen Job in einem Flugzeugmotorenwerk in Berlin. Er heiratet seine Hilde. Zuerst leben sie noch getrennt, aber Hilde zieht zu ihrem Mann nach Berlin. Dort leidet sie unter Heimweh. „Ich glaube, damals in Berlin habe ich begriffen, was ein Zuhause ausmacht. Das ist der Ort, an dem man mit der Erde verwurzelt ist, wo sich die Familie regelmäßig am Esstisch trifft, wo Geschichten erzählt werden und wo Umarmungen aus Zuneigung und Liebe erwachsen.“ (Seite 125) „Für die Berliner war ich eine aus der Ostmark, ein Landei, ein Dummerl, das nichts kennt und nichts weiß. Diese Zerrissenheit tat mir nicht gut, aber sosehr ich mich auch bemühte, eine von ihnen zu sein, war ich doch die ganze Zeit eine Außenseiterin.“ Sie siedelt wieder zurück nach Niederösterreich. Aber auch da fühlt sie sich fremd. Die Einheimischen glauben, sie komme aus der großen Stadt Berlin und begegnen ihr reserviert. In größeren Abständen besucht sie ihren Mann. Mit zunehmenden Kriegsgeschehnissen werden die Besuche weniger. Auch der ursprünglich überzeugte Nationalsozialist Karl merkt, dass die Vorgänge des Kriegs nicht in Ordnung sind. Um die Fabrik vor dem Bombardement der Alliierten zu schützen, wird sein Arbeitsplatz in ein ehemaliges Gipsbergwerk verlegt. Die Arbeit wird härter und ungesunder. Im Stollen ist es feucht und kalt. Die Arbeiter werden öfter krank. Briefe verbinden das Ehepaar, das inzwischen eine kleine Tochter hat. Er muss sich eingestehen, dass aus seinem Idol Hitler nicht das geworden war, was er sich erhoffte. „von den Berlinern, die frisch hier angekommen sind, hört man allerhand. Es sollen grausame Bilder zu sehen sein. Erfrorene Kinder, die die Flucht nicht überlebt haben, abgemagerte Erwachsene, amputierte Invaliden, Verwirrte. Überall Dreck und Gestank. Viele Züge sind auch für den allgemeinen Verkehr gesperrt und nur den Evakuierten und Flüchtlingen zugewiesen. Die Schnellzüge verkehren fast nicht mehr. Für die Strecke Wien-Berlin würde man mindestens drei bis vier Tage brauchen.“ (Seite 224) Aber auch die vielen Details, die sich das Ehepaar in ihren Briefen schreibt, zeigen dem heutigen Leser die damalige Lebenssituation. Nach Kriegsende kamen keine Briefe mehr. Hilde weiß nicht, was aus ihrem Karl geworden ist, bis er schließlich nach einem halben Jahr nach Hause kommt. Geistig ist er aber noch nicht zu Hause. In der Nacht wacht er auf. Erinnerungen an die Kriegszeit kommen hoch. Erlebnisse mit Sträflingen aus dem Konzentrationslager, die in seiner Fabrik arbeiten mussten. Als sein Sohn geboren wird, verschließt sich Karl und erzählt nichts mehr aus der Kriegszeit. Aber auch Hilde hat ein Geheimnis aus dieser Zeit. Ein Mitbewohner des Dorfs, der sich als Laienhistoriker betätigt und dessen Nichte mit ihrem Freund bringen sie zu einem Geständnis.
Parallel zum Leben während der Kriegsjahre beschreibt die Autorin auch, wie es alten Menschen geht. Menschen, die nicht loslassen können und nicht akzeptieren wollen, dass sie noch allein leben können. Beides fließt in den 256 Seiten des Romans zusammen.
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Der siebente Roman von Zdenka Becker. Ich verfolge ihre literarische Arbeit von Anbeginn und bin immer wieder erstaunt wie uns eine Nicht-Muttersprachliche vorführt, wie sie sich großartig in deutscher Sprache ausdrückt. Ich begegne ihr daher mit mehr Respekt als anderen Schriftstellerinnen. So habe ich auch auf diesen neuen Roman schon gewartet. Sie hatte mir schon vor Längerem erzählt, dass sie daran arbeitet. Durch die derzeitige Corona Pandemie verzögert sich aber vieles und auch Lesungen werden nicht so bald möglich sein. Aber das Lesen kann uns auch dieser Virus nicht nehmen. „Es ist schon fast halb zwölf“ ist wieder eine Familiengeschichte. Sie handelt in der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Die Erzählung stammt aus der Jetztzeit. Ein altes Ehepaar – Karl und Hilde – genießen ihren Lebensabend. Sie sind schon gebrechlich und der Mann dement. Geduldig muss sich die Ehefrau mit ihrem Mann abgeben, der sie oft nicht mehr erkennt. Ihre Kinder würden sie gerne in einem Altersheim sehen. Hilde will aber ihren Lebensabend im eigenen Haus verbringen. Ein junger Zivildiener hilft dabei. Hilde denkt nach, was aus all ihren Sachen einmal werden wird. Wahrscheinlich werden die Kinder alles wegwerfen denkt sie. Da kommt ihr eine Kiste mit Briefen und Fotos in den Sinn, die am Dachboden steht und lässt sich diese vom Zivildiener bringen. Sie liest in alten Briefen und Erinnerungen werden wach. Erinnerungen an den Beginn ihrer Liebschaft und Ehe. Der Mann hat die Vergangenheit vergessen und sie frischt sie mit Hilfe der Briefe auf.
Zdenka Becker komponiert aus über 500 Briefen, die sie am Dachboden ihres Hauses gefunden hatte, und einer von ihr dazu erfundenen Geschichte einen Roman. Sie beschreibt das Leben eines jungen Paares, das während des Zweiten Weltkriegs gelebt hat. Damit liefert sie ein zeitgeschichtliches Dokument aus der Zeit der Kriegswirren.
Die Hauptperson des Romans ist Hilde, weil ihr dementer Mann ja nicht mehr viel zu sagen hat. Als sie über den Briefen sitzt, merkt sie, dass sie es mit zwei Frauen zu tun hat: mit der jungen, die sie einmal war und der alten. Zwei Frauen, „die so unterschiedlich , so anders sind. Die junge, ängstliche und sich ständig anpassende Frau mit jungen, drallen Formen und verunsichertem Blick und die alte, von der Mühsal der Jahre gebückt, faltige Greisin, die, wäre da nicht die bewegte Vergangenheit, die auf ihren Schultern lastet, in sich ruhen und ihren Lebensabend genießen könnte.“ (Seite 83)
Die Briefe sind das Skelett dieses Romans. Da sie aus einer wirklich stattgefundenen Korrespondenz stammen, sind sie Zeitzeugnisse. Posthum sollte daher das Briefe schreibende Ehepaar einen Literatur- oder Wissenschaftspreis bekommen. Auch trifft die Formulierung „Das Leben schreibt Geschichten, wie man sie nicht erfinden kann“ zu. Zdenka Becker fügt alles so zusammen, dass alle nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen hautnah erleben können, wie es den Menschen damals ergangen ist.
Der in Österreich (Ostmark) arbeitslose Karl findet 1938 einen Job in einem Flugzeugmotorenwerk in Berlin. Er heiratet seine Hilde. Zuerst leben sie noch getrennt, aber Hilde zieht zu ihrem Mann nach Berlin. Dort leidet sie unter Heimweh. „Ich glaube, damals in Berlin habe ich begriffen, was ein Zuhause ausmacht. Das ist der Ort, an dem man mit der Erde verwurzelt ist, wo sich die Familie regelmäßig am Esstisch trifft, wo Geschichten erzählt werden und wo Umarmungen aus Zuneigung und Liebe erwachsen.“ (Seite 125) „Für die Berliner war ich eine aus der Ostmark, ein Landei, ein Dummerl, das nichts kennt und nichts weiß. Diese Zerrissenheit tat mir nicht gut, aber sosehr ich mich auch bemühte, eine von ihnen zu sein, war ich doch die ganze Zeit eine Außenseiterin.“ Sie siedelt wieder zurück nach Niederösterreich. Aber auch da fühlt sie sich fremd. Die Einheimischen glauben, sie komme aus der großen Stadt Berlin und begegnen ihr reserviert. In größeren Abständen besucht sie ihren Mann. Mit zunehmenden Kriegsgeschehnissen werden die Besuche weniger. Auch der ursprünglich überzeugte Nationalsozialist Karl merkt, dass die Vorgänge des Kriegs nicht in Ordnung sind. Um die Fabrik vor dem Bombardement der Alliierten zu schützen, wird sein Arbeitsplatz in ein ehemaliges Gipsbergwerk verlegt. Die Arbeit wird härter und ungesunder. Im Stollen ist es feucht und kalt. Die Arbeiter werden öfter krank. Briefe verbinden das Ehepaar, das inzwischen eine kleine Tochter hat. Er muss sich eingestehen, dass aus seinem Idol Hitler nicht das geworden war, was er sich erhoffte. „von den Berlinern, die frisch hier angekommen sind, hört man allerhand. Es sollen grausame Bilder zu sehen sein. Erfrorene Kinder, die die Flucht nicht überlebt haben, abgemagerte Erwachsene, amputierte Invaliden, Verwirrte. Überall Dreck und Gestank. Viele Züge sind auch für den allgemeinen Verkehr gesperrt und nur den Evakuierten und Flüchtlingen zugewiesen. Die Schnellzüge verkehren fast nicht mehr. Für die Strecke Wien-Berlin würde man mindestens drei bis vier Tage brauchen.“ (Seite 224) Aber auch die vielen Details, die sich das Ehepaar in ihren Briefen schreibt, zeigen dem heutigen Leser die damalige Lebenssituation. Nach Kriegsende kamen keine Briefe mehr. Hilde weiß nicht, was aus ihrem Karl geworden ist, bis er schließlich nach einem halben Jahr nach Hause kommt. Geistig ist er aber noch nicht zu Hause. In der Nacht wacht er auf. Erinnerungen an die Kriegszeit kommen hoch. Erlebnisse mit Sträflingen aus dem Konzentrationslager, die in seiner Fabrik arbeiten mussten. Als sein Sohn geboren wird, verschließt sich Karl und erzählt nichts mehr aus der Kriegszeit. Aber auch Hilde hat ein Geheimnis aus dieser Zeit. Ein Mitbewohner des Dorfs, der sich als Laienhistoriker betätigt und dessen Nichte mit ihrem Freund bringen sie zu einem Geständnis.
Parallel zum Leben während der Kriegsjahre beschreibt die Autorin auch, wie es alten Menschen geht. Menschen, die nicht loslassen können und nicht akzeptieren wollen, dass sie noch allein leben können. Beides fließt in den 256 Seiten des Romans zusammen.
Fatland, Erika
SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan Buch
2022.
@book{Fatland2022,
title = {SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan},
author = {Erika Fatland},
year = {2022},
date = {2022-02-13},
abstract = {FATLAND, Erika: „SOWJETISTAN – Eine Reise durch Turkmenistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan“, Berlin 2020
VORAB: Diese Rezension ist im Vergleich zu meinen bisherigen Buchbesprechungen sehr lang geworden. Das hat zwei Gründe:
Erstens sind es eigentlich fünf Bücher in einem Buch. Fünf postsowjetische Staaten sind beschrieben und jedes enthält so viel Informationen wie ein ganzes Buch. Ich habe daher jedem Land eine ausführliche Beschreibung gewidmet.
Zweitens habe ich einen starken persönlichen Bezug zu diesen Ländern. Unmittelbar nach der politischen Wende und der Abwendung von der Sowjetunion habe ich in all diesen Ländern eine Firma gegründet. Es war spannend zu lesen, was sich in diesen vergangenen Jahrzehnten verändert hat.
Sie als Leser können aber beruhigt sein: ich zeige nur die Vielfalt des Buchinhalts auf. Vieles ist unbesprochen geblieben und wirklich lesenswert.
Die Norwegerin Erika Fatland ist nicht nur eine ausgezeichnete Reiseberichterstatterin, sie erzählt in diesem Buch auch die jüngste Geschichte dieser ehemaligen Sowjetrepubliken. Der durchschnittliche Bürger des Westens weiß eigentlich Nichts über die Situation in diesen Ländern. Fatland liefert ein Geschichtsbuch der letzten Jahrzehnte. „Sowjetistan“ besteht aus fünf großen Kapiteln, die jedes eines der Länder beschreibt. Jedes Kapitel könnte ein eigenes Buch sein, weshalb ich auch jeden Abschnitt, jedes Land hier beschreiben möchte.
Turkmenistan
Ihre Reise begann sie in Turkmenistan. Die Einreise war sehr bürokratisch. Das Land hat die härtesten Einreisebestimmungen der Welt. Nur Länder wie Venezuela, die Türkei , Kuba oder die Mongolei brauchen kein Visum. Drei Wochen fuhr sie durchs Land. Meist wurde sie von Mitarbeitern staatlicher Reisebüros begleitet. Es ist ein Bericht über ein Land mit einem Diktator, der alles bestimmt. Ein Land, das eigentlich wegen seiner Öl- und Gasvorkommen reich sein müsste. In der Hauptstadt Aschgabat sind die Häuser des Zentrums fast ausschließlich mit weißem Marmor verkleidet. Damit soll Reichtum demonstriert werden. Davon spüren aber die meisten Einwohner nichts. Lediglich Brot, ist kostenlos. Dafür sind sie ihrem Herrscher dankbar. Wann immer sie den Präsidenten ansprechen, fügen sie den Satz „unser guter Präsident“ hinzu. Übrigens, auch Benzin ist (fast) kostenlos. Der erste Präsident – Turkmenbaschi - war in der UdSSR Parteisekretär dieser Sowjetrepublik. Er ließ eine Volksabstimmung für die Unabhängigkeit des Landes durchführen und setzte sich selbst als dessen Führer und obersten Chef ein. Er schrieb die Geschichte des Landes neu. Die meisten Bücher wurden verboten, aber „sein“ Buch mussten alle Schüler lesen, ja sogar bei der Führerscheinprüfung wurde dessen Inhalt abgeprüft. Er ordnete unverständliche Dinge an: in der Hauptstadt durfte es keine Hunde geben, Oper und Zirkus wurde verboten. Alle Bibliotheken am Land wurden geschlossen. Als der Herrscher 2006 starb, wurde sein Stellvertreter Berdimuhamedow zum Nachfolger und hob viele dieser Verordnungen wieder auf, um seine eigenen Ideen durchzusetzen. Ließ Turkmenbaschi im ganzen Land vergoldete Statuen von sich aufstellen, so stellte der neue Präsident sein Konterfei in weißem Marmor gegenüber. Am Land erlebte Fatland die Armut der Bevölkerung, aber auch die Freundlichkeit: „Gleichzeitig wurde ich hier, bei diesen armen Menschen, die nicht mehr besitzen als ein paar Kochtöpfe, ein Paar Kamele und eine Herde Ziegen, am herzlichsten empfangen.“ (Seite 71)
Als sie nach drei Wochen das Land in Richtung Kasachstan mit ihren Eindrücken verließ nannte sie es „Absurtistan“.
Kasachstan
Kasachstan ist das größte Land der „Sowjetistan-Staaten“. Von der turkmenischen Grenzstadt weg fuhr die Autorin mit dem Zug nach Aral und Almaty. Bei Zugreisen kam sie mit einfachen Leuten ins Gespräch. Interessante Informationen auch für den Leser. Daneben wird auch das jeweilige Land allgemein vorgestellt. Etwa, dass Kasachstan mit 2,9 Millionen Quadratkilometern Größe das neuntgrößte Land der Welt und größer als Westeuropa ist. Es hat keinen Meerzugang und besteht zu drei Viertel aus Wüste; also unfruchtbar. Bei 17 Millionen Einwohnern leben nur sechs Menschen auf einem Quadratkilometer. Auch die jüngere Geschichte wird ausgeleuchtet. Bei einer Hungersnot in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts starben 25 Prozent der ethnischen Bevölkerung. Positiv ist, dass der Aralsee, der in den 1960er Jahren zu verschwinden drohte, weil die Baumwollpflanzungen so viel Wasser brauchten sich wieder zu füllen beginnt. Der Hafen in Aral liegt aber noch im Trockenen.
Nach Aral und Almaty besucht Frau Fatland die Hauptstadt Astana (Astana heißt übersetzt „Hauptstadt“). Sie wurde von ihrem Präsidenten Nasarbajew als Prestigeprojekt von Almaty verlegt. Internationale Architekten konnten sich hier verwirklichen. Bis 2030 werden noch jedes Jahr acht Prozent des Staatsbudgets für die Hauptstadt ausgegeben.
Mit einem kleinen Flugzeug kommt die Autorin nach Semipalatinsk, wo die Sowjetunion in der weiten Steppe ihre atomaren Probeexplosionen durchgeführt hat. Heute leben nur mehr wenige Menschen hier und ein Großteil von ihnen ist von den Atomversuchen erkrankt oder gestorben. Kinder kommen mit sechs Fingern zur Welt und viele leiden an verschiedenen Krebskrankheiten. Es wird erzählt, wie sich der Entwickler der Wasserstoffbombe Sacharow zum Friedenstifter und Staatsfeind entwickelte und wie nach Zerfall der UdSSR die vielen atomaren Anlagen durch Hilfe der Amerikaner entsorgt wurden. Hier gab es eines der größten Gefangenenlager. Einer der Sträflinge war der Schriftsteller Dostojewski und das Buch erzählt von seiner Liebesaffäre.
Kasachstan ist auch die Geburtsstätte des Apfels. Es wird erzählt, wie er von einem Forscher aus Sankt Petersburg gefunden wurde, aber auch, wie sich die Autorin einen Apfel am Gemüsemarkt kauft und genießt.
In vielen Interviews wurden Menschengeschichten eingefangen. So etwa die eines Aktivisten oder einer Schamanin oder Hexe. Man kann zusammenfassend sagen: „Kasachstan in Zahlen, Fakten, persönlichen Eindrücken und durch Menschenbilder.“
Tadschikistan
Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetstaaten. Die meisten Einwohner verdienen weniger als 80 Dollar im Monat und ein Drittel ist unterernährt. Es gibt keine Öl- oder Gasvorkommen, wie in den Nachbarstaaten. Neunzig Prozent des Landes besteht aus Bergen und nur sieben Prozent sind landwirtschaftlich genutzt. Im Gebirge kann es im Winter über 50 Grad minus bekommen. Tadschikistan ist dem Persischen sehr ähnlich. Obwohl Tadschikisch in kyrillischen Buchstaben geschrieben wird und Persisch in arabischen, haben sie vieles gemeinsam. Bevor das Land eine sowjetische Republik wurde, hatte die heutige Hauptstadt Duschambe nur 3.000 Einwohner. Heute wohnen hier 700.000 Menschen. Trotz Armut will die Hauptstadt, wie ihre Nachbarn, protzen. Ein pompöser Präsidentenpalast und lange Zeit der höchste Fahnenmast sind nur zwei dieser Faktoren. Präsident Rahmons studierte, wie sein Kollege Nasarbajew aus Kasachstan, Wirtschaftswissenschaften. Aus einfachen Verhältnissen kommend machte er Karriere und wurde oberster Repräsentant der Sowjetrepublik und späterer Präsident.
Die Autorin besuchte wieder entlegene Gebiete, in den noch die letzten Ureinwohner, die Jaghnoben wohnen. Als die UdSSR Baumwollplantagen aufzogen, wurden die Bergbewohner in die Ebenen deportiert, um dort zu arbeiten. Die Gegend war ohne Straßenverbindung völlig isoliert. Die Deportierten wurden mit Hubschraubern ausgeflogen. Viele kamen immer wieder zurück, aber viele blieben im klimatisch besseren Gebiet, vermischten sich mit einheimischen Tadschiken. Verschiedene Menschenschicksale kann man im Buch nachlesen. Bei Beerdigungen und Hochzeiten hatte Fatland Kontakt mit der Bevölkerung und schrieb das Erzählte nieder. Ein Mann sagte zu ihr „Hier im Tal leben wir wie im 19. Jahrhundert. Es ist ein hartes Leben, aber wir sind glücklich.“ (Seite 273) Um überleben zu können gehen viele Männer ins Ausland zum Geldverdienen. Die meisten nach Russland. Ihre Frauen bleiben bei den Kindern im Dorf. Einmal im Jahr kommen die Männer heim, schwängern die Frau und oft heiraten sie dann in der Fremde eine andere Frau. Aber sie schicken Geld nach Hause. Die Hälfte des Bruttonationalprodukts besteht aus diesen Überweisungen. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wüteten Bürgerkriege und viele flüchteten. Die Gesellschaft ist von Klans dominiert. Diese Zusammengehörigkeit ließ nach dem Krieg viele wieder zurückkommen.
Erika Fatland ist eine Abenteuerin. Nur so ist es möglich, so ein Buch zu schreiben. Wenn sie etwa mit einem Hubschrauber in das Pamirgebirge fliegt. Die Passagiere sitzen auf Bänken. Der Kapitän allein im Cockpit. Der Copilot hatte dort keinen Platz mehr und musste bei den Passagieren sitzen. Die Tür zum Cockpit stand offen, damit die beiden miteinander kommunizieren konnten. Auf der drei- bis fünftausend Meter hohen Pamir Ebene zeigt sich die Wichtigkeit von Grenzen. Lange wurde hier gekämpft. Die beiden Großmächte Russland und das britische Empire standen sich gegenüber und eroberten diese zentralasiatischen Gebiete für sich. Man einigte sich auf Grenzen, die aber immer wieder vom Gegner überschritten wurden. Grenzen wurden auch willkürlich gezogen und sind heute noch ein Problem. Bis in die Jetztzeit wird um Gebiete um Afghanistan gekämpft. Obwohl Tadschikistan ein selbstständiger Staat war, waren russische Soldaten bis 2005 noch in Tadschikistan stationiert, um die Grenzen unter Beobachtung zu haben.
Kirgisistan
„Kirgisistan ist das freieste und demokratischste Land Zentralasiens, die Presse ist die freieste in der Region und auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Freiheiten landet das arme kleine Bergland unter den hundert fortschrittlichsten Ländern der Welt.“ (Seite 337) Bischkek ist die Hauptstadt und nach dem Bericht in diesem Buch die „grünste“ Stadt Zentralasiens. Es ist das einzige Land der Sowjetistan-Länder, die keinen neuen und protzigen Präsidentenpalast besitzen. Der Präsident residiert im Weißen Haus, das noch aus der Sowjetunions-Zeit stammt. Präsidenten haben sich nicht lange gehalten. Demokratische Bestrebungen haben sie bei Fehlverhalten vertrieben und durch neu gewählte ersetzt. Die alten fanden Asyl in Weißrussland oder Russland. Es ist das ärmste Land der Region. In der Zeit der UdSSR gab Moskau finanzielle Unterstützung. Drei Viertel des Staatshaushalts kam von dort. Heute lebt ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Damit nicht alles zum Stillstand kommt arbeiten vor allem junge Männer im Ausland und schicken Geld nach Hause. Die meisten von ihnen finden in Russland einen Job; allerdings zu sehr schlechten Bedingungen. Sie wohnen zu Dutzenden in einem gemieteten Zimmer. Durch die Armut im Land und unter den Fremdarbeitern ist wieder Tuberkulose ausgebrochen, die zu bekämpfen schwierig ist. Man schätzt, dass zehn Prozent von dieser Krankheit betroffen sind. So wie arbeitsfähige Männer ins Ausland abwandern, verlassen auch viele Ärzte das Land. Sie verdienen im Ausland mehr und zu Hause bricht das Gesundheitswesen zusammen.
Soweit zu den Fakten. Fatland schreibt auch über persönliche Erfahrungen. So etwa sprach sie mit Frauen, die entführt und Zwangsverheiratet wurden. Brautraub ist immer noch üblich. Auch eine russische Frau, mit der die Autorin sprach, blieb davon nicht verschont. Nach einer Studie sind etwa ein Drittel aller geschlossenen Ehen nicht freiwillig, sondern durch Brautraub entstanden. Am Land sind es oft mehr als 50 Prozent. Sie machte auch Bekanntschaft mit Adlermännern, die die Kunst des Jagens mit einem Greifvogel aufrechterhalten. „Unsere Vorfahren hatten keine Waffen und nützten die Vögel zur Jagd“ (Seite 364) Kirgisen waren Nomaden. Unter Stalin wurden sie „umerzogen“, um sesshaft zu werden. Heute sind nur mehr zehn Prozent der Einwohner Nomaden. Stalin war es, der viele Menschen während des Zweiten Weltkriegs nach Zentralasien übersiedelte. So kamen 230.000 Krim-Tataren, 17.000 Koreaner aus Wladiwostok, 19.000 Aserbaidschaner aus dem Kaukasus und 8.500 Deutsche aus dem Wolga-Gebiet. Letztlich lebte eine Million Deutscher in der Region. 1989 wurde ihre Auswanderung zugelassen und die Zahl verkleinerte sich. Erika Fatland reiste – trotz Warnung – in so ein Dorf, das sich „Rot-Front“ nennt. Zwar konnte sie mit einem deutschen Mann reden, als sie dann einen Gottesdienst besuchte und der Gemeindevorstand gegen ausländische Journalisten predigte musste sie das Dorf verlassen.
Die Russen hatten willkürliche Grenzen gezogen und Stämme und Völker teilweise getrennt. Dies führt bis heute zu Konflikten. In Kirgisistan leben viele Usbeken. In den 1990er Jahren und im Juni 2010 kam es zu blutigen Ausschreitungen. 2010 kamen über 400 Menschen ums Leben, 2.000 wurden verletzt und mehrere hunderttausend flüchteten nach Usbekistan und in Grenzregionen.
Usbekistan
Beim Grenzübertritt nach Usbekistan hatte sie Glück, dass sie während der Baumwollerntezeit reiste. In dieser Zeit werden die Grenzen für die Einheimischen gesperrt, denn alle werden für die Baumwollernte gebraucht. „Jedes Jahr werden Hunderttausende Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, Beamte und andere öffentliche Angestellte sowie Studenten des Landes einberufen, um Baumwolle zu pflücken - eine alte Tradition aus der Sowjetzeit, die noch immer praktiziert wird.“ (Seite 398) Damit sich die Bewohner vor dieser Arbeit nicht ins Ausland flüchten können, wird die Grenze für sie gesperrt. Für Erika Fatland wurde es so ein schneller Grenzübertritt.
So wie in all diesen STAN-Ländern ist der russische Vergangenheitseinfluss nicht zu übersehen. Zwar haben nach der Verselbstständigung Usbekistans die Hälfte der russischen Einwohner das Land verlassen, aber eine Million ist geblieben und die Abhängigkeit von Russland ist geblieben. Das religiöse Leben blühte wieder auf. Wie in den Nachbarländern wird das Land von einem Diktator nach sowjetischem Muster regiert. Karimow, der Präsident der ersten Stunde, war ein Alleinregent, dessen Familienmitglieder sich bereicherten. Unruhen im Jahr 2005 bescherten viele Tote, aber der Aufstand wurde niedergeschlagen.
Sehr detailliert wird im Kapitel „Der Stoff, aus dem Träume sind“ die Produktion von Seide beschrieben.
An der Grenze zu Turkmenistan liegt die kleine Stadt Nukus. Sie ist die wichtigste Stadt der Region Karakalpakstan, die etwa ein Drittel der Fläche Usbekistans besitzt, aber nur 1,7 Millionen Einwohner hat. Nur mehr ein Viertel sind Einheimische, aber auch die werden jedes Jahr weniger. Es herrscht ungastliches Klima. Im Sommer hat es oft mehr als 50 Grad und im Winter Kälte. In dieser entlegenen Gegend hatten die Sowjets ihre biologischen Waffen getestet. In den 1960er Jahren waren etwa 50.000 Menschen an diesen geheimen Versuchen beteiligt. Bedingt durch die Militäranlagen war es Sperrgebiet für Ausländer und Außenstehende. In dieser Stadt gründete der Ukrainer Igor Sawitzki, der selbst Maler war, ein Museum. Er war ein Sammler und trug Handarbeiten, Schmuck und Stickereien der Einheimischen zusammen. Aber das Besondere sind die tausenden expressionistischen Bilder, die er gesammelt hat. Bilder, die in der naturalistischen, kommunistischen Kunstauffassung nicht erlaubt waren. In der zentralasiatisch entlegenen Kleinstadt war die Moskauer Kontrolle weit weg. Heute hat dieses Museum einen internationalen Stellenwert. Fatland besuchte dieses außergewöhnliche Museum.
Ein Kapitel widmet sie auch der Baumwollproduktion, demzufolge der Aralsee zum Großteil ausgetrocknet ist, weil man das Wasser für die Baumwollplantagen brauchte. Neunzig Prozent des Sees sind in den letzten fünfzig Jahren verschwunden. Baumwolle wurde in Usbekistan schon seit 2000 Jahren angebaut, aber in bescheidenem Umfang. Die russischen Machthaber erhöhten dies, wodurch andere landwirtschaftliche Produkte wie Milch, Getreide, Obst und Gemüse zurückgedrängt wurden. Usbekistan musste diese, früher selbst produzierten Waren importieren. Das Land verarmte noch mehr. Die meisten Bauernhöfe gehören heute dem Staat und so bestimmt der usbekische Staat was angebaut wird und wie die Preise zu gestalten sind. Baumwolle ist weiterhin die Basis der usbekischen Wirtschaft.
Neben der Hauptstadt sind Buchara und Samarkand wichtige Städte. Ursprünglich war hier ein Zentrum der Wissenschaften, wo unter anderem der Mathematiker Abu Dscha´far Muhammad ibn Musa al-Chwarizimi schon im 7. Jahrhundert als Vater der Algebra angesehen wurde. Der Algorithmus war Teil seiner Forschungen und Publikationen. Ein anderer löste das Problem, wenn man auf ein Schachbrett ein Weizenkorn legt und auf das nächste die doppelte Menge und sofort, bis letztlich am letzten Schachbrettfeld über 18 Trillionen liegen müssten. Das intellektuelle Leben in Zentralasien war vor eintausend Jahren hochstehend. Als die Araber die Region eroberten, verfiel all dieses Wissen. Bibliotheken wurden verbrannt und Wissen ausgelöscht. Auch Andersgläubige wurden verfolgt und allein in Usbekistan tausende Christen ermordet.
Mit der transkaspischen Eisenbahn, die auf usbekischem Gebiet mit Hochgeschwindigkeitszügen fährt, kam die Autorin in die Hauptstadt Taschkent. Von der ursprünglichen Stadt ist durch ein Erdbeben im Jahr 1966 nichts übriggeblieben. Die UdSSR errichtete eine sowjetische Musterstadt. Da aber Usbekistan auch große Gas- und Erdölvorkommen hat, konnte eine moderne Stadt aufgebaut werden. Wie in den Nachbarstaaten herrscht ein Diktator. Interviewpartner waren nur schwer zu finden. Man hatte Angst. Aber bei Taxifahrten wurden die Menschen gesprächig und lieferten Eindrücke für den Leser des vorliegenden Buchs. Ausführlich widmet sie sich dem Klan des usbekischen Präsidenten. Einer der Taxifahrer brachte es auf den Punkt: „Die Sowjetgeneration ist, wie sie ist. Sie macht alles auf die gleiche, alte Art und Weise. Ich setzte meine Hoffnung auf die jetzt aufwachsende Generation. Viele von ihnen sind gereist und haben die Welt gesehen. Nur sie können etwas Neues schaffen.“ (Seite 495)
Wie sieht die Zukunft der Region aus? In einem Nachwort aus dem Jahr 2014 versucht es Fatland zu definieren:
Die Russen eroberten im 19. Jahrhundert diese zentralasiatischen Gebiete, konnten sie aber nur schwer abgrenzen. Sie nannten die Region „Turkestan“, weil die meisten Völker türkischstämmig waren. Die fünf postsowjetischen Republiken existierten bis 1991 nicht als Nationen. „Bis heute unterhalten die Stans sowohl wirtschaftlich wie politisch enge Bande zu Russland als miteinander.“ (Seite 386)
Viele Gesprächspartner trauern immer noch der Sowjetunion nach. Sowie es Boris, einer ihrer Führer ausdrückte: „Alles war besser in der Sowjetunion. Speiseöl war billig, das Brot kostete nichts und ein Flugticket nach Moskau war auch nicht besonders teuer. Wir bekamen genügend Lohn für eine ganze Familie. Jetzt reicht das Geld nie, und viele von uns sind krank.“ (Seite 449)
Das Buch erschien 2014. Vom Ende der Sowjetunion weg war viel passiert. Inzwischen sind weitere Jahre ins Land gegangen. Wie sieht es heute dort aus? Das Interesse ist geweckt. Frau Fatland: was wäre mit einer Fortsetzung?
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VORAB: Diese Rezension ist im Vergleich zu meinen bisherigen Buchbesprechungen sehr lang geworden. Das hat zwei Gründe:
Erstens sind es eigentlich fünf Bücher in einem Buch. Fünf postsowjetische Staaten sind beschrieben und jedes enthält so viel Informationen wie ein ganzes Buch. Ich habe daher jedem Land eine ausführliche Beschreibung gewidmet.
Zweitens habe ich einen starken persönlichen Bezug zu diesen Ländern. Unmittelbar nach der politischen Wende und der Abwendung von der Sowjetunion habe ich in all diesen Ländern eine Firma gegründet. Es war spannend zu lesen, was sich in diesen vergangenen Jahrzehnten verändert hat.
Sie als Leser können aber beruhigt sein: ich zeige nur die Vielfalt des Buchinhalts auf. Vieles ist unbesprochen geblieben und wirklich lesenswert.
Die Norwegerin Erika Fatland ist nicht nur eine ausgezeichnete Reiseberichterstatterin, sie erzählt in diesem Buch auch die jüngste Geschichte dieser ehemaligen Sowjetrepubliken. Der durchschnittliche Bürger des Westens weiß eigentlich Nichts über die Situation in diesen Ländern. Fatland liefert ein Geschichtsbuch der letzten Jahrzehnte. „Sowjetistan“ besteht aus fünf großen Kapiteln, die jedes eines der Länder beschreibt. Jedes Kapitel könnte ein eigenes Buch sein, weshalb ich auch jeden Abschnitt, jedes Land hier beschreiben möchte.
Turkmenistan
Ihre Reise begann sie in Turkmenistan. Die Einreise war sehr bürokratisch. Das Land hat die härtesten Einreisebestimmungen der Welt. Nur Länder wie Venezuela, die Türkei , Kuba oder die Mongolei brauchen kein Visum. Drei Wochen fuhr sie durchs Land. Meist wurde sie von Mitarbeitern staatlicher Reisebüros begleitet. Es ist ein Bericht über ein Land mit einem Diktator, der alles bestimmt. Ein Land, das eigentlich wegen seiner Öl- und Gasvorkommen reich sein müsste. In der Hauptstadt Aschgabat sind die Häuser des Zentrums fast ausschließlich mit weißem Marmor verkleidet. Damit soll Reichtum demonstriert werden. Davon spüren aber die meisten Einwohner nichts. Lediglich Brot, ist kostenlos. Dafür sind sie ihrem Herrscher dankbar. Wann immer sie den Präsidenten ansprechen, fügen sie den Satz „unser guter Präsident“ hinzu. Übrigens, auch Benzin ist (fast) kostenlos. Der erste Präsident – Turkmenbaschi - war in der UdSSR Parteisekretär dieser Sowjetrepublik. Er ließ eine Volksabstimmung für die Unabhängigkeit des Landes durchführen und setzte sich selbst als dessen Führer und obersten Chef ein. Er schrieb die Geschichte des Landes neu. Die meisten Bücher wurden verboten, aber „sein“ Buch mussten alle Schüler lesen, ja sogar bei der Führerscheinprüfung wurde dessen Inhalt abgeprüft. Er ordnete unverständliche Dinge an: in der Hauptstadt durfte es keine Hunde geben, Oper und Zirkus wurde verboten. Alle Bibliotheken am Land wurden geschlossen. Als der Herrscher 2006 starb, wurde sein Stellvertreter Berdimuhamedow zum Nachfolger und hob viele dieser Verordnungen wieder auf, um seine eigenen Ideen durchzusetzen. Ließ Turkmenbaschi im ganzen Land vergoldete Statuen von sich aufstellen, so stellte der neue Präsident sein Konterfei in weißem Marmor gegenüber. Am Land erlebte Fatland die Armut der Bevölkerung, aber auch die Freundlichkeit: „Gleichzeitig wurde ich hier, bei diesen armen Menschen, die nicht mehr besitzen als ein paar Kochtöpfe, ein Paar Kamele und eine Herde Ziegen, am herzlichsten empfangen.“ (Seite 71)
Als sie nach drei Wochen das Land in Richtung Kasachstan mit ihren Eindrücken verließ nannte sie es „Absurtistan“.
Kasachstan
Kasachstan ist das größte Land der „Sowjetistan-Staaten“. Von der turkmenischen Grenzstadt weg fuhr die Autorin mit dem Zug nach Aral und Almaty. Bei Zugreisen kam sie mit einfachen Leuten ins Gespräch. Interessante Informationen auch für den Leser. Daneben wird auch das jeweilige Land allgemein vorgestellt. Etwa, dass Kasachstan mit 2,9 Millionen Quadratkilometern Größe das neuntgrößte Land der Welt und größer als Westeuropa ist. Es hat keinen Meerzugang und besteht zu drei Viertel aus Wüste; also unfruchtbar. Bei 17 Millionen Einwohnern leben nur sechs Menschen auf einem Quadratkilometer. Auch die jüngere Geschichte wird ausgeleuchtet. Bei einer Hungersnot in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts starben 25 Prozent der ethnischen Bevölkerung. Positiv ist, dass der Aralsee, der in den 1960er Jahren zu verschwinden drohte, weil die Baumwollpflanzungen so viel Wasser brauchten sich wieder zu füllen beginnt. Der Hafen in Aral liegt aber noch im Trockenen.
Nach Aral und Almaty besucht Frau Fatland die Hauptstadt Astana (Astana heißt übersetzt „Hauptstadt“). Sie wurde von ihrem Präsidenten Nasarbajew als Prestigeprojekt von Almaty verlegt. Internationale Architekten konnten sich hier verwirklichen. Bis 2030 werden noch jedes Jahr acht Prozent des Staatsbudgets für die Hauptstadt ausgegeben.
Mit einem kleinen Flugzeug kommt die Autorin nach Semipalatinsk, wo die Sowjetunion in der weiten Steppe ihre atomaren Probeexplosionen durchgeführt hat. Heute leben nur mehr wenige Menschen hier und ein Großteil von ihnen ist von den Atomversuchen erkrankt oder gestorben. Kinder kommen mit sechs Fingern zur Welt und viele leiden an verschiedenen Krebskrankheiten. Es wird erzählt, wie sich der Entwickler der Wasserstoffbombe Sacharow zum Friedenstifter und Staatsfeind entwickelte und wie nach Zerfall der UdSSR die vielen atomaren Anlagen durch Hilfe der Amerikaner entsorgt wurden. Hier gab es eines der größten Gefangenenlager. Einer der Sträflinge war der Schriftsteller Dostojewski und das Buch erzählt von seiner Liebesaffäre.
Kasachstan ist auch die Geburtsstätte des Apfels. Es wird erzählt, wie er von einem Forscher aus Sankt Petersburg gefunden wurde, aber auch, wie sich die Autorin einen Apfel am Gemüsemarkt kauft und genießt.
In vielen Interviews wurden Menschengeschichten eingefangen. So etwa die eines Aktivisten oder einer Schamanin oder Hexe. Man kann zusammenfassend sagen: „Kasachstan in Zahlen, Fakten, persönlichen Eindrücken und durch Menschenbilder.“
Tadschikistan
Tadschikistan ist das ärmste Land unter den ehemaligen Sowjetstaaten. Die meisten Einwohner verdienen weniger als 80 Dollar im Monat und ein Drittel ist unterernährt. Es gibt keine Öl- oder Gasvorkommen, wie in den Nachbarstaaten. Neunzig Prozent des Landes besteht aus Bergen und nur sieben Prozent sind landwirtschaftlich genutzt. Im Gebirge kann es im Winter über 50 Grad minus bekommen. Tadschikistan ist dem Persischen sehr ähnlich. Obwohl Tadschikisch in kyrillischen Buchstaben geschrieben wird und Persisch in arabischen, haben sie vieles gemeinsam. Bevor das Land eine sowjetische Republik wurde, hatte die heutige Hauptstadt Duschambe nur 3.000 Einwohner. Heute wohnen hier 700.000 Menschen. Trotz Armut will die Hauptstadt, wie ihre Nachbarn, protzen. Ein pompöser Präsidentenpalast und lange Zeit der höchste Fahnenmast sind nur zwei dieser Faktoren. Präsident Rahmons studierte, wie sein Kollege Nasarbajew aus Kasachstan, Wirtschaftswissenschaften. Aus einfachen Verhältnissen kommend machte er Karriere und wurde oberster Repräsentant der Sowjetrepublik und späterer Präsident.
Die Autorin besuchte wieder entlegene Gebiete, in den noch die letzten Ureinwohner, die Jaghnoben wohnen. Als die UdSSR Baumwollplantagen aufzogen, wurden die Bergbewohner in die Ebenen deportiert, um dort zu arbeiten. Die Gegend war ohne Straßenverbindung völlig isoliert. Die Deportierten wurden mit Hubschraubern ausgeflogen. Viele kamen immer wieder zurück, aber viele blieben im klimatisch besseren Gebiet, vermischten sich mit einheimischen Tadschiken. Verschiedene Menschenschicksale kann man im Buch nachlesen. Bei Beerdigungen und Hochzeiten hatte Fatland Kontakt mit der Bevölkerung und schrieb das Erzählte nieder. Ein Mann sagte zu ihr „Hier im Tal leben wir wie im 19. Jahrhundert. Es ist ein hartes Leben, aber wir sind glücklich.“ (Seite 273) Um überleben zu können gehen viele Männer ins Ausland zum Geldverdienen. Die meisten nach Russland. Ihre Frauen bleiben bei den Kindern im Dorf. Einmal im Jahr kommen die Männer heim, schwängern die Frau und oft heiraten sie dann in der Fremde eine andere Frau. Aber sie schicken Geld nach Hause. Die Hälfte des Bruttonationalprodukts besteht aus diesen Überweisungen. In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wüteten Bürgerkriege und viele flüchteten. Die Gesellschaft ist von Klans dominiert. Diese Zusammengehörigkeit ließ nach dem Krieg viele wieder zurückkommen.
Erika Fatland ist eine Abenteuerin. Nur so ist es möglich, so ein Buch zu schreiben. Wenn sie etwa mit einem Hubschrauber in das Pamirgebirge fliegt. Die Passagiere sitzen auf Bänken. Der Kapitän allein im Cockpit. Der Copilot hatte dort keinen Platz mehr und musste bei den Passagieren sitzen. Die Tür zum Cockpit stand offen, damit die beiden miteinander kommunizieren konnten. Auf der drei- bis fünftausend Meter hohen Pamir Ebene zeigt sich die Wichtigkeit von Grenzen. Lange wurde hier gekämpft. Die beiden Großmächte Russland und das britische Empire standen sich gegenüber und eroberten diese zentralasiatischen Gebiete für sich. Man einigte sich auf Grenzen, die aber immer wieder vom Gegner überschritten wurden. Grenzen wurden auch willkürlich gezogen und sind heute noch ein Problem. Bis in die Jetztzeit wird um Gebiete um Afghanistan gekämpft. Obwohl Tadschikistan ein selbstständiger Staat war, waren russische Soldaten bis 2005 noch in Tadschikistan stationiert, um die Grenzen unter Beobachtung zu haben.
Kirgisistan
„Kirgisistan ist das freieste und demokratischste Land Zentralasiens, die Presse ist die freieste in der Region und auch mit Blick auf die wirtschaftlichen Freiheiten landet das arme kleine Bergland unter den hundert fortschrittlichsten Ländern der Welt.“ (Seite 337) Bischkek ist die Hauptstadt und nach dem Bericht in diesem Buch die „grünste“ Stadt Zentralasiens. Es ist das einzige Land der Sowjetistan-Länder, die keinen neuen und protzigen Präsidentenpalast besitzen. Der Präsident residiert im Weißen Haus, das noch aus der Sowjetunions-Zeit stammt. Präsidenten haben sich nicht lange gehalten. Demokratische Bestrebungen haben sie bei Fehlverhalten vertrieben und durch neu gewählte ersetzt. Die alten fanden Asyl in Weißrussland oder Russland. Es ist das ärmste Land der Region. In der Zeit der UdSSR gab Moskau finanzielle Unterstützung. Drei Viertel des Staatshaushalts kam von dort. Heute lebt ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Damit nicht alles zum Stillstand kommt arbeiten vor allem junge Männer im Ausland und schicken Geld nach Hause. Die meisten von ihnen finden in Russland einen Job; allerdings zu sehr schlechten Bedingungen. Sie wohnen zu Dutzenden in einem gemieteten Zimmer. Durch die Armut im Land und unter den Fremdarbeitern ist wieder Tuberkulose ausgebrochen, die zu bekämpfen schwierig ist. Man schätzt, dass zehn Prozent von dieser Krankheit betroffen sind. So wie arbeitsfähige Männer ins Ausland abwandern, verlassen auch viele Ärzte das Land. Sie verdienen im Ausland mehr und zu Hause bricht das Gesundheitswesen zusammen.
Soweit zu den Fakten. Fatland schreibt auch über persönliche Erfahrungen. So etwa sprach sie mit Frauen, die entführt und Zwangsverheiratet wurden. Brautraub ist immer noch üblich. Auch eine russische Frau, mit der die Autorin sprach, blieb davon nicht verschont. Nach einer Studie sind etwa ein Drittel aller geschlossenen Ehen nicht freiwillig, sondern durch Brautraub entstanden. Am Land sind es oft mehr als 50 Prozent. Sie machte auch Bekanntschaft mit Adlermännern, die die Kunst des Jagens mit einem Greifvogel aufrechterhalten. „Unsere Vorfahren hatten keine Waffen und nützten die Vögel zur Jagd“ (Seite 364) Kirgisen waren Nomaden. Unter Stalin wurden sie „umerzogen“, um sesshaft zu werden. Heute sind nur mehr zehn Prozent der Einwohner Nomaden. Stalin war es, der viele Menschen während des Zweiten Weltkriegs nach Zentralasien übersiedelte. So kamen 230.000 Krim-Tataren, 17.000 Koreaner aus Wladiwostok, 19.000 Aserbaidschaner aus dem Kaukasus und 8.500 Deutsche aus dem Wolga-Gebiet. Letztlich lebte eine Million Deutscher in der Region. 1989 wurde ihre Auswanderung zugelassen und die Zahl verkleinerte sich. Erika Fatland reiste – trotz Warnung – in so ein Dorf, das sich „Rot-Front“ nennt. Zwar konnte sie mit einem deutschen Mann reden, als sie dann einen Gottesdienst besuchte und der Gemeindevorstand gegen ausländische Journalisten predigte musste sie das Dorf verlassen.
Die Russen hatten willkürliche Grenzen gezogen und Stämme und Völker teilweise getrennt. Dies führt bis heute zu Konflikten. In Kirgisistan leben viele Usbeken. In den 1990er Jahren und im Juni 2010 kam es zu blutigen Ausschreitungen. 2010 kamen über 400 Menschen ums Leben, 2.000 wurden verletzt und mehrere hunderttausend flüchteten nach Usbekistan und in Grenzregionen.
Usbekistan
Beim Grenzübertritt nach Usbekistan hatte sie Glück, dass sie während der Baumwollerntezeit reiste. In dieser Zeit werden die Grenzen für die Einheimischen gesperrt, denn alle werden für die Baumwollernte gebraucht. „Jedes Jahr werden Hunderttausende Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern, Beamte und andere öffentliche Angestellte sowie Studenten des Landes einberufen, um Baumwolle zu pflücken - eine alte Tradition aus der Sowjetzeit, die noch immer praktiziert wird.“ (Seite 398) Damit sich die Bewohner vor dieser Arbeit nicht ins Ausland flüchten können, wird die Grenze für sie gesperrt. Für Erika Fatland wurde es so ein schneller Grenzübertritt.
So wie in all diesen STAN-Ländern ist der russische Vergangenheitseinfluss nicht zu übersehen. Zwar haben nach der Verselbstständigung Usbekistans die Hälfte der russischen Einwohner das Land verlassen, aber eine Million ist geblieben und die Abhängigkeit von Russland ist geblieben. Das religiöse Leben blühte wieder auf. Wie in den Nachbarländern wird das Land von einem Diktator nach sowjetischem Muster regiert. Karimow, der Präsident der ersten Stunde, war ein Alleinregent, dessen Familienmitglieder sich bereicherten. Unruhen im Jahr 2005 bescherten viele Tote, aber der Aufstand wurde niedergeschlagen.
Sehr detailliert wird im Kapitel „Der Stoff, aus dem Träume sind“ die Produktion von Seide beschrieben.
An der Grenze zu Turkmenistan liegt die kleine Stadt Nukus. Sie ist die wichtigste Stadt der Region Karakalpakstan, die etwa ein Drittel der Fläche Usbekistans besitzt, aber nur 1,7 Millionen Einwohner hat. Nur mehr ein Viertel sind Einheimische, aber auch die werden jedes Jahr weniger. Es herrscht ungastliches Klima. Im Sommer hat es oft mehr als 50 Grad und im Winter Kälte. In dieser entlegenen Gegend hatten die Sowjets ihre biologischen Waffen getestet. In den 1960er Jahren waren etwa 50.000 Menschen an diesen geheimen Versuchen beteiligt. Bedingt durch die Militäranlagen war es Sperrgebiet für Ausländer und Außenstehende. In dieser Stadt gründete der Ukrainer Igor Sawitzki, der selbst Maler war, ein Museum. Er war ein Sammler und trug Handarbeiten, Schmuck und Stickereien der Einheimischen zusammen. Aber das Besondere sind die tausenden expressionistischen Bilder, die er gesammelt hat. Bilder, die in der naturalistischen, kommunistischen Kunstauffassung nicht erlaubt waren. In der zentralasiatisch entlegenen Kleinstadt war die Moskauer Kontrolle weit weg. Heute hat dieses Museum einen internationalen Stellenwert. Fatland besuchte dieses außergewöhnliche Museum.
Ein Kapitel widmet sie auch der Baumwollproduktion, demzufolge der Aralsee zum Großteil ausgetrocknet ist, weil man das Wasser für die Baumwollplantagen brauchte. Neunzig Prozent des Sees sind in den letzten fünfzig Jahren verschwunden. Baumwolle wurde in Usbekistan schon seit 2000 Jahren angebaut, aber in bescheidenem Umfang. Die russischen Machthaber erhöhten dies, wodurch andere landwirtschaftliche Produkte wie Milch, Getreide, Obst und Gemüse zurückgedrängt wurden. Usbekistan musste diese, früher selbst produzierten Waren importieren. Das Land verarmte noch mehr. Die meisten Bauernhöfe gehören heute dem Staat und so bestimmt der usbekische Staat was angebaut wird und wie die Preise zu gestalten sind. Baumwolle ist weiterhin die Basis der usbekischen Wirtschaft.
Neben der Hauptstadt sind Buchara und Samarkand wichtige Städte. Ursprünglich war hier ein Zentrum der Wissenschaften, wo unter anderem der Mathematiker Abu Dscha´far Muhammad ibn Musa al-Chwarizimi schon im 7. Jahrhundert als Vater der Algebra angesehen wurde. Der Algorithmus war Teil seiner Forschungen und Publikationen. Ein anderer löste das Problem, wenn man auf ein Schachbrett ein Weizenkorn legt und auf das nächste die doppelte Menge und sofort, bis letztlich am letzten Schachbrettfeld über 18 Trillionen liegen müssten. Das intellektuelle Leben in Zentralasien war vor eintausend Jahren hochstehend. Als die Araber die Region eroberten, verfiel all dieses Wissen. Bibliotheken wurden verbrannt und Wissen ausgelöscht. Auch Andersgläubige wurden verfolgt und allein in Usbekistan tausende Christen ermordet.
Mit der transkaspischen Eisenbahn, die auf usbekischem Gebiet mit Hochgeschwindigkeitszügen fährt, kam die Autorin in die Hauptstadt Taschkent. Von der ursprünglichen Stadt ist durch ein Erdbeben im Jahr 1966 nichts übriggeblieben. Die UdSSR errichtete eine sowjetische Musterstadt. Da aber Usbekistan auch große Gas- und Erdölvorkommen hat, konnte eine moderne Stadt aufgebaut werden. Wie in den Nachbarstaaten herrscht ein Diktator. Interviewpartner waren nur schwer zu finden. Man hatte Angst. Aber bei Taxifahrten wurden die Menschen gesprächig und lieferten Eindrücke für den Leser des vorliegenden Buchs. Ausführlich widmet sie sich dem Klan des usbekischen Präsidenten. Einer der Taxifahrer brachte es auf den Punkt: „Die Sowjetgeneration ist, wie sie ist. Sie macht alles auf die gleiche, alte Art und Weise. Ich setzte meine Hoffnung auf die jetzt aufwachsende Generation. Viele von ihnen sind gereist und haben die Welt gesehen. Nur sie können etwas Neues schaffen.“ (Seite 495)
Wie sieht die Zukunft der Region aus? In einem Nachwort aus dem Jahr 2014 versucht es Fatland zu definieren:
Die Russen eroberten im 19. Jahrhundert diese zentralasiatischen Gebiete, konnten sie aber nur schwer abgrenzen. Sie nannten die Region „Turkestan“, weil die meisten Völker türkischstämmig waren. Die fünf postsowjetischen Republiken existierten bis 1991 nicht als Nationen. „Bis heute unterhalten die Stans sowohl wirtschaftlich wie politisch enge Bande zu Russland als miteinander.“ (Seite 386)
Viele Gesprächspartner trauern immer noch der Sowjetunion nach. Sowie es Boris, einer ihrer Führer ausdrückte: „Alles war besser in der Sowjetunion. Speiseöl war billig, das Brot kostete nichts und ein Flugticket nach Moskau war auch nicht besonders teuer. Wir bekamen genügend Lohn für eine ganze Familie. Jetzt reicht das Geld nie, und viele von uns sind krank.“ (Seite 449)
Das Buch erschien 2014. Vom Ende der Sowjetunion weg war viel passiert. Inzwischen sind weitere Jahre ins Land gegangen. Wie sieht es heute dort aus? Das Interesse ist geweckt. Frau Fatland: was wäre mit einer Fortsetzung?
SCHMITT, Eric-Emmanuel
Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran Buch
2022.
@book{SCHMITT2022,
title = {Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran},
author = {Eric-Emmanuel SCHMITT},
year = {2022},
date = {2022-02-04},
abstract = {SCHMITT, Eric-Emmanuel: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“, Frankfurt 2012
Ursprünglich war es ein Theaterstück, das 2004 mit Omar Sharif verfilmt wurde. Als Erzählung erschien es 2001 und die erste deutsche Version 2003. Lange lag es auf der Spiegel-Bestsellerliste auf Platz 1. Es ist das zweite Buch in der Reihe „Cycle de l’invisible“ und ist nicht nur mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, es ist auch zu einer Standardlektüre im Französischunterricht geworden. Eine wunderbare Geschichte, die man auch als Märchen für Erwachsene bezeichnen könnte.
Die beiden Proponenten sind Moses, ein jüdischer Bub und Ibrahim ein türkischer Greißler in einem Pariser Bezirk. Moses lebt allein mit seinem Vater, einem Rechtsanwalt. Er führt schon als Bub den Haushalt des Vaters und lernt so den Lebensmittelhändler Ibrahim kennen, den er bestiehlt, um sich mit dem Ersparten seine ersten Freudenhausbesuche finanzieren zu können. Ibrahim und Moses freunden sich an und der alte Mann wird zum Vaterersatz, denn dieser verliert seinen Job und begeht Selbstmord. Als er noch ein Kleinkind war, hat seine Mutter die Familie verlassen. Erst später sucht sie ihr Kind, aber Moses gibt sich als ein anderer aus. In diesen zerrütteten Verhältnissen adoptiert Ibrahim Moses. Sie kaufen ein Auto und fahren in Ibrahims Heimat, ans Meer in der Türkei, wo dieser verstirbt. Moses wird Lebensmittelhändler in Paris.
Damit habe ich vielleicht viel verraten und die Geschichte nacherzählt. Dem ist aber nicht so, denn in dieser Erzählung stecken viele schöne Details, die man selbst lesen und genießen muss.
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Ursprünglich war es ein Theaterstück, das 2004 mit Omar Sharif verfilmt wurde. Als Erzählung erschien es 2001 und die erste deutsche Version 2003. Lange lag es auf der Spiegel-Bestsellerliste auf Platz 1. Es ist das zweite Buch in der Reihe „Cycle de l’invisible“ und ist nicht nur mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet, es ist auch zu einer Standardlektüre im Französischunterricht geworden. Eine wunderbare Geschichte, die man auch als Märchen für Erwachsene bezeichnen könnte.
Die beiden Proponenten sind Moses, ein jüdischer Bub und Ibrahim ein türkischer Greißler in einem Pariser Bezirk. Moses lebt allein mit seinem Vater, einem Rechtsanwalt. Er führt schon als Bub den Haushalt des Vaters und lernt so den Lebensmittelhändler Ibrahim kennen, den er bestiehlt, um sich mit dem Ersparten seine ersten Freudenhausbesuche finanzieren zu können. Ibrahim und Moses freunden sich an und der alte Mann wird zum Vaterersatz, denn dieser verliert seinen Job und begeht Selbstmord. Als er noch ein Kleinkind war, hat seine Mutter die Familie verlassen. Erst später sucht sie ihr Kind, aber Moses gibt sich als ein anderer aus. In diesen zerrütteten Verhältnissen adoptiert Ibrahim Moses. Sie kaufen ein Auto und fahren in Ibrahims Heimat, ans Meer in der Türkei, wo dieser verstirbt. Moses wird Lebensmittelhändler in Paris.
Damit habe ich vielleicht viel verraten und die Geschichte nacherzählt. Dem ist aber nicht so, denn in dieser Erzählung stecken viele schöne Details, die man selbst lesen und genießen muss.
TRAWÖGER, Norbert
Spiel Buch
2022.
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Der Autor meint, wir sollten als Erwachsene von den Kindern lernen und mehr spielerisch betrachten. Was er mit dem vorliegenden Buch sagen will habe ich leider nicht verstanden. Da gibt es Abhandlungen über verschiedene Arten des Spielens. „Spielen“ sei in der deutschen Sprache nicht so leicht abgrenzbar. Im Englischen sei dies mit „play“ und „game“ besser unterscheidbar. Er nimmt Bezug auf sein Kind und in welchem Alter welcher Zugang zum Spielen bestand. Er selbst „spielt“ Flöte. So wie sein Vater. Schon der Großvater war Musiker und er selbst ist künstlerischer Leiter des Brucknerorchesters in Linz. Als ehemaliger Lehrer besitzt er einen Zugang zu Jugendlichen und deren Denkweise, die sich im Buch niederschlägt: Als er sich 2017 aus dem Lehrberuf zurückzieht schreibt er nicht ein Plädoyer, sondern einen Abschiedsbrief an seine Schüler und Schülerinnen.
Der Autor setzt sich in diesem Buch mit verschiedenen Themen auseinander. So auch mit Künstlicher Intelligenz und Musik. Letztere ist ja sein Aufgabengebiet. Dementsprechend kommt der Computer nicht gut weg. Auch „Kultur“ nimmt er unter die Lupe und streicht ihre Wichtigkeit für Veränderungen und die Gestaltung der Gesellschaft hervor.
Letztlich kommen auch tagesaktuelle Themen zur Besprechung: die Chatprotokolle der letzten österreichischen Regierung und der Umgang der Politik mit der Pandemie COVID19.
Worin der Sinn des Buches sein soll, habe ich als Leser nicht herausgefunden. Am Ende wird nochmals ein Bezug auf das „Spielen“ hergestellt:
„Spielt keine Rolle, spielt nicht mit, wenn es keine Rolle spielt und spielt was das Zeug hält. Lasst nicht mit euch spielen, bleibt spielerisch und vor allem: Nehmt euch und das Spiel ernst. Es darf um nichts gehen, aber um nicht weniger.“ (Seite 105)
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Der Autor meint, wir sollten als Erwachsene von den Kindern lernen und mehr spielerisch betrachten. Was er mit dem vorliegenden Buch sagen will habe ich leider nicht verstanden. Da gibt es Abhandlungen über verschiedene Arten des Spielens. „Spielen“ sei in der deutschen Sprache nicht so leicht abgrenzbar. Im Englischen sei dies mit „play“ und „game“ besser unterscheidbar. Er nimmt Bezug auf sein Kind und in welchem Alter welcher Zugang zum Spielen bestand. Er selbst „spielt“ Flöte. So wie sein Vater. Schon der Großvater war Musiker und er selbst ist künstlerischer Leiter des Brucknerorchesters in Linz. Als ehemaliger Lehrer besitzt er einen Zugang zu Jugendlichen und deren Denkweise, die sich im Buch niederschlägt: Als er sich 2017 aus dem Lehrberuf zurückzieht schreibt er nicht ein Plädoyer, sondern einen Abschiedsbrief an seine Schüler und Schülerinnen.
Der Autor setzt sich in diesem Buch mit verschiedenen Themen auseinander. So auch mit Künstlicher Intelligenz und Musik. Letztere ist ja sein Aufgabengebiet. Dementsprechend kommt der Computer nicht gut weg. Auch „Kultur“ nimmt er unter die Lupe und streicht ihre Wichtigkeit für Veränderungen und die Gestaltung der Gesellschaft hervor.
Letztlich kommen auch tagesaktuelle Themen zur Besprechung: die Chatprotokolle der letzten österreichischen Regierung und der Umgang der Politik mit der Pandemie COVID19.
Worin der Sinn des Buches sein soll, habe ich als Leser nicht herausgefunden. Am Ende wird nochmals ein Bezug auf das „Spielen“ hergestellt:
„Spielt keine Rolle, spielt nicht mit, wenn es keine Rolle spielt und spielt was das Zeug hält. Lasst nicht mit euch spielen, bleibt spielerisch und vor allem: Nehmt euch und das Spiel ernst. Es darf um nichts gehen, aber um nicht weniger.“ (Seite 105)
WINKLER, Josef
Der Leibeigene Buch
2022.
@book{WINKLER2022,
title = {Der Leibeigene},
author = {Josef WINKLER},
year = {2022},
date = {2022-01-31},
abstract = {WINKLER, Josef: „Der Leibeigene“, Frankfurt 2020
Wie der in Kärnten lebende Schriftsteller Alois Brandstetter, widmet sich auch Josef Winkler der Erzählung des ländlichen Lebens. Bei Winkler ist es aber nicht nur eine Schilderung der Situationen, sondern ein authentisches Niederschreiben von selbst Erlebtem. Auch stilistisch ist ein großer Unterschied. Brandstetter ist ein ausgezeichneter Erzähler. Winkler dagegen ein literarischer Dichter, der die Realitäten in irreale Texte einbettet. Die Texte springen zusammenhanglos von einer Szene in eine ganz andere.
Es wird das Leben des Sohnes eines tyrannischen Bauern beschrieben. Vom Vater wurde er eingeschüchtert und immer wieder als unfähig hingestellt. „Meine Seele war auf die Größe zweier Bohnen zusammengeschrumpft.“ (Seite 75) Trost findet er, wenn er am Friedhof zwei Freunde, die sich erhängt hatten, besucht. Auch selbst denkt er oft an Selbstmord.
Bäuerliche Arbeit wird detailliert beschrieben, wie etwa das Ziehen eines Kalbes aus dem Bauch der trächtigen Mutterkuh. Das bäuerliche Leben ist hart und brutal zugleich. Als die Nachbarn viele Katzen hatten und diese zum Milch trinken in seinen Stall kamen, tötete sie der Vater, indem er ihnen mit einer Hacke den Kopf abschlug.
Später – er lebte teilweise in Rom – kommt er wieder nach Hause in den elterlichen Bauernhof. Der Vater ist 80 Jahre alt. Keiner der fünf Söhne hat seine Nachfolge angetreten. Mit hohem Alter bearbeitet er noch den Hof. Der Sohn, ein Schriftsteller, will den Vater beschreiben und hofft, dass er ihm aus seinem Leben erzählt. Wie es ihm als Jungbauern ergangen ist. Wie er den Krieg erlebte und dann seine eigenen Kinder. Das Leben eines Bauern hat sich generell verändert. „“… nach dem Krieg wurde der Bauer höher eingeschätzt als der Arbeiter. Was ist den heute der Bauer in diesem Land? Ein Schinder, der für einen Hungerlohn arbeitet. Heute muss ich mich in einem Amt regelrecht schämen, wenn ich sagen muss, dass ich ein Altbauer bin …“ (Seite 34) Dem schriftstellerischen Sohn erzählt er, dass es ihm als Kind „dreckig“ ergangen sei, dass er aber im Krieg viel erlebt habe. „Wenn nicht der Krieg gewesen wäre, hätte ich niemals Holland, England, Deutschland oder das Meer gesehen, gar nichts hätte ich von Europa gesehen. Der Krieg war das einzige Erlebnis meines Lebens.“ (Seite161/162)
Dieses Buch wurde vor 1990 geschrieben. Da war Homosexualität noch ein sensibleres Thema als heute im 21. Jahrhundert. Winkler setzt sich mit den Gefühlen und den Aktivitäten von Jugendlichen auseinander. „Das Gefühl, wenn ich einen Knaben berührte, etwas Schäbiges und Schreckliches getan zu haben – denn auch in meinem Kopf gingen damals, als ich noch achtzehn war, die moralischen Uhrzeiger des Volkes im Kreis – verließ mich vollkommen ….“ (Seite 254) Das schlechte Gewissen wurde aus der ländlichen Gesellschaft heraus entwickelt. „Der Hass des Kärntner Dorfvolkes auf die Homosexualität war mir genauso geläufig wie der Hass auf die Juden, Russen und die Slowenen, die in Kärnten von Politik und Gesellschaft noch heute unterdrückt werden.“
Die schlüpfrigen und gotteslästernden Texte machen ihn im Dorf unbeliebt. Die Eltern genieren sich für ihren Sohn. Vieles hat er über sie geschrieben. Der Pfarrer des Dorfs meinte „Er ist ein Gotteslästerer! Man sollte ihm das Handwerk legen.“ (Seite 217) Der Vater meinte sogar, er solle nicht alleine im Dunklen durch den Wald gehen, denn er könnte überfallen und geschlagen werden.
Viel wird über den Tod und das Sterben geschrieben. Als er im Traum unzählige Hostien gegessen hatte, fand er, dass er viele Leiber Christi in sich trage. Letztlich betete er den Teufel an: „Ich bete zur Sichelfrau und zum Sichelmann, zum Tod und zur Tödin, dass sie kommen und mir helfen, die Gebeine der vielen Leiber Christi wegzuräumen.“ (Seite 311) Und so endet das Buch auch mit dem Satz „Als Wegzehrung nehme ich mein eigenes Fleisch mit“ (Seite 312)
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Wie der in Kärnten lebende Schriftsteller Alois Brandstetter, widmet sich auch Josef Winkler der Erzählung des ländlichen Lebens. Bei Winkler ist es aber nicht nur eine Schilderung der Situationen, sondern ein authentisches Niederschreiben von selbst Erlebtem. Auch stilistisch ist ein großer Unterschied. Brandstetter ist ein ausgezeichneter Erzähler. Winkler dagegen ein literarischer Dichter, der die Realitäten in irreale Texte einbettet. Die Texte springen zusammenhanglos von einer Szene in eine ganz andere.
Es wird das Leben des Sohnes eines tyrannischen Bauern beschrieben. Vom Vater wurde er eingeschüchtert und immer wieder als unfähig hingestellt. „Meine Seele war auf die Größe zweier Bohnen zusammengeschrumpft.“ (Seite 75) Trost findet er, wenn er am Friedhof zwei Freunde, die sich erhängt hatten, besucht. Auch selbst denkt er oft an Selbstmord.
Bäuerliche Arbeit wird detailliert beschrieben, wie etwa das Ziehen eines Kalbes aus dem Bauch der trächtigen Mutterkuh. Das bäuerliche Leben ist hart und brutal zugleich. Als die Nachbarn viele Katzen hatten und diese zum Milch trinken in seinen Stall kamen, tötete sie der Vater, indem er ihnen mit einer Hacke den Kopf abschlug.
Später – er lebte teilweise in Rom – kommt er wieder nach Hause in den elterlichen Bauernhof. Der Vater ist 80 Jahre alt. Keiner der fünf Söhne hat seine Nachfolge angetreten. Mit hohem Alter bearbeitet er noch den Hof. Der Sohn, ein Schriftsteller, will den Vater beschreiben und hofft, dass er ihm aus seinem Leben erzählt. Wie es ihm als Jungbauern ergangen ist. Wie er den Krieg erlebte und dann seine eigenen Kinder. Das Leben eines Bauern hat sich generell verändert. „“… nach dem Krieg wurde der Bauer höher eingeschätzt als der Arbeiter. Was ist den heute der Bauer in diesem Land? Ein Schinder, der für einen Hungerlohn arbeitet. Heute muss ich mich in einem Amt regelrecht schämen, wenn ich sagen muss, dass ich ein Altbauer bin …“ (Seite 34) Dem schriftstellerischen Sohn erzählt er, dass es ihm als Kind „dreckig“ ergangen sei, dass er aber im Krieg viel erlebt habe. „Wenn nicht der Krieg gewesen wäre, hätte ich niemals Holland, England, Deutschland oder das Meer gesehen, gar nichts hätte ich von Europa gesehen. Der Krieg war das einzige Erlebnis meines Lebens.“ (Seite161/162)
Dieses Buch wurde vor 1990 geschrieben. Da war Homosexualität noch ein sensibleres Thema als heute im 21. Jahrhundert. Winkler setzt sich mit den Gefühlen und den Aktivitäten von Jugendlichen auseinander. „Das Gefühl, wenn ich einen Knaben berührte, etwas Schäbiges und Schreckliches getan zu haben – denn auch in meinem Kopf gingen damals, als ich noch achtzehn war, die moralischen Uhrzeiger des Volkes im Kreis – verließ mich vollkommen ….“ (Seite 254) Das schlechte Gewissen wurde aus der ländlichen Gesellschaft heraus entwickelt. „Der Hass des Kärntner Dorfvolkes auf die Homosexualität war mir genauso geläufig wie der Hass auf die Juden, Russen und die Slowenen, die in Kärnten von Politik und Gesellschaft noch heute unterdrückt werden.“
Die schlüpfrigen und gotteslästernden Texte machen ihn im Dorf unbeliebt. Die Eltern genieren sich für ihren Sohn. Vieles hat er über sie geschrieben. Der Pfarrer des Dorfs meinte „Er ist ein Gotteslästerer! Man sollte ihm das Handwerk legen.“ (Seite 217) Der Vater meinte sogar, er solle nicht alleine im Dunklen durch den Wald gehen, denn er könnte überfallen und geschlagen werden.
Viel wird über den Tod und das Sterben geschrieben. Als er im Traum unzählige Hostien gegessen hatte, fand er, dass er viele Leiber Christi in sich trage. Letztlich betete er den Teufel an: „Ich bete zur Sichelfrau und zum Sichelmann, zum Tod und zur Tödin, dass sie kommen und mir helfen, die Gebeine der vielen Leiber Christi wegzuräumen.“ (Seite 311) Und so endet das Buch auch mit dem Satz „Als Wegzehrung nehme ich mein eigenes Fleisch mit“ (Seite 312)
von HOFMANNSTHAL, Hugo
Der Unbestechliche. Lustspiel in fünf Akten Buch
2022.
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author = {Hugo von HOFMANNSTHAL},
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abstract = {HOFMANNSTHAL, Hugo von: „Der Unbestechliche. Lustspiel in fünf Akten“, Berlin 1922
Ein Lustspiel in fünf Akten, dass der, durch das Stück „Jedermann“ bekannt gewordene Schriftsteller im Alter von 50 Jahren geschrieben hat. Er war schon ein anerkannter und berühmter Autor und widmete sich mit dem vorliegenden Stück der Beschreibung der „besseren Gesellschaft“.
Das Stück entstand vor 100 Jahren. Da war die Welt noch eine andere. Eine adlige und reiche Familie empfängt Gäste. Man hat viel Personal: einen Diener, Kutscher, Stubenmädchen etc.
Das Menschliche dieser Gesellschaft ist aber so wie heute. Der Sohn der Baronin ist jung verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Daneben hat er zwei Freundinnen, die beide einer Einladung folgen. Der Diener Theodor war ursprünglich der Diener des Sohnes. Er war mit der Vorgangsweise des jungen Mannes nicht einverstanden und wechselte in seiner Dienerschaft zur Mutter, der Baronin. Die vielen Verhältnisse und der Umgang des jungen Mannes stören ihn aber und er will sich rächen. Er kündigt auch seine Stellung bei der Baronin, die im Zuge des bevorstehenden Festes in Probleme kommt und um ihren Diener wirbt, damit er seine Kündigung zurückzieht. Dieser macht aus dem Notstand der Herrin einen Vorteil für sich und verlangt, dass sie ihm – sollte er wieder in seine Dienste eintreten – freie Hand in seinem Handeln bekomme. Sie stimmt zu. Sie müsse vor versammelter Mannschaft sagen „Und sie, lieber Theodor, übernehmen jetzt wieder die Aufsicht über das Ganze.“
Mit diesem Satz lässt Theodor allen seine Macht spüren und macht sich an die Auflösung der Beziehungen seines Ex-Chefs, dem Sohn der Baronin.
Das Stück endet sehr kitschig: die beiden Liebhaberinnen reisen auf geheiß des Dieners ab und das junge Ehepaar findet sich wieder. Eine populistisch romantisch kitschige Geschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts, wie sie von einem populistischen Modeschriftsteller geschrieben wurde.
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Ein Lustspiel in fünf Akten, dass der, durch das Stück „Jedermann“ bekannt gewordene Schriftsteller im Alter von 50 Jahren geschrieben hat. Er war schon ein anerkannter und berühmter Autor und widmete sich mit dem vorliegenden Stück der Beschreibung der „besseren Gesellschaft“.
Das Stück entstand vor 100 Jahren. Da war die Welt noch eine andere. Eine adlige und reiche Familie empfängt Gäste. Man hat viel Personal: einen Diener, Kutscher, Stubenmädchen etc.
Das Menschliche dieser Gesellschaft ist aber so wie heute. Der Sohn der Baronin ist jung verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Daneben hat er zwei Freundinnen, die beide einer Einladung folgen. Der Diener Theodor war ursprünglich der Diener des Sohnes. Er war mit der Vorgangsweise des jungen Mannes nicht einverstanden und wechselte in seiner Dienerschaft zur Mutter, der Baronin. Die vielen Verhältnisse und der Umgang des jungen Mannes stören ihn aber und er will sich rächen. Er kündigt auch seine Stellung bei der Baronin, die im Zuge des bevorstehenden Festes in Probleme kommt und um ihren Diener wirbt, damit er seine Kündigung zurückzieht. Dieser macht aus dem Notstand der Herrin einen Vorteil für sich und verlangt, dass sie ihm – sollte er wieder in seine Dienste eintreten – freie Hand in seinem Handeln bekomme. Sie stimmt zu. Sie müsse vor versammelter Mannschaft sagen „Und sie, lieber Theodor, übernehmen jetzt wieder die Aufsicht über das Ganze.“
Mit diesem Satz lässt Theodor allen seine Macht spüren und macht sich an die Auflösung der Beziehungen seines Ex-Chefs, dem Sohn der Baronin.
Das Stück endet sehr kitschig: die beiden Liebhaberinnen reisen auf geheiß des Dieners ab und das junge Ehepaar findet sich wieder. Eine populistisch romantisch kitschige Geschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts, wie sie von einem populistischen Modeschriftsteller geschrieben wurde.