Ich lese viel und schreibe bei vielen Büchern eine Rezension, die hier veröffentlicht ist. Ich schreibe solche Kritiken auch für mehrere Verlage und deren Bücher. |
Suche in der Lesestoffsammlung 1. KNECHT, Doris Besser Buch 2023. @book{KNECHT2023, KNECHT, Doris: „Besser“, Hamburg 2021 „Besser“ ist der Titel dieses Buches. Besser könnte man den Inhalt machen. Man kann diesen „Roman“ nicht unter Literatur einstufen. Es sind Alltagsgeschichten. Vielleicht für zukünftige Generationen wichtig, damit diese nachlesen können, wie ihre Eltern und Großeltern tickten. Besser als andere Schriftstellerinnen hat Doris Knecht das Marketing und die Werbung für ihr Buch gemacht. Aber viele Pressemeldungen ergeben noch keine sehr gute Literatur. Die Hauptfigur ist eine junge Frau - Antonia Pollak -, die ein vorbildliches Familienleben führt. Sie hat einen erfolgreichen und sie liebenden Mann, zwei Kinder und ist als „Künstlerin“ tätig. Der reiche Mann kann ihr ein Atelier mieten, in dem sie ihre Freizeit verbringt. ABER: Antonia hat Geheimnisse. Sie verrät ihrem Mann nicht, woher sie kommt. Dass ihre Mutter eine Trinkerin ist. Dass sie selbst mit einfachen Jobs begann, bis sie eben diesen, ihren Mann kennenlernte. Sie versucht ihre Vergangenheit zu vergessen und auszublenden. Aber es bleibt ein Schatten. Ein Freund, den sie der Familie verheimlicht, mit dem sie sich verstohlen trifft. Sie hadert. Will Schluss machen. Es gelingt bis zur letzten Seite des Buches nicht. 2. Scheutz, Wolfgang Fingernagel Hannes Wolfgang Amadeus Mozart Leben und Werk Buch 2023. @book{Scheutz2023, FINGERNAGEL, Wolfgang; SCHEUTZ, Hannes: „Wolfgang Amadeus Mozart. Leben und Werk“, Salzburg 2005 Manche Biografien denkt man zu kennen und wenn man sie dann liest, erfährt man doch wieder Neues. So erging es mir beim Buch über Wolfgang Amadeus Mozart. Es ist sehr anschaulich geschrieben und leicht lesbar. Es beginnt mit der Kindheit in Salzburg, ein Kapitel, in dem die Eltern und Großeltern beschrieben sind. Der Vater war eine sehr einflussreiche Person für Wolfgang Amadeus Mozart. Sein großer Lehrmeister und Förderer. Wir Österreicher nennen Mozart immer einen Österreicher und wir sind stolz auf ihn. Aber was ist ein Österreicher? Als Mozart in Salzburg geboren wurde, gehörte die Stadt nicht zu Österreich. Ist er deswegen ein Deutscher? Gerne tauschen wir Hitler gegen Beethoven. Ersteren würden wir lieber als Deutschen bezeichnen und zweiteren als Österreicher. Was auch immer: Mozart war ein Genie und ein großartiger Komponist und Musiker. Schon als Kind fuhr sein Vater mit ihm zu Konzerten. Er spielte vor Herrscherhäusern und in Konzertsälen. Die auf Seite 23 abgebildete Landkarte zeigt die große Reisetätigkeit. Mozart kam im Süden bis Neapel, im Westen bis England und Paris und auch hoch in den Norden Europas. Die beiden Autoren erklären auch sehr gut die Musikszene der damaligen Zeit. Konzertante Konzerte fanden in Privathäusern statt. Konzertsäle, wie heute, gab es noch nicht. Alles konzentrierte sich auf Opern, mit denen ein Komponist reüssieren konnte. So auch Mozart. Der junge Mozart liebte Aloysia Weber, aber sie gab ihm einen Korb, weshalb er die Schwester Constanze heiratete. Gegen den Willen des Vaters und nicht als Ersatz, wie man in dieser Biografie erfährt. Es war eine große Liebe und Mozart trennte sich bei Reisen nur ungern von ihr. Schon nach kurzer Zeit schrieb er Briefe, in denen er seine Liebe bezeugte. Von den sechs Kindern, die er mit seiner Frau hatte, überlebten nur zwei das Säuglingsalter. Sie selbst wurde 80 Jahre alt und sorgte für den Erhalt des Ruhms gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann. Mozart nabelte sich von Salzburg ab und zog nach Wien, obwohl er in Wien nicht seine größten Erfolge feierte. Wien war eben am Gebiet der Musik ein schweres Pflaster. So ging es ihm auch finanziell nicht sehr gut. In zehn Jahren übersiedelte er 14 Mal. Immer, weil die Finanzen nicht reichten. Obwohl er rasch wieder viel verdiente, war das Geld bald wieder weg und er musste Freunde um Aushilfe bitten. Warum das so war, darüber konnten auch die beiden Buchautoren keine Antwort finden. Letztlich verstarb Mozart verarmt in jungen Jahren. Nach einem kurzen Leben, in dem sehr viel produziert wurde. Das Buch hat eine sehr gute Werksübersicht der Orchesterwerke, der Kirchenmusik und Beschreibung der Opern. Im Umschlag findet man am Ende noch eine CD, mit der man sich viele zitierte Werke auch anhören kann. 3. LAGGNER, Anna Katherina Fremdlinge Buch 2023. @book{Katherina2023, LAGGNER, Anna Katherina: „Fremdlinge“, Salzburg Wien 2023 Die Autorin kommt aus einem anderen Metier: sie ist Filmkritikerin und arbeitet im Hörfunk. „Fremdlinge“ ist ihr Erstlingswerk. Dabei geht es um die Selbsterfahrung schwanger zu sein. Sie hat bereits ein Kind und ist mit Zwillingen schwanger. Mit ihrem Mann stellt sie sich die Frage: „Soll ich abtreiben oder die Kinder bekommen?“ In einer Tagebuchform bringt sie ihre Überlegungen zu Buche. Die Kapitel benennt sie nach den Schwangerschaftswochen, denen sie den jeweiligen Tag dazustellt: SSW 2+2 meint „der zweite Tag in der zweiten Schwangerschaftswoche“. Die international übliche Abkürzung SS für Schwangerschaft findet sie unpassend. Vieles hat die Autorin recherchiert. So erfährt man etwa, dass „In der DDR … Mehrlingsschwangere vor dem angenommenen Geburtstermin drei Monate im Krankenhaus verbringen (mussten) sonst wären sie vor Gericht gekommen.“ (Seite 71) Bei Hausgeburten – so wird berichtet – muss man die Nachbarn informieren, damit diese nicht häusliche Gewalt vermuten. Die schwangere Frau erzählt auch von ihren Erfahrungen mit Yoga für Schwangere. Sonst bleibt ihr aber viel Zeit zum Nachdenken. Mit nur einem Kind konnte sie noch viele Reisen machen. Ob das auch mit Zwillingen möglich sein wird, daran zweifelt sie. „Ganz werden die Zweifel nie aufhören, ob es klug ist, Kinder zu bekommen.“ (Seite 160) Mehrmals besucht sie und ihr Mann ein Krankenhaus, wo sie viele Stunden in Wartezimmern verbringen und wieder entlassen werden. Letztlich empfiehlt man ihnen zu Hause Sex zu haben, damit die Wehen einsetzen. Neben der Strukturierung in Schwangerschaftsmonate und Tage ist das Buch in drei Teile (Trimester) geteilt. Im dritten kommt es zur Geburt, die aber nicht direkt angesprochen wird. Man erlebt als Leser noch mit, wie sie ins Krankenhaus kommt und wie es da zu Verzögerungen kommt. Dass sich die Schwangerschaft dem Ende nähert, merkt sie bei Yoga-Übungen, die sie nicht mehr ausführen kann. Sie fährt aber mit dem Fahrrad ins Krankenhaus, wo man sie dann behält. Sie wollte noch das Rad heimbringen, aber der Arzt war dagegen. Für welche Zielgruppe wurde das Buch geschrieben? Für Frauen und Männer, die in einer Situation sind, wo sie sich entscheiden wollen, ob sie eine frühe Schwangerschaft abtreiben oder die Kinder bekommen wollen. Das Buch ist und bleibt eine Tagebuch einer zweifelnden schwangeren Frau. „Was ich hier schreibe, sind banale Protokolle.“ (Seite 87) 4. HENISCH, Peter Nichts als Himmel Buch 2023. @book{HENISCH2023, HENISCH, Peter: „Nichts als Himmel“, Salzburg Wien 2023 Zum 80. Geburtstag von Peter Henisch erschien dieses Buch. Es hat – wie jenes zu seinem 70er – einen Italienbezug. Der Protagonist Spielmann hat sein Leben grundlegend verändert. Er, der Lehrer, hat mit 55 Jahren seinen Job gekündigt. Seine Kollegen erscheint das als falsche Entscheidung. Zusätzlich hat er eine Scheidung hinter sich und lebt nun während der Corona Pandemie isoliert in einer kleinen Wiener Wohnung. Er braucht psychologische Unterstützung. Daraus entwickelt sich eine Beziehung zur behandelnden Psychotherapeutin und deren Mann. Sie haben eine Wohnung in der Toskana. Nachdem sie selbst viel Arbeit haben und keinen Urlaub machen können, geben sie ihm den Schlüssel, damit er dort einige Zeit wohnen kann. Italien ist für Peter Henisch ja kein unbekanntes Land. Schon sein Buch „Mortimer und Miss Molly“ handelte hier. Er lebt wie ein Einsiedler in der Wohnung der Wiener Freunde. Beschäftigt sich mit sich selbst. Mit Lesen und fotografieren. Trotzdem treten mehrere Personen in sein Leben. Zu Beginn ein Italiener, der ihn mit dem Wohnungsbesitzer verwechselte. Er führte ihn in die Dorfgemeinschaft ein und lud ihn auch zu sich ein. Dann ein etwas verschrobener Intellektueller, der ihm die Gärten des Ortes erklärte. Auch eine Frau trat in sein Leben. Schon bei der Ankunft half sie ihm das komplizierte Schloss der Haustür aufzusperren. Mit einer Schale Kirschen aus ihrem Garten besuchte sie ihn dann und daraus entwickelte sich eine Beziehung. Henisch setzt sich auch mit aktuellen Problemen auseinander. So auch die Migration von Afrikanern in Italien. Er bringt solch globalen Probleme sehr anschaulich anhand von Beispielen, anhand von Personen. So etwa steht plötzlich ein afrikanischer Migrant in der Nacht mit vorgehaltener Pistole auf seiner Terrasse. Er verlangt etwas zum Trinken und zum Essen. Spielmann versorgt ihn. Da er von der Polizei verfolgt wird, versteckt er ihn. Sie leben längere Zeit zusammen. Als dann die deutsche Frau, mit der er in San Vito eine Beziehung begonnen hatte, wieder zurückkommt, stellt sich heraus, dass sie den Migranten kennt. Sie hat einmal in einem Dorf gearbeitet, wo der Bürgermeister den Migranten leerstehende Häuser zur Verfügung gestellt hat. Letztlich wurde er aber rechtlich verfolgt und auch verurteilt, obwohl er sich nicht persönlich bereichert hat, sondern den Unterstandslosen geholfen hat. Da der Afrikaner nicht auf Dauer in der Wohnung versteckt werden kann, entschließt sich die Freundin ihn nach Deutschland mitzunehmen. Sie wird ihn beim Passieren der Grenze zu Österreich und zu Deutschland im Kofferraum verstecken. Ob dieser „Transport“ gut gegangen ist bleibt im Buch offen. Die neue Vorgangsweise der italienischen Regierung gegen Migranten wird auch anschaulich berichtet: Spielmann trifft in Siena auf eine Wahlversammlung von Frau Meloni und deren Agitation gegen Afrikaner. Den Buchtitel bekam das Buch durch die Situation, dass der Protagonist Spielmann in seinem Einsamkeit in der italienischen Wohnung der Freunde viel fotografierte und hier vor allem den Himmel. „Himmel mit aufgehender Sonne. Himmel mit untergehender Sonne. Himmel mit Wolken. Wolkenloser Himmel. Himmel mit zunehmendem Mond. Himmel mit abnehmenden Mond. Himmel mit Sternen. Himmel ohne Sterne. Himmel mit hellgrauen Streifen. Himmel mit dunkelgrauen Streifen. Ein Himmel völlig vom Wind verwischt. Wolken am unteren Rand des Bildes wie heftig strömendes Wasser.“ (Seite 227) 5. GRUBER, Sabine Die Dauer der Liebe Buch 2023. @book{GRUBER2023b, GRUBER, Sabine: „Die Dauer der Liebe“, München 2023 Schreibt eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller über ein Ereignis, das persönlich emotional betroffen gemacht hatte, so wird auch der geschriebene Text anders und mit stärkerem Tiefgang als ein erzählter Roman über einen anderen Menschen. Zu so einer Kategorie gehört der Roman „Die Dauer der Liebe“. Er nennt sich zwar „Roman“, ist aber Wolfgang Fetz gewidmet, der 2022 verstarb. Dieses Ableben und die entstandene Lücke bei der Lebensgefährtin ist Thema des Buchs. Das Paar war nicht verheiratet. Sie war bei der Familie ihres Lebensgefährten – vor allem bei dessen Mutter – nicht akzeptiert und nicht geliebt. Als er plötzlich an einem Herzinfarkt auf einer Autobahnraststätte unerwartet stirbt, wendet sich die Familie gegen sie. Sie besitzt keine Rechte, es gibt kein Testament und die Familie nimmt alles Verfügbare an sich. Auch Dinge, die eindeutig ihr gehören. Ihr bleiben keine Erinnerungsstücke. Noch vor dem Begräbnis stiehlt der Bruder des Verstorbenen aus dem Auto Unterlagen. Dass ihr Nichts zusteht kommentiert er so: „Selbst schuld, dass ihr nicht verheiratet ward. Rechtssystem sei Rechtssystem.“ (Seite 98) Scheinheilig besucht er sie in Wien und fotografiert heimlich alles in der Wohnung, um nachher darauf Anspruch zu erheben. Beim Besuch im gemeinsam erwirtschafteten Sommerhaus packt er dann gleich direkt Sachen ein und hinterlässt ein leeres Haus. Er wartet den Bescheid des Nortars gar nicht ab und bemächtigt sich schon vorher. Freunde entdecken, wie der Bruder auf einer Internetplattform Dinge des Verstorbenen anbietet. Unwissend oft zu viel zu niedrigem Preis und auch Dinge, die eindeutig ihr gehören. Selbst das Auto will die Familie haben, obwohl sowohl die Mutter als auch der Bruder gar keinen Führerschein besitzen. Als sich aber dann herausstellt, dass die Überstellung von Wien nach Innsbruck mehr kostet, als das alte Auto wert ist, verzichten sie. Oft denkt sie, dass es besser wäre, wenn beide sterben. Der Verstorbene leidet nicht mehr, aber die Zurückgebliebene. Ihr Freund sagte einmal „Laß uns zusammen tot sein, wenn wir schon nicht zusammen sterben können.“ (Seite 38) Alle Stadien der trauernden Frau werden beschrieben. Wie sie nach letzten Erinnerungen sucht; das Leintuch nach Haaren von ihm absucht. Sie saugt die Wohnung nicht, um nicht allerletzte „Erinnerungsstücke“ zu entsorgen. Sie trinkt zu viel. Sie durchsucht alle seine Unterlagen. Sie geht einem Verdacht nach, dass er eine Freundin gehabt haben könnte; dass er vielleicht ein Kind hat. Sie macht die Vergangenheit zu ihrer Gegenwart. Parallel dazu muss sie alles Administrative erledigen. Telefon abmelden. Auto ummelden. Freunde und Kunden vom Ableben verständigen. Selbst dem Finanzamt, das eine Einkommens- und Umsatzsteuererklärung verlangt muss sie mitteilen, dass der Steuerzahler nicht mehr lebt. Sie liest Literatur, die über Witwen und deren Verhalten berichten. Die Witwe versucht – auf Anraten einer Freundin – über eine Partnervermittlung zu einem neuen Freund und zu neuen Gedanken zu kommen. Sie will aber wirkliche Liebe und kann den verstorbenen Freund nicht aus dem Kopf und dem Herzen bekommen. Kein „Anbieter“ kann den Verstorbenen ersetzen. Auch stellt sie bald fest, dass viele Männer solche Plattformen wie ein Bordell benützen. Es ist eine Geschichte, wie sie in vielen Familien vorkommt. Wenn es ums Erben geht, werden aus Verwandten und Freunden Gegner. Diese Familie steht nur stellvertretend. Die vielen langatmigen Passagen zeigen aber auch auf, dass das Buch primär von der Autorin für die Autorin, eine trauernde Frau, geschrieben ist. 6. LEVI, Carlo 2023. @book{LEVI2023, Um dem österreichischen Lesepublikum den italienischen Dichter und Maler Carlo Levi näher zu bringen, könnte man ihn mit Peter Rosegger vergleichen. Zwar lebte der Österreicher früher als Levi, dafür ist die geschilderte Landschaft und deren Bewohner in der Zeit weiter nachhinkend. Schon der Titel des Buches „Christus kam nur bis Eboli“ drückt das schon aus. Es geht hier nicht um einen theologischen Ausdruck, sondern vielmehr will man sagen, dass nicht einmal Jesus in diese entlegene Gegend in Süditalien - südöstlich von Neapel - gekommen war. Die Bewohner fühlen sich unterentwickelt und schlecht behandelt. Alles, was in der Hauptstadt in Rom entschieden wird, hat für sie keine Bedeutung. Sie mühen sich auf ihren kargen Böden der hügeligen Landschaft ab, um überleben zu können. Sie sagen von sich selbst „Wir sind keine Menschen, keine Christen, wir sind Tiere, denn Christus kam nur bis Eboli, aber nicht weiter, nicht zu uns.“ Viele von ihnen sind wegen eines besseren Lebens nach Amerika ausgewandert. Nach dem Börsenkrach im Jahr 1929 kamen die meisten von ihnen wieder zurück. Mit ihren Ersparnissen aus Amerika kauften sie Grund und Boden und waren wieder arm, weil alles zu wenig fruchtbar war. Diese Aufzeichnungen entstanden in einem zweijährigen Aufenthalt des Arztes Carlo Levi, der als Gegner des Faschismus vom Regime in die Verbannung, in diese abgeschiedene Gegend geschickt wurde. Er durfte die Grenze des Bergdorfs nicht verlassen, musste sich täglich beim Dorfpolizisten melden und wurde laufend beobachtet. Als Arzt half er den speziell unter Malaria leidenden armen Bauern. Die beiden ortsansässigen Ärzte, die über geringe medizinische Kenntnisse verfügten, wurden eifersüchtig und zeigten Levi an. Von der Polizei wurde ihm die ärztliche Tätigkeit verboten. Die Bauern kamen aber weiter zu ihm. Anfangs unbemerkt in der Nacht. Als dann der Bürgermeister selbst für seine Tochter Hilfe brauchte, half Levi nur unter der Auflage, auch den Bauern helfen zu dürfen. Aus Angst vor der faschistischen Obrigkeit konnte der Bürgermeister das nicht erlauben, aber er tolerierte es. Daneben geht Levi seiner künstlerischen Neigungen als Maler nach und dokumentiert die Landschaft und ihre Einwohner auf Leinwand. Als ein neuer Pfarrer ins Dorf kommt und ein Harmonium anschafft, stellt er sich sogar als Musiker zur Verfügung und begleitet die Sonntagsmesse mit Musik. Die Bauern sind begeistert und verehren ihn. Als ihm die medizinische Tätigkeit verboten wurde, kam es zu Protesten. 1935 kam der Arzt und Maler Levi in diese Gegend. Zwei Jahre blieb er. Als Italien im Krieg in Afrika Adis Abeba besiegte, wurden viele Verbannte frei gelassen. So auch Levi. 1945 wurden diese seine Aufzeichnungen als Buch auf grauem Ersatzpapier, wie es in den Nachkriegsjahren nur möglich war, gedruckt. 18 Jahre später erschien es 1963 wieder. „Christus kam nur bis Eboli“ gibt es in über 40 Sprachen. In seinem Buch definierte Levi genau, warum es Differenzen zwischen Nord- und Süditalien gibt: • „Es handelt sich vor allem um das Nebeneinanderbestehen von zwei vollkommen verschiedenen Kulturen, von denen keine imstande ist, sich der anderen anzugleichen. Land und Stadt, vorchristlich und christliche Kultur stehen einander gegenüber.“ (Seite 265) • Das zweite Problem ist das wirtschaftliche. „Es ist das Elendsproblem. „Dieses Land ist allmählich verarmt; die Wälder sind abgeholzt, die Flüsse zu Wildbächen geworden, der Viehbestand ist zurückgegangen, … und überall herrscht die Malaria.“ (Seite 265) • Und dann ist es das soziale Problem. Großgrundbesitzer verfügen über die armen Bauern, die selbst kein Land oder ein, zum Überleben zu kleines Land haben. Der Autor wagt sogar, die heute noch zutreffende Prognose: „unter jedem Zeichen würde Italien immer in zwei feindliche Teile gespalten bleiben.“ (Seite 264) 7. Franzobel, 2023. @book{Franzobel2023d, FRANZOBEL: „Die Eroberung Amerikas“, München 2022 Es ist zwar ein anderes Thema als das letzte Buch „Das Floss der Medusa“, aber es ist ähnlich aufgebaut. Ging es beim Buch „Medusa“ um das Segelboot, das kenterte, so ist es im Amerika-Eroberungs-Buch eine Segelregatta die Florida erobern will. Das beschrieben Leben am Schiff ähnelt sehr dem anderen Buch und auch deren Charaktere. Das Überleben der Expedition an Land wird ähnlich grausig beschrieben, wie das der Gekenterten der Medusa. Franzobel versucht dem Leser die damalige Situation zu erklären und sie in Relation zu unserem 21. Jahrhundert zu bringen. Wenn er etwa Personen beschreibt, so meint er, der oder die schaut aus wie dieser oder jener Schauspieler unserer Zeit. Einzelne Personen der Eroberer werden mit ihren Vorgeschichten beschrieben. Viele Teilnehmer der Expedition hatten schon Abenteuer hinter sich gebracht und im Rahmen des Buches werden deren Lebensläufe erzählt. Ein junger Bursche, der von zu Hause weggelaufen ist und sich nicht mehr zurück traute heuerte auf einem Handelsschiff an, das dann von Piraten erobert wurde und er als Sklave in Afrika verkauft wird. Er flieht und wird auf diesem spanischen Schiff aufgenommen. Die Expedition landet in Kuba. Die Frau des Leiters Ferdinand Desoto bleibt auf Kuba als Gouverneurin dieser spanischen Kolonie zurück, während ihr Mann mit einer großen Schar von Soldaten und Mitstreitern nach Florida aufbricht, um dort nach Goldvorkommen zu suchen. Sie landen in einer Bucht und brechen ins Landesinnere auf. Sie führen Pferde, Schweine, ja sogar eine Glocke für einen Kirchenneubau mit sich. Auch Missionare sind unter den Eroberern. Ihre Aufgabe ist es, die Indianer zum katholischen Glauben zu bekehren. Es kommt zu vielen Kämpfen mit Einheimischen. Viele Menschen werden getötet, aber auch die Erobererschar wird immer kleiner. Die Gruppe trifft auf Dörfer, die wie aus einem Fabelwesen von Franzobel beschrieben werden: Dörfer mit nur Tauben. Dörfer mit nur blinden Menschen. Orte, in denen die Frauen regieren und den Männern nur untergeordnete Rollen zugewiesen sind. In der Stadt Baubillo kommen sie in einen Hinterhalt der Indianer. Es kommt zu sagenhaften Verlusten. Gegenseitig werden Behausungen abgebrannt. So auch die Zelte der Eroberer. Darin verbrennen auch die letzten Schätze – Perlen – die sie erbeutet hatten. Eigentlich hatten sie alles verloren und sollten umkehren, aber ihr Heerführer will nicht mit leeren Händen heimkommen und lässt weitermarschieren. Die Soldaten plündern und töten. Die Einwohnerzahl der Indianer wird aber auch durch mitgeführte Krankheiten dezimiert. Es heißt, dass die Spanier eine biologische Waffe mit sich führten, „von deren Existenz und Gefährlichkeit sie gar nichts wussten, etwa, dass Milzbrand, Brucellose, Leptospirose, Trichinose, Tuberkulose und noch so einige Chosen verbreiteten, Schneisen in die Wachstumskurve der Indianer schlug, ganze Stämme ausradierte – kein in Labors gezüchteter Virus, sondern die beweglichen Fleischkammern brachten den Tod. Schweine! Das Borstenvieh richtete unter den Einheimischen hundertmal mehr Schaden an als alle Spanier und Engländer zusammen. Diese Tiere waren für Krankheitserreger wie Reisebusse. Bereits ein paar Übertragungen an Rehe oder Rebhühner reichten, ganze Landstriche zu verseuchen.“ (Seite 363) Die Kämpfe hinterließen leere Einheimischendörfer. Die Waffen der Eroberer waren den Verteidigungseinrichtungen der Indianer überlegen. Aber auch die Eroberer erleiden Verluste. Viele sterben. Die Pferde, Schweine, Ziegen etc werden weniger. Der Mut zum Kämpfen nimmt ab. Einzelne Teilnehmer versuchen allein zurückzufinden, scheitern aber und wären fast verhungert. Zunehmend muss auch ihr Anführer feststellen, dass diese Expedition erfolglos ist. Aus Kummer stirbt er und wird den Fluten des Mississippi, den sie erreichten übergeben. Die Mannschaft will zurück in ihre Heimat. Sie werden laufend von den Indianern angegriffen. Das Lager wird angezündet. Als sie Schiffe bauen, um so zum Meer zu kommen, werden diese von den Indios verbrannt. Ihre Kleidung wirkt immer mehr wie die der Indianer. Sie haben ihre europäische Kleidung verloren und kleiden sich jetzt in Fellen. So ziehen sie weiter. Kommen wieder zum Fluss zurück. Bauen wieder Schiffe. Ein Hochwasser treibt sie auf einen Berg, der wie eine Insel im übergelaufenen Strom stehen bleibt. Fast wären sie verhungert. Nach mehreren Wochen geht das Wasser zurück und sie können mit ihren Schiffen aufbrechen. Vier Jahre waren sie seit ihrer Ankunft in Florida im Land herumgeirrt. Jetzt wollten sie heim. Am Weg werden sie von Indianerstämmen angegriffen. Aus Booten werden sie beschossen. Der Kampf geht über mehrere Wochen. Viele sterben wieder, aber sie schaffen es bis zum Meer. Auf einer Insel erholt sich der übrig gebliebene Rest und in dieser friedlichen Situation werden wieder Indianer gesichtet. Schnell brechen sie auf und erreichen Kuba. Dort gibt es keine Gouverneurin mehr. Sie war den Anforderungen und den Aufständen der Sklaven nicht gewachsen und wurde abberufen. Die einzelnen Überlebenden versuchen ihr Glück. Manche kehren nach Spanien zurück. Alles blieb eine Tristesse. „Was hatte die Expedition gebracht? Vierhundert tote Männer, zweihundertfünfzig tote Pferde, auch die mitgebrachten Kühe waren tot, die meisten Hühner, Ziegen, ebenso Hunde, viele Schweine …“ (Seite 498) „Eine Reise ging zu Ende, die als eine der erfolglosesten in die Geschichte eingehen sollte.“ (Seite 529) Vieles ist sehr überzeichnend geschildert. Vieles ist erfunden. Der Autor selbst sagt in seiner Danksagung „Natürlich handelt es sich hier um einen Roman, manchmal habe ich geflunkert, und einiges ist erfunden, aber grundsätzlich wollte ich die Geschichte möglichst wahrhaftig erzählen.“ (Seite 542) ABER der Text zeigt das brutale Vorgehen der Europäer bei der Eroberung Amerikas. Parallel zu dieser „Eroberungsgeschichte“ wird von einem Anwalt erzählt, der im Namen der Indianer eine Klage gegen den Staat Amerikas einbringt, weil die Weißen das Land der Indigenen erobert und enteignet haben. Der Prozess dauerte genauso lange wie vor einem halben Jahrtausend die Expedition: 4 ½ Jahre. Hier schlägt die Dichtung zu Buche. Der klagende Anwalt bekommt Recht. Die USA müssen das Land den Indianern zurückgegeben. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre eine Zahlung von sechshundert Billionen Dollar fällig. Da dieser Betrag von der Volkswirtschaft nicht aufgebracht werden kann, bot das Gericht folgende Lösung an: „Die USA verpflichtet sich für die nächsten vier Dekaden, den aktuell bei sechshundertfünfzig Milliarden Dollar liegenden Etat der Militärausgaben ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit fünfhundert Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen.“ (Seite 539) Das 543 Seiten starke Buch zu lesen erfordert einiges an Anstrengung. Franzobel gesteht im Nachwort, dass der Lektor vieles verhindert hat. „Ohne sein beherztes Eingreifen wäre das Buch bestimmt doppelt so dick geworden.“ (Seite 543) 8. SEETHALER, Robert Das Café ohne Namen Buch 2023. @book{SEETHALER2023, SEETHALER, Robert: „Das Café ohne Namen“, Berlin 2023 Seethaler entführt seine Leser in die 1960er Jahre in Wien. Das noch im Zweiten Weltkrieg geborene Waisenkind Robert Simon wächst in einem Waisenhaus auf. Nach Schulabschluss lebt er von Gelegenheitsarbeiten auf einem Wiener Markt. Als er dann ein eigenes Zimmer bei einer Witwe gemietet hat, beschließt er sich selbstständig zu machen und mietet ein aufgelassenes Gasthaus, in dem er ein Café eröffnet. Da er keinen guten Namen fand, blieb es ein „Café ohne Namen“. Gegenüber ist ein Markt, der ihm Kunden ins Lokal spült. Seethaler beschreibt die Stammkunden. Unterschiedliche Menschen. Er ist ein guter Beobachter und man folgt ihm als Leser gerne. Das Geschäft läuft gut – auch wenn er nicht reich wird - und er stellt eine Mitarbeiterin ein. Sie heiratet einen Ringkämpfer vom Heumarkt. Es ist keine einfache Ehe. Nach zehn Jahren Kaffeehausbetrieb kommt es zu Veränderungen. Seine Zimmervermieterin, die Witwe wird dement. Sie geht oft aus und er muss sie suchen. Der Besitzer des Hauses, in dem das Café untergebracht ist, hat sich verschuldet und verkauft das Haus an eine Immobilienfirma, die es abreißen und durch einen Neubau ersetzen wird. Robert muss sein Geschäft schließen. Er organisiert ein Abschiedsfest, das bis in die Morgenstunden dauert. Die Erzählung dreht sich ins Negative. Eine Stammkundin wird zu Grabe getragen. Eine Freundin besucht sie Am Grab. Ihre Gedanken will ich hier wiedergeben, weil sie die Schönheit der Dichtung zeigen: „Am liebsten sind mir die Margeriten. Die Margerite ist eine bescheidene Blume. Sie geht mit ihrer Schönheit nicht hausieren wie die Rose oder die Hyazinthe. Ich hab einen kleinen Strauß mitgebracht, in einem Glaserl aus Glas. Das hätte ihr bestimmt gefallen. Es ist dann alles schnell gegangen. Sie hat nicht gewollt, dass jemand spricht an ihrem Grab. Vor dem Tod gibt es keine Worte, hat sie einmal gesagt. Das finde ich nicht. An meinem Begräbnis soll geredet werden. Am besten auch gesungen. Ich wünsche mir ein Lied zum Abschied, auch wenn ich es dann selbst nicht mehr hören kann. Lieder bleiben länger als Grabsteine.“ (Seite 262) Das Ende des Cafés kommt näher. Robert ist nicht traurig. „Zu seiner eigenen Verwunderung spürt er keine Traurigkeit.“ (Seite 270) Am letzten Tag sieht er, dass in den zehn Jahren auch der Raum alt geworden war. Abgenützt. So wie er selbst sich müde fühlt und ihm ein Ruhetag nicht mehr reichen würde. Im letzten Kapitel besucht er seine Zimmervermieterin, die jetzt in einem Altersheim wohnt. Sie spricht nicht mehr. Trotzdem erzählt er ihr Dinge vom ehemaligen Café, so als würde es noch bestehen. Er besucht sie jeden Samstag, bringt ihr Schokolade und frische Wäsche. Seethaler ist ein sehr guter Menschenbeobachter. Man hat am Ende des Buchs das Gefühl, selbst Gast in diesem Café gewesen zu sein. Ein Kritiker nannte den Autor einen „Augenblicksschriftsteller“. Ja, das stimmt. Er lässt keine Sekunde unbeobachtet. 9. SAUTNER, Thomas Fremdes Land Buch 2023. @book{SAUTNER2023c, SAUTNER, Thomas: „Fremdes Land“, Berlin 2011 Jack, der Hauptproponent des Romans, stellt seinen Wecker nach dem Einschlafen, dass er nach einer halben Stunde wieder läutet. Er macht das, weil man vor dem Aufwachen wirre und schöne Träume hat. Er ist „Traumsüchtig“ und macht diesen Vorgang in einer Nacht mehrmals. So wie andere Rauschgift konsumieren, gibt er sich seinen Träumen hin. Er ist ein aufstrebender junger Mann, der Assistent eines Parteivorsitzenden. Durch den Rücktritt des Präsidenten von der regierenden Partei gewinnt seine Partei die Wahl. Sein Chef wird Präsident und er sein Stabschef. Er wollte Kabinettschef werden, doch er wurde vor die Tatsache gestellt, dass das die Funktion eines Beamten – in diesem Fall einer Beamtin, einer Gräfin – ist. Die Beamten sind es, die die Kontinuität bestimmen. Eigentlich ist den neu gewählten Politikern nicht viel Freiraum geblieben. Sie sind von den Beamten abhängig. In diesem Sinne ist es gar kein Science-Fiction Roman, denn in dieser Beziehung ist auch unsere heutige Staatsgewalt so. Mir fällt die Aussage eines pensionierten Sektionschefs ein, der sagte „Ich habe immer dasselbe getan. Ich habe mehreren Ministern gedient. Sie kamen von verschiedenen Parteien. Einer kündigte an, dass er mich kündigen werde. Als er merkte, dass er mich braucht, wurden wir zu Freunden und ich habe weitergearbeitet wie zuvor.“ Der Staat, den der Schriftsteller Sautner hier beschreibt, ist ein sehr überwachter. Eigentlich eine Kopie des heutigen Chinas. Viele Kameras, Kontrollen, Security und andere Überwachungseinrichtungen. Gutes – was immer die Regierung unter „gut“ verstand wurde belohnt und bei „schlechten“ Taten bekam der betroffene Staatsbürger Negativpunkte, die sein Leben einschränkte. Der letzte Bankomat wird abmontiert. Niemand verwendete mehr Bargeld und wer es wollte, musste es mit einem Antrag in einer Zentralbank beheben. Jack kommt aus einer ländlichen Gegend, wo die Kontrolle noch nicht flächendeckend ist. Seine Schwester ist das Gegenteil von ihm. Er versucht der Vorzugsschüler zu sein und war es auch: hat in kürzester Zeit studiert, einen Job bekommen, keine Freundin oder Frau. Alle Energie widmete er seinem Beruf, wo er Karriere machte. Seine Schwester dagegen ist eine Studienabbrecherin und wechselte oft den Job. Arbeiten, bei denen sie wenig verdiente. Letztlich landete sie in einer Altenbetreuung. Bei den Eltern am Land kommen sie wieder zusammen und haben sich eigentlich wenig zu sagen; zu verschieden sind sie geworden. Eines wurde ihm bei dieser Diskussion aber bewusst, dass er seine Funktion nicht – wie geschworen – für das Wohl des Volkes tat, sondern für seine eigene Karriere. Die ohnehin schon stark technisierte Welt wird unter der neuen politischen Führung weiter intensiviert. Treibender Faktor dabei ist die Wirtschaft. Der Staat ist eigentlich bankrott und braucht für Vorhaben die boomende Wirtschaft und die stellt Forderungen. So wird die Implantierung von Chips eingeführt, mit denen man nicht nur weiß wer wo ist, sondern auch feststellen kann was er / sie denkt. (Ein Science-Fiction Ansatz des Buchs). Der Industrievertreter erklärt dem Präsidenten „stellen sie sich vor, der Staat würde neben den Gedanken-Chips auch die Mind-Changer einsetzen. Welche Möglichkeiten sich auftun würden. … Man könnte die Menschen in ihrer Gesamtheit erhöhen, sie von ihren dunklen Gedanken völlig und für immer befreien sowie ihnen ermöglichen, zu bedingungslos sozialen, gutherzigen Wesen zu werden. … Man könnte die Welt verbessern.“ (Seite 143) Der Industrievertreter geht noch einen Schritt weiter und meint, dass es Unverantwortlich sei Wahlen zuzulassen, weil ohnehin niemand eine eigene Meinung habe. Man solle nur die Opposition wählen lassen. Also alle, die wählen gehen, sind Opposition; alle anderen stimmen der Arbeit der Regierung zu. Die Stimmung im Volk wurde mit Meinungsbefragungen durchgeführt. Die Kabinettschefin sagt aus ihrer Erfahrung heraus, dass jede Volksbefragung im Sinne der Regierung ausging. Man holte sich negative und positive Zusagen, die aber immer im Sinne der Politik waren. Durch die Formulierung der Fragen steuerte man auf das gewünschte Ergebnis zu. Dann kommt ein gewagter Teil: der Ausbruch eines Vulkans im Westen Amerikas wird prognostiziert. Der Vulkan würde die Hälfte Amerikas vernichten und die Hierarchie der Erde würde sich zu Gunsten Chinas, Russlands und der arabischen Welt ändern. Auch Europa würde wieder an Bedeutung gewinnen. Es gäbe schlagartig weniger Menschen auf der Erde und die Anstrengungen der Klimaerwärmung würden hinfällig. Die Aschewolke des Vulkans würde auch die Sonneneinstrahlung reduzieren und die Temperaturen würden fallen. Der Romanschreiber kommt wieder zu Wort, als sich herausstellt, dass die Schwester für eine oppositionelle Organisation arbeitet, verhaftet und zum Tod verurteilt wird. Jack versucht sie zu überzeugen und ein positives Geständnis abzulegen, um so nicht getötet zu werden. Man würde ihr einen Chip einpflanzen, der ihre Haltung verändern würde. Sie lehnt es ab. Jack besucht den Vater, damit er mit ihm zur Schwester fährt und sie zur Implantierung überredet. Das Gegenteil passiert. Der Vater deklariert sich selbst als Oppositioneller. Jack verzweifelt und zweifelt an sich selbst. Da er den Gedankenlesenden Chip schon implantiert hat, stellt das System fest, dass er gefährlich wird und man arrestiert ihn ebenfalls. Parallel dazu wird auch der Vater inhaftiert. Man las die Gehirne der Betroffenen aus. Im Gefängnis treffen die Geschwister nochmals zusammen. Ein alternativ denkender Arzt hatte der Schwester heimlich eine Injektion gegeben, die ihre Meinung änderte und sie nun bereit ist den Chip einpflanzen zu lassen. Es ist Silvester, das Jahresende, als die Geschwister zusammenkommen. Der Bruder fragt die Schwester „`Hast du einen Neujahrswunsch, Gwendolyn?´ Seine Schwester kniff vergnügt die Augen zusammen, spitzte nachdenklich die Lippen. `Eigentlich´ sagt sie nach einer kleinen Weile und lächelt befreit, `bin ich wunschlos glücklich. Einfach wunschlos glücklich! Und du Jack? Was wünschst du dir von der Zukunft?´“ (letzte Seite des Buchs: 250) Der Romanschreiber lässt den Ausgang offen. 10. FRANZOBEL, Das Floss der Medusa Buch 2023. @book{FRANZOBEL2023b, FRANZOBEL: „Das Floss der Medusa“, München 2019 Ich habe selten so ein grausiges Buch gelesen, wie dieses. ABER, es ist großartig geschrieben. Eigentlich eine einfache Handlung, die man in wenigen Sätzen beschreiben könnte: Anfang des 19. Jahrhunderts fährt ein Schiff von Frankreich nach Afrika. Die Reisenden erwarten sich von ihrem Ziel Senegal ein neues und schöneres Leben. Der Kapitän wurde auf Grund seines politischen Engagements bestellt und hat keine Erfahrung. Das Schiff läuft mitten im Meer auf eine Sandbank auf. Es hat zu wenige Rettungsboote. Die „Privilegierten“ beanspruchen das. Von den 400 Passagieren blieben 150 am Unglücksboot zurück. Sie bauten sich ein Floss. Es sollte von den Ruderbooten gezogen werden. Um schneller voranzukommen, löste ein Offizier das Abschleppseil und das Floss trieb steuerungslos im Meer. 13 Tage ohne Essen und Trinken. Menschliche Umgangsformen und Gesetze wurden in dieser Notfallssituation ausgeblendet. Jeder kämpfte ums Überleben. Es gab ein gegenseitiges Abschlachten und letztlich aßen die letzten das Fleisch der Verstorbenen. Nur jeder Zehnte überlebte. Die Rettungsbootinsassen kamen an ihr Ziel und erzählten von ihren Geschehnissen positiv. Das Floss wurde verschwiegen. Aber auch die wurden gefunden und kamen geschunden am Ziel an. Sie wurden wenig beachtet. Der Schiffsarzt, der das informelle Kommando am Floss hatte, schrieb alles auf. Es wurde veröffentlicht. Der zuständige Marineminister degradierte ihn darauf. Letztendlich setzte sich die Wahrheit durch und der unfähige Kapitän wurde verurteilt. Franzobel versteht es aber alle Situation sehr detailgenau zu beschreiben, als wäre er selbst dabei gewesen und als hätte er vor 150 Jahren gelebt und beschreibt die Geschichte auf 600 Seiten. Als die Entscheidung fiel, das Schiff zu verlassen und mit den Rettungsbooten Land zu erreichen begann ein Kampf um die Plätze und jene, die mitkamen wollten noch viele Dinge mitnehme. „Sie hatten, einem niedrigen Instinkt folgend, damit begonnen, ihre Habseligkeiten an Deck zu bringen. Überall wurden Taschen, Bündel und Kisten abgestellt.“ (Seite 295) Der neue Gouverneur von Senegal wollte sogar eine Guillotine mitnehmen. Die Menschen klammerten sich an ihr Gepäck, das aber letztlich zurückbleiben musste. Der Fokus des Buchs lag bei den Passagieren am Floss. Sie schlachteten sich gegenseitig ab, um zu überleben. Als es voll besetzt war, stand den Menschen das Wasser bis zu den Knien. Erst mit weniger Gewicht und dem Sterben von Mitreisenden, die ins Wasser geworfen wurden, kamen sie auch ins Trockene. Die Auseinandersetzungen waren sehr brutal und ich will hier keine Details widergeben. Sie wären für Jugendliche und schwache Nerven nicht zumutbar. Es gab nichts zu essen. Der eigene Urin wurde getrunken. Sterbende filetiert. Sogar die Eiterwimmerl eines Matrosen wurden aufgedrückt und gegessen. Dabei handelte es sich bei den Leichenfressern um ganz normale Menschen aus den verschiedensten Berufsgruppen und verschiedenen Religionen. Als sie nur mehr 15 waren, stellten sie sich die Frage, ob sie die Stärksten seien. Auch wenn viele gerettet wurden, waren sie andere Menschen. Einige verdrängten die Geschehnisse, andere wurden verrückt. 11. von SCHIRACH, Ferdinand 2023. @book{vonSCHIRACH2023, SCHIRACH, Ferdinand von: „Die Würde ist antastbar“, München 2017 Das deutsche Grundgesetz beginnt mit dem Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das heißt ein Menschenleben kann man nicht gegen ein anderes einsetzen. Obwohl die derzeitigen Regierungen dieses Grundgesetz aufweichen. Der amerikanische Präsident Obama freute sich, als einer der Terroristen erschossen wurde. Vier Seemänner kamen in Seenot. Um zu überleben, töteten sie den jüngsten unter ihnen und aßen ihn auf. So überlebten sie. Von einem englischen Gericht wurden sie dafür zum Tod verurteilt, wobei der Richter eine Begnadigung empfahl. Nach sechs Wochen kamen sie frei. Kant sagte, der Mensch könne sich seine eigenen moralischen Gesetze geben. Er sei Subjekt und nicht wie die Tiere ein Objekt. Kinder und Behinderte zählte er nicht zu den vernünftigen Menschen. Sie waren nur Objekte. 1985 unterschied der Rechtswissenschaftler Günther Jakobs zwischen Feindstrafrecht und Bürgerstrafrecht. Alle Menschen, die die Gesellschaft verlassen sollen Feinde sein. Sie schaden der Gesellschaft. Im Kapitel „Weil wir nicht anders können“ zeigt der Autor auf, dass repräsentative Demokratien viele Nachteile haben und kompliziert sind. Randgruppen und Minderheiten bekommen ein starkes Stimmrecht und Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass nicht Repräsentanten der Gesellschaft bestimmen, sondern immer alle Menschen. Das findet Schirach nicht umsetzbar. Würde man die Menschen fragen, ob Schokolade gratis sein soll, würde die Mehrheit das verlangen. Meinungsbefragungen zeigen dies ebenfalls. Nicht durchführbare Dinge bekommen eine Mehrheit bei diesen „Abstimmungen“. So könnte eine Gesellschaft nicht geführt werden. Mit „Du bist, wer du bist“ rechtfertigt er sich für seinen Großvater, der ein überzeugter Nazi war und nach dem Krieg lange im Gefängnis saß. In seiner Schulklasse saßen die Nachkommen von Juden, Nazis und Widerstandskämpfern nebeneinander. Die Buben waren aber einer Ansicht. Sie konnten nichts für ihre Vorfahren. Im Essay über das Rauchen und dessen Verbot („Reine Menschen, reine Luft“) zeigt der Autor als Jurist die Nachteile von gesetzlichen Einschränkungen auf. Auch Volksentscheide hält er nicht für sinnvoll: „Ich mag Volksentscheide nicht, sie scheinen unserer Demokratie fremd. Es gibt keine Schwarmintelligenz bei politischen Einzelabstimmungen, jedenfalls hat es sie früher nie gegeben. Und die neuen Nichtrauchergesetze offenbaren ein Fehlverständnis von Demokratie: Es geht eben nicht nur darum, dass gemacht wird, was die Mehrheit sagt – es geht auch um Nischen für die Minderheiten.“ (Seite 92) Im Kapitel „Vergessene Gummistiefel“ geht es um Sicherungsverwahrung und das Recht Menschen wegzusperren, ohne sie verurteilt zu haben. Der Europäische Gerichtshof hat 2009 dagegen gestimmt. Es darf keine Strafe ohne Gesetze geben. Schon in seinem Buch „Das Geständnis“ befasste er sich mit dem Thema des erzwungenen Geständnisses durch Folter. In einem Essay führt er wieder aus, dass festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden dürfen. Für Polizisten, die das trotzdem tun verlangt er eine mehrjährige Gefängnisstrafe, Entlassung aus dem Dienst und Streichung der Pension. Im Buch wird ein Beispiel gezeigt, indem der Täter zwar die Tat begangen hat, aber das Geständnis durch Folter erzwungen wurde und daher ungültig sei. In einem eigenen Kapitel wird dem iPad eine Lobeshymne gewidmet und dass er die Zukunft des Lesens sein wird. Und am Ende erzählt Schirach von seiner Jugend in einem Klosterinternat. Es ist ein Buch mit Kurzgeschichten, Essays. Verlage publizieren von berühmt gewordenen Dichtern auch literarische „Abfallprodukte“. Aber auch die geben Einblick in die Arbeitsweise und Denkweise des Dichters. So auch dieses Buch. Manches ist nicht so besonders gut, aber anderes sticht wieder durch Brillanz hervor. So das Essay „Verfahren als Strafe“. Darin geht es um die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften. Es war für mich die beste Geschichte des Buchs. Eigentlich hätte ich sie in dieser, meiner Rezension gleich zu Beginn erwähnen sollen, aber auch der Schluss eines Manuskripts wird so interessiert gelesen, wie der Beginn. Es ist auch ein aktuelles Thema, weil heute oft Personen, gegen die erst ein Verdacht besteht und ein Verfahren eingeleitet wird in den Medien vorverurteilend berichtet wird. Manchmal erfahren die Beschuldigten erst aus den Medien, dass gegen sie ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wurde. Schirach meint „Das Verhältnis von Justiz und Presse hat sich verändert. Früher sah man immer nur einen ordentlichen Polizisten und einen älteren Staatsanwalt mit Goldbrille im Fernsehen, beide sagten mit todernstem Gesicht „Weiträumig absperren und lückenlos aufklären“. Das war beruhigend. Heute meinen die Strafverfolger, sie müssen medial präsent sein.“ (Seite 84) Im Strafrecht gibt es nur eine Partei und die ist der Strafverteidiger. Die Staatsanwaltschaft dagegen muss objektiv sein, ausgleichend und gerecht wie ein Gericht. „Sie ist unparteiisch, sie ermittelt für und gegen den Beschuldigten, nichts anderes ist ihr gesetzlicher Auftrag. Früher wurde sie sogar die „objektivste Behörde der Welt“ genannt.“ (Seite 85) Für das Gesetz ist der Angeklagte unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Durch frühzeitige Veröffentlichungen werden die Beschuldigten heute oft an den Pranger gestellt. Schon im Mittelalter hat man Menschen an den Pranger gestellt und die Öffentlichkeit konnte sie beschimpfen und bespucken, ABER sie wurden NACH einer Verurteilung geprangert. Heute braucht man oft kein Urteil mehr: eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft stellt den Beschuldigten an den Pranger der Öffentlichkeit. Dass die Staatsanwaltschaft neutral agieren muss, ist heute oft in Vergessenheit geraten. Verteidiger und Staatsanwaltschaft stehen sich als Gegner gegenüber. Schirach schließt dieses Essay mit der Erkenntnis, dass „Staatsanwälte und Richter in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben.“ (Seite 88) Allein dieses Essay ist es wert, das vorliegende Buch zu lesen. 12. PLUHAR, Erika Gitti Buch 2023. @book{PLUHAR2023, PLUHAR, Erika: „Gitti“, Salzburg Wien 2023 Es ist dies ein sehr persönlicher Roman von Erika Pluhar. Ihre eigene Familiengeschichte. Die Hauptfigur ist ihre ältere Schwester Brigitte – von der Familie Gitti genannt. Die Eltern wohnen in Wien. Der Vater bekommt in Brasilien einen Job bei einer Mineralölfirma und man übersiedelt. Gitti wuchs in Rio de Janeiro auf. Der Vater war ein überzeugter Nationalsozialist. Er musste aus Wien weg, weil diese Partei noch verboten war. Als Adolf Hitler die Regierung in Deutschland übernimmt, kehrt die Familie Pluhar nach Europa, nach München zurück. Erst als Österreich annektiert wird, kehrt die Familie wieder heim nach Wien. Sie wohnen in einer Villa in Döbling. Der Vater bekommt einen angesehenen Job in der Partei. Letztlich wird er Assistent des deutschen Gouverneurs in Lemberg. Die Familie übersiedelt nach Polen. Gitti geht in Lemberg in die Schule. Erika ist auf der Welt und die ältere Schwester nimmt sich ihrer an. Der Krieg zieht ins Land. Der Vater meldet sich als Soldat und die Mutter mit den beiden Mädchen kommt nach Wien zurück, wo die dritte Tochter geboren wird. Gitti nimmt eine wichtige Rolle in der Familie ein. Mit ihren zehn Jahren agiert sie wie eine Erwachsene. Wien wird bombardiert. Oft muss die Familie in den Luftschutzkeller. „Meist sah sie dann die Mutter, beim Schein einer Lampe und völlig angekleidet, nur im Lehnstuhl schlafen. Vorausschauend hatte Anna dafür gesorgt, dass Brigitte und Erika ebenfalls keinen Schlafanzug trugen, sondern angekleidet blieben, und dass der Säugling reisefertig gewickelt war.“ (Seite 64) Alles für den Luftschutzkeller war fertig gepackt. Mehrmals wurden sie in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und mussten rasch Unterschlupf suchen. Letztlich werden Familien mit Kindern auf Land gebracht, wo sie vor Luftangriffen sicherer sind. Anna Pluhar mit ihren drei Kindern – das jüngste hatte der Vater noch nicht gesehen – zieht in ein Dorf in Oberösterreich. Es ist eine abenteuerliche Reise. Mit Betteln bringt Anna ihre Kinder durch. Als der Krieg aus ist, kehrt sie nach Wien zurück und wohnt bei ihrer Schwester, wo sie seitens des Schwagers nicht sehr willkommen ist. Sie haben nur zwei Zimmer und letztlich entscheidet man, dass Gitti bei der Großmutter wohnt und von dort zur Schule geht. Gittis Cousine ist älter und geht in dieselbe Schule. Sie lernt mit Gitti und bringt sie so bis zur vierten Klasse. Eine Matura kam wegen der Lernerfolge aber nicht in Frage. Erika Pluhar, die als Kleinkind noch eine Nebenrolle in diesem Roman spielt, beschreibt aber als Schriftstellerin sehr gut den Schmerz des jungen Mädchens Gitti, als sie von ihrer Familie getrennt wird. „Das Herz tat Brigitte weh, als wäre es ein körperlicher Schmerz …“ (Seite 159) Inzwischen ist der Vater heimgekehrt und bringt sich zu Beginn mit Hilfsarbeiten durch. Als er „entnazifiziert“ wird, bekommt er einen angeseheneren Job in Linz, der seiner Ausbildung entspricht. Die Familie kann sich eine eigene Wohnung am Stadtrand Wiens leisten. Gitti aber bleibt bei ihrer Oma. Sie geht inzwischen in eine Modeschule. Ein Lehrer nähert sich ihr. Er ist zwar um vieles älter – Gitti ist erst 16 – und es kommt zur geheimen Liebe. Letztlich heiraten die beiden. Er ist ein anerkannter Experte und bekommt einen Job beim Modeschöpfer Adelmüller. Das junge Paar wohnt in einer Wohngemeinschaft mit einem Fotografen. Ihr Mann interessiert sich für Fotografie. Letztlich wechselt er den Beruf und wird Fotograf. Die beiden übersiedeln nach New York, wo er eine Assistentenstelle bei einem angesehensten Modefotograf bekommt. Am Ende verrät die Autorin, woher sie ihre Informationen zu diesem Roman nahm: als ihre große Schwester Gitti nach Amerika ging, versprachen sich die Schwestern regelmäßig zu schreiben und zu berichten. „Weißt du was wir machen? Du wirst mir regelmäßig Briefe schreiben! Alles was dir zustößt, was immer du erfährst. Wie eine Art Tagebuch, ja? Und ich werde dir immer antworten.“ (Seite 218) Mit Gesprächen mit der alten Schwester konnte Erika Pluhar noch weitere Informationen zu diesem Roman einholen. Die Zeit läuft und sie bringt es auf Papier. „Noch erkennt sie mich – wie lange noch, ist ungewiss. Ihr Name ist Brigitte. Für uns ist sie Gitti. Ich möchte ihre Kindheit und Jugend nacherzählen.“ (Seite 5) 13. SCHOLL, Sabine Die Füchsin spricht Buch 2023. @book{SCHOLL2023, SCHOLL, Sabine: „Die Füchsin spricht“; Zürich 2016 Ein Roman mit einer Vielzahl von Geschichten. Da ist ein junges ungarisches Paar, das bei der Grenzöffnung für DDR Urlauber nach Österreich flüchtete. Über Flüchtlingslager kamen sie nach Österreich, Nordamerika und letztlich nach Deutschland, wo sie einen alternativen Bio-Bauernhof betreiben. Sie sind befreundet mit den Hauptpersonen des Romans: einem deutschen Ehepaar mit einer Tochter. Der Mann bekam einen Lehrstuhl in Japan. Die Ehefrau durfte in Japan nicht arbeiten. Als Frau des Professors bekam sie aber eine Aufenthaltsgenehmigung und lebte mit der Tochter als Hausfrau und Mutter. Der Ehemann begann ein Verhältnis mit einer jungen Kollegin. Als diese ein Kind von ihm bekam, verlässt die Ehefrau mit Tochter Japan und kehrt nach Deutschland zurück. Sie bekommt einen Teilzeitjob an einer Universität und agiert als alleinerziehende Mutter. Sie hat Probleme mit der Tochter und wirft diese im Zuge eines Streits aus der Wohnung. Der Vater hat inzwischen eine junge Familie und wurde zum Hausmann. Nach dem Atomreaktorunfall zieht die junge Familie aufs Land und er versucht selbst Gemüse zu ziehen. Der Atomunfall beunruhigt ihn und fuhrt zu einem Zwist mit der jungen Ehefrau, die den Aussagen der japanischen Regierung vertraut. Er hingegen holt internationale Informationen zum Atomreaktorunfall ein. Die alternative Bauernfamilie ist ein Vermittler zwischen dem geschiedenen Ehepaar. Als die Frau ihren Job an der Universität verliert, wird sie aufgenommen, ebenso wie die Tochter, die nach dem Sinn des Lebens einer Aufgabe sucht. Der Vater schreibt aus Japan und kommt letztlich mit seinem Sohn zu Besuch. Am Bauernhof kommen sie alle zusammen. Wie sich das gestaltet liegt aber außerhalb des Romans. Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert. Ein Teil besteht aus eMails, in denen sich die beiden Männer – der Biobauer und der in Japan lebende Professor – austauschen. Thematisch ist es ein negatives Buch. Die Autorin (ident mit der Hauptfrau des Romans) schreibt ihre Probleme nieder. Probleme, die sie mit der eigenen Familie, mit der Universität und ihrem Umfeld hat. Sexuelle Beziehungen werden ausführlich geschildert. Eine psychologische Abhandlung, bei der der Leser, die Leserin den psychiatrischen Gegenpol bilden muss. 14. SAUTNER, Thomas großmutters haus Buch 2023. @book{SAUTNER2023b, SAUTNER, Thomas: „großmutters haus“, Berlin 2021 Sie dachte, Großmutter sei verstorben. Die Familie verheimlichte alle Details. Wo sie wohnte, wo sie begraben sei. Sie, Malina, war schon früh aus der einsamen Gegend ihrer Eltern im Norden des Landes weggezogen und hat in der Stadt ihr Zuhause aufgeschlagen. Ein einfacher Job in einer Bibliothek und einen verheirateten älteren Mann als Freund. Eines Tages brachte der Postbote ein Paket. Als sie es öffnete quollen viele Geldscheine heraus. Dazu ein Zettel: „Anbei ein paar Zetteln mit Nullen drauf. Nicht der Rede wert. Es grüßt dich deine Großmutter Kristyna.“ Den Poststempel konnte sie noch lesen und so fand sie bald nach Nachfragen im nächstliegenden Postamt, wo Großmutter wohnte. Sie verbrachte zwei Urlaubswochen bei ihr und ihr Leben veränderte sich. Die Großmutter züchtete Cannabis und produzierte Zigaretten mit Kräutern und Rauschgift. Sie ist eine sehr schräge Frau. Der Baron des nahegelegenen Schlosses ist einer ihrer Freunde. Nach zwei Wochen verlässt die Enkelin die Großmutter als veränderte Person. Eine sehr einfache Geschichte, die auch simple geschrieben ist. Nicht zu vergleichen mit dem Niveau des Sautner-Romans „fuchserde“. 15. Anna Weidenholzer Fahim AMIR, Christoph W. Bauer Gesellschaften im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern Buch 2023. @book{AMIR2023, ZEYRINGER, Klaus (Hg): „Gesellschaft im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern“, Wien 2020 Dieses Booklet ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gesellschaften im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern“ entstanden. Neben dem Herausgeber, der das Vor- und Nachwort schrieb, kamen sechs namhafte SchriftstellerInnen zu Wort. Amir Fahim beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Laborratte, und welchen Beitrag sie zur Forschung liefert. Er weist aber auch darauf hin, dass es in England und Frankreich um 1800 der Sport „Rat-Baiting“ sehr populär war. Man platzierte hunderte Ratten in einer Kampfgrube und schickte einen Terrier hinein, der die Ratten tötete. Ein Schiedsrichter maß die Zeit, bis die letzte Ratte tot war. Ein Wettkampf. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Laborratte maßgeblich am Fortschritt in der Medizin herangezogen. Anna Waidenholzer erzählt von einer Tierbestattung, bei der die Tiere verbrannt und dann mit einer Urkunde und der Urne an die ehemaligen Besitzer ausgehändigt werden. Ein neues Geschäftsmodell. Parallel stellt sie gegenüber, wie ein junger Mann, der bei einem Verkehrsunfall zu tote kam, verbrannt und seine Asche von einem Schiff aus der Donau übergeben wurde. Christoph Bauer erzählt, wie es im alten römischen Reich zu Massenhinrichtungen von exotischen Tieren kam. Der jeweilige Herrscher spendete dem Volk Unmengen von Tieren. Im 80 nach Christus erbauten ersten Amphitheater wurden zur Eröffnung – die 100 Tage dauerte – 5000 Tiere geopfert. Darunter 600 Löwen, 150 Leoparden, 18 Elefanten und ein Nashorn. Zum Gaudium des Publikums mussten sich die Tiere gegenseitig zerfleischen. Zur Beschaffung der Tiere entstand eine eigene Industrie, die sie in den Ursprungsländern fangen ließ und nach Rom oder andere römische Städte brachte. Daneben wurden die Besucher mit köstlichen Speisen verköstigt. Riesige Fischzuchtanlagen entstanden und teilweise wurden mit den Tieren auch Menschen geopfert. Oft nach einem genauen Drehbuch organisiert. Stefan Gmündner beschäftigt sich mit dem Schriftsteller Henry David Thoreau (1817-1862) und seinem Beitrag zum Erhalt der Natur. Selbst lebte er 1845 zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage in einer einfachen Hütte. Er hinterließ ein 7000 Seiten starkes Tagebuch, in dem es etwa heißt „Es bedarf nur einiger Strohhalme in der Sonne, eines kleinen hingeworfenen Wortes oder eines, das lange schweigend in einem Buch geschlummert hat. Wenn das Himmelreich beginnt und die Toten auferstehen, wird keine Trompete blasen. Vielleicht wird der Südwind wehen.“ (Seite 50) Birgit Birnbacher schildert das Leben einer alleinstehenden Witwe, die auf 22 Quadratmeter Miete wohnt. Sabine Gruber wiederum berichtet von einer Person, die angegurtet in einem Pflegebett liegt. „Menschen, die sich sattessen und gesund sind, vergessen ihren Magen, habe ich einmal gehört. Meine Zehen erinnern das Gehen und werden über den Bewegungsverlust verrückt. Die kleinen Muskeln pulsieren.“ (Seite 65) 16. FRISCHMUTH, Barbara; SCHUTTING, Julian 2023. @book{FRISCHMUTH2023, FRISCHMUTH, Barbara; SCHUTTING, Julian: „Herbst in der Nussschale“, Wien 2019 Eine kleine Broschüre, die nach dem Literaturfestival „Literatur & Wein“ 2019 entstanden ist. Zu Wort kamen die beiden österreichischen Dichter Barbara Frischmuth und Julian Schutting. Schutting schrieb über Nüsse und Wein. Zuerst entführt er in die längste Kellergasse Österreichs nach Pillichsdorf zu einem typischen Kellergassenfest. In der zweiten Geschichte geht es um eine Winterreise, die Wilhelm Müller nachempfunden ist. Die ursprünglichen „Müller Gedichte“ – 24 an der Zahl – wurden von Franz Schubert 1827 vertont. In der dritten Geschichte von Schutting beschreibt er sein Arbeitszimmer, auf dem er ein Glas Wein mit Nüssen stehen hat. Barbara Frischmuth ist mit einer Geschichte vertreten: „Herbst in Worten“. Konkret geht es um den Herbst des Jahres 1918, in dem es lange nicht Winter werden wollte. Die späte Wärme verleitete sie, ihren Garten nicht rechtzeitig zu versorgen, bis der erste Schnee fiel. Blumen begannen wegen des unerwarteten Sonnenscheins im Herbst zu blühen und lockten Bienen und andere Insekten an. Der Herbst hatte – so nennt sie es – „einen außerordentlichen Nachschlag“ gegeben. Am Schluss zitiert sie den persischen Dichter Omar Khayyam (1048-1136): Eh dich die Sorgen ganz erschlagen haben, Sollst du am rosenfarbnen Wein dich laben; Du bist ja auch kein Gold, das man verscharrt, Um es dann später wieder auszugraben. 17. GRUBER, Sabine 2023. @book{GRUBER2023, GRUBER, Sabine: „Zu Ende gebaut ist nie“, Innsbruck Wien 2014 14 Gedichte sind in dieser Broschüre vereint. Gedichte kann man nur schwer rezensieren. Man muss sie lesen und genießen. Es ist ein schönes Heft, das hier vorliegt. Dem Band gibt das Gedicht „Zu Ende gebaut ist nie“ den Namen. Dieses will ich stellvertretend wiedergeben: Zu Ende gebaut ist nie. Trugschluß, Daß mit dem Notausgang nach drüben Daß Atmen Sinn gewönne. Daß wir Ohne Aussicht hofften. Vor dem offenen Portal stoßen sie dich, drängen sich An deinen Körper, den du längst der Zeit verschenkt hast im Wiederwunsch Nach Fortbestand. Wie abgrundtief Die Augen finden, was sie suchen: Lichtloslicht, raureife Wärme, Du taumelst und gehst ein, Hinein in den ewigen Rohbau. 18. Brandstetter, Alois So wahr ich Feuerbach heiße Buch 2023. @book{Brandstetter2023, BRANDSTETTER, Alois: „So wahr ich Feuerbach heiße“, Salzburg Wien 1988 Ein doch schon älteres Buch von Brandstetter. Als er es schrieb war er schon 50 Jahre alt. Daraus leite ich seine Umständlichkeit und sein weites Ausschweifen beim Erzählen zurück. Im Grunde geht es um eine einfache Handlung: seine Familie hat ein neues Haus gebaut und nun wollen sie es mit Freunden einweihen. Beim Erstellen der Einladungsliste stellen sie fest, dass sie eigentlich keine Freunde haben. So suchen sie unter Bekannten und letztlich bleibt es bei einem Ehepaar. Herr Feuerbach rüstet sich für das geplante Gartenfest zum Grillen. Er kauft alle notwendigen Utensilien ein: Griller, Zangen, etc. Letztlich informiert er sogar die Feuerwehr davon, dass er in seinem Garten ein Grillfeuer machen werde. „Ich hatte mein jetziges Feuer auch der Feuerwehr gemeldet, wie es die Gemeindeordnung vorsieht. Ich wollte nicht riskieren, daß die Feuerwehr aus Übereifer wegen meines kleinen Feuerchens ausrückte.“ (Seite 56) Auf über 200 Seiten schweift der Autor vom Geschehen der geplanten Party ab. Letztlich hatte aber auch das einzig eingeladene Paar abgesagt. Eine eher fade Angelegenheit. Viel Wortspiel, wenig Inhalt. 19. SAUTNER, Thomas fuchserde Buch 2023. @book{SAUTNER2023, SAUTNER, Thomas: „fuchserde“, Berlin 2020 Ein herumziehendes Volk, die Jenischen sind der Mittelpunkt des Buches. Es ist einerseits eine historische Abhandlung und andererseits die romanhafte Beschreibung einer Familie dieses Volksstamms. Die Hauptperson darin ist Frida, eine außergewöhnliche Frau. Sie braucht lange, bis sie sich für einen Mann entschied, obwohl sie von vielen begehrt wurde. Sie suchte sich eine starke Persönlichkeit zur Ehe aus, obwohl „die Frauen bei den Jenischen in der Regel für alles sorgen: Kinder aufziehen, Wäsche flicken, hausieren gehen. Essenbesorgen und kochen. Der Mann war dennoch das Oberhaupt der Familie. Eine alte jenische Frau erzählte sinngemäß: „Nach außen haben die jenischen Frauen den Mann den Pascha spielen lassen, da war er wie Gott und hat sich auch so gefühlt. Die jenische Frau hat es verstanden, ihren Mann gut leben zu lassen. Im Haus aber haben die Frauen das Sagen gehabt.““ (Seite 52) Dieses fahrende Volk lebte von selbstgemachten Dingen wie Werkzeug, Kleidern, Webarbeiten. Sie boten beim Herumziehen den Bauern Dienstleistungen wie Messerschleifen, Töpfe flicken etc an. Die kalten Winter verbrachten sie in einer festen Behausung. Sie lebten in primitiver Situation. Oft hatten sie nicht genug zu essen. Als der Vater einen Fasan gefangen hatte, gab es Fleisch. Ein Teil wurde aufgehoben. Die Kinder aber wollten mehr. Da wurde das Fleischstück mit einer Schnur über dem Tisch aufgehängt. Die Kinder bekamen Brot und drückten es gegen das Fleisch, um so einen Geschmack vom Braten zu erhaschen. Speziell während der Weltwirtschaftskrise ging es der Landbevölkerung schlecht. „Sie bekamen eine Arbeitslosenunterstützung von fünf Schilling pro Woche. Ein Laib Brot kostete damals siebenundsechzig Groschen.“ (Seite 85) Zigeuner und „herumtreibendes“ Volk wie die Jenischen bekamen nichts. Die Jenischen hatten alle zum selben Zeitpunkt Geburtstag. „Wer von unseren Leuten dennoch den Winter überstand, der hatte Geburtstag.“ (Seite 86) Von Frühjahr bis Winter zogen sie herum. Sie lebten im kalten Waldviertel, von dem auch der Autor dieses Romans kommt. Luca suchte seinen Vater und findet einen Onkel in Italien, der einen Zirkus besitzt. Der schon alte Zirkusdirektor vermacht den Zirkus seinem Neffen Luca, der ihn erfolgreich führt. Bei den sommerlichen Reisen trafen die beiden „Stämme Jenische“ – der des Zirkus und der der Waldviertler – aufeinander und befreundeten sich. Zwei junge aus diesen verschiedenen Stämmen verliebten und verlobten sich. Dann brach die Herrschaft der Diktatoren herein. Der Zirkus verließ wegen Mussolini Italien und übersiedelte nach Österreich. Aber auch da herrschte bald Hitler. Viele der Jenischen wurden verhaftet, ermordet oder in ein Konzentrationslager gesteckt. Der Autor versteht es, sehr anschaulich das Leben in den Konzentrationslagern und Arbeitsheimen wiederzugeben. In der Familie des Zirkusdirektors kamen alle ums Leben. Nur ein Sohn, der Verlobte der Waldviertlerin, konnte fliehen. Auch die Flucht wird detailgenau geschildert. Ähnlich ging es bei den Waldviertlern zu. Auch hier wurde gemordet und verhaftet. Der Stammhalter Lois (er ist der Erzähler im Buch) hatte vorgesorgt und einen Tunnel aus seinem Haus hinausgegraben und so konnte die Familie flüchten. Sie lebten im Wald in einer Höhle. Ein reicher Bauer – nach der russischen Befreiung wurde er Bürgermeister – war ein guter Mensch und versorgte die Familie heimlich mit Nahrung. Als der Krieg aus war, kam der Verlobte aus Tirol. Sie bauten ihre niedergebrannten Häuser wieder auf und auch das neue Paar baute ein Heim. Auch der schon als tot vermutete kleine Bruder des Verlobten kam mit einer jungen Frau zu ihnen. Die Freude der Vereinigung war groß. Obwohl der Druck durch die Nationalsozialisten wegfiel, bestand weiterhin Angst und viele der Jenischen weigerten sich ihrer Zunft nachzukommen. Sie nahmen fixe Anstellungen an und wurden sesshaft. Ihren Kindern und Kindeskindern verheimlichten sie ihre Vergangenheit. Nur der Urgroßvater gab die Geschichte seines Stammes an den Jüngsten der Familie weiter. Diese Erzählungen sind der Inhalt dieses Buches, mit dem eine vergessene Zeit wieder auflebt. Ein sehr ausdrucksstarkes Buch. Ein Roman, der aus einer anderen Zeit stammt und trotzdem schafft es der Autor so zu erzählen, als hätte er mit diesen Leuten gelebt. Großartig! 20. STELZLE, Wilma PFEIFFER Walter Spazierenschwimmen zwischen Rax und Semmering Buch 2023. @book{STELZLE2023, PFEIFFER Wilma; STELZLE Walter: „Spazierschwimmen zwischen Rax und Semmering – Kultur, Geschichten, Ausflüge“, Salzburg 2023 Der Titel „Spazierschwimmen“ ist dem „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil entnommen. Musil beschrieb aber den Wörthersee und hier geht es um Berge. Musil, so die Autoren des vorliegenden Buches, meinten, dass Musil mit „Schwimmen“ auch „Muse genießen“ verstand. Der Untertitel „Kultur – Geschichten – Ausflüge“ trifft wieder den Inhalt ganz, denn man wird in die Geschichte der Gegend eingeführt, aber auch „Gschichteln“ werden erzählt. Natürlich wird auch der Kultur Rechnung getragen und Anleitungen für Ausflüge gegeben. Nachdem erzählt wird, wie die Sommerfrische entstand, werden die Orte Reichenau, Prein an der Rax, Rax, Payerbach und Semmering vorgestellt. Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert war diese Region die bedeutendste Sommerfrische der Habsburgermonarchie. Der „Motor“ dafür war die Südbahn, die die Städter aus Wien in die frische Luft der Alpen brachte. Villen und Hotels entstanden. Da hier aber vorwiegend Juden investierten, fiel die Gegend 1938 wegen der Judenverfolgung in einen Dornröschenschlaf, der in manchen Orten noch immer herrscht. In Reichenau kam es auch zu einem Wettstreit beim Bau von Villen zwischen dem Kaiserhaus und einer angesehenen und reichen jüdischen Familie. Zwar hatte der Kaiser 1867 die Gleichstellung der Juden veranlasst, aber gesellschaftlich waren sie das nicht in vollem Umfang. Sie mussten sich beweisen und Baron Rothschild tat dies mit dem Bau eines kleinen Schlosses, mit dem er den kaiserlichen Sitz in den Schatten stellte. Die Autoren nennen diesen Zwist den „Schlösserkrieg“. Gebaut wurden nicht nur Villen, auch das Fuhrwerksgewerbe nahm zu. Die Remise in Reichenau bot Platz für 35 Kutschen. 70 Pferde mussten untergebracht werden. Große Bedeutung haben heute noch die Reichenauer Sommerfestspiele, die wieder Besucher aus Wien und der Umgebung anlocken. Das Preiner Gscheid ist ein fast 1000 Meter hoher Paßübergang zwischen Niederösterreich und der Steiermark. Prein hat keinen bäuerlichen Background, sondern war ein Bergbaugebiet. Ende des 19. Jahrhunderts rentierte sich dieses Geschäft nicht mehr. Die Bergwerke und Schmelzöfen wurden stillgelegt. Ein geschäftstüchtiger Mann konvertierte die Anlagen in Hotels. Rax kam nicht nur wegen des nahen Bahnanschlusses zu Bedeutung, sondern durch den Seilbahnbau. 1926 nahm die Raxseilbahn als erste österreichische Seilschwebebahn ihren Betrieb auf und erlaubte den ungeübten Städtern einen problemlosen Aufstieg in die Berge. Bedingt durch die erbaute Seilbahn wurde 1926 auch die bestehende Materialeisenbahn für den Personentransport zugelassen. Die Rax wird wegen dreier Persönlichkeiten auch „Berg der Psychotherapie“ genannt. Sigmund Freud, Viktor Frankl und Alfred Adler urlaubten hier. Erwähnt wird von den Autoren auch der Bau der Wiener Hochquellenwasserleitung, der den Wienern frisches Trinkwasser aus den Bergen lieferte. Als Karl VI. bei einem Jagdausflug eine frische Quelle fand, ließ er einen ständigen Wassertransport mit Reitern einrichten, um in Wien frisches Quellwasser zu haben. Payerbach: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Bahnhof Payerbach zu einem der meist frequentierten der Monarchie. 60 Fiaker erwarteten am Vorplatz die ankommenden Gäste. Auch der Kaiser nützte die Vorzüge der Eisenbahn und so fuhr er oft nur für einen Tag zum Jagen nach Payerbach. Payerbach positionierte sich mit Wintersport gegenüber den umliegenden Gemeinden und engagierte den Schipionier Mathias Zdarsky aus Lilienfeld. Während der Weltausstellung in Wien, flüchtete Kaiserin Sisi vor den vielen Repräsentationen nach Payerbach. Erwähnt wird auch das Haus des Mayonnaisefabrikanten Kuhnert, der sich vom Wiener Architekten Loos eine Villa bauen ließ. Leider lebte er nur zwei Jahre darin. Heute ist es ein beliebtes Restaurant, das im „The Hotel Book. Great Europe“ zu den nobelsten Fünfsternehotels gezählt wird. Und letztlich wird auch dem Semmering ein Kapitel gewidmet. 1842 hatte der Bau der Südbahn den Ort Gloggnitz erreicht. 1851 war Payerbach angeschlossen und drei Jahre später erreichten die Züge den Semmering. Zu verdanken ist dies dem Planer Carl von Ghega. 1848 wurde mit dem Bau begonnen, an dem bis zu 20.000 Arbeiter beschäftigt waren. 2.000 kamen auch ums Leben. Die meisten aber an Seuchen. Die Strecke von Gloggnitz nach Mürzzuschlag ist 42 Kilometer lang, führt durch 15 Tunnels und überquert 16 große und 118 kleine Brücken. Es ist ein Wunderwerk, das 1998 als UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Auch den Hotels am Semmering wird Platz gewidmet und so manche Schnurre der Hoteliers erzählt. Das Buch bringt die Region dem Leser näher und bietet neben reinen historischen Zahlen auch viele informelle Informationen. |
Die komplette Liste
2023
KNECHT, Doris
Besser Buch
2023.
@book{KNECHT2023,
title = {Besser},
author = {Doris KNECHT},
year = {2023},
date = {2023-10-01},
urldate = {2023-10-01},
abstract = {KNECHT, Doris: „Besser“, Hamburg 2021
„Besser“ ist der Titel dieses Buches. Besser könnte man den Inhalt machen. Man kann diesen „Roman“ nicht unter Literatur einstufen. Es sind Alltagsgeschichten. Vielleicht für zukünftige Generationen wichtig, damit diese nachlesen können, wie ihre Eltern und Großeltern tickten. Besser als andere Schriftstellerinnen hat Doris Knecht das Marketing und die Werbung für ihr Buch gemacht. Aber viele Pressemeldungen ergeben noch keine sehr gute Literatur.
Die Hauptfigur ist eine junge Frau - Antonia Pollak -, die ein vorbildliches Familienleben führt. Sie hat einen erfolgreichen und sie liebenden Mann, zwei Kinder und ist als „Künstlerin“ tätig. Der reiche Mann kann ihr ein Atelier mieten, in dem sie ihre Freizeit verbringt. ABER: Antonia hat Geheimnisse. Sie verrät ihrem Mann nicht, woher sie kommt. Dass ihre Mutter eine Trinkerin ist. Dass sie selbst mit einfachen Jobs begann, bis sie eben diesen, ihren Mann kennenlernte. Sie versucht ihre Vergangenheit zu vergessen und auszublenden. Aber es bleibt ein Schatten. Ein Freund, den sie der Familie verheimlicht, mit dem sie sich verstohlen trifft. Sie hadert. Will Schluss machen. Es gelingt bis zur letzten Seite des Buches nicht.
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„Besser“ ist der Titel dieses Buches. Besser könnte man den Inhalt machen. Man kann diesen „Roman“ nicht unter Literatur einstufen. Es sind Alltagsgeschichten. Vielleicht für zukünftige Generationen wichtig, damit diese nachlesen können, wie ihre Eltern und Großeltern tickten. Besser als andere Schriftstellerinnen hat Doris Knecht das Marketing und die Werbung für ihr Buch gemacht. Aber viele Pressemeldungen ergeben noch keine sehr gute Literatur.
Die Hauptfigur ist eine junge Frau - Antonia Pollak -, die ein vorbildliches Familienleben führt. Sie hat einen erfolgreichen und sie liebenden Mann, zwei Kinder und ist als „Künstlerin“ tätig. Der reiche Mann kann ihr ein Atelier mieten, in dem sie ihre Freizeit verbringt. ABER: Antonia hat Geheimnisse. Sie verrät ihrem Mann nicht, woher sie kommt. Dass ihre Mutter eine Trinkerin ist. Dass sie selbst mit einfachen Jobs begann, bis sie eben diesen, ihren Mann kennenlernte. Sie versucht ihre Vergangenheit zu vergessen und auszublenden. Aber es bleibt ein Schatten. Ein Freund, den sie der Familie verheimlicht, mit dem sie sich verstohlen trifft. Sie hadert. Will Schluss machen. Es gelingt bis zur letzten Seite des Buches nicht.
Scheutz, Wolfgang Fingernagel Hannes
Wolfgang Amadeus Mozart Leben und Werk Buch
2023.
@book{Scheutz2023,
title = {Wolfgang Amadeus Mozart Leben und Werk},
author = {Wolfgang Fingernagel
Hannes Scheutz},
year = {2023},
date = {2023-09-09},
urldate = {2023-09-09},
abstract = {FINGERNAGEL, Wolfgang; SCHEUTZ, Hannes: „Wolfgang Amadeus Mozart. Leben und Werk“, Salzburg 2005
Manche Biografien denkt man zu kennen und wenn man sie dann liest, erfährt man doch wieder Neues. So erging es mir beim Buch über Wolfgang Amadeus Mozart. Es ist sehr anschaulich geschrieben und leicht lesbar.
Es beginnt mit der Kindheit in Salzburg, ein Kapitel, in dem die Eltern und Großeltern beschrieben sind. Der Vater war eine sehr einflussreiche Person für Wolfgang Amadeus Mozart. Sein großer Lehrmeister und Förderer. Wir Österreicher nennen Mozart immer einen Österreicher und wir sind stolz auf ihn. Aber was ist ein Österreicher? Als Mozart in Salzburg geboren wurde, gehörte die Stadt nicht zu Österreich. Ist er deswegen ein Deutscher? Gerne tauschen wir Hitler gegen Beethoven. Ersteren würden wir lieber als Deutschen bezeichnen und zweiteren als Österreicher. Was auch immer: Mozart war ein Genie und ein großartiger Komponist und Musiker. Schon als Kind fuhr sein Vater mit ihm zu Konzerten. Er spielte vor Herrscherhäusern und in Konzertsälen. Die auf Seite 23 abgebildete Landkarte zeigt die große Reisetätigkeit. Mozart kam im Süden bis Neapel, im Westen bis England und Paris und auch hoch in den Norden Europas.
Die beiden Autoren erklären auch sehr gut die Musikszene der damaligen Zeit. Konzertante Konzerte fanden in Privathäusern statt. Konzertsäle, wie heute, gab es noch nicht. Alles konzentrierte sich auf Opern, mit denen ein Komponist reüssieren konnte. So auch Mozart.
Der junge Mozart liebte Aloysia Weber, aber sie gab ihm einen Korb, weshalb er die Schwester Constanze heiratete. Gegen den Willen des Vaters und nicht als Ersatz, wie man in dieser Biografie erfährt. Es war eine große Liebe und Mozart trennte sich bei Reisen nur ungern von ihr. Schon nach kurzer Zeit schrieb er Briefe, in denen er seine Liebe bezeugte. Von den sechs Kindern, die er mit seiner Frau hatte, überlebten nur zwei das Säuglingsalter. Sie selbst wurde 80 Jahre alt und sorgte für den Erhalt des Ruhms gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann.
Mozart nabelte sich von Salzburg ab und zog nach Wien, obwohl er in Wien nicht seine größten Erfolge feierte. Wien war eben am Gebiet der Musik ein schweres Pflaster. So ging es ihm auch finanziell nicht sehr gut. In zehn Jahren übersiedelte er 14 Mal. Immer, weil die Finanzen nicht reichten. Obwohl er rasch wieder viel verdiente, war das Geld bald wieder weg und er musste Freunde um Aushilfe bitten. Warum das so war, darüber konnten auch die beiden Buchautoren keine Antwort finden. Letztlich verstarb Mozart verarmt in jungen Jahren. Nach einem kurzen Leben, in dem sehr viel produziert wurde.
Das Buch hat eine sehr gute Werksübersicht der Orchesterwerke, der Kirchenmusik und Beschreibung der Opern. Im Umschlag findet man am Ende noch eine CD, mit der man sich viele zitierte Werke auch anhören kann.
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Manche Biografien denkt man zu kennen und wenn man sie dann liest, erfährt man doch wieder Neues. So erging es mir beim Buch über Wolfgang Amadeus Mozart. Es ist sehr anschaulich geschrieben und leicht lesbar.
Es beginnt mit der Kindheit in Salzburg, ein Kapitel, in dem die Eltern und Großeltern beschrieben sind. Der Vater war eine sehr einflussreiche Person für Wolfgang Amadeus Mozart. Sein großer Lehrmeister und Förderer. Wir Österreicher nennen Mozart immer einen Österreicher und wir sind stolz auf ihn. Aber was ist ein Österreicher? Als Mozart in Salzburg geboren wurde, gehörte die Stadt nicht zu Österreich. Ist er deswegen ein Deutscher? Gerne tauschen wir Hitler gegen Beethoven. Ersteren würden wir lieber als Deutschen bezeichnen und zweiteren als Österreicher. Was auch immer: Mozart war ein Genie und ein großartiger Komponist und Musiker. Schon als Kind fuhr sein Vater mit ihm zu Konzerten. Er spielte vor Herrscherhäusern und in Konzertsälen. Die auf Seite 23 abgebildete Landkarte zeigt die große Reisetätigkeit. Mozart kam im Süden bis Neapel, im Westen bis England und Paris und auch hoch in den Norden Europas.
Die beiden Autoren erklären auch sehr gut die Musikszene der damaligen Zeit. Konzertante Konzerte fanden in Privathäusern statt. Konzertsäle, wie heute, gab es noch nicht. Alles konzentrierte sich auf Opern, mit denen ein Komponist reüssieren konnte. So auch Mozart.
Der junge Mozart liebte Aloysia Weber, aber sie gab ihm einen Korb, weshalb er die Schwester Constanze heiratete. Gegen den Willen des Vaters und nicht als Ersatz, wie man in dieser Biografie erfährt. Es war eine große Liebe und Mozart trennte sich bei Reisen nur ungern von ihr. Schon nach kurzer Zeit schrieb er Briefe, in denen er seine Liebe bezeugte. Von den sechs Kindern, die er mit seiner Frau hatte, überlebten nur zwei das Säuglingsalter. Sie selbst wurde 80 Jahre alt und sorgte für den Erhalt des Ruhms gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann.
Mozart nabelte sich von Salzburg ab und zog nach Wien, obwohl er in Wien nicht seine größten Erfolge feierte. Wien war eben am Gebiet der Musik ein schweres Pflaster. So ging es ihm auch finanziell nicht sehr gut. In zehn Jahren übersiedelte er 14 Mal. Immer, weil die Finanzen nicht reichten. Obwohl er rasch wieder viel verdiente, war das Geld bald wieder weg und er musste Freunde um Aushilfe bitten. Warum das so war, darüber konnten auch die beiden Buchautoren keine Antwort finden. Letztlich verstarb Mozart verarmt in jungen Jahren. Nach einem kurzen Leben, in dem sehr viel produziert wurde.
Das Buch hat eine sehr gute Werksübersicht der Orchesterwerke, der Kirchenmusik und Beschreibung der Opern. Im Umschlag findet man am Ende noch eine CD, mit der man sich viele zitierte Werke auch anhören kann.
LAGGNER, Anna Katherina
Fremdlinge Buch
2023.
@book{Katherina2023,
title = {Fremdlinge},
author = {Anna Katherina LAGGNER},
year = {2023},
date = {2023-09-08},
urldate = {2023-09-08},
abstract = {LAGGNER, Anna Katherina: „Fremdlinge“, Salzburg Wien 2023
Die Autorin kommt aus einem anderen Metier: sie ist Filmkritikerin und arbeitet im Hörfunk. „Fremdlinge“ ist ihr Erstlingswerk. Dabei geht es um die Selbsterfahrung schwanger zu sein. Sie hat bereits ein Kind und ist mit Zwillingen schwanger. Mit ihrem Mann stellt sie sich die Frage: „Soll ich abtreiben oder die Kinder bekommen?“ In einer Tagebuchform bringt sie ihre Überlegungen zu Buche. Die Kapitel benennt sie nach den Schwangerschaftswochen, denen sie den jeweiligen Tag dazustellt: SSW 2+2 meint „der zweite Tag in der zweiten Schwangerschaftswoche“. Die international übliche Abkürzung SS für Schwangerschaft findet sie unpassend. Vieles hat die Autorin recherchiert. So erfährt man etwa, dass „In der DDR … Mehrlingsschwangere vor dem angenommenen Geburtstermin drei Monate im Krankenhaus verbringen (mussten) sonst wären sie vor Gericht gekommen.“ (Seite 71) Bei Hausgeburten – so wird berichtet – muss man die Nachbarn informieren, damit diese nicht häusliche Gewalt vermuten. Die schwangere Frau erzählt auch von ihren Erfahrungen mit Yoga für Schwangere. Sonst bleibt ihr aber viel Zeit zum Nachdenken. Mit nur einem Kind konnte sie noch viele Reisen machen. Ob das auch mit Zwillingen möglich sein wird, daran zweifelt sie. „Ganz werden die Zweifel nie aufhören, ob es klug ist, Kinder zu bekommen.“ (Seite 160)
Mehrmals besucht sie und ihr Mann ein Krankenhaus, wo sie viele Stunden in Wartezimmern verbringen und wieder entlassen werden. Letztlich empfiehlt man ihnen zu Hause Sex zu haben, damit die Wehen einsetzen.
Neben der Strukturierung in Schwangerschaftsmonate und Tage ist das Buch in drei Teile (Trimester) geteilt. Im dritten kommt es zur Geburt, die aber nicht direkt angesprochen wird. Man erlebt als Leser noch mit, wie sie ins Krankenhaus kommt und wie es da zu Verzögerungen kommt. Dass sich die Schwangerschaft dem Ende nähert, merkt sie bei Yoga-Übungen, die sie nicht mehr ausführen kann. Sie fährt aber mit dem Fahrrad ins Krankenhaus, wo man sie dann behält. Sie wollte noch das Rad heimbringen, aber der Arzt war dagegen.
Für welche Zielgruppe wurde das Buch geschrieben? Für Frauen und Männer, die in einer Situation sind, wo sie sich entscheiden wollen, ob sie eine frühe Schwangerschaft abtreiben oder die Kinder bekommen wollen. Das Buch ist und bleibt eine Tagebuch einer zweifelnden schwangeren Frau. „Was ich hier schreibe, sind banale Protokolle.“ (Seite 87)
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Die Autorin kommt aus einem anderen Metier: sie ist Filmkritikerin und arbeitet im Hörfunk. „Fremdlinge“ ist ihr Erstlingswerk. Dabei geht es um die Selbsterfahrung schwanger zu sein. Sie hat bereits ein Kind und ist mit Zwillingen schwanger. Mit ihrem Mann stellt sie sich die Frage: „Soll ich abtreiben oder die Kinder bekommen?“ In einer Tagebuchform bringt sie ihre Überlegungen zu Buche. Die Kapitel benennt sie nach den Schwangerschaftswochen, denen sie den jeweiligen Tag dazustellt: SSW 2+2 meint „der zweite Tag in der zweiten Schwangerschaftswoche“. Die international übliche Abkürzung SS für Schwangerschaft findet sie unpassend. Vieles hat die Autorin recherchiert. So erfährt man etwa, dass „In der DDR … Mehrlingsschwangere vor dem angenommenen Geburtstermin drei Monate im Krankenhaus verbringen (mussten) sonst wären sie vor Gericht gekommen.“ (Seite 71) Bei Hausgeburten – so wird berichtet – muss man die Nachbarn informieren, damit diese nicht häusliche Gewalt vermuten. Die schwangere Frau erzählt auch von ihren Erfahrungen mit Yoga für Schwangere. Sonst bleibt ihr aber viel Zeit zum Nachdenken. Mit nur einem Kind konnte sie noch viele Reisen machen. Ob das auch mit Zwillingen möglich sein wird, daran zweifelt sie. „Ganz werden die Zweifel nie aufhören, ob es klug ist, Kinder zu bekommen.“ (Seite 160)
Mehrmals besucht sie und ihr Mann ein Krankenhaus, wo sie viele Stunden in Wartezimmern verbringen und wieder entlassen werden. Letztlich empfiehlt man ihnen zu Hause Sex zu haben, damit die Wehen einsetzen.
Neben der Strukturierung in Schwangerschaftsmonate und Tage ist das Buch in drei Teile (Trimester) geteilt. Im dritten kommt es zur Geburt, die aber nicht direkt angesprochen wird. Man erlebt als Leser noch mit, wie sie ins Krankenhaus kommt und wie es da zu Verzögerungen kommt. Dass sich die Schwangerschaft dem Ende nähert, merkt sie bei Yoga-Übungen, die sie nicht mehr ausführen kann. Sie fährt aber mit dem Fahrrad ins Krankenhaus, wo man sie dann behält. Sie wollte noch das Rad heimbringen, aber der Arzt war dagegen.
Für welche Zielgruppe wurde das Buch geschrieben? Für Frauen und Männer, die in einer Situation sind, wo sie sich entscheiden wollen, ob sie eine frühe Schwangerschaft abtreiben oder die Kinder bekommen wollen. Das Buch ist und bleibt eine Tagebuch einer zweifelnden schwangeren Frau. „Was ich hier schreibe, sind banale Protokolle.“ (Seite 87)
HENISCH, Peter
Nichts als Himmel Buch
2023.
@book{HENISCH2023,
title = {Nichts als Himmel},
author = {Peter HENISCH},
year = {2023},
date = {2023-09-02},
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abstract = {HENISCH, Peter: „Nichts als Himmel“, Salzburg Wien 2023
Zum 80. Geburtstag von Peter Henisch erschien dieses Buch. Es hat – wie jenes zu seinem 70er – einen Italienbezug. Der Protagonist Spielmann hat sein Leben grundlegend verändert. Er, der Lehrer, hat mit 55 Jahren seinen Job gekündigt. Seine Kollegen erscheint das als falsche Entscheidung. Zusätzlich hat er eine Scheidung hinter sich und lebt nun während der Corona Pandemie isoliert in einer kleinen Wiener Wohnung. Er braucht psychologische Unterstützung. Daraus entwickelt sich eine Beziehung zur behandelnden Psychotherapeutin und deren Mann. Sie haben eine Wohnung in der Toskana. Nachdem sie selbst viel Arbeit haben und keinen Urlaub machen können, geben sie ihm den Schlüssel, damit er dort einige Zeit wohnen kann.
Italien ist für Peter Henisch ja kein unbekanntes Land. Schon sein Buch „Mortimer und Miss Molly“ handelte hier.
Er lebt wie ein Einsiedler in der Wohnung der Wiener Freunde. Beschäftigt sich mit sich selbst. Mit Lesen und fotografieren. Trotzdem treten mehrere Personen in sein Leben. Zu Beginn ein Italiener, der ihn mit dem Wohnungsbesitzer verwechselte. Er führte ihn in die Dorfgemeinschaft ein und lud ihn auch zu sich ein. Dann ein etwas verschrobener Intellektueller, der ihm die Gärten des Ortes erklärte. Auch eine Frau trat in sein Leben. Schon bei der Ankunft half sie ihm das komplizierte Schloss der Haustür aufzusperren. Mit einer Schale Kirschen aus ihrem Garten besuchte sie ihn dann und daraus entwickelte sich eine Beziehung.
Henisch setzt sich auch mit aktuellen Problemen auseinander. So auch die Migration von Afrikanern in Italien. Er bringt solch globalen Probleme sehr anschaulich anhand von Beispielen, anhand von Personen. So etwa steht plötzlich ein afrikanischer Migrant in der Nacht mit vorgehaltener Pistole auf seiner Terrasse. Er verlangt etwas zum Trinken und zum Essen. Spielmann versorgt ihn. Da er von der Polizei verfolgt wird, versteckt er ihn. Sie leben längere Zeit zusammen. Als dann die deutsche Frau, mit der er in San Vito eine Beziehung begonnen hatte, wieder zurückkommt, stellt sich heraus, dass sie den Migranten kennt. Sie hat einmal in einem Dorf gearbeitet, wo der Bürgermeister den Migranten leerstehende Häuser zur Verfügung gestellt hat. Letztlich wurde er aber rechtlich verfolgt und auch verurteilt, obwohl er sich nicht persönlich bereichert hat, sondern den Unterstandslosen geholfen hat. Da der Afrikaner nicht auf Dauer in der Wohnung versteckt werden kann, entschließt sich die Freundin ihn nach Deutschland mitzunehmen. Sie wird ihn beim Passieren der Grenze zu Österreich und zu Deutschland im Kofferraum verstecken. Ob dieser „Transport“ gut gegangen ist bleibt im Buch offen.
Die neue Vorgangsweise der italienischen Regierung gegen Migranten wird auch anschaulich berichtet: Spielmann trifft in Siena auf eine Wahlversammlung von Frau Meloni und deren Agitation gegen Afrikaner.
Den Buchtitel bekam das Buch durch die Situation, dass der Protagonist Spielmann in seinem Einsamkeit in der italienischen Wohnung der Freunde viel fotografierte und hier vor allem den Himmel.
„Himmel mit aufgehender Sonne. Himmel mit untergehender Sonne.
Himmel mit Wolken. Wolkenloser Himmel.
Himmel mit zunehmendem Mond. Himmel mit abnehmenden Mond.
Himmel mit Sternen. Himmel ohne Sterne.
Himmel mit hellgrauen Streifen. Himmel mit dunkelgrauen Streifen.
Ein Himmel völlig vom Wind verwischt.
Wolken am unteren Rand des Bildes wie heftig strömendes Wasser.“ (Seite 227)
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Zum 80. Geburtstag von Peter Henisch erschien dieses Buch. Es hat – wie jenes zu seinem 70er – einen Italienbezug. Der Protagonist Spielmann hat sein Leben grundlegend verändert. Er, der Lehrer, hat mit 55 Jahren seinen Job gekündigt. Seine Kollegen erscheint das als falsche Entscheidung. Zusätzlich hat er eine Scheidung hinter sich und lebt nun während der Corona Pandemie isoliert in einer kleinen Wiener Wohnung. Er braucht psychologische Unterstützung. Daraus entwickelt sich eine Beziehung zur behandelnden Psychotherapeutin und deren Mann. Sie haben eine Wohnung in der Toskana. Nachdem sie selbst viel Arbeit haben und keinen Urlaub machen können, geben sie ihm den Schlüssel, damit er dort einige Zeit wohnen kann.
Italien ist für Peter Henisch ja kein unbekanntes Land. Schon sein Buch „Mortimer und Miss Molly“ handelte hier.
Er lebt wie ein Einsiedler in der Wohnung der Wiener Freunde. Beschäftigt sich mit sich selbst. Mit Lesen und fotografieren. Trotzdem treten mehrere Personen in sein Leben. Zu Beginn ein Italiener, der ihn mit dem Wohnungsbesitzer verwechselte. Er führte ihn in die Dorfgemeinschaft ein und lud ihn auch zu sich ein. Dann ein etwas verschrobener Intellektueller, der ihm die Gärten des Ortes erklärte. Auch eine Frau trat in sein Leben. Schon bei der Ankunft half sie ihm das komplizierte Schloss der Haustür aufzusperren. Mit einer Schale Kirschen aus ihrem Garten besuchte sie ihn dann und daraus entwickelte sich eine Beziehung.
Henisch setzt sich auch mit aktuellen Problemen auseinander. So auch die Migration von Afrikanern in Italien. Er bringt solch globalen Probleme sehr anschaulich anhand von Beispielen, anhand von Personen. So etwa steht plötzlich ein afrikanischer Migrant in der Nacht mit vorgehaltener Pistole auf seiner Terrasse. Er verlangt etwas zum Trinken und zum Essen. Spielmann versorgt ihn. Da er von der Polizei verfolgt wird, versteckt er ihn. Sie leben längere Zeit zusammen. Als dann die deutsche Frau, mit der er in San Vito eine Beziehung begonnen hatte, wieder zurückkommt, stellt sich heraus, dass sie den Migranten kennt. Sie hat einmal in einem Dorf gearbeitet, wo der Bürgermeister den Migranten leerstehende Häuser zur Verfügung gestellt hat. Letztlich wurde er aber rechtlich verfolgt und auch verurteilt, obwohl er sich nicht persönlich bereichert hat, sondern den Unterstandslosen geholfen hat. Da der Afrikaner nicht auf Dauer in der Wohnung versteckt werden kann, entschließt sich die Freundin ihn nach Deutschland mitzunehmen. Sie wird ihn beim Passieren der Grenze zu Österreich und zu Deutschland im Kofferraum verstecken. Ob dieser „Transport“ gut gegangen ist bleibt im Buch offen.
Die neue Vorgangsweise der italienischen Regierung gegen Migranten wird auch anschaulich berichtet: Spielmann trifft in Siena auf eine Wahlversammlung von Frau Meloni und deren Agitation gegen Afrikaner.
Den Buchtitel bekam das Buch durch die Situation, dass der Protagonist Spielmann in seinem Einsamkeit in der italienischen Wohnung der Freunde viel fotografierte und hier vor allem den Himmel.
„Himmel mit aufgehender Sonne. Himmel mit untergehender Sonne.
Himmel mit Wolken. Wolkenloser Himmel.
Himmel mit zunehmendem Mond. Himmel mit abnehmenden Mond.
Himmel mit Sternen. Himmel ohne Sterne.
Himmel mit hellgrauen Streifen. Himmel mit dunkelgrauen Streifen.
Ein Himmel völlig vom Wind verwischt.
Wolken am unteren Rand des Bildes wie heftig strömendes Wasser.“ (Seite 227)
GRUBER, Sabine
Die Dauer der Liebe Buch
2023.
@book{GRUBER2023b,
title = {Die Dauer der Liebe},
author = {Sabine GRUBER},
year = {2023},
date = {2023-08-29},
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abstract = {GRUBER, Sabine: „Die Dauer der Liebe“, München 2023
Schreibt eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller über ein Ereignis, das persönlich emotional betroffen gemacht hatte, so wird auch der geschriebene Text anders und mit stärkerem Tiefgang als ein erzählter Roman über einen anderen Menschen. Zu so einer Kategorie gehört der Roman „Die Dauer der Liebe“. Er nennt sich zwar „Roman“, ist aber Wolfgang Fetz gewidmet, der 2022 verstarb. Dieses Ableben und die entstandene Lücke bei der Lebensgefährtin ist Thema des Buchs.
Das Paar war nicht verheiratet. Sie war bei der Familie ihres Lebensgefährten – vor allem bei dessen Mutter – nicht akzeptiert und nicht geliebt. Als er plötzlich an einem Herzinfarkt auf einer Autobahnraststätte unerwartet stirbt, wendet sich die Familie gegen sie. Sie besitzt keine Rechte, es gibt kein Testament und die Familie nimmt alles Verfügbare an sich. Auch Dinge, die eindeutig ihr gehören. Ihr bleiben keine Erinnerungsstücke. Noch vor dem Begräbnis stiehlt der Bruder des Verstorbenen aus dem Auto Unterlagen. Dass ihr Nichts zusteht kommentiert er so: „Selbst schuld, dass ihr nicht verheiratet ward. Rechtssystem sei Rechtssystem.“ (Seite 98) Scheinheilig besucht er sie in Wien und fotografiert heimlich alles in der Wohnung, um nachher darauf Anspruch zu erheben. Beim Besuch im gemeinsam erwirtschafteten Sommerhaus packt er dann gleich direkt Sachen ein und hinterlässt ein leeres Haus. Er wartet den Bescheid des Nortars gar nicht ab und bemächtigt sich schon vorher. Freunde entdecken, wie der Bruder auf einer Internetplattform Dinge des Verstorbenen anbietet. Unwissend oft zu viel zu niedrigem Preis und auch Dinge, die eindeutig ihr gehören. Selbst das Auto will die Familie haben, obwohl sowohl die Mutter als auch der Bruder gar keinen Führerschein besitzen. Als sich aber dann herausstellt, dass die Überstellung von Wien nach Innsbruck mehr kostet, als das alte Auto wert ist, verzichten sie.
Oft denkt sie, dass es besser wäre, wenn beide sterben. Der Verstorbene leidet nicht mehr, aber die Zurückgebliebene. Ihr Freund sagte einmal „Laß uns zusammen tot sein, wenn wir schon nicht zusammen sterben können.“ (Seite 38)
Alle Stadien der trauernden Frau werden beschrieben. Wie sie nach letzten Erinnerungen sucht; das Leintuch nach Haaren von ihm absucht. Sie saugt die Wohnung nicht, um nicht allerletzte „Erinnerungsstücke“ zu entsorgen. Sie trinkt zu viel. Sie durchsucht alle seine Unterlagen. Sie geht einem Verdacht nach, dass er eine Freundin gehabt haben könnte; dass er vielleicht ein Kind hat. Sie macht die Vergangenheit zu ihrer Gegenwart. Parallel dazu muss sie alles Administrative erledigen. Telefon abmelden. Auto ummelden. Freunde und Kunden vom Ableben verständigen. Selbst dem Finanzamt, das eine Einkommens- und Umsatzsteuererklärung verlangt muss sie mitteilen, dass der Steuerzahler nicht mehr lebt. Sie liest Literatur, die über Witwen und deren Verhalten berichten. Die Witwe versucht – auf Anraten einer Freundin – über eine Partnervermittlung zu einem neuen Freund und zu neuen Gedanken zu kommen. Sie will aber wirkliche Liebe und kann den verstorbenen Freund nicht aus dem Kopf und dem Herzen bekommen. Kein „Anbieter“ kann den Verstorbenen ersetzen. Auch stellt sie bald fest, dass viele Männer solche Plattformen wie ein Bordell benützen.
Es ist eine Geschichte, wie sie in vielen Familien vorkommt. Wenn es ums Erben geht, werden aus Verwandten und Freunden Gegner. Diese Familie steht nur stellvertretend.
Die vielen langatmigen Passagen zeigen aber auch auf, dass das Buch primär von der Autorin für die Autorin, eine trauernde Frau, geschrieben ist.
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Schreibt eine Schriftstellerin oder ein Schriftsteller über ein Ereignis, das persönlich emotional betroffen gemacht hatte, so wird auch der geschriebene Text anders und mit stärkerem Tiefgang als ein erzählter Roman über einen anderen Menschen. Zu so einer Kategorie gehört der Roman „Die Dauer der Liebe“. Er nennt sich zwar „Roman“, ist aber Wolfgang Fetz gewidmet, der 2022 verstarb. Dieses Ableben und die entstandene Lücke bei der Lebensgefährtin ist Thema des Buchs.
Das Paar war nicht verheiratet. Sie war bei der Familie ihres Lebensgefährten – vor allem bei dessen Mutter – nicht akzeptiert und nicht geliebt. Als er plötzlich an einem Herzinfarkt auf einer Autobahnraststätte unerwartet stirbt, wendet sich die Familie gegen sie. Sie besitzt keine Rechte, es gibt kein Testament und die Familie nimmt alles Verfügbare an sich. Auch Dinge, die eindeutig ihr gehören. Ihr bleiben keine Erinnerungsstücke. Noch vor dem Begräbnis stiehlt der Bruder des Verstorbenen aus dem Auto Unterlagen. Dass ihr Nichts zusteht kommentiert er so: „Selbst schuld, dass ihr nicht verheiratet ward. Rechtssystem sei Rechtssystem.“ (Seite 98) Scheinheilig besucht er sie in Wien und fotografiert heimlich alles in der Wohnung, um nachher darauf Anspruch zu erheben. Beim Besuch im gemeinsam erwirtschafteten Sommerhaus packt er dann gleich direkt Sachen ein und hinterlässt ein leeres Haus. Er wartet den Bescheid des Nortars gar nicht ab und bemächtigt sich schon vorher. Freunde entdecken, wie der Bruder auf einer Internetplattform Dinge des Verstorbenen anbietet. Unwissend oft zu viel zu niedrigem Preis und auch Dinge, die eindeutig ihr gehören. Selbst das Auto will die Familie haben, obwohl sowohl die Mutter als auch der Bruder gar keinen Führerschein besitzen. Als sich aber dann herausstellt, dass die Überstellung von Wien nach Innsbruck mehr kostet, als das alte Auto wert ist, verzichten sie.
Oft denkt sie, dass es besser wäre, wenn beide sterben. Der Verstorbene leidet nicht mehr, aber die Zurückgebliebene. Ihr Freund sagte einmal „Laß uns zusammen tot sein, wenn wir schon nicht zusammen sterben können.“ (Seite 38)
Alle Stadien der trauernden Frau werden beschrieben. Wie sie nach letzten Erinnerungen sucht; das Leintuch nach Haaren von ihm absucht. Sie saugt die Wohnung nicht, um nicht allerletzte „Erinnerungsstücke“ zu entsorgen. Sie trinkt zu viel. Sie durchsucht alle seine Unterlagen. Sie geht einem Verdacht nach, dass er eine Freundin gehabt haben könnte; dass er vielleicht ein Kind hat. Sie macht die Vergangenheit zu ihrer Gegenwart. Parallel dazu muss sie alles Administrative erledigen. Telefon abmelden. Auto ummelden. Freunde und Kunden vom Ableben verständigen. Selbst dem Finanzamt, das eine Einkommens- und Umsatzsteuererklärung verlangt muss sie mitteilen, dass der Steuerzahler nicht mehr lebt. Sie liest Literatur, die über Witwen und deren Verhalten berichten. Die Witwe versucht – auf Anraten einer Freundin – über eine Partnervermittlung zu einem neuen Freund und zu neuen Gedanken zu kommen. Sie will aber wirkliche Liebe und kann den verstorbenen Freund nicht aus dem Kopf und dem Herzen bekommen. Kein „Anbieter“ kann den Verstorbenen ersetzen. Auch stellt sie bald fest, dass viele Männer solche Plattformen wie ein Bordell benützen.
Es ist eine Geschichte, wie sie in vielen Familien vorkommt. Wenn es ums Erben geht, werden aus Verwandten und Freunden Gegner. Diese Familie steht nur stellvertretend.
Die vielen langatmigen Passagen zeigen aber auch auf, dass das Buch primär von der Autorin für die Autorin, eine trauernde Frau, geschrieben ist.
LEVI, Carlo
2023.
@book{LEVI2023,
title = {Christus kam bis Eboli},
author = {Carlo LEVI},
year = {2023},
date = {2023-08-24},
urldate = {2023-08-24},
abstract = {Um dem österreichischen Lesepublikum den italienischen Dichter und Maler Carlo Levi näher zu bringen, könnte man ihn mit Peter Rosegger vergleichen. Zwar lebte der Österreicher früher als Levi, dafür ist die geschilderte Landschaft und deren Bewohner in der Zeit weiter nachhinkend. Schon der Titel des Buches „Christus kam nur bis Eboli“ drückt das schon aus. Es geht hier nicht um einen theologischen Ausdruck, sondern vielmehr will man sagen, dass nicht einmal Jesus in diese entlegene Gegend in Süditalien - südöstlich von Neapel - gekommen war. Die Bewohner fühlen sich unterentwickelt und schlecht behandelt. Alles, was in der Hauptstadt in Rom entschieden wird, hat für sie keine Bedeutung. Sie mühen sich auf ihren kargen Böden der hügeligen Landschaft ab, um überleben zu können. Sie sagen von sich selbst „Wir sind keine Menschen, keine Christen, wir sind Tiere, denn Christus kam nur bis Eboli, aber nicht weiter, nicht zu uns.“ Viele von ihnen sind wegen eines besseren Lebens nach Amerika ausgewandert. Nach dem Börsenkrach im Jahr 1929 kamen die meisten von ihnen wieder zurück. Mit ihren Ersparnissen aus Amerika kauften sie Grund und Boden und waren wieder arm, weil alles zu wenig fruchtbar war.
Diese Aufzeichnungen entstanden in einem zweijährigen Aufenthalt des Arztes Carlo Levi, der als Gegner des Faschismus vom Regime in die Verbannung, in diese abgeschiedene Gegend geschickt wurde. Er durfte die Grenze des Bergdorfs nicht verlassen, musste sich täglich beim Dorfpolizisten melden und wurde laufend beobachtet. Als Arzt half er den speziell unter Malaria leidenden armen Bauern. Die beiden ortsansässigen Ärzte, die über geringe medizinische Kenntnisse verfügten, wurden eifersüchtig und zeigten Levi an. Von der Polizei wurde ihm die ärztliche Tätigkeit verboten. Die Bauern kamen aber weiter zu ihm. Anfangs unbemerkt in der Nacht. Als dann der Bürgermeister selbst für seine Tochter Hilfe brauchte, half Levi nur unter der Auflage, auch den Bauern helfen zu dürfen. Aus Angst vor der faschistischen Obrigkeit konnte der Bürgermeister das nicht erlauben, aber er tolerierte es.
Daneben geht Levi seiner künstlerischen Neigungen als Maler nach und dokumentiert die Landschaft und ihre Einwohner auf Leinwand. Als ein neuer Pfarrer ins Dorf kommt und ein Harmonium anschafft, stellt er sich sogar als Musiker zur Verfügung und begleitet die Sonntagsmesse mit Musik. Die Bauern sind begeistert und verehren ihn. Als ihm die medizinische Tätigkeit verboten wurde, kam es zu Protesten.
1935 kam der Arzt und Maler Levi in diese Gegend. Zwei Jahre blieb er. Als Italien im Krieg in Afrika Adis Abeba besiegte, wurden viele Verbannte frei gelassen. So auch Levi. 1945 wurden diese seine Aufzeichnungen als Buch auf grauem Ersatzpapier, wie es in den Nachkriegsjahren nur möglich war, gedruckt. 18 Jahre später erschien es 1963 wieder. „Christus kam nur bis Eboli“ gibt es in über 40 Sprachen.
In seinem Buch definierte Levi genau, warum es Differenzen zwischen Nord- und Süditalien gibt:
• „Es handelt sich vor allem um das Nebeneinanderbestehen von zwei vollkommen verschiedenen Kulturen, von denen keine imstande ist, sich der anderen anzugleichen. Land und Stadt, vorchristlich und christliche Kultur stehen einander gegenüber.“ (Seite 265)
• Das zweite Problem ist das wirtschaftliche. „Es ist das Elendsproblem. „Dieses Land ist allmählich verarmt; die Wälder sind abgeholzt, die Flüsse zu Wildbächen geworden, der Viehbestand ist zurückgegangen, … und überall herrscht die Malaria.“ (Seite 265)
• Und dann ist es das soziale Problem. Großgrundbesitzer verfügen über die armen Bauern, die selbst kein Land oder ein, zum Überleben zu kleines Land haben.
Der Autor wagt sogar, die heute noch zutreffende Prognose: „unter jedem Zeichen würde Italien immer in zwei feindliche Teile gespalten bleiben.“ (Seite 264)
},
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pubstate = {published},
tppubtype = {book}
}
Diese Aufzeichnungen entstanden in einem zweijährigen Aufenthalt des Arztes Carlo Levi, der als Gegner des Faschismus vom Regime in die Verbannung, in diese abgeschiedene Gegend geschickt wurde. Er durfte die Grenze des Bergdorfs nicht verlassen, musste sich täglich beim Dorfpolizisten melden und wurde laufend beobachtet. Als Arzt half er den speziell unter Malaria leidenden armen Bauern. Die beiden ortsansässigen Ärzte, die über geringe medizinische Kenntnisse verfügten, wurden eifersüchtig und zeigten Levi an. Von der Polizei wurde ihm die ärztliche Tätigkeit verboten. Die Bauern kamen aber weiter zu ihm. Anfangs unbemerkt in der Nacht. Als dann der Bürgermeister selbst für seine Tochter Hilfe brauchte, half Levi nur unter der Auflage, auch den Bauern helfen zu dürfen. Aus Angst vor der faschistischen Obrigkeit konnte der Bürgermeister das nicht erlauben, aber er tolerierte es.
Daneben geht Levi seiner künstlerischen Neigungen als Maler nach und dokumentiert die Landschaft und ihre Einwohner auf Leinwand. Als ein neuer Pfarrer ins Dorf kommt und ein Harmonium anschafft, stellt er sich sogar als Musiker zur Verfügung und begleitet die Sonntagsmesse mit Musik. Die Bauern sind begeistert und verehren ihn. Als ihm die medizinische Tätigkeit verboten wurde, kam es zu Protesten.
1935 kam der Arzt und Maler Levi in diese Gegend. Zwei Jahre blieb er. Als Italien im Krieg in Afrika Adis Abeba besiegte, wurden viele Verbannte frei gelassen. So auch Levi. 1945 wurden diese seine Aufzeichnungen als Buch auf grauem Ersatzpapier, wie es in den Nachkriegsjahren nur möglich war, gedruckt. 18 Jahre später erschien es 1963 wieder. „Christus kam nur bis Eboli“ gibt es in über 40 Sprachen.
In seinem Buch definierte Levi genau, warum es Differenzen zwischen Nord- und Süditalien gibt:
• „Es handelt sich vor allem um das Nebeneinanderbestehen von zwei vollkommen verschiedenen Kulturen, von denen keine imstande ist, sich der anderen anzugleichen. Land und Stadt, vorchristlich und christliche Kultur stehen einander gegenüber.“ (Seite 265)
• Das zweite Problem ist das wirtschaftliche. „Es ist das Elendsproblem. „Dieses Land ist allmählich verarmt; die Wälder sind abgeholzt, die Flüsse zu Wildbächen geworden, der Viehbestand ist zurückgegangen, … und überall herrscht die Malaria.“ (Seite 265)
• Und dann ist es das soziale Problem. Großgrundbesitzer verfügen über die armen Bauern, die selbst kein Land oder ein, zum Überleben zu kleines Land haben.
Der Autor wagt sogar, die heute noch zutreffende Prognose: „unter jedem Zeichen würde Italien immer in zwei feindliche Teile gespalten bleiben.“ (Seite 264)
Franzobel,
2023.
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author = {Franzobel},
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date = {2023-08-08},
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abstract = {FRANZOBEL: „Die Eroberung Amerikas“, München 2022
Es ist zwar ein anderes Thema als das letzte Buch „Das Floss der Medusa“, aber es ist ähnlich aufgebaut. Ging es beim Buch „Medusa“ um das Segelboot, das kenterte, so ist es im Amerika-Eroberungs-Buch eine Segelregatta die Florida erobern will. Das beschrieben Leben am Schiff ähnelt sehr dem anderen Buch und auch deren Charaktere. Das Überleben der Expedition an Land wird ähnlich grausig beschrieben, wie das der Gekenterten der Medusa.
Franzobel versucht dem Leser die damalige Situation zu erklären und sie in Relation zu unserem 21. Jahrhundert zu bringen. Wenn er etwa Personen beschreibt, so meint er, der oder die schaut aus wie dieser oder jener Schauspieler unserer Zeit.
Einzelne Personen der Eroberer werden mit ihren Vorgeschichten beschrieben. Viele Teilnehmer der Expedition hatten schon Abenteuer hinter sich gebracht und im Rahmen des Buches werden deren Lebensläufe erzählt. Ein junger Bursche, der von zu Hause weggelaufen ist und sich nicht mehr zurück traute heuerte auf einem Handelsschiff an, das dann von Piraten erobert wurde und er als Sklave in Afrika verkauft wird. Er flieht und wird auf diesem spanischen Schiff aufgenommen.
Die Expedition landet in Kuba. Die Frau des Leiters Ferdinand Desoto bleibt auf Kuba als Gouverneurin dieser spanischen Kolonie zurück, während ihr Mann mit einer großen Schar von Soldaten und Mitstreitern nach Florida aufbricht, um dort nach Goldvorkommen zu suchen. Sie landen in einer Bucht und brechen ins Landesinnere auf. Sie führen Pferde, Schweine, ja sogar eine Glocke für einen Kirchenneubau mit sich. Auch Missionare sind unter den Eroberern. Ihre Aufgabe ist es, die Indianer zum katholischen Glauben zu bekehren.
Es kommt zu vielen Kämpfen mit Einheimischen. Viele Menschen werden getötet, aber auch die Erobererschar wird immer kleiner.
Die Gruppe trifft auf Dörfer, die wie aus einem Fabelwesen von Franzobel beschrieben werden: Dörfer mit nur Tauben. Dörfer mit nur blinden Menschen. Orte, in denen die Frauen regieren und den Männern nur untergeordnete Rollen zugewiesen sind.
In der Stadt Baubillo kommen sie in einen Hinterhalt der Indianer. Es kommt zu sagenhaften Verlusten. Gegenseitig werden Behausungen abgebrannt. So auch die Zelte der Eroberer. Darin verbrennen auch die letzten Schätze – Perlen – die sie erbeutet hatten. Eigentlich hatten sie alles verloren und sollten umkehren, aber ihr Heerführer will nicht mit leeren Händen heimkommen und lässt weitermarschieren. Die Soldaten plündern und töten. Die Einwohnerzahl der Indianer wird aber auch durch mitgeführte Krankheiten dezimiert. Es heißt, dass die Spanier eine biologische Waffe mit sich führten, „von deren Existenz und Gefährlichkeit sie gar nichts wussten, etwa, dass Milzbrand, Brucellose, Leptospirose, Trichinose, Tuberkulose und noch so einige Chosen verbreiteten, Schneisen in die Wachstumskurve der Indianer schlug, ganze Stämme ausradierte – kein in Labors gezüchteter Virus, sondern die beweglichen Fleischkammern brachten den Tod. Schweine! Das Borstenvieh richtete unter den Einheimischen hundertmal mehr Schaden an als alle Spanier und Engländer zusammen. Diese Tiere waren für Krankheitserreger wie Reisebusse. Bereits ein paar Übertragungen an Rehe oder Rebhühner reichten, ganze Landstriche zu verseuchen.“ (Seite 363) Die Kämpfe hinterließen leere Einheimischendörfer. Die Waffen der Eroberer waren den Verteidigungseinrichtungen der Indianer überlegen. Aber auch die Eroberer erleiden Verluste. Viele sterben. Die Pferde, Schweine, Ziegen etc werden weniger. Der Mut zum Kämpfen nimmt ab. Einzelne Teilnehmer versuchen allein zurückzufinden, scheitern aber und wären fast verhungert.
Zunehmend muss auch ihr Anführer feststellen, dass diese Expedition erfolglos ist. Aus Kummer stirbt er und wird den Fluten des Mississippi, den sie erreichten übergeben. Die Mannschaft will zurück in ihre Heimat. Sie werden laufend von den Indianern angegriffen. Das Lager wird angezündet. Als sie Schiffe bauen, um so zum Meer zu kommen, werden diese von den Indios verbrannt. Ihre Kleidung wirkt immer mehr wie die der Indianer. Sie haben ihre europäische Kleidung verloren und kleiden sich jetzt in Fellen. So ziehen sie weiter. Kommen wieder zum Fluss zurück. Bauen wieder Schiffe. Ein Hochwasser treibt sie auf einen Berg, der wie eine Insel im übergelaufenen Strom stehen bleibt. Fast wären sie verhungert. Nach mehreren Wochen geht das Wasser zurück und sie können mit ihren Schiffen aufbrechen. Vier Jahre waren sie seit ihrer Ankunft in Florida im Land herumgeirrt. Jetzt wollten sie heim. Am Weg werden sie von Indianerstämmen angegriffen. Aus Booten werden sie beschossen. Der Kampf geht über mehrere Wochen. Viele sterben wieder, aber sie schaffen es bis zum Meer. Auf einer Insel erholt sich der übrig gebliebene Rest und in dieser friedlichen Situation werden wieder Indianer gesichtet. Schnell brechen sie auf und erreichen Kuba. Dort gibt es keine Gouverneurin mehr. Sie war den Anforderungen und den Aufständen der Sklaven nicht gewachsen und wurde abberufen. Die einzelnen Überlebenden versuchen ihr Glück. Manche kehren nach Spanien zurück.
Alles blieb eine Tristesse. „Was hatte die Expedition gebracht? Vierhundert tote Männer, zweihundertfünfzig tote Pferde, auch die mitgebrachten Kühe waren tot, die meisten Hühner, Ziegen, ebenso Hunde, viele Schweine …“ (Seite 498) „Eine Reise ging zu Ende, die als eine der erfolglosesten in die Geschichte eingehen sollte.“ (Seite 529)
Vieles ist sehr überzeichnend geschildert. Vieles ist erfunden. Der Autor selbst sagt in seiner Danksagung „Natürlich handelt es sich hier um einen Roman, manchmal habe ich geflunkert, und einiges ist erfunden, aber grundsätzlich wollte ich die Geschichte möglichst wahrhaftig erzählen.“ (Seite 542) ABER der Text zeigt das brutale Vorgehen der Europäer bei der Eroberung Amerikas.
Parallel zu dieser „Eroberungsgeschichte“ wird von einem Anwalt erzählt, der im Namen der Indianer eine Klage gegen den Staat Amerikas einbringt, weil die Weißen das Land der Indigenen erobert und enteignet haben. Der Prozess dauerte genauso lange wie vor einem halben Jahrtausend die Expedition: 4 ½ Jahre. Hier schlägt die Dichtung zu Buche. Der klagende Anwalt bekommt Recht. Die USA müssen das Land den Indianern zurückgegeben. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre eine Zahlung von sechshundert Billionen Dollar fällig. Da dieser Betrag von der Volkswirtschaft nicht aufgebracht werden kann, bot das Gericht folgende Lösung an: „Die USA verpflichtet sich für die nächsten vier Dekaden, den aktuell bei sechshundertfünfzig Milliarden Dollar liegenden Etat der Militärausgaben ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit fünfhundert Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen.“ (Seite 539)
Das 543 Seiten starke Buch zu lesen erfordert einiges an Anstrengung. Franzobel gesteht im Nachwort, dass der Lektor vieles verhindert hat. „Ohne sein beherztes Eingreifen wäre das Buch bestimmt doppelt so dick geworden.“ (Seite 543)
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Es ist zwar ein anderes Thema als das letzte Buch „Das Floss der Medusa“, aber es ist ähnlich aufgebaut. Ging es beim Buch „Medusa“ um das Segelboot, das kenterte, so ist es im Amerika-Eroberungs-Buch eine Segelregatta die Florida erobern will. Das beschrieben Leben am Schiff ähnelt sehr dem anderen Buch und auch deren Charaktere. Das Überleben der Expedition an Land wird ähnlich grausig beschrieben, wie das der Gekenterten der Medusa.
Franzobel versucht dem Leser die damalige Situation zu erklären und sie in Relation zu unserem 21. Jahrhundert zu bringen. Wenn er etwa Personen beschreibt, so meint er, der oder die schaut aus wie dieser oder jener Schauspieler unserer Zeit.
Einzelne Personen der Eroberer werden mit ihren Vorgeschichten beschrieben. Viele Teilnehmer der Expedition hatten schon Abenteuer hinter sich gebracht und im Rahmen des Buches werden deren Lebensläufe erzählt. Ein junger Bursche, der von zu Hause weggelaufen ist und sich nicht mehr zurück traute heuerte auf einem Handelsschiff an, das dann von Piraten erobert wurde und er als Sklave in Afrika verkauft wird. Er flieht und wird auf diesem spanischen Schiff aufgenommen.
Die Expedition landet in Kuba. Die Frau des Leiters Ferdinand Desoto bleibt auf Kuba als Gouverneurin dieser spanischen Kolonie zurück, während ihr Mann mit einer großen Schar von Soldaten und Mitstreitern nach Florida aufbricht, um dort nach Goldvorkommen zu suchen. Sie landen in einer Bucht und brechen ins Landesinnere auf. Sie führen Pferde, Schweine, ja sogar eine Glocke für einen Kirchenneubau mit sich. Auch Missionare sind unter den Eroberern. Ihre Aufgabe ist es, die Indianer zum katholischen Glauben zu bekehren.
Es kommt zu vielen Kämpfen mit Einheimischen. Viele Menschen werden getötet, aber auch die Erobererschar wird immer kleiner.
Die Gruppe trifft auf Dörfer, die wie aus einem Fabelwesen von Franzobel beschrieben werden: Dörfer mit nur Tauben. Dörfer mit nur blinden Menschen. Orte, in denen die Frauen regieren und den Männern nur untergeordnete Rollen zugewiesen sind.
In der Stadt Baubillo kommen sie in einen Hinterhalt der Indianer. Es kommt zu sagenhaften Verlusten. Gegenseitig werden Behausungen abgebrannt. So auch die Zelte der Eroberer. Darin verbrennen auch die letzten Schätze – Perlen – die sie erbeutet hatten. Eigentlich hatten sie alles verloren und sollten umkehren, aber ihr Heerführer will nicht mit leeren Händen heimkommen und lässt weitermarschieren. Die Soldaten plündern und töten. Die Einwohnerzahl der Indianer wird aber auch durch mitgeführte Krankheiten dezimiert. Es heißt, dass die Spanier eine biologische Waffe mit sich führten, „von deren Existenz und Gefährlichkeit sie gar nichts wussten, etwa, dass Milzbrand, Brucellose, Leptospirose, Trichinose, Tuberkulose und noch so einige Chosen verbreiteten, Schneisen in die Wachstumskurve der Indianer schlug, ganze Stämme ausradierte – kein in Labors gezüchteter Virus, sondern die beweglichen Fleischkammern brachten den Tod. Schweine! Das Borstenvieh richtete unter den Einheimischen hundertmal mehr Schaden an als alle Spanier und Engländer zusammen. Diese Tiere waren für Krankheitserreger wie Reisebusse. Bereits ein paar Übertragungen an Rehe oder Rebhühner reichten, ganze Landstriche zu verseuchen.“ (Seite 363) Die Kämpfe hinterließen leere Einheimischendörfer. Die Waffen der Eroberer waren den Verteidigungseinrichtungen der Indianer überlegen. Aber auch die Eroberer erleiden Verluste. Viele sterben. Die Pferde, Schweine, Ziegen etc werden weniger. Der Mut zum Kämpfen nimmt ab. Einzelne Teilnehmer versuchen allein zurückzufinden, scheitern aber und wären fast verhungert.
Zunehmend muss auch ihr Anführer feststellen, dass diese Expedition erfolglos ist. Aus Kummer stirbt er und wird den Fluten des Mississippi, den sie erreichten übergeben. Die Mannschaft will zurück in ihre Heimat. Sie werden laufend von den Indianern angegriffen. Das Lager wird angezündet. Als sie Schiffe bauen, um so zum Meer zu kommen, werden diese von den Indios verbrannt. Ihre Kleidung wirkt immer mehr wie die der Indianer. Sie haben ihre europäische Kleidung verloren und kleiden sich jetzt in Fellen. So ziehen sie weiter. Kommen wieder zum Fluss zurück. Bauen wieder Schiffe. Ein Hochwasser treibt sie auf einen Berg, der wie eine Insel im übergelaufenen Strom stehen bleibt. Fast wären sie verhungert. Nach mehreren Wochen geht das Wasser zurück und sie können mit ihren Schiffen aufbrechen. Vier Jahre waren sie seit ihrer Ankunft in Florida im Land herumgeirrt. Jetzt wollten sie heim. Am Weg werden sie von Indianerstämmen angegriffen. Aus Booten werden sie beschossen. Der Kampf geht über mehrere Wochen. Viele sterben wieder, aber sie schaffen es bis zum Meer. Auf einer Insel erholt sich der übrig gebliebene Rest und in dieser friedlichen Situation werden wieder Indianer gesichtet. Schnell brechen sie auf und erreichen Kuba. Dort gibt es keine Gouverneurin mehr. Sie war den Anforderungen und den Aufständen der Sklaven nicht gewachsen und wurde abberufen. Die einzelnen Überlebenden versuchen ihr Glück. Manche kehren nach Spanien zurück.
Alles blieb eine Tristesse. „Was hatte die Expedition gebracht? Vierhundert tote Männer, zweihundertfünfzig tote Pferde, auch die mitgebrachten Kühe waren tot, die meisten Hühner, Ziegen, ebenso Hunde, viele Schweine …“ (Seite 498) „Eine Reise ging zu Ende, die als eine der erfolglosesten in die Geschichte eingehen sollte.“ (Seite 529)
Vieles ist sehr überzeichnend geschildert. Vieles ist erfunden. Der Autor selbst sagt in seiner Danksagung „Natürlich handelt es sich hier um einen Roman, manchmal habe ich geflunkert, und einiges ist erfunden, aber grundsätzlich wollte ich die Geschichte möglichst wahrhaftig erzählen.“ (Seite 542) ABER der Text zeigt das brutale Vorgehen der Europäer bei der Eroberung Amerikas.
Parallel zu dieser „Eroberungsgeschichte“ wird von einem Anwalt erzählt, der im Namen der Indianer eine Klage gegen den Staat Amerikas einbringt, weil die Weißen das Land der Indigenen erobert und enteignet haben. Der Prozess dauerte genauso lange wie vor einem halben Jahrtausend die Expedition: 4 ½ Jahre. Hier schlägt die Dichtung zu Buche. Der klagende Anwalt bekommt Recht. Die USA müssen das Land den Indianern zurückgegeben. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre eine Zahlung von sechshundert Billionen Dollar fällig. Da dieser Betrag von der Volkswirtschaft nicht aufgebracht werden kann, bot das Gericht folgende Lösung an: „Die USA verpflichtet sich für die nächsten vier Dekaden, den aktuell bei sechshundertfünfzig Milliarden Dollar liegenden Etat der Militärausgaben ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit fünfhundert Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen.“ (Seite 539)
Das 543 Seiten starke Buch zu lesen erfordert einiges an Anstrengung. Franzobel gesteht im Nachwort, dass der Lektor vieles verhindert hat. „Ohne sein beherztes Eingreifen wäre das Buch bestimmt doppelt so dick geworden.“ (Seite 543)
SEETHALER, Robert
Das Café ohne Namen Buch
2023.
@book{SEETHALER2023,
title = {Das Café ohne Namen},
author = {Robert SEETHALER},
year = {2023},
date = {2023-07-27},
urldate = {2023-07-27},
abstract = {SEETHALER, Robert: „Das Café ohne Namen“, Berlin 2023
Seethaler entführt seine Leser in die 1960er Jahre in Wien. Das noch im Zweiten Weltkrieg geborene Waisenkind Robert Simon wächst in einem Waisenhaus auf. Nach Schulabschluss lebt er von Gelegenheitsarbeiten auf einem Wiener Markt. Als er dann ein eigenes Zimmer bei einer Witwe gemietet hat, beschließt er sich selbstständig zu machen und mietet ein aufgelassenes Gasthaus, in dem er ein Café eröffnet. Da er keinen guten Namen fand, blieb es ein „Café ohne Namen“. Gegenüber ist ein Markt, der ihm Kunden ins Lokal spült. Seethaler beschreibt die Stammkunden. Unterschiedliche Menschen. Er ist ein guter Beobachter und man folgt ihm als Leser gerne. Das Geschäft läuft gut – auch wenn er nicht reich wird - und er stellt eine Mitarbeiterin ein. Sie heiratet einen Ringkämpfer vom Heumarkt. Es ist keine einfache Ehe.
Nach zehn Jahren Kaffeehausbetrieb kommt es zu Veränderungen. Seine Zimmervermieterin, die Witwe wird dement. Sie geht oft aus und er muss sie suchen. Der Besitzer des Hauses, in dem das Café untergebracht ist, hat sich verschuldet und verkauft das Haus an eine Immobilienfirma, die es abreißen und durch einen Neubau ersetzen wird. Robert muss sein Geschäft schließen. Er organisiert ein Abschiedsfest, das bis in die Morgenstunden dauert.
Die Erzählung dreht sich ins Negative. Eine Stammkundin wird zu Grabe getragen. Eine Freundin besucht sie Am Grab. Ihre Gedanken will ich hier wiedergeben, weil sie die Schönheit der Dichtung zeigen: „Am liebsten sind mir die Margeriten. Die Margerite ist eine bescheidene Blume. Sie geht mit ihrer Schönheit nicht hausieren wie die Rose oder die Hyazinthe. Ich hab einen kleinen Strauß mitgebracht, in einem Glaserl aus Glas. Das hätte ihr bestimmt gefallen. Es ist dann alles schnell gegangen. Sie hat nicht gewollt, dass jemand spricht an ihrem Grab. Vor dem Tod gibt es keine Worte, hat sie einmal gesagt. Das finde ich nicht. An meinem Begräbnis soll geredet werden. Am besten auch gesungen. Ich wünsche mir ein Lied zum Abschied, auch wenn ich es dann selbst nicht mehr hören kann. Lieder bleiben länger als Grabsteine.“ (Seite 262)
Das Ende des Cafés kommt näher. Robert ist nicht traurig. „Zu seiner eigenen Verwunderung spürt er keine Traurigkeit.“ (Seite 270) Am letzten Tag sieht er, dass in den zehn Jahren auch der Raum alt geworden war. Abgenützt. So wie er selbst sich müde fühlt und ihm ein Ruhetag nicht mehr reichen würde.
Im letzten Kapitel besucht er seine Zimmervermieterin, die jetzt in einem Altersheim wohnt. Sie spricht nicht mehr. Trotzdem erzählt er ihr Dinge vom ehemaligen Café, so als würde es noch bestehen. Er besucht sie jeden Samstag, bringt ihr Schokolade und frische Wäsche.
Seethaler ist ein sehr guter Menschenbeobachter. Man hat am Ende des Buchs das Gefühl, selbst Gast in diesem Café gewesen zu sein. Ein Kritiker nannte den Autor einen „Augenblicksschriftsteller“. Ja, das stimmt. Er lässt keine Sekunde unbeobachtet.
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Seethaler entführt seine Leser in die 1960er Jahre in Wien. Das noch im Zweiten Weltkrieg geborene Waisenkind Robert Simon wächst in einem Waisenhaus auf. Nach Schulabschluss lebt er von Gelegenheitsarbeiten auf einem Wiener Markt. Als er dann ein eigenes Zimmer bei einer Witwe gemietet hat, beschließt er sich selbstständig zu machen und mietet ein aufgelassenes Gasthaus, in dem er ein Café eröffnet. Da er keinen guten Namen fand, blieb es ein „Café ohne Namen“. Gegenüber ist ein Markt, der ihm Kunden ins Lokal spült. Seethaler beschreibt die Stammkunden. Unterschiedliche Menschen. Er ist ein guter Beobachter und man folgt ihm als Leser gerne. Das Geschäft läuft gut – auch wenn er nicht reich wird - und er stellt eine Mitarbeiterin ein. Sie heiratet einen Ringkämpfer vom Heumarkt. Es ist keine einfache Ehe.
Nach zehn Jahren Kaffeehausbetrieb kommt es zu Veränderungen. Seine Zimmervermieterin, die Witwe wird dement. Sie geht oft aus und er muss sie suchen. Der Besitzer des Hauses, in dem das Café untergebracht ist, hat sich verschuldet und verkauft das Haus an eine Immobilienfirma, die es abreißen und durch einen Neubau ersetzen wird. Robert muss sein Geschäft schließen. Er organisiert ein Abschiedsfest, das bis in die Morgenstunden dauert.
Die Erzählung dreht sich ins Negative. Eine Stammkundin wird zu Grabe getragen. Eine Freundin besucht sie Am Grab. Ihre Gedanken will ich hier wiedergeben, weil sie die Schönheit der Dichtung zeigen: „Am liebsten sind mir die Margeriten. Die Margerite ist eine bescheidene Blume. Sie geht mit ihrer Schönheit nicht hausieren wie die Rose oder die Hyazinthe. Ich hab einen kleinen Strauß mitgebracht, in einem Glaserl aus Glas. Das hätte ihr bestimmt gefallen. Es ist dann alles schnell gegangen. Sie hat nicht gewollt, dass jemand spricht an ihrem Grab. Vor dem Tod gibt es keine Worte, hat sie einmal gesagt. Das finde ich nicht. An meinem Begräbnis soll geredet werden. Am besten auch gesungen. Ich wünsche mir ein Lied zum Abschied, auch wenn ich es dann selbst nicht mehr hören kann. Lieder bleiben länger als Grabsteine.“ (Seite 262)
Das Ende des Cafés kommt näher. Robert ist nicht traurig. „Zu seiner eigenen Verwunderung spürt er keine Traurigkeit.“ (Seite 270) Am letzten Tag sieht er, dass in den zehn Jahren auch der Raum alt geworden war. Abgenützt. So wie er selbst sich müde fühlt und ihm ein Ruhetag nicht mehr reichen würde.
Im letzten Kapitel besucht er seine Zimmervermieterin, die jetzt in einem Altersheim wohnt. Sie spricht nicht mehr. Trotzdem erzählt er ihr Dinge vom ehemaligen Café, so als würde es noch bestehen. Er besucht sie jeden Samstag, bringt ihr Schokolade und frische Wäsche.
Seethaler ist ein sehr guter Menschenbeobachter. Man hat am Ende des Buchs das Gefühl, selbst Gast in diesem Café gewesen zu sein. Ein Kritiker nannte den Autor einen „Augenblicksschriftsteller“. Ja, das stimmt. Er lässt keine Sekunde unbeobachtet.
SAUTNER, Thomas
Fremdes Land Buch
2023.
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author = {Thomas SAUTNER},
year = {2023},
date = {2023-07-23},
abstract = {SAUTNER, Thomas: „Fremdes Land“, Berlin 2011
Jack, der Hauptproponent des Romans, stellt seinen Wecker nach dem Einschlafen, dass er nach einer halben Stunde wieder läutet. Er macht das, weil man vor dem Aufwachen wirre und schöne Träume hat. Er ist „Traumsüchtig“ und macht diesen Vorgang in einer Nacht mehrmals. So wie andere Rauschgift konsumieren, gibt er sich seinen Träumen hin. Er ist ein aufstrebender junger Mann, der Assistent eines Parteivorsitzenden. Durch den Rücktritt des Präsidenten von der regierenden Partei gewinnt seine Partei die Wahl. Sein Chef wird Präsident und er sein Stabschef. Er wollte Kabinettschef werden, doch er wurde vor die Tatsache gestellt, dass das die Funktion eines Beamten – in diesem Fall einer Beamtin, einer Gräfin – ist. Die Beamten sind es, die die Kontinuität bestimmen. Eigentlich ist den neu gewählten Politikern nicht viel Freiraum geblieben. Sie sind von den Beamten abhängig. In diesem Sinne ist es gar kein Science-Fiction Roman, denn in dieser Beziehung ist auch unsere heutige Staatsgewalt so. Mir fällt die Aussage eines pensionierten Sektionschefs ein, der sagte „Ich habe immer dasselbe getan. Ich habe mehreren Ministern gedient. Sie kamen von verschiedenen Parteien. Einer kündigte an, dass er mich kündigen werde. Als er merkte, dass er mich braucht, wurden wir zu Freunden und ich habe weitergearbeitet wie zuvor.“
Der Staat, den der Schriftsteller Sautner hier beschreibt, ist ein sehr überwachter. Eigentlich eine Kopie des heutigen Chinas. Viele Kameras, Kontrollen, Security und andere Überwachungseinrichtungen. Gutes – was immer die Regierung unter „gut“ verstand wurde belohnt und bei „schlechten“ Taten bekam der betroffene Staatsbürger Negativpunkte, die sein Leben einschränkte. Der letzte Bankomat wird abmontiert. Niemand verwendete mehr Bargeld und wer es wollte, musste es mit einem Antrag in einer Zentralbank beheben.
Jack kommt aus einer ländlichen Gegend, wo die Kontrolle noch nicht flächendeckend ist. Seine Schwester ist das Gegenteil von ihm. Er versucht der Vorzugsschüler zu sein und war es auch: hat in kürzester Zeit studiert, einen Job bekommen, keine Freundin oder Frau. Alle Energie widmete er seinem Beruf, wo er Karriere machte. Seine Schwester dagegen ist eine Studienabbrecherin und wechselte oft den Job. Arbeiten, bei denen sie wenig verdiente. Letztlich landete sie in einer Altenbetreuung. Bei den Eltern am Land kommen sie wieder zusammen und haben sich eigentlich wenig zu sagen; zu verschieden sind sie geworden. Eines wurde ihm bei dieser Diskussion aber bewusst, dass er seine Funktion nicht – wie geschworen – für das Wohl des Volkes tat, sondern für seine eigene Karriere.
Die ohnehin schon stark technisierte Welt wird unter der neuen politischen Führung weiter intensiviert. Treibender Faktor dabei ist die Wirtschaft. Der Staat ist eigentlich bankrott und braucht für Vorhaben die boomende Wirtschaft und die stellt Forderungen. So wird die Implantierung von Chips eingeführt, mit denen man nicht nur weiß wer wo ist, sondern auch feststellen kann was er / sie denkt. (Ein Science-Fiction Ansatz des Buchs). Der Industrievertreter erklärt dem Präsidenten „stellen sie sich vor, der Staat würde neben den Gedanken-Chips auch die Mind-Changer einsetzen. Welche Möglichkeiten sich auftun würden. … Man könnte die Menschen in ihrer Gesamtheit erhöhen, sie von ihren dunklen Gedanken völlig und für immer befreien sowie ihnen ermöglichen, zu bedingungslos sozialen, gutherzigen Wesen zu werden. … Man könnte die Welt verbessern.“ (Seite 143) Der Industrievertreter geht noch einen Schritt weiter und meint, dass es Unverantwortlich sei Wahlen zuzulassen, weil ohnehin niemand eine eigene Meinung habe. Man solle nur die Opposition wählen lassen. Also alle, die wählen gehen, sind Opposition; alle anderen stimmen der Arbeit der Regierung zu. Die Stimmung im Volk wurde mit Meinungsbefragungen durchgeführt. Die Kabinettschefin sagt aus ihrer Erfahrung heraus, dass jede Volksbefragung im Sinne der Regierung ausging. Man holte sich negative und positive Zusagen, die aber immer im Sinne der Politik waren. Durch die Formulierung der Fragen steuerte man auf das gewünschte Ergebnis zu.
Dann kommt ein gewagter Teil: der Ausbruch eines Vulkans im Westen Amerikas wird prognostiziert. Der Vulkan würde die Hälfte Amerikas vernichten und die Hierarchie der Erde würde sich zu Gunsten Chinas, Russlands und der arabischen Welt ändern. Auch Europa würde wieder an Bedeutung gewinnen. Es gäbe schlagartig weniger Menschen auf der Erde und die Anstrengungen der Klimaerwärmung würden hinfällig. Die Aschewolke des Vulkans würde auch die Sonneneinstrahlung reduzieren und die Temperaturen würden fallen.
Der Romanschreiber kommt wieder zu Wort, als sich herausstellt, dass die Schwester für eine oppositionelle Organisation arbeitet, verhaftet und zum Tod verurteilt wird. Jack versucht sie zu überzeugen und ein positives Geständnis abzulegen, um so nicht getötet zu werden. Man würde ihr einen Chip einpflanzen, der ihre Haltung verändern würde. Sie lehnt es ab. Jack besucht den Vater, damit er mit ihm zur Schwester fährt und sie zur Implantierung überredet. Das Gegenteil passiert. Der Vater deklariert sich selbst als Oppositioneller. Jack verzweifelt und zweifelt an sich selbst. Da er den Gedankenlesenden Chip schon implantiert hat, stellt das System fest, dass er gefährlich wird und man arrestiert ihn ebenfalls. Parallel dazu wird auch der Vater inhaftiert. Man las die Gehirne der Betroffenen aus. Im Gefängnis treffen die Geschwister nochmals zusammen. Ein alternativ denkender Arzt hatte der Schwester heimlich eine Injektion gegeben, die ihre Meinung änderte und sie nun bereit ist den Chip einpflanzen zu lassen. Es ist Silvester, das Jahresende, als die Geschwister zusammenkommen. Der Bruder fragt die Schwester „`Hast du einen Neujahrswunsch, Gwendolyn?´ Seine Schwester kniff vergnügt die Augen zusammen, spitzte nachdenklich die Lippen. `Eigentlich´ sagt sie nach einer kleinen Weile und lächelt befreit, `bin ich wunschlos glücklich. Einfach wunschlos glücklich! Und du Jack? Was wünschst du dir von der Zukunft?´“ (letzte Seite des Buchs: 250)
Der Romanschreiber lässt den Ausgang offen.
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Jack, der Hauptproponent des Romans, stellt seinen Wecker nach dem Einschlafen, dass er nach einer halben Stunde wieder läutet. Er macht das, weil man vor dem Aufwachen wirre und schöne Träume hat. Er ist „Traumsüchtig“ und macht diesen Vorgang in einer Nacht mehrmals. So wie andere Rauschgift konsumieren, gibt er sich seinen Träumen hin. Er ist ein aufstrebender junger Mann, der Assistent eines Parteivorsitzenden. Durch den Rücktritt des Präsidenten von der regierenden Partei gewinnt seine Partei die Wahl. Sein Chef wird Präsident und er sein Stabschef. Er wollte Kabinettschef werden, doch er wurde vor die Tatsache gestellt, dass das die Funktion eines Beamten – in diesem Fall einer Beamtin, einer Gräfin – ist. Die Beamten sind es, die die Kontinuität bestimmen. Eigentlich ist den neu gewählten Politikern nicht viel Freiraum geblieben. Sie sind von den Beamten abhängig. In diesem Sinne ist es gar kein Science-Fiction Roman, denn in dieser Beziehung ist auch unsere heutige Staatsgewalt so. Mir fällt die Aussage eines pensionierten Sektionschefs ein, der sagte „Ich habe immer dasselbe getan. Ich habe mehreren Ministern gedient. Sie kamen von verschiedenen Parteien. Einer kündigte an, dass er mich kündigen werde. Als er merkte, dass er mich braucht, wurden wir zu Freunden und ich habe weitergearbeitet wie zuvor.“
Der Staat, den der Schriftsteller Sautner hier beschreibt, ist ein sehr überwachter. Eigentlich eine Kopie des heutigen Chinas. Viele Kameras, Kontrollen, Security und andere Überwachungseinrichtungen. Gutes – was immer die Regierung unter „gut“ verstand wurde belohnt und bei „schlechten“ Taten bekam der betroffene Staatsbürger Negativpunkte, die sein Leben einschränkte. Der letzte Bankomat wird abmontiert. Niemand verwendete mehr Bargeld und wer es wollte, musste es mit einem Antrag in einer Zentralbank beheben.
Jack kommt aus einer ländlichen Gegend, wo die Kontrolle noch nicht flächendeckend ist. Seine Schwester ist das Gegenteil von ihm. Er versucht der Vorzugsschüler zu sein und war es auch: hat in kürzester Zeit studiert, einen Job bekommen, keine Freundin oder Frau. Alle Energie widmete er seinem Beruf, wo er Karriere machte. Seine Schwester dagegen ist eine Studienabbrecherin und wechselte oft den Job. Arbeiten, bei denen sie wenig verdiente. Letztlich landete sie in einer Altenbetreuung. Bei den Eltern am Land kommen sie wieder zusammen und haben sich eigentlich wenig zu sagen; zu verschieden sind sie geworden. Eines wurde ihm bei dieser Diskussion aber bewusst, dass er seine Funktion nicht – wie geschworen – für das Wohl des Volkes tat, sondern für seine eigene Karriere.
Die ohnehin schon stark technisierte Welt wird unter der neuen politischen Führung weiter intensiviert. Treibender Faktor dabei ist die Wirtschaft. Der Staat ist eigentlich bankrott und braucht für Vorhaben die boomende Wirtschaft und die stellt Forderungen. So wird die Implantierung von Chips eingeführt, mit denen man nicht nur weiß wer wo ist, sondern auch feststellen kann was er / sie denkt. (Ein Science-Fiction Ansatz des Buchs). Der Industrievertreter erklärt dem Präsidenten „stellen sie sich vor, der Staat würde neben den Gedanken-Chips auch die Mind-Changer einsetzen. Welche Möglichkeiten sich auftun würden. … Man könnte die Menschen in ihrer Gesamtheit erhöhen, sie von ihren dunklen Gedanken völlig und für immer befreien sowie ihnen ermöglichen, zu bedingungslos sozialen, gutherzigen Wesen zu werden. … Man könnte die Welt verbessern.“ (Seite 143) Der Industrievertreter geht noch einen Schritt weiter und meint, dass es Unverantwortlich sei Wahlen zuzulassen, weil ohnehin niemand eine eigene Meinung habe. Man solle nur die Opposition wählen lassen. Also alle, die wählen gehen, sind Opposition; alle anderen stimmen der Arbeit der Regierung zu. Die Stimmung im Volk wurde mit Meinungsbefragungen durchgeführt. Die Kabinettschefin sagt aus ihrer Erfahrung heraus, dass jede Volksbefragung im Sinne der Regierung ausging. Man holte sich negative und positive Zusagen, die aber immer im Sinne der Politik waren. Durch die Formulierung der Fragen steuerte man auf das gewünschte Ergebnis zu.
Dann kommt ein gewagter Teil: der Ausbruch eines Vulkans im Westen Amerikas wird prognostiziert. Der Vulkan würde die Hälfte Amerikas vernichten und die Hierarchie der Erde würde sich zu Gunsten Chinas, Russlands und der arabischen Welt ändern. Auch Europa würde wieder an Bedeutung gewinnen. Es gäbe schlagartig weniger Menschen auf der Erde und die Anstrengungen der Klimaerwärmung würden hinfällig. Die Aschewolke des Vulkans würde auch die Sonneneinstrahlung reduzieren und die Temperaturen würden fallen.
Der Romanschreiber kommt wieder zu Wort, als sich herausstellt, dass die Schwester für eine oppositionelle Organisation arbeitet, verhaftet und zum Tod verurteilt wird. Jack versucht sie zu überzeugen und ein positives Geständnis abzulegen, um so nicht getötet zu werden. Man würde ihr einen Chip einpflanzen, der ihre Haltung verändern würde. Sie lehnt es ab. Jack besucht den Vater, damit er mit ihm zur Schwester fährt und sie zur Implantierung überredet. Das Gegenteil passiert. Der Vater deklariert sich selbst als Oppositioneller. Jack verzweifelt und zweifelt an sich selbst. Da er den Gedankenlesenden Chip schon implantiert hat, stellt das System fest, dass er gefährlich wird und man arrestiert ihn ebenfalls. Parallel dazu wird auch der Vater inhaftiert. Man las die Gehirne der Betroffenen aus. Im Gefängnis treffen die Geschwister nochmals zusammen. Ein alternativ denkender Arzt hatte der Schwester heimlich eine Injektion gegeben, die ihre Meinung änderte und sie nun bereit ist den Chip einpflanzen zu lassen. Es ist Silvester, das Jahresende, als die Geschwister zusammenkommen. Der Bruder fragt die Schwester „`Hast du einen Neujahrswunsch, Gwendolyn?´ Seine Schwester kniff vergnügt die Augen zusammen, spitzte nachdenklich die Lippen. `Eigentlich´ sagt sie nach einer kleinen Weile und lächelt befreit, `bin ich wunschlos glücklich. Einfach wunschlos glücklich! Und du Jack? Was wünschst du dir von der Zukunft?´“ (letzte Seite des Buchs: 250)
Der Romanschreiber lässt den Ausgang offen.
FRANZOBEL,
Das Floss der Medusa Buch
2023.
@book{FRANZOBEL2023b,
title = {Das Floss der Medusa},
author = {FRANZOBEL},
year = {2023},
date = {2023-07-18},
urldate = {2023-07-18},
abstract = {FRANZOBEL: „Das Floss der Medusa“, München 2019
Ich habe selten so ein grausiges Buch gelesen, wie dieses. ABER, es ist großartig geschrieben. Eigentlich eine einfache Handlung, die man in wenigen Sätzen beschreiben könnte: Anfang des 19. Jahrhunderts fährt ein Schiff von Frankreich nach Afrika. Die Reisenden erwarten sich von ihrem Ziel Senegal ein neues und schöneres Leben. Der Kapitän wurde auf Grund seines politischen Engagements bestellt und hat keine Erfahrung. Das Schiff läuft mitten im Meer auf eine Sandbank auf. Es hat zu wenige Rettungsboote. Die „Privilegierten“ beanspruchen das. Von den 400 Passagieren blieben 150 am Unglücksboot zurück. Sie bauten sich ein Floss. Es sollte von den Ruderbooten gezogen werden. Um schneller voranzukommen, löste ein Offizier das Abschleppseil und das Floss trieb steuerungslos im Meer. 13 Tage ohne Essen und Trinken. Menschliche Umgangsformen und Gesetze wurden in dieser Notfallssituation ausgeblendet. Jeder kämpfte ums Überleben. Es gab ein gegenseitiges Abschlachten und letztlich aßen die letzten das Fleisch der Verstorbenen. Nur jeder Zehnte überlebte. Die Rettungsbootinsassen kamen an ihr Ziel und erzählten von ihren Geschehnissen positiv. Das Floss wurde verschwiegen. Aber auch die wurden gefunden und kamen geschunden am Ziel an. Sie wurden wenig beachtet. Der Schiffsarzt, der das informelle Kommando am Floss hatte, schrieb alles auf. Es wurde veröffentlicht. Der zuständige Marineminister degradierte ihn darauf. Letztendlich setzte sich die Wahrheit durch und der unfähige Kapitän wurde verurteilt.
Franzobel versteht es aber alle Situation sehr detailgenau zu beschreiben, als wäre er selbst dabei gewesen und als hätte er vor 150 Jahren gelebt und beschreibt die Geschichte auf 600 Seiten. Als die Entscheidung fiel, das Schiff zu verlassen und mit den Rettungsbooten Land zu erreichen begann ein Kampf um die Plätze und jene, die mitkamen wollten noch viele Dinge mitnehme. „Sie hatten, einem niedrigen Instinkt folgend, damit begonnen, ihre Habseligkeiten an Deck zu bringen. Überall wurden Taschen, Bündel und Kisten abgestellt.“ (Seite 295) Der neue Gouverneur von Senegal wollte sogar eine Guillotine mitnehmen. Die Menschen klammerten sich an ihr Gepäck, das aber letztlich zurückbleiben musste.
Der Fokus des Buchs lag bei den Passagieren am Floss. Sie schlachteten sich gegenseitig ab, um zu überleben. Als es voll besetzt war, stand den Menschen das Wasser bis zu den Knien. Erst mit weniger Gewicht und dem Sterben von Mitreisenden, die ins Wasser geworfen wurden, kamen sie auch ins Trockene. Die Auseinandersetzungen waren sehr brutal und ich will hier keine Details widergeben. Sie wären für Jugendliche und schwache Nerven nicht zumutbar. Es gab nichts zu essen. Der eigene Urin wurde getrunken. Sterbende filetiert. Sogar die Eiterwimmerl eines Matrosen wurden aufgedrückt und gegessen. Dabei handelte es sich bei den Leichenfressern um ganz normale Menschen aus den verschiedensten Berufsgruppen und verschiedenen Religionen. Als sie nur mehr 15 waren, stellten sie sich die Frage, ob sie die Stärksten seien.
Auch wenn viele gerettet wurden, waren sie andere Menschen. Einige verdrängten die Geschehnisse, andere wurden verrückt.
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Ich habe selten so ein grausiges Buch gelesen, wie dieses. ABER, es ist großartig geschrieben. Eigentlich eine einfache Handlung, die man in wenigen Sätzen beschreiben könnte: Anfang des 19. Jahrhunderts fährt ein Schiff von Frankreich nach Afrika. Die Reisenden erwarten sich von ihrem Ziel Senegal ein neues und schöneres Leben. Der Kapitän wurde auf Grund seines politischen Engagements bestellt und hat keine Erfahrung. Das Schiff läuft mitten im Meer auf eine Sandbank auf. Es hat zu wenige Rettungsboote. Die „Privilegierten“ beanspruchen das. Von den 400 Passagieren blieben 150 am Unglücksboot zurück. Sie bauten sich ein Floss. Es sollte von den Ruderbooten gezogen werden. Um schneller voranzukommen, löste ein Offizier das Abschleppseil und das Floss trieb steuerungslos im Meer. 13 Tage ohne Essen und Trinken. Menschliche Umgangsformen und Gesetze wurden in dieser Notfallssituation ausgeblendet. Jeder kämpfte ums Überleben. Es gab ein gegenseitiges Abschlachten und letztlich aßen die letzten das Fleisch der Verstorbenen. Nur jeder Zehnte überlebte. Die Rettungsbootinsassen kamen an ihr Ziel und erzählten von ihren Geschehnissen positiv. Das Floss wurde verschwiegen. Aber auch die wurden gefunden und kamen geschunden am Ziel an. Sie wurden wenig beachtet. Der Schiffsarzt, der das informelle Kommando am Floss hatte, schrieb alles auf. Es wurde veröffentlicht. Der zuständige Marineminister degradierte ihn darauf. Letztendlich setzte sich die Wahrheit durch und der unfähige Kapitän wurde verurteilt.
Franzobel versteht es aber alle Situation sehr detailgenau zu beschreiben, als wäre er selbst dabei gewesen und als hätte er vor 150 Jahren gelebt und beschreibt die Geschichte auf 600 Seiten. Als die Entscheidung fiel, das Schiff zu verlassen und mit den Rettungsbooten Land zu erreichen begann ein Kampf um die Plätze und jene, die mitkamen wollten noch viele Dinge mitnehme. „Sie hatten, einem niedrigen Instinkt folgend, damit begonnen, ihre Habseligkeiten an Deck zu bringen. Überall wurden Taschen, Bündel und Kisten abgestellt.“ (Seite 295) Der neue Gouverneur von Senegal wollte sogar eine Guillotine mitnehmen. Die Menschen klammerten sich an ihr Gepäck, das aber letztlich zurückbleiben musste.
Der Fokus des Buchs lag bei den Passagieren am Floss. Sie schlachteten sich gegenseitig ab, um zu überleben. Als es voll besetzt war, stand den Menschen das Wasser bis zu den Knien. Erst mit weniger Gewicht und dem Sterben von Mitreisenden, die ins Wasser geworfen wurden, kamen sie auch ins Trockene. Die Auseinandersetzungen waren sehr brutal und ich will hier keine Details widergeben. Sie wären für Jugendliche und schwache Nerven nicht zumutbar. Es gab nichts zu essen. Der eigene Urin wurde getrunken. Sterbende filetiert. Sogar die Eiterwimmerl eines Matrosen wurden aufgedrückt und gegessen. Dabei handelte es sich bei den Leichenfressern um ganz normale Menschen aus den verschiedensten Berufsgruppen und verschiedenen Religionen. Als sie nur mehr 15 waren, stellten sie sich die Frage, ob sie die Stärksten seien.
Auch wenn viele gerettet wurden, waren sie andere Menschen. Einige verdrängten die Geschehnisse, andere wurden verrückt.
von SCHIRACH, Ferdinand
2023.
@book{vonSCHIRACH2023,
title = {Die Würde ist antastbar},
author = {Ferdinand von SCHIRACH},
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date = {2023-07-09},
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abstract = {SCHIRACH, Ferdinand von: „Die Würde ist antastbar“, München 2017
Das deutsche Grundgesetz beginnt mit dem Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das heißt ein Menschenleben kann man nicht gegen ein anderes einsetzen. Obwohl die derzeitigen Regierungen dieses Grundgesetz aufweichen. Der amerikanische Präsident Obama freute sich, als einer der Terroristen erschossen wurde. Vier Seemänner kamen in Seenot. Um zu überleben, töteten sie den jüngsten unter ihnen und aßen ihn auf. So überlebten sie. Von einem englischen Gericht wurden sie dafür zum Tod verurteilt, wobei der Richter eine Begnadigung empfahl. Nach sechs Wochen kamen sie frei. Kant sagte, der Mensch könne sich seine eigenen moralischen Gesetze geben. Er sei Subjekt und nicht wie die Tiere ein Objekt. Kinder und Behinderte zählte er nicht zu den vernünftigen Menschen. Sie waren nur Objekte. 1985 unterschied der Rechtswissenschaftler Günther Jakobs zwischen Feindstrafrecht und Bürgerstrafrecht. Alle Menschen, die die Gesellschaft verlassen sollen Feinde sein. Sie schaden der Gesellschaft.
Im Kapitel „Weil wir nicht anders können“ zeigt der Autor auf, dass repräsentative Demokratien viele Nachteile haben und kompliziert sind. Randgruppen und Minderheiten bekommen ein starkes Stimmrecht und Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass nicht Repräsentanten der Gesellschaft bestimmen, sondern immer alle Menschen. Das findet Schirach nicht umsetzbar. Würde man die Menschen fragen, ob Schokolade gratis sein soll, würde die Mehrheit das verlangen. Meinungsbefragungen zeigen dies ebenfalls. Nicht durchführbare Dinge bekommen eine Mehrheit bei diesen „Abstimmungen“. So könnte eine Gesellschaft nicht geführt werden.
Mit „Du bist, wer du bist“ rechtfertigt er sich für seinen Großvater, der ein überzeugter Nazi war und nach dem Krieg lange im Gefängnis saß. In seiner Schulklasse saßen die Nachkommen von Juden, Nazis und Widerstandskämpfern nebeneinander. Die Buben waren aber einer Ansicht. Sie konnten nichts für ihre Vorfahren.
Im Essay über das Rauchen und dessen Verbot („Reine Menschen, reine Luft“) zeigt der Autor als Jurist die Nachteile von gesetzlichen Einschränkungen auf. Auch Volksentscheide hält er nicht für sinnvoll: „Ich mag Volksentscheide nicht, sie scheinen unserer Demokratie fremd. Es gibt keine Schwarmintelligenz bei politischen Einzelabstimmungen, jedenfalls hat es sie früher nie gegeben. Und die neuen Nichtrauchergesetze offenbaren ein Fehlverständnis von Demokratie: Es geht eben nicht nur darum, dass gemacht wird, was die Mehrheit sagt – es geht auch um Nischen für die Minderheiten.“ (Seite 92)
Im Kapitel „Vergessene Gummistiefel“ geht es um Sicherungsverwahrung und das Recht Menschen wegzusperren, ohne sie verurteilt zu haben. Der Europäische Gerichtshof hat 2009 dagegen gestimmt. Es darf keine Strafe ohne Gesetze geben. Schon in seinem Buch „Das Geständnis“ befasste er sich mit dem Thema des erzwungenen Geständnisses durch Folter. In einem Essay führt er wieder aus, dass festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden dürfen. Für Polizisten, die das trotzdem tun verlangt er eine mehrjährige Gefängnisstrafe, Entlassung aus dem Dienst und Streichung der Pension. Im Buch wird ein Beispiel gezeigt, indem der Täter zwar die Tat begangen hat, aber das Geständnis durch Folter erzwungen wurde und daher ungültig sei.
In einem eigenen Kapitel wird dem iPad eine Lobeshymne gewidmet und dass er die Zukunft des Lesens sein wird. Und am Ende erzählt Schirach von seiner Jugend in einem Klosterinternat.
Es ist ein Buch mit Kurzgeschichten, Essays. Verlage publizieren von berühmt gewordenen Dichtern auch literarische „Abfallprodukte“. Aber auch die geben Einblick in die Arbeitsweise und Denkweise des Dichters. So auch dieses Buch. Manches ist nicht so besonders gut, aber anderes sticht wieder durch Brillanz hervor. So das Essay „Verfahren als Strafe“. Darin geht es um die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften. Es war für mich die beste Geschichte des Buchs. Eigentlich hätte ich sie in dieser, meiner Rezension gleich zu Beginn erwähnen sollen, aber auch der Schluss eines Manuskripts wird so interessiert gelesen, wie der Beginn. Es ist auch ein aktuelles Thema, weil heute oft Personen, gegen die erst ein Verdacht besteht und ein Verfahren eingeleitet wird in den Medien vorverurteilend berichtet wird. Manchmal erfahren die Beschuldigten erst aus den Medien, dass gegen sie ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wurde. Schirach meint „Das Verhältnis von Justiz und Presse hat sich verändert. Früher sah man immer nur einen ordentlichen Polizisten und einen älteren Staatsanwalt mit Goldbrille im Fernsehen, beide sagten mit todernstem Gesicht „Weiträumig absperren und lückenlos aufklären“. Das war beruhigend. Heute meinen die Strafverfolger, sie müssen medial präsent sein.“ (Seite 84)
Im Strafrecht gibt es nur eine Partei und die ist der Strafverteidiger. Die Staatsanwaltschaft dagegen muss objektiv sein, ausgleichend und gerecht wie ein Gericht. „Sie ist unparteiisch, sie ermittelt für und gegen den Beschuldigten, nichts anderes ist ihr gesetzlicher Auftrag. Früher wurde sie sogar die „objektivste Behörde der Welt“ genannt.“ (Seite 85) Für das Gesetz ist der Angeklagte unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Durch frühzeitige Veröffentlichungen werden die Beschuldigten heute oft an den Pranger gestellt. Schon im Mittelalter hat man Menschen an den Pranger gestellt und die Öffentlichkeit konnte sie beschimpfen und bespucken, ABER sie wurden NACH einer Verurteilung geprangert. Heute braucht man oft kein Urteil mehr: eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft stellt den Beschuldigten an den Pranger der Öffentlichkeit. Dass die Staatsanwaltschaft neutral agieren muss, ist heute oft in Vergessenheit geraten. Verteidiger und Staatsanwaltschaft stehen sich als Gegner gegenüber. Schirach schließt dieses Essay mit der Erkenntnis, dass „Staatsanwälte und Richter in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben.“ (Seite 88) Allein dieses Essay ist es wert, das vorliegende Buch zu lesen.
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Das deutsche Grundgesetz beginnt mit dem Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das heißt ein Menschenleben kann man nicht gegen ein anderes einsetzen. Obwohl die derzeitigen Regierungen dieses Grundgesetz aufweichen. Der amerikanische Präsident Obama freute sich, als einer der Terroristen erschossen wurde. Vier Seemänner kamen in Seenot. Um zu überleben, töteten sie den jüngsten unter ihnen und aßen ihn auf. So überlebten sie. Von einem englischen Gericht wurden sie dafür zum Tod verurteilt, wobei der Richter eine Begnadigung empfahl. Nach sechs Wochen kamen sie frei. Kant sagte, der Mensch könne sich seine eigenen moralischen Gesetze geben. Er sei Subjekt und nicht wie die Tiere ein Objekt. Kinder und Behinderte zählte er nicht zu den vernünftigen Menschen. Sie waren nur Objekte. 1985 unterschied der Rechtswissenschaftler Günther Jakobs zwischen Feindstrafrecht und Bürgerstrafrecht. Alle Menschen, die die Gesellschaft verlassen sollen Feinde sein. Sie schaden der Gesellschaft.
Im Kapitel „Weil wir nicht anders können“ zeigt der Autor auf, dass repräsentative Demokratien viele Nachteile haben und kompliziert sind. Randgruppen und Minderheiten bekommen ein starkes Stimmrecht und Aufmerksamkeit. Sie wollen, dass nicht Repräsentanten der Gesellschaft bestimmen, sondern immer alle Menschen. Das findet Schirach nicht umsetzbar. Würde man die Menschen fragen, ob Schokolade gratis sein soll, würde die Mehrheit das verlangen. Meinungsbefragungen zeigen dies ebenfalls. Nicht durchführbare Dinge bekommen eine Mehrheit bei diesen „Abstimmungen“. So könnte eine Gesellschaft nicht geführt werden.
Mit „Du bist, wer du bist“ rechtfertigt er sich für seinen Großvater, der ein überzeugter Nazi war und nach dem Krieg lange im Gefängnis saß. In seiner Schulklasse saßen die Nachkommen von Juden, Nazis und Widerstandskämpfern nebeneinander. Die Buben waren aber einer Ansicht. Sie konnten nichts für ihre Vorfahren.
Im Essay über das Rauchen und dessen Verbot („Reine Menschen, reine Luft“) zeigt der Autor als Jurist die Nachteile von gesetzlichen Einschränkungen auf. Auch Volksentscheide hält er nicht für sinnvoll: „Ich mag Volksentscheide nicht, sie scheinen unserer Demokratie fremd. Es gibt keine Schwarmintelligenz bei politischen Einzelabstimmungen, jedenfalls hat es sie früher nie gegeben. Und die neuen Nichtrauchergesetze offenbaren ein Fehlverständnis von Demokratie: Es geht eben nicht nur darum, dass gemacht wird, was die Mehrheit sagt – es geht auch um Nischen für die Minderheiten.“ (Seite 92)
Im Kapitel „Vergessene Gummistiefel“ geht es um Sicherungsverwahrung und das Recht Menschen wegzusperren, ohne sie verurteilt zu haben. Der Europäische Gerichtshof hat 2009 dagegen gestimmt. Es darf keine Strafe ohne Gesetze geben. Schon in seinem Buch „Das Geständnis“ befasste er sich mit dem Thema des erzwungenen Geständnisses durch Folter. In einem Essay führt er wieder aus, dass festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden dürfen. Für Polizisten, die das trotzdem tun verlangt er eine mehrjährige Gefängnisstrafe, Entlassung aus dem Dienst und Streichung der Pension. Im Buch wird ein Beispiel gezeigt, indem der Täter zwar die Tat begangen hat, aber das Geständnis durch Folter erzwungen wurde und daher ungültig sei.
In einem eigenen Kapitel wird dem iPad eine Lobeshymne gewidmet und dass er die Zukunft des Lesens sein wird. Und am Ende erzählt Schirach von seiner Jugend in einem Klosterinternat.
Es ist ein Buch mit Kurzgeschichten, Essays. Verlage publizieren von berühmt gewordenen Dichtern auch literarische „Abfallprodukte“. Aber auch die geben Einblick in die Arbeitsweise und Denkweise des Dichters. So auch dieses Buch. Manches ist nicht so besonders gut, aber anderes sticht wieder durch Brillanz hervor. So das Essay „Verfahren als Strafe“. Darin geht es um die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften. Es war für mich die beste Geschichte des Buchs. Eigentlich hätte ich sie in dieser, meiner Rezension gleich zu Beginn erwähnen sollen, aber auch der Schluss eines Manuskripts wird so interessiert gelesen, wie der Beginn. Es ist auch ein aktuelles Thema, weil heute oft Personen, gegen die erst ein Verdacht besteht und ein Verfahren eingeleitet wird in den Medien vorverurteilend berichtet wird. Manchmal erfahren die Beschuldigten erst aus den Medien, dass gegen sie ein gerichtliches Verfahren eingeleitet wurde. Schirach meint „Das Verhältnis von Justiz und Presse hat sich verändert. Früher sah man immer nur einen ordentlichen Polizisten und einen älteren Staatsanwalt mit Goldbrille im Fernsehen, beide sagten mit todernstem Gesicht „Weiträumig absperren und lückenlos aufklären“. Das war beruhigend. Heute meinen die Strafverfolger, sie müssen medial präsent sein.“ (Seite 84)
Im Strafrecht gibt es nur eine Partei und die ist der Strafverteidiger. Die Staatsanwaltschaft dagegen muss objektiv sein, ausgleichend und gerecht wie ein Gericht. „Sie ist unparteiisch, sie ermittelt für und gegen den Beschuldigten, nichts anderes ist ihr gesetzlicher Auftrag. Früher wurde sie sogar die „objektivste Behörde der Welt“ genannt.“ (Seite 85) Für das Gesetz ist der Angeklagte unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Durch frühzeitige Veröffentlichungen werden die Beschuldigten heute oft an den Pranger gestellt. Schon im Mittelalter hat man Menschen an den Pranger gestellt und die Öffentlichkeit konnte sie beschimpfen und bespucken, ABER sie wurden NACH einer Verurteilung geprangert. Heute braucht man oft kein Urteil mehr: eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft stellt den Beschuldigten an den Pranger der Öffentlichkeit. Dass die Staatsanwaltschaft neutral agieren muss, ist heute oft in Vergessenheit geraten. Verteidiger und Staatsanwaltschaft stehen sich als Gegner gegenüber. Schirach schließt dieses Essay mit der Erkenntnis, dass „Staatsanwälte und Richter in der Öffentlichkeit nichts zu suchen haben.“ (Seite 88) Allein dieses Essay ist es wert, das vorliegende Buch zu lesen.
PLUHAR, Erika
Gitti Buch
2023.
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title = {Gitti},
author = {Erika PLUHAR},
year = {2023},
date = {2023-07-07},
urldate = {2023-07-07},
abstract = {PLUHAR, Erika: „Gitti“, Salzburg Wien 2023
Es ist dies ein sehr persönlicher Roman von Erika Pluhar. Ihre eigene Familiengeschichte. Die Hauptfigur ist ihre ältere Schwester Brigitte – von der Familie Gitti genannt. Die Eltern wohnen in Wien. Der Vater bekommt in Brasilien einen Job bei einer Mineralölfirma und man übersiedelt. Gitti wuchs in Rio de Janeiro auf. Der Vater war ein überzeugter Nationalsozialist. Er musste aus Wien weg, weil diese Partei noch verboten war. Als Adolf Hitler die Regierung in Deutschland übernimmt, kehrt die Familie Pluhar nach Europa, nach München zurück. Erst als Österreich annektiert wird, kehrt die Familie wieder heim nach Wien. Sie wohnen in einer Villa in Döbling. Der Vater bekommt einen angesehenen Job in der Partei. Letztlich wird er Assistent des deutschen Gouverneurs in Lemberg. Die Familie übersiedelt nach Polen. Gitti geht in Lemberg in die Schule. Erika ist auf der Welt und die ältere Schwester nimmt sich ihrer an. Der Krieg zieht ins Land. Der Vater meldet sich als Soldat und die Mutter mit den beiden Mädchen kommt nach Wien zurück, wo die dritte Tochter geboren wird. Gitti nimmt eine wichtige Rolle in der Familie ein. Mit ihren zehn Jahren agiert sie wie eine Erwachsene. Wien wird bombardiert. Oft muss die Familie in den Luftschutzkeller. „Meist sah sie dann die Mutter, beim Schein einer Lampe und völlig angekleidet, nur im Lehnstuhl schlafen. Vorausschauend hatte Anna dafür gesorgt, dass Brigitte und Erika ebenfalls keinen Schlafanzug trugen, sondern angekleidet blieben, und dass der Säugling reisefertig gewickelt war.“ (Seite 64) Alles für den Luftschutzkeller war fertig gepackt. Mehrmals wurden sie in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und mussten rasch Unterschlupf suchen. Letztlich werden Familien mit Kindern auf Land gebracht, wo sie vor Luftangriffen sicherer sind. Anna Pluhar mit ihren drei Kindern – das jüngste hatte der Vater noch nicht gesehen – zieht in ein Dorf in Oberösterreich. Es ist eine abenteuerliche Reise. Mit Betteln bringt Anna ihre Kinder durch. Als der Krieg aus ist, kehrt sie nach Wien zurück und wohnt bei ihrer Schwester, wo sie seitens des Schwagers nicht sehr willkommen ist. Sie haben nur zwei Zimmer und letztlich entscheidet man, dass Gitti bei der Großmutter wohnt und von dort zur Schule geht. Gittis Cousine ist älter und geht in dieselbe Schule. Sie lernt mit Gitti und bringt sie so bis zur vierten Klasse. Eine Matura kam wegen der Lernerfolge aber nicht in Frage. Erika Pluhar, die als Kleinkind noch eine Nebenrolle in diesem Roman spielt, beschreibt aber als Schriftstellerin sehr gut den Schmerz des jungen Mädchens Gitti, als sie von ihrer Familie getrennt wird. „Das Herz tat Brigitte weh, als wäre es ein körperlicher Schmerz …“ (Seite 159)
Inzwischen ist der Vater heimgekehrt und bringt sich zu Beginn mit Hilfsarbeiten durch. Als er „entnazifiziert“ wird, bekommt er einen angeseheneren Job in Linz, der seiner Ausbildung entspricht. Die Familie kann sich eine eigene Wohnung am Stadtrand Wiens leisten. Gitti aber bleibt bei ihrer Oma. Sie geht inzwischen in eine Modeschule. Ein Lehrer nähert sich ihr. Er ist zwar um vieles älter – Gitti ist erst 16 – und es kommt zur geheimen Liebe. Letztlich heiraten die beiden. Er ist ein anerkannter Experte und bekommt einen Job beim Modeschöpfer Adelmüller. Das junge Paar wohnt in einer Wohngemeinschaft mit einem Fotografen. Ihr Mann interessiert sich für Fotografie. Letztlich wechselt er den Beruf und wird Fotograf. Die beiden übersiedeln nach New York, wo er eine Assistentenstelle bei einem angesehensten Modefotograf bekommt.
Am Ende verrät die Autorin, woher sie ihre Informationen zu diesem Roman nahm: als ihre große Schwester Gitti nach Amerika ging, versprachen sich die Schwestern regelmäßig zu schreiben und zu berichten. „Weißt du was wir machen? Du wirst mir regelmäßig Briefe schreiben! Alles was dir zustößt, was immer du erfährst. Wie eine Art Tagebuch, ja? Und ich werde dir immer antworten.“ (Seite 218)
Mit Gesprächen mit der alten Schwester konnte Erika Pluhar noch weitere Informationen zu diesem Roman einholen. Die Zeit läuft und sie bringt es auf Papier. „Noch erkennt sie mich – wie lange noch, ist ungewiss. Ihr Name ist Brigitte. Für uns ist sie Gitti. Ich möchte ihre Kindheit und Jugend nacherzählen.“ (Seite 5)
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Es ist dies ein sehr persönlicher Roman von Erika Pluhar. Ihre eigene Familiengeschichte. Die Hauptfigur ist ihre ältere Schwester Brigitte – von der Familie Gitti genannt. Die Eltern wohnen in Wien. Der Vater bekommt in Brasilien einen Job bei einer Mineralölfirma und man übersiedelt. Gitti wuchs in Rio de Janeiro auf. Der Vater war ein überzeugter Nationalsozialist. Er musste aus Wien weg, weil diese Partei noch verboten war. Als Adolf Hitler die Regierung in Deutschland übernimmt, kehrt die Familie Pluhar nach Europa, nach München zurück. Erst als Österreich annektiert wird, kehrt die Familie wieder heim nach Wien. Sie wohnen in einer Villa in Döbling. Der Vater bekommt einen angesehenen Job in der Partei. Letztlich wird er Assistent des deutschen Gouverneurs in Lemberg. Die Familie übersiedelt nach Polen. Gitti geht in Lemberg in die Schule. Erika ist auf der Welt und die ältere Schwester nimmt sich ihrer an. Der Krieg zieht ins Land. Der Vater meldet sich als Soldat und die Mutter mit den beiden Mädchen kommt nach Wien zurück, wo die dritte Tochter geboren wird. Gitti nimmt eine wichtige Rolle in der Familie ein. Mit ihren zehn Jahren agiert sie wie eine Erwachsene. Wien wird bombardiert. Oft muss die Familie in den Luftschutzkeller. „Meist sah sie dann die Mutter, beim Schein einer Lampe und völlig angekleidet, nur im Lehnstuhl schlafen. Vorausschauend hatte Anna dafür gesorgt, dass Brigitte und Erika ebenfalls keinen Schlafanzug trugen, sondern angekleidet blieben, und dass der Säugling reisefertig gewickelt war.“ (Seite 64) Alles für den Luftschutzkeller war fertig gepackt. Mehrmals wurden sie in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und mussten rasch Unterschlupf suchen. Letztlich werden Familien mit Kindern auf Land gebracht, wo sie vor Luftangriffen sicherer sind. Anna Pluhar mit ihren drei Kindern – das jüngste hatte der Vater noch nicht gesehen – zieht in ein Dorf in Oberösterreich. Es ist eine abenteuerliche Reise. Mit Betteln bringt Anna ihre Kinder durch. Als der Krieg aus ist, kehrt sie nach Wien zurück und wohnt bei ihrer Schwester, wo sie seitens des Schwagers nicht sehr willkommen ist. Sie haben nur zwei Zimmer und letztlich entscheidet man, dass Gitti bei der Großmutter wohnt und von dort zur Schule geht. Gittis Cousine ist älter und geht in dieselbe Schule. Sie lernt mit Gitti und bringt sie so bis zur vierten Klasse. Eine Matura kam wegen der Lernerfolge aber nicht in Frage. Erika Pluhar, die als Kleinkind noch eine Nebenrolle in diesem Roman spielt, beschreibt aber als Schriftstellerin sehr gut den Schmerz des jungen Mädchens Gitti, als sie von ihrer Familie getrennt wird. „Das Herz tat Brigitte weh, als wäre es ein körperlicher Schmerz …“ (Seite 159)
Inzwischen ist der Vater heimgekehrt und bringt sich zu Beginn mit Hilfsarbeiten durch. Als er „entnazifiziert“ wird, bekommt er einen angeseheneren Job in Linz, der seiner Ausbildung entspricht. Die Familie kann sich eine eigene Wohnung am Stadtrand Wiens leisten. Gitti aber bleibt bei ihrer Oma. Sie geht inzwischen in eine Modeschule. Ein Lehrer nähert sich ihr. Er ist zwar um vieles älter – Gitti ist erst 16 – und es kommt zur geheimen Liebe. Letztlich heiraten die beiden. Er ist ein anerkannter Experte und bekommt einen Job beim Modeschöpfer Adelmüller. Das junge Paar wohnt in einer Wohngemeinschaft mit einem Fotografen. Ihr Mann interessiert sich für Fotografie. Letztlich wechselt er den Beruf und wird Fotograf. Die beiden übersiedeln nach New York, wo er eine Assistentenstelle bei einem angesehensten Modefotograf bekommt.
Am Ende verrät die Autorin, woher sie ihre Informationen zu diesem Roman nahm: als ihre große Schwester Gitti nach Amerika ging, versprachen sich die Schwestern regelmäßig zu schreiben und zu berichten. „Weißt du was wir machen? Du wirst mir regelmäßig Briefe schreiben! Alles was dir zustößt, was immer du erfährst. Wie eine Art Tagebuch, ja? Und ich werde dir immer antworten.“ (Seite 218)
Mit Gesprächen mit der alten Schwester konnte Erika Pluhar noch weitere Informationen zu diesem Roman einholen. Die Zeit läuft und sie bringt es auf Papier. „Noch erkennt sie mich – wie lange noch, ist ungewiss. Ihr Name ist Brigitte. Für uns ist sie Gitti. Ich möchte ihre Kindheit und Jugend nacherzählen.“ (Seite 5)
SCHOLL, Sabine
Die Füchsin spricht Buch
2023.
@book{SCHOLL2023,
title = {Die Füchsin spricht},
author = {Sabine SCHOLL},
year = {2023},
date = {2023-06-30},
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abstract = {SCHOLL, Sabine: „Die Füchsin spricht“; Zürich 2016
Ein Roman mit einer Vielzahl von Geschichten. Da ist ein junges ungarisches Paar, das bei der Grenzöffnung für DDR Urlauber nach Österreich flüchtete. Über Flüchtlingslager kamen sie nach Österreich, Nordamerika und letztlich nach Deutschland, wo sie einen alternativen Bio-Bauernhof betreiben. Sie sind befreundet mit den Hauptpersonen des Romans: einem deutschen Ehepaar mit einer Tochter. Der Mann bekam einen Lehrstuhl in Japan. Die Ehefrau durfte in Japan nicht arbeiten. Als Frau des Professors bekam sie aber eine Aufenthaltsgenehmigung und lebte mit der Tochter als Hausfrau und Mutter. Der Ehemann begann ein Verhältnis mit einer jungen Kollegin. Als diese ein Kind von ihm bekam, verlässt die Ehefrau mit Tochter Japan und kehrt nach Deutschland zurück. Sie bekommt einen Teilzeitjob an einer Universität und agiert als alleinerziehende Mutter. Sie hat Probleme mit der Tochter und wirft diese im Zuge eines Streits aus der Wohnung. Der Vater hat inzwischen eine junge Familie und wurde zum Hausmann. Nach dem Atomreaktorunfall zieht die junge Familie aufs Land und er versucht selbst Gemüse zu ziehen. Der Atomunfall beunruhigt ihn und fuhrt zu einem Zwist mit der jungen Ehefrau, die den Aussagen der japanischen Regierung vertraut. Er hingegen holt internationale Informationen zum Atomreaktorunfall ein. Die alternative Bauernfamilie ist ein Vermittler zwischen dem geschiedenen Ehepaar. Als die Frau ihren Job an der Universität verliert, wird sie aufgenommen, ebenso wie die Tochter, die nach dem Sinn des Lebens einer Aufgabe sucht. Der Vater schreibt aus Japan und kommt letztlich mit seinem Sohn zu Besuch. Am Bauernhof kommen sie alle zusammen. Wie sich das gestaltet liegt aber außerhalb des Romans.
Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert. Ein Teil besteht aus eMails, in denen sich die beiden Männer – der Biobauer und der in Japan lebende Professor – austauschen. Thematisch ist es ein negatives Buch. Die Autorin (ident mit der Hauptfrau des Romans) schreibt ihre Probleme nieder. Probleme, die sie mit der eigenen Familie, mit der Universität und ihrem Umfeld hat. Sexuelle Beziehungen werden ausführlich geschildert. Eine psychologische Abhandlung, bei der der Leser, die Leserin den psychiatrischen Gegenpol bilden muss.
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Ein Roman mit einer Vielzahl von Geschichten. Da ist ein junges ungarisches Paar, das bei der Grenzöffnung für DDR Urlauber nach Österreich flüchtete. Über Flüchtlingslager kamen sie nach Österreich, Nordamerika und letztlich nach Deutschland, wo sie einen alternativen Bio-Bauernhof betreiben. Sie sind befreundet mit den Hauptpersonen des Romans: einem deutschen Ehepaar mit einer Tochter. Der Mann bekam einen Lehrstuhl in Japan. Die Ehefrau durfte in Japan nicht arbeiten. Als Frau des Professors bekam sie aber eine Aufenthaltsgenehmigung und lebte mit der Tochter als Hausfrau und Mutter. Der Ehemann begann ein Verhältnis mit einer jungen Kollegin. Als diese ein Kind von ihm bekam, verlässt die Ehefrau mit Tochter Japan und kehrt nach Deutschland zurück. Sie bekommt einen Teilzeitjob an einer Universität und agiert als alleinerziehende Mutter. Sie hat Probleme mit der Tochter und wirft diese im Zuge eines Streits aus der Wohnung. Der Vater hat inzwischen eine junge Familie und wurde zum Hausmann. Nach dem Atomreaktorunfall zieht die junge Familie aufs Land und er versucht selbst Gemüse zu ziehen. Der Atomunfall beunruhigt ihn und fuhrt zu einem Zwist mit der jungen Ehefrau, die den Aussagen der japanischen Regierung vertraut. Er hingegen holt internationale Informationen zum Atomreaktorunfall ein. Die alternative Bauernfamilie ist ein Vermittler zwischen dem geschiedenen Ehepaar. Als die Frau ihren Job an der Universität verliert, wird sie aufgenommen, ebenso wie die Tochter, die nach dem Sinn des Lebens einer Aufgabe sucht. Der Vater schreibt aus Japan und kommt letztlich mit seinem Sohn zu Besuch. Am Bauernhof kommen sie alle zusammen. Wie sich das gestaltet liegt aber außerhalb des Romans.
Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert. Ein Teil besteht aus eMails, in denen sich die beiden Männer – der Biobauer und der in Japan lebende Professor – austauschen. Thematisch ist es ein negatives Buch. Die Autorin (ident mit der Hauptfrau des Romans) schreibt ihre Probleme nieder. Probleme, die sie mit der eigenen Familie, mit der Universität und ihrem Umfeld hat. Sexuelle Beziehungen werden ausführlich geschildert. Eine psychologische Abhandlung, bei der der Leser, die Leserin den psychiatrischen Gegenpol bilden muss.
SAUTNER, Thomas
großmutters haus Buch
2023.
@book{SAUTNER2023b,
title = {großmutters haus},
author = {Thomas SAUTNER},
year = {2023},
date = {2023-06-19},
urldate = {2023-06-19},
abstract = {SAUTNER, Thomas: „großmutters haus“, Berlin 2021
Sie dachte, Großmutter sei verstorben. Die Familie verheimlichte alle Details. Wo sie wohnte, wo sie begraben sei. Sie, Malina, war schon früh aus der einsamen Gegend ihrer Eltern im Norden des Landes weggezogen und hat in der Stadt ihr Zuhause aufgeschlagen. Ein einfacher Job in einer Bibliothek und einen verheirateten älteren Mann als Freund. Eines Tages brachte der Postbote ein Paket. Als sie es öffnete quollen viele Geldscheine heraus. Dazu ein Zettel: „Anbei ein paar Zetteln mit Nullen drauf. Nicht der Rede wert. Es grüßt dich deine Großmutter Kristyna.“ Den Poststempel konnte sie noch lesen und so fand sie bald nach Nachfragen im nächstliegenden Postamt, wo Großmutter wohnte. Sie verbrachte zwei Urlaubswochen bei ihr und ihr Leben veränderte sich. Die Großmutter züchtete Cannabis und produzierte Zigaretten mit Kräutern und Rauschgift. Sie ist eine sehr schräge Frau. Der Baron des nahegelegenen Schlosses ist einer ihrer Freunde. Nach zwei Wochen verlässt die Enkelin die Großmutter als veränderte Person.
Eine sehr einfache Geschichte, die auch simple geschrieben ist. Nicht zu vergleichen mit dem Niveau des Sautner-Romans „fuchserde“.
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Sie dachte, Großmutter sei verstorben. Die Familie verheimlichte alle Details. Wo sie wohnte, wo sie begraben sei. Sie, Malina, war schon früh aus der einsamen Gegend ihrer Eltern im Norden des Landes weggezogen und hat in der Stadt ihr Zuhause aufgeschlagen. Ein einfacher Job in einer Bibliothek und einen verheirateten älteren Mann als Freund. Eines Tages brachte der Postbote ein Paket. Als sie es öffnete quollen viele Geldscheine heraus. Dazu ein Zettel: „Anbei ein paar Zetteln mit Nullen drauf. Nicht der Rede wert. Es grüßt dich deine Großmutter Kristyna.“ Den Poststempel konnte sie noch lesen und so fand sie bald nach Nachfragen im nächstliegenden Postamt, wo Großmutter wohnte. Sie verbrachte zwei Urlaubswochen bei ihr und ihr Leben veränderte sich. Die Großmutter züchtete Cannabis und produzierte Zigaretten mit Kräutern und Rauschgift. Sie ist eine sehr schräge Frau. Der Baron des nahegelegenen Schlosses ist einer ihrer Freunde. Nach zwei Wochen verlässt die Enkelin die Großmutter als veränderte Person.
Eine sehr einfache Geschichte, die auch simple geschrieben ist. Nicht zu vergleichen mit dem Niveau des Sautner-Romans „fuchserde“.
Anna Weidenholzer Fahim AMIR, Christoph W. Bauer
Gesellschaften im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern Buch
2023.
@book{AMIR2023,
title = {Gesellschaften im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern},
author = {Fahim AMIR, Anna Weidenholzer, Christoph W. Bauer, Stefan Gmündner, Birgit Birnbacher, Sabine Gruber},
editor = {ZEYRINGER Klaus},
year = {2023},
date = {2023-06-16},
urldate = {2023-06-16},
abstract = {ZEYRINGER, Klaus (Hg): „Gesellschaft im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern“, Wien 2020
Dieses Booklet ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gesellschaften im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern“ entstanden. Neben dem Herausgeber, der das Vor- und Nachwort schrieb, kamen sechs namhafte SchriftstellerInnen zu Wort.
Amir Fahim beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Laborratte, und welchen Beitrag sie zur Forschung liefert. Er weist aber auch darauf hin, dass es in England und Frankreich um 1800 der Sport „Rat-Baiting“ sehr populär war. Man platzierte hunderte Ratten in einer Kampfgrube und schickte einen Terrier hinein, der die Ratten tötete. Ein Schiedsrichter maß die Zeit, bis die letzte Ratte tot war. Ein Wettkampf. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Laborratte maßgeblich am Fortschritt in der Medizin herangezogen.
Anna Waidenholzer erzählt von einer Tierbestattung, bei der die Tiere verbrannt und dann mit einer Urkunde und der Urne an die ehemaligen Besitzer ausgehändigt werden. Ein neues Geschäftsmodell. Parallel stellt sie gegenüber, wie ein junger Mann, der bei einem Verkehrsunfall zu tote kam, verbrannt und seine Asche von einem Schiff aus der Donau übergeben wurde.
Christoph Bauer erzählt, wie es im alten römischen Reich zu Massenhinrichtungen von exotischen Tieren kam. Der jeweilige Herrscher spendete dem Volk Unmengen von Tieren. Im 80 nach Christus erbauten ersten Amphitheater wurden zur Eröffnung – die 100 Tage dauerte – 5000 Tiere geopfert. Darunter 600 Löwen, 150 Leoparden, 18 Elefanten und ein Nashorn. Zum Gaudium des Publikums mussten sich die Tiere gegenseitig zerfleischen. Zur Beschaffung der Tiere entstand eine eigene Industrie, die sie in den Ursprungsländern fangen ließ und nach Rom oder andere römische Städte brachte. Daneben wurden die Besucher mit köstlichen Speisen verköstigt. Riesige Fischzuchtanlagen entstanden und teilweise wurden mit den Tieren auch Menschen geopfert. Oft nach einem genauen Drehbuch organisiert.
Stefan Gmündner beschäftigt sich mit dem Schriftsteller Henry David Thoreau (1817-1862) und seinem Beitrag zum Erhalt der Natur. Selbst lebte er 1845 zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage in einer einfachen Hütte. Er hinterließ ein 7000 Seiten starkes Tagebuch, in dem es etwa heißt „Es bedarf nur einiger Strohhalme in der Sonne, eines kleinen hingeworfenen Wortes oder eines, das lange schweigend in einem Buch geschlummert hat. Wenn das Himmelreich beginnt und die Toten auferstehen, wird keine Trompete blasen. Vielleicht wird der Südwind wehen.“ (Seite 50)
Birgit Birnbacher schildert das Leben einer alleinstehenden Witwe, die auf 22 Quadratmeter Miete wohnt.
Sabine Gruber wiederum berichtet von einer Person, die angegurtet in einem Pflegebett liegt. „Menschen, die sich sattessen und gesund sind, vergessen ihren Magen, habe ich einmal gehört. Meine Zehen erinnern das Gehen und werden über den Bewegungsverlust verrückt. Die kleinen Muskeln pulsieren.“ (Seite 65)
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Dieses Booklet ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gesellschaften im Umgang mit der Natur und anderen Außenseitern“ entstanden. Neben dem Herausgeber, der das Vor- und Nachwort schrieb, kamen sechs namhafte SchriftstellerInnen zu Wort.
Amir Fahim beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit der Laborratte, und welchen Beitrag sie zur Forschung liefert. Er weist aber auch darauf hin, dass es in England und Frankreich um 1800 der Sport „Rat-Baiting“ sehr populär war. Man platzierte hunderte Ratten in einer Kampfgrube und schickte einen Terrier hinein, der die Ratten tötete. Ein Schiedsrichter maß die Zeit, bis die letzte Ratte tot war. Ein Wettkampf. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Laborratte maßgeblich am Fortschritt in der Medizin herangezogen.
Anna Waidenholzer erzählt von einer Tierbestattung, bei der die Tiere verbrannt und dann mit einer Urkunde und der Urne an die ehemaligen Besitzer ausgehändigt werden. Ein neues Geschäftsmodell. Parallel stellt sie gegenüber, wie ein junger Mann, der bei einem Verkehrsunfall zu tote kam, verbrannt und seine Asche von einem Schiff aus der Donau übergeben wurde.
Christoph Bauer erzählt, wie es im alten römischen Reich zu Massenhinrichtungen von exotischen Tieren kam. Der jeweilige Herrscher spendete dem Volk Unmengen von Tieren. Im 80 nach Christus erbauten ersten Amphitheater wurden zur Eröffnung – die 100 Tage dauerte – 5000 Tiere geopfert. Darunter 600 Löwen, 150 Leoparden, 18 Elefanten und ein Nashorn. Zum Gaudium des Publikums mussten sich die Tiere gegenseitig zerfleischen. Zur Beschaffung der Tiere entstand eine eigene Industrie, die sie in den Ursprungsländern fangen ließ und nach Rom oder andere römische Städte brachte. Daneben wurden die Besucher mit köstlichen Speisen verköstigt. Riesige Fischzuchtanlagen entstanden und teilweise wurden mit den Tieren auch Menschen geopfert. Oft nach einem genauen Drehbuch organisiert.
Stefan Gmündner beschäftigt sich mit dem Schriftsteller Henry David Thoreau (1817-1862) und seinem Beitrag zum Erhalt der Natur. Selbst lebte er 1845 zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage in einer einfachen Hütte. Er hinterließ ein 7000 Seiten starkes Tagebuch, in dem es etwa heißt „Es bedarf nur einiger Strohhalme in der Sonne, eines kleinen hingeworfenen Wortes oder eines, das lange schweigend in einem Buch geschlummert hat. Wenn das Himmelreich beginnt und die Toten auferstehen, wird keine Trompete blasen. Vielleicht wird der Südwind wehen.“ (Seite 50)
Birgit Birnbacher schildert das Leben einer alleinstehenden Witwe, die auf 22 Quadratmeter Miete wohnt.
Sabine Gruber wiederum berichtet von einer Person, die angegurtet in einem Pflegebett liegt. „Menschen, die sich sattessen und gesund sind, vergessen ihren Magen, habe ich einmal gehört. Meine Zehen erinnern das Gehen und werden über den Bewegungsverlust verrückt. Die kleinen Muskeln pulsieren.“ (Seite 65)
FRISCHMUTH, Barbara; SCHUTTING, Julian
2023.
@book{FRISCHMUTH2023,
title = {Herbst in der Nussschale},
author = {Barbara FRISCHMUTH and Julian SCHUTTING},
year = {2023},
date = {2023-06-14},
urldate = {2023-06-15},
abstract = {FRISCHMUTH, Barbara; SCHUTTING, Julian: „Herbst in der Nussschale“, Wien 2019
Eine kleine Broschüre, die nach dem Literaturfestival „Literatur & Wein“ 2019 entstanden ist. Zu Wort kamen die beiden österreichischen Dichter Barbara Frischmuth und Julian Schutting.
Schutting schrieb über Nüsse und Wein. Zuerst entführt er in die längste Kellergasse Österreichs nach Pillichsdorf zu einem typischen Kellergassenfest. In der zweiten Geschichte geht es um eine Winterreise, die Wilhelm Müller nachempfunden ist. Die ursprünglichen „Müller Gedichte“ – 24 an der Zahl – wurden von Franz Schubert 1827 vertont. In der dritten Geschichte von Schutting beschreibt er sein Arbeitszimmer, auf dem er ein Glas Wein mit Nüssen stehen hat.
Barbara Frischmuth ist mit einer Geschichte vertreten: „Herbst in Worten“. Konkret geht es um den Herbst des Jahres 1918, in dem es lange nicht Winter werden wollte. Die späte Wärme verleitete sie, ihren Garten nicht rechtzeitig zu versorgen, bis der erste Schnee fiel. Blumen begannen wegen des unerwarteten Sonnenscheins im Herbst zu blühen und lockten Bienen und andere Insekten an. Der Herbst hatte – so nennt sie es – „einen außerordentlichen Nachschlag“ gegeben. Am Schluss zitiert sie den persischen Dichter Omar Khayyam (1048-1136):
Eh dich die Sorgen ganz erschlagen haben,
Sollst du am rosenfarbnen Wein dich laben;
Du bist ja auch kein Gold, das man verscharrt,
Um es dann später wieder auszugraben.
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Eine kleine Broschüre, die nach dem Literaturfestival „Literatur & Wein“ 2019 entstanden ist. Zu Wort kamen die beiden österreichischen Dichter Barbara Frischmuth und Julian Schutting.
Schutting schrieb über Nüsse und Wein. Zuerst entführt er in die längste Kellergasse Österreichs nach Pillichsdorf zu einem typischen Kellergassenfest. In der zweiten Geschichte geht es um eine Winterreise, die Wilhelm Müller nachempfunden ist. Die ursprünglichen „Müller Gedichte“ – 24 an der Zahl – wurden von Franz Schubert 1827 vertont. In der dritten Geschichte von Schutting beschreibt er sein Arbeitszimmer, auf dem er ein Glas Wein mit Nüssen stehen hat.
Barbara Frischmuth ist mit einer Geschichte vertreten: „Herbst in Worten“. Konkret geht es um den Herbst des Jahres 1918, in dem es lange nicht Winter werden wollte. Die späte Wärme verleitete sie, ihren Garten nicht rechtzeitig zu versorgen, bis der erste Schnee fiel. Blumen begannen wegen des unerwarteten Sonnenscheins im Herbst zu blühen und lockten Bienen und andere Insekten an. Der Herbst hatte – so nennt sie es – „einen außerordentlichen Nachschlag“ gegeben. Am Schluss zitiert sie den persischen Dichter Omar Khayyam (1048-1136):
Eh dich die Sorgen ganz erschlagen haben,
Sollst du am rosenfarbnen Wein dich laben;
Du bist ja auch kein Gold, das man verscharrt,
Um es dann später wieder auszugraben.
GRUBER, Sabine
2023.
@book{GRUBER2023,
title = {Zu Ende gebaut ist nie},
author = {Sabine GRUBER},
year = {2023},
date = {2023-06-13},
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abstract = {GRUBER, Sabine: „Zu Ende gebaut ist nie“, Innsbruck Wien 2014
14 Gedichte sind in dieser Broschüre vereint. Gedichte kann man nur schwer rezensieren. Man muss sie lesen und genießen. Es ist ein schönes Heft, das hier vorliegt. Dem Band gibt das Gedicht „Zu Ende gebaut ist nie“ den Namen. Dieses will ich stellvertretend wiedergeben:
Zu Ende gebaut ist nie. Trugschluß,
Daß mit dem Notausgang nach drüben
Daß Atmen Sinn gewönne. Daß wir
Ohne Aussicht hofften. Vor dem offenen
Portal stoßen sie dich, drängen sich
An deinen Körper, den du längst der
Zeit verschenkt hast im Wiederwunsch
Nach Fortbestand. Wie abgrundtief
Die Augen finden, was sie suchen:
Lichtloslicht, raureife Wärme,
Du taumelst und gehst ein,
Hinein in den ewigen Rohbau.
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14 Gedichte sind in dieser Broschüre vereint. Gedichte kann man nur schwer rezensieren. Man muss sie lesen und genießen. Es ist ein schönes Heft, das hier vorliegt. Dem Band gibt das Gedicht „Zu Ende gebaut ist nie“ den Namen. Dieses will ich stellvertretend wiedergeben:
Zu Ende gebaut ist nie. Trugschluß,
Daß mit dem Notausgang nach drüben
Daß Atmen Sinn gewönne. Daß wir
Ohne Aussicht hofften. Vor dem offenen
Portal stoßen sie dich, drängen sich
An deinen Körper, den du längst der
Zeit verschenkt hast im Wiederwunsch
Nach Fortbestand. Wie abgrundtief
Die Augen finden, was sie suchen:
Lichtloslicht, raureife Wärme,
Du taumelst und gehst ein,
Hinein in den ewigen Rohbau.
Brandstetter, Alois
So wahr ich Feuerbach heiße Buch
2023.
@book{Brandstetter2023,
title = {So wahr ich Feuerbach heiße},
author = {Alois Brandstetter},
year = {2023},
date = {2023-06-11},
urldate = {2023-06-11},
abstract = {BRANDSTETTER, Alois: „So wahr ich Feuerbach heiße“, Salzburg Wien 1988
Ein doch schon älteres Buch von Brandstetter. Als er es schrieb war er schon 50 Jahre alt. Daraus leite ich seine Umständlichkeit und sein weites Ausschweifen beim Erzählen zurück. Im Grunde geht es um eine einfache Handlung: seine Familie hat ein neues Haus gebaut und nun wollen sie es mit Freunden einweihen. Beim Erstellen der Einladungsliste stellen sie fest, dass sie eigentlich keine Freunde haben. So suchen sie unter Bekannten und letztlich bleibt es bei einem Ehepaar. Herr Feuerbach rüstet sich für das geplante Gartenfest zum Grillen. Er kauft alle notwendigen Utensilien ein: Griller, Zangen, etc. Letztlich informiert er sogar die Feuerwehr davon, dass er in seinem Garten ein Grillfeuer machen werde. „Ich hatte mein jetziges Feuer auch der Feuerwehr gemeldet, wie es die Gemeindeordnung vorsieht. Ich wollte nicht riskieren, daß die Feuerwehr aus Übereifer wegen meines kleinen Feuerchens ausrückte.“ (Seite 56) Auf über 200 Seiten schweift der Autor vom Geschehen der geplanten Party ab. Letztlich hatte aber auch das einzig eingeladene Paar abgesagt.
Eine eher fade Angelegenheit. Viel Wortspiel, wenig Inhalt.
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Ein doch schon älteres Buch von Brandstetter. Als er es schrieb war er schon 50 Jahre alt. Daraus leite ich seine Umständlichkeit und sein weites Ausschweifen beim Erzählen zurück. Im Grunde geht es um eine einfache Handlung: seine Familie hat ein neues Haus gebaut und nun wollen sie es mit Freunden einweihen. Beim Erstellen der Einladungsliste stellen sie fest, dass sie eigentlich keine Freunde haben. So suchen sie unter Bekannten und letztlich bleibt es bei einem Ehepaar. Herr Feuerbach rüstet sich für das geplante Gartenfest zum Grillen. Er kauft alle notwendigen Utensilien ein: Griller, Zangen, etc. Letztlich informiert er sogar die Feuerwehr davon, dass er in seinem Garten ein Grillfeuer machen werde. „Ich hatte mein jetziges Feuer auch der Feuerwehr gemeldet, wie es die Gemeindeordnung vorsieht. Ich wollte nicht riskieren, daß die Feuerwehr aus Übereifer wegen meines kleinen Feuerchens ausrückte.“ (Seite 56) Auf über 200 Seiten schweift der Autor vom Geschehen der geplanten Party ab. Letztlich hatte aber auch das einzig eingeladene Paar abgesagt.
Eine eher fade Angelegenheit. Viel Wortspiel, wenig Inhalt.
SAUTNER, Thomas
fuchserde Buch
2023.
@book{SAUTNER2023,
title = {fuchserde},
author = {Thomas SAUTNER},
year = {2023},
date = {2023-06-10},
urldate = {2023-06-10},
abstract = {SAUTNER, Thomas: „fuchserde“, Berlin 2020
Ein herumziehendes Volk, die Jenischen sind der Mittelpunkt des Buches. Es ist einerseits eine historische Abhandlung und andererseits die romanhafte Beschreibung einer Familie dieses Volksstamms. Die Hauptperson darin ist Frida, eine außergewöhnliche Frau. Sie braucht lange, bis sie sich für einen Mann entschied, obwohl sie von vielen begehrt wurde. Sie suchte sich eine starke Persönlichkeit zur Ehe aus, obwohl „die Frauen bei den Jenischen in der Regel für alles sorgen: Kinder aufziehen, Wäsche flicken, hausieren gehen. Essenbesorgen und kochen. Der Mann war dennoch das Oberhaupt der Familie. Eine alte jenische Frau erzählte sinngemäß: „Nach außen haben die jenischen Frauen den Mann den Pascha spielen lassen, da war er wie Gott und hat sich auch so gefühlt. Die jenische Frau hat es verstanden, ihren Mann gut leben zu lassen. Im Haus aber haben die Frauen das Sagen gehabt.““ (Seite 52)
Dieses fahrende Volk lebte von selbstgemachten Dingen wie Werkzeug, Kleidern, Webarbeiten. Sie boten beim Herumziehen den Bauern Dienstleistungen wie Messerschleifen, Töpfe flicken etc an. Die kalten Winter verbrachten sie in einer festen Behausung. Sie lebten in primitiver Situation. Oft hatten sie nicht genug zu essen. Als der Vater einen Fasan gefangen hatte, gab es Fleisch. Ein Teil wurde aufgehoben. Die Kinder aber wollten mehr. Da wurde das Fleischstück mit einer Schnur über dem Tisch aufgehängt. Die Kinder bekamen Brot und drückten es gegen das Fleisch, um so einen Geschmack vom Braten zu erhaschen. Speziell während der Weltwirtschaftskrise ging es der Landbevölkerung schlecht. „Sie bekamen eine Arbeitslosenunterstützung von fünf Schilling pro Woche. Ein Laib Brot kostete damals siebenundsechzig Groschen.“ (Seite 85) Zigeuner und „herumtreibendes“ Volk wie die Jenischen bekamen nichts. Die Jenischen hatten alle zum selben Zeitpunkt Geburtstag. „Wer von unseren Leuten dennoch den Winter überstand, der hatte Geburtstag.“ (Seite 86) Von Frühjahr bis Winter zogen sie herum. Sie lebten im kalten Waldviertel, von dem auch der Autor dieses Romans kommt.
Luca suchte seinen Vater und findet einen Onkel in Italien, der einen Zirkus besitzt. Der schon alte Zirkusdirektor vermacht den Zirkus seinem Neffen Luca, der ihn erfolgreich führt. Bei den sommerlichen Reisen trafen die beiden „Stämme Jenische“ – der des Zirkus und der der Waldviertler – aufeinander und befreundeten sich. Zwei junge aus diesen verschiedenen Stämmen verliebten und verlobten sich.
Dann brach die Herrschaft der Diktatoren herein. Der Zirkus verließ wegen Mussolini Italien und übersiedelte nach Österreich. Aber auch da herrschte bald Hitler. Viele der Jenischen wurden verhaftet, ermordet oder in ein Konzentrationslager gesteckt. Der Autor versteht es, sehr anschaulich das Leben in den Konzentrationslagern und Arbeitsheimen wiederzugeben. In der Familie des Zirkusdirektors kamen alle ums Leben. Nur ein Sohn, der Verlobte der Waldviertlerin, konnte fliehen. Auch die Flucht wird detailgenau geschildert. Ähnlich ging es bei den Waldviertlern zu. Auch hier wurde gemordet und verhaftet. Der Stammhalter Lois (er ist der Erzähler im Buch) hatte vorgesorgt und einen Tunnel aus seinem Haus hinausgegraben und so konnte die Familie flüchten. Sie lebten im Wald in einer Höhle. Ein reicher Bauer – nach der russischen Befreiung wurde er Bürgermeister – war ein guter Mensch und versorgte die Familie heimlich mit Nahrung. Als der Krieg aus war, kam der Verlobte aus Tirol. Sie bauten ihre niedergebrannten Häuser wieder auf und auch das neue Paar baute ein Heim. Auch der schon als tot vermutete kleine Bruder des Verlobten kam mit einer jungen Frau zu ihnen. Die Freude der Vereinigung war groß. Obwohl der Druck durch die Nationalsozialisten wegfiel, bestand weiterhin Angst und viele der Jenischen weigerten sich ihrer Zunft nachzukommen. Sie nahmen fixe Anstellungen an und wurden sesshaft. Ihren Kindern und Kindeskindern verheimlichten sie ihre Vergangenheit. Nur der Urgroßvater gab die Geschichte seines Stammes an den Jüngsten der Familie weiter. Diese Erzählungen sind der Inhalt dieses Buches, mit dem eine vergessene Zeit wieder auflebt.
Ein sehr ausdrucksstarkes Buch. Ein Roman, der aus einer anderen Zeit stammt und trotzdem schafft es der Autor so zu erzählen, als hätte er mit diesen Leuten gelebt. Großartig!
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Ein herumziehendes Volk, die Jenischen sind der Mittelpunkt des Buches. Es ist einerseits eine historische Abhandlung und andererseits die romanhafte Beschreibung einer Familie dieses Volksstamms. Die Hauptperson darin ist Frida, eine außergewöhnliche Frau. Sie braucht lange, bis sie sich für einen Mann entschied, obwohl sie von vielen begehrt wurde. Sie suchte sich eine starke Persönlichkeit zur Ehe aus, obwohl „die Frauen bei den Jenischen in der Regel für alles sorgen: Kinder aufziehen, Wäsche flicken, hausieren gehen. Essenbesorgen und kochen. Der Mann war dennoch das Oberhaupt der Familie. Eine alte jenische Frau erzählte sinngemäß: „Nach außen haben die jenischen Frauen den Mann den Pascha spielen lassen, da war er wie Gott und hat sich auch so gefühlt. Die jenische Frau hat es verstanden, ihren Mann gut leben zu lassen. Im Haus aber haben die Frauen das Sagen gehabt.““ (Seite 52)
Dieses fahrende Volk lebte von selbstgemachten Dingen wie Werkzeug, Kleidern, Webarbeiten. Sie boten beim Herumziehen den Bauern Dienstleistungen wie Messerschleifen, Töpfe flicken etc an. Die kalten Winter verbrachten sie in einer festen Behausung. Sie lebten in primitiver Situation. Oft hatten sie nicht genug zu essen. Als der Vater einen Fasan gefangen hatte, gab es Fleisch. Ein Teil wurde aufgehoben. Die Kinder aber wollten mehr. Da wurde das Fleischstück mit einer Schnur über dem Tisch aufgehängt. Die Kinder bekamen Brot und drückten es gegen das Fleisch, um so einen Geschmack vom Braten zu erhaschen. Speziell während der Weltwirtschaftskrise ging es der Landbevölkerung schlecht. „Sie bekamen eine Arbeitslosenunterstützung von fünf Schilling pro Woche. Ein Laib Brot kostete damals siebenundsechzig Groschen.“ (Seite 85) Zigeuner und „herumtreibendes“ Volk wie die Jenischen bekamen nichts. Die Jenischen hatten alle zum selben Zeitpunkt Geburtstag. „Wer von unseren Leuten dennoch den Winter überstand, der hatte Geburtstag.“ (Seite 86) Von Frühjahr bis Winter zogen sie herum. Sie lebten im kalten Waldviertel, von dem auch der Autor dieses Romans kommt.
Luca suchte seinen Vater und findet einen Onkel in Italien, der einen Zirkus besitzt. Der schon alte Zirkusdirektor vermacht den Zirkus seinem Neffen Luca, der ihn erfolgreich führt. Bei den sommerlichen Reisen trafen die beiden „Stämme Jenische“ – der des Zirkus und der der Waldviertler – aufeinander und befreundeten sich. Zwei junge aus diesen verschiedenen Stämmen verliebten und verlobten sich.
Dann brach die Herrschaft der Diktatoren herein. Der Zirkus verließ wegen Mussolini Italien und übersiedelte nach Österreich. Aber auch da herrschte bald Hitler. Viele der Jenischen wurden verhaftet, ermordet oder in ein Konzentrationslager gesteckt. Der Autor versteht es, sehr anschaulich das Leben in den Konzentrationslagern und Arbeitsheimen wiederzugeben. In der Familie des Zirkusdirektors kamen alle ums Leben. Nur ein Sohn, der Verlobte der Waldviertlerin, konnte fliehen. Auch die Flucht wird detailgenau geschildert. Ähnlich ging es bei den Waldviertlern zu. Auch hier wurde gemordet und verhaftet. Der Stammhalter Lois (er ist der Erzähler im Buch) hatte vorgesorgt und einen Tunnel aus seinem Haus hinausgegraben und so konnte die Familie flüchten. Sie lebten im Wald in einer Höhle. Ein reicher Bauer – nach der russischen Befreiung wurde er Bürgermeister – war ein guter Mensch und versorgte die Familie heimlich mit Nahrung. Als der Krieg aus war, kam der Verlobte aus Tirol. Sie bauten ihre niedergebrannten Häuser wieder auf und auch das neue Paar baute ein Heim. Auch der schon als tot vermutete kleine Bruder des Verlobten kam mit einer jungen Frau zu ihnen. Die Freude der Vereinigung war groß. Obwohl der Druck durch die Nationalsozialisten wegfiel, bestand weiterhin Angst und viele der Jenischen weigerten sich ihrer Zunft nachzukommen. Sie nahmen fixe Anstellungen an und wurden sesshaft. Ihren Kindern und Kindeskindern verheimlichten sie ihre Vergangenheit. Nur der Urgroßvater gab die Geschichte seines Stammes an den Jüngsten der Familie weiter. Diese Erzählungen sind der Inhalt dieses Buches, mit dem eine vergessene Zeit wieder auflebt.
Ein sehr ausdrucksstarkes Buch. Ein Roman, der aus einer anderen Zeit stammt und trotzdem schafft es der Autor so zu erzählen, als hätte er mit diesen Leuten gelebt. Großartig!
STELZLE, Wilma PFEIFFER Walter
Spazierenschwimmen zwischen Rax und Semmering Buch
2023.
@book{STELZLE2023,
title = {Spazierenschwimmen zwischen Rax und Semmering},
author = {Wilma PFEIFFER
Walter STELZLE},
year = {2023},
date = {2023-06-03},
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abstract = {PFEIFFER Wilma; STELZLE Walter: „Spazierschwimmen zwischen Rax und Semmering – Kultur, Geschichten, Ausflüge“, Salzburg 2023
Der Titel „Spazierschwimmen“ ist dem „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil entnommen. Musil beschrieb aber den Wörthersee und hier geht es um Berge. Musil, so die Autoren des vorliegenden Buches, meinten, dass Musil mit „Schwimmen“ auch „Muse genießen“ verstand. Der Untertitel „Kultur – Geschichten – Ausflüge“ trifft wieder den Inhalt ganz, denn man wird in die Geschichte der Gegend eingeführt, aber auch „Gschichteln“ werden erzählt. Natürlich wird auch der Kultur Rechnung getragen und Anleitungen für Ausflüge gegeben.
Nachdem erzählt wird, wie die Sommerfrische entstand, werden die Orte Reichenau, Prein an der Rax, Rax, Payerbach und Semmering vorgestellt.
Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert war diese Region die bedeutendste Sommerfrische der Habsburgermonarchie. Der „Motor“ dafür war die Südbahn, die die Städter aus Wien in die frische Luft der Alpen brachte. Villen und Hotels entstanden. Da hier aber vorwiegend Juden investierten, fiel die Gegend 1938 wegen der Judenverfolgung in einen Dornröschenschlaf, der in manchen Orten noch immer herrscht.
In Reichenau kam es auch zu einem Wettstreit beim Bau von Villen zwischen dem Kaiserhaus und einer angesehenen und reichen jüdischen Familie. Zwar hatte der Kaiser 1867 die Gleichstellung der Juden veranlasst, aber gesellschaftlich waren sie das nicht in vollem Umfang. Sie mussten sich beweisen und Baron Rothschild tat dies mit dem Bau eines kleinen Schlosses, mit dem er den kaiserlichen Sitz in den Schatten stellte. Die Autoren nennen diesen Zwist den „Schlösserkrieg“. Gebaut wurden nicht nur Villen, auch das Fuhrwerksgewerbe nahm zu. Die Remise in Reichenau bot Platz für 35 Kutschen. 70 Pferde mussten untergebracht werden. Große Bedeutung haben heute noch die Reichenauer Sommerfestspiele, die wieder Besucher aus Wien und der Umgebung anlocken.
Das Preiner Gscheid ist ein fast 1000 Meter hoher Paßübergang zwischen Niederösterreich und der Steiermark. Prein hat keinen bäuerlichen Background, sondern war ein Bergbaugebiet. Ende des 19. Jahrhunderts rentierte sich dieses Geschäft nicht mehr. Die Bergwerke und Schmelzöfen wurden stillgelegt. Ein geschäftstüchtiger Mann konvertierte die Anlagen in Hotels.
Rax kam nicht nur wegen des nahen Bahnanschlusses zu Bedeutung, sondern durch den Seilbahnbau. 1926 nahm die Raxseilbahn als erste österreichische Seilschwebebahn ihren Betrieb auf und erlaubte den ungeübten Städtern einen problemlosen Aufstieg in die Berge. Bedingt durch die erbaute Seilbahn wurde 1926 auch die bestehende Materialeisenbahn für den Personentransport zugelassen.
Die Rax wird wegen dreier Persönlichkeiten auch „Berg der Psychotherapie“ genannt. Sigmund Freud, Viktor Frankl und Alfred Adler urlaubten hier.
Erwähnt wird von den Autoren auch der Bau der Wiener Hochquellenwasserleitung, der den Wienern frisches Trinkwasser aus den Bergen lieferte. Als Karl VI. bei einem Jagdausflug eine frische Quelle fand, ließ er einen ständigen Wassertransport mit Reitern einrichten, um in Wien frisches Quellwasser zu haben.
Payerbach: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Bahnhof Payerbach zu einem der meist frequentierten der Monarchie. 60 Fiaker erwarteten am Vorplatz die ankommenden Gäste. Auch der Kaiser nützte die Vorzüge der Eisenbahn und so fuhr er oft nur für einen Tag zum Jagen nach Payerbach.
Payerbach positionierte sich mit Wintersport gegenüber den umliegenden Gemeinden und engagierte den Schipionier Mathias Zdarsky aus Lilienfeld.
Während der Weltausstellung in Wien, flüchtete Kaiserin Sisi vor den vielen Repräsentationen nach Payerbach.
Erwähnt wird auch das Haus des Mayonnaisefabrikanten Kuhnert, der sich vom Wiener Architekten Loos eine Villa bauen ließ. Leider lebte er nur zwei Jahre darin. Heute ist es ein beliebtes Restaurant, das im „The Hotel Book. Great Europe“ zu den nobelsten Fünfsternehotels gezählt wird.
Und letztlich wird auch dem Semmering ein Kapitel gewidmet. 1842 hatte der Bau der Südbahn den Ort Gloggnitz erreicht. 1851 war Payerbach angeschlossen und drei Jahre später erreichten die Züge den Semmering. Zu verdanken ist dies dem Planer Carl von Ghega. 1848 wurde mit dem Bau begonnen, an dem bis zu 20.000 Arbeiter beschäftigt waren. 2.000 kamen auch ums Leben. Die meisten aber an Seuchen. Die Strecke von Gloggnitz nach Mürzzuschlag ist 42 Kilometer lang, führt durch 15 Tunnels und überquert 16 große und 118 kleine Brücken. Es ist ein Wunderwerk, das 1998 als UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Auch den Hotels am Semmering wird Platz gewidmet und so manche Schnurre der Hoteliers erzählt.
Das Buch bringt die Region dem Leser näher und bietet neben reinen historischen Zahlen auch viele informelle Informationen.
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Der Titel „Spazierschwimmen“ ist dem „Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil entnommen. Musil beschrieb aber den Wörthersee und hier geht es um Berge. Musil, so die Autoren des vorliegenden Buches, meinten, dass Musil mit „Schwimmen“ auch „Muse genießen“ verstand. Der Untertitel „Kultur – Geschichten – Ausflüge“ trifft wieder den Inhalt ganz, denn man wird in die Geschichte der Gegend eingeführt, aber auch „Gschichteln“ werden erzählt. Natürlich wird auch der Kultur Rechnung getragen und Anleitungen für Ausflüge gegeben.
Nachdem erzählt wird, wie die Sommerfrische entstand, werden die Orte Reichenau, Prein an der Rax, Rax, Payerbach und Semmering vorgestellt.
Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert war diese Region die bedeutendste Sommerfrische der Habsburgermonarchie. Der „Motor“ dafür war die Südbahn, die die Städter aus Wien in die frische Luft der Alpen brachte. Villen und Hotels entstanden. Da hier aber vorwiegend Juden investierten, fiel die Gegend 1938 wegen der Judenverfolgung in einen Dornröschenschlaf, der in manchen Orten noch immer herrscht.
In Reichenau kam es auch zu einem Wettstreit beim Bau von Villen zwischen dem Kaiserhaus und einer angesehenen und reichen jüdischen Familie. Zwar hatte der Kaiser 1867 die Gleichstellung der Juden veranlasst, aber gesellschaftlich waren sie das nicht in vollem Umfang. Sie mussten sich beweisen und Baron Rothschild tat dies mit dem Bau eines kleinen Schlosses, mit dem er den kaiserlichen Sitz in den Schatten stellte. Die Autoren nennen diesen Zwist den „Schlösserkrieg“. Gebaut wurden nicht nur Villen, auch das Fuhrwerksgewerbe nahm zu. Die Remise in Reichenau bot Platz für 35 Kutschen. 70 Pferde mussten untergebracht werden. Große Bedeutung haben heute noch die Reichenauer Sommerfestspiele, die wieder Besucher aus Wien und der Umgebung anlocken.
Das Preiner Gscheid ist ein fast 1000 Meter hoher Paßübergang zwischen Niederösterreich und der Steiermark. Prein hat keinen bäuerlichen Background, sondern war ein Bergbaugebiet. Ende des 19. Jahrhunderts rentierte sich dieses Geschäft nicht mehr. Die Bergwerke und Schmelzöfen wurden stillgelegt. Ein geschäftstüchtiger Mann konvertierte die Anlagen in Hotels.
Rax kam nicht nur wegen des nahen Bahnanschlusses zu Bedeutung, sondern durch den Seilbahnbau. 1926 nahm die Raxseilbahn als erste österreichische Seilschwebebahn ihren Betrieb auf und erlaubte den ungeübten Städtern einen problemlosen Aufstieg in die Berge. Bedingt durch die erbaute Seilbahn wurde 1926 auch die bestehende Materialeisenbahn für den Personentransport zugelassen.
Die Rax wird wegen dreier Persönlichkeiten auch „Berg der Psychotherapie“ genannt. Sigmund Freud, Viktor Frankl und Alfred Adler urlaubten hier.
Erwähnt wird von den Autoren auch der Bau der Wiener Hochquellenwasserleitung, der den Wienern frisches Trinkwasser aus den Bergen lieferte. Als Karl VI. bei einem Jagdausflug eine frische Quelle fand, ließ er einen ständigen Wassertransport mit Reitern einrichten, um in Wien frisches Quellwasser zu haben.
Payerbach: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Bahnhof Payerbach zu einem der meist frequentierten der Monarchie. 60 Fiaker erwarteten am Vorplatz die ankommenden Gäste. Auch der Kaiser nützte die Vorzüge der Eisenbahn und so fuhr er oft nur für einen Tag zum Jagen nach Payerbach.
Payerbach positionierte sich mit Wintersport gegenüber den umliegenden Gemeinden und engagierte den Schipionier Mathias Zdarsky aus Lilienfeld.
Während der Weltausstellung in Wien, flüchtete Kaiserin Sisi vor den vielen Repräsentationen nach Payerbach.
Erwähnt wird auch das Haus des Mayonnaisefabrikanten Kuhnert, der sich vom Wiener Architekten Loos eine Villa bauen ließ. Leider lebte er nur zwei Jahre darin. Heute ist es ein beliebtes Restaurant, das im „The Hotel Book. Great Europe“ zu den nobelsten Fünfsternehotels gezählt wird.
Und letztlich wird auch dem Semmering ein Kapitel gewidmet. 1842 hatte der Bau der Südbahn den Ort Gloggnitz erreicht. 1851 war Payerbach angeschlossen und drei Jahre später erreichten die Züge den Semmering. Zu verdanken ist dies dem Planer Carl von Ghega. 1848 wurde mit dem Bau begonnen, an dem bis zu 20.000 Arbeiter beschäftigt waren. 2.000 kamen auch ums Leben. Die meisten aber an Seuchen. Die Strecke von Gloggnitz nach Mürzzuschlag ist 42 Kilometer lang, führt durch 15 Tunnels und überquert 16 große und 118 kleine Brücken. Es ist ein Wunderwerk, das 1998 als UNESCO Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Auch den Hotels am Semmering wird Platz gewidmet und so manche Schnurre der Hoteliers erzählt.
Das Buch bringt die Region dem Leser näher und bietet neben reinen historischen Zahlen auch viele informelle Informationen.
Langenegger, Lorenz
Was man jetzt noch tun kann Buch
2023.
@book{Langenegger2023,
title = {Was man jetzt noch tun kann},
author = {Lorenz Langenegger},
year = {2023},
date = {2023-05-29},
abstract = {LANGENEGGER, Lorenz: „Was man jetzt noch tun kann“, Wien 2022
Der Autor ist Schweizer und wohnt in Wien. In diesen Destinationen und einem geschäftlichen Einsatz in Tansania spielt auch der vorliegende Roman. Der Proponent Manuel ist Schweizer. Sein Vater ist ein Erfinder und besitzt eine Fabrik für spezielle Türschlösser. Manuel wohnt in Wien. Als er sich mit seiner Lebensgefährtin in Venedig auf Urlaub befindet, bekommt er die Nachricht, dass der Vater verstorben sei. Er fährt nach Zürich, die Freundin zurück nach Wien. Manuels Bruder ist Forscher und an den Geschäften des Vaters nicht interessiert. Er überlässt seine Anteile an der Firma seinem Bruder und dieser ist plötzlich Besitzer und Geschäftsführer der Fabrik. Auch bedeutet es eine Übersiedlung von Wien nach Zürich, was der Freundin nicht angenehm ist.
Die Firma arbeitet mit alter Technologie und ist nicht mehr lebensfähig. Manuel muss die Firma schließen. Mehrere Tonnen von Schlössern liegen auf Lager. Er übersiedelt sie nach Auflösung der Firma und dem Verkauf des elterlichen Hauses nach Wien in eine kleine Wohnung, denn seine Freundin, bei der er vorher wohnte, hat ihn hinausgeschmissen. Letztlich gelingt es ihm die Schlösser einem Chinesen zu verkaufen, der sie in Afrika vermarktet. Dazu musste Manuel auch nach Tansania zur Vertragsunterzeichnung fliegen. Hier ist auch die alte Technologie der Schlösser noch gefragt.
Ein sehr einfach „gestrickter“ Roman, der sich aber flüssig lesen lässt. Witzig ist eine Passage im Roman, in der der Proponent überlegt die Zeit umgekehrt laufen zu lassen. „Der Lauf der Zeit hatte seine Richtung geändert.“ (Seite 227) Das hatte umgekehrte Abfolgen wie etwa „Am Friedhof nahm der Pfarrer die Urne aus dem Grab.“ „Wie alle anderen Menschen wurde Helmut Keller Jahr für Jahr jünger, bis er eines Tages zurück in seine Mutter kroch, wo er langsam schrumpfte, bis nur mehr ein Zellhaufen übrig blieb, der sich schließlich in eine Eizelle und ein Spermium teilte.“ (Seite 228)
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Der Autor ist Schweizer und wohnt in Wien. In diesen Destinationen und einem geschäftlichen Einsatz in Tansania spielt auch der vorliegende Roman. Der Proponent Manuel ist Schweizer. Sein Vater ist ein Erfinder und besitzt eine Fabrik für spezielle Türschlösser. Manuel wohnt in Wien. Als er sich mit seiner Lebensgefährtin in Venedig auf Urlaub befindet, bekommt er die Nachricht, dass der Vater verstorben sei. Er fährt nach Zürich, die Freundin zurück nach Wien. Manuels Bruder ist Forscher und an den Geschäften des Vaters nicht interessiert. Er überlässt seine Anteile an der Firma seinem Bruder und dieser ist plötzlich Besitzer und Geschäftsführer der Fabrik. Auch bedeutet es eine Übersiedlung von Wien nach Zürich, was der Freundin nicht angenehm ist.
Die Firma arbeitet mit alter Technologie und ist nicht mehr lebensfähig. Manuel muss die Firma schließen. Mehrere Tonnen von Schlössern liegen auf Lager. Er übersiedelt sie nach Auflösung der Firma und dem Verkauf des elterlichen Hauses nach Wien in eine kleine Wohnung, denn seine Freundin, bei der er vorher wohnte, hat ihn hinausgeschmissen. Letztlich gelingt es ihm die Schlösser einem Chinesen zu verkaufen, der sie in Afrika vermarktet. Dazu musste Manuel auch nach Tansania zur Vertragsunterzeichnung fliegen. Hier ist auch die alte Technologie der Schlösser noch gefragt.
Ein sehr einfach „gestrickter“ Roman, der sich aber flüssig lesen lässt. Witzig ist eine Passage im Roman, in der der Proponent überlegt die Zeit umgekehrt laufen zu lassen. „Der Lauf der Zeit hatte seine Richtung geändert.“ (Seite 227) Das hatte umgekehrte Abfolgen wie etwa „Am Friedhof nahm der Pfarrer die Urne aus dem Grab.“ „Wie alle anderen Menschen wurde Helmut Keller Jahr für Jahr jünger, bis er eines Tages zurück in seine Mutter kroch, wo er langsam schrumpfte, bis nur mehr ein Zellhaufen übrig blieb, der sich schließlich in eine Eizelle und ein Spermium teilte.“ (Seite 228)
FLASAR, Milena Michiko
2023.
@book{FLASAR2023,
title = {Oben Erde, unten Himmel},
author = {FLASAR, Milena Michiko},
year = {2023},
date = {2023-05-19},
urldate = {2023-05-19},
abstract = {FLASAR, Milena Michiko: „Oben Erde, unten Himmel“, Berlin 2023
Frau Flasar las im Rahmen des Literaturfestivals „Literatur & Wein“ im Stift Göttweig aus diesem, ihrem neuen Buch. Es handelt - so wie die vorangegangenen Romane – in Japan. Die Hauptperson ist eine junge Frau, die sehr auf sich zurückgezogen lebt. Das Studium hatte sie abgebrochen, weil sie keinen Anschluss und keine Freundschaften der Universitätscommunity fand. Da sie allein in der Stadt wohnte musste sie für ihren Unterhalt sorgen und nahm verschiedene Aushilfsarbeiten an. Sie lebt allein mit einem Hamster. Als Kellnerin war sie nicht ausreichend Kundenorientiert und wurde gekündigt. Der Chef sagte zu ihr „Um es auf den Punkt zu bringen, Sie sollten sich einen Job suchen, bei dem Sie so wenig wie möglich mit Menschen zu tun haben.“ (Seite 34) Sie suchte also nach einem Job, bei dem sie wenig oder keinen Kontakt zu anderen Menschen hat und bewarb sich bei einem Reinigungsunternehmen. Das entpuppte sich als Firma, die Wohnungen von einsam verstorbenen Menschen (man nennt sie Kodokushi) räumte. Hier erfährt man, dass viele Einsame ein Auto mieten und in diesem ihrer Einsamkeit nachkommen. Man stellte dies fest, nachdem viele Auto lange vermietet waren, aber keine gefahrenen Kilometer auswiesen.
Sie bekam den Zuschlag. Die Arbeit war schwierig und der Geruch, der lange unentdeckten Leichen hielt sich lange am Körper. Der Vorgang der Wohnungsräumung wurde sehr pietätvoll durchgeführt. Das Räumungsteam klopft an die Wohnungstür und bittet um Einlass, obwohl der Mensch dahinter tot ist. Dann sprechen sie mit ihm, als würde er leben. „Wir sind gekommen, um dir beim Aufräumen zu helfen. Bitte erschrick nicht. Ich weiß, es ist unangenehm, fremde Menschen an sein Zeug ranzulassen, aber ich verspreche dir, wir werden deine Privatsphäre respektieren …“ (Seite 226) Die leere und gereinigte Wohnung wurde dann an die Angehörigen übergeben. Dazu stellte das Team einen kleinen Hausaltar auf und übergab eine Box mit Erinnerungsstücken.
Der Chef war sehr kommunikativ, was nicht ihrer Natur entsprach. So organisierte er ein Kirschblütenfest, an dem sie sich nicht sehr gern beteiligte. Der Chef, Herr Sakai, war ein guter Vorgesetzter und kümmerte sich um seine Mitarbeiter. Suzu, die junge Frau, die in der Ichform diese Geschichte erzählt, wird durch ihn animiert, aus ihrer Einsamkeit geholt und sie bekommt Anschluss mit den alten Nachbarn im Haus, in dem sie wohnt und dem Kollegen Takada. Dieser wohnt in einer einfachen Kabine allein. Als er nicht zur Arbeit kommt, schickt der Chef Suzu zu ihm. Sie findet ihn schwer krank. Kurz entschlossen übersiedelt sie ihn in ihre Wohnung und pflegt ihn gesund.
Die einsame Frau bekam Anschluss und suchte auch den Kontakt zu ihren Eltern wieder. Nach 1 ½ Jahren besucht sie sie. Sie ist auch standfest und erzählt von ihrem Job, den sie liebt. Die Eltern hätten es lieber gesehen, wenn sie studiert, geheiratet und Kinder hätte. Aber sie akzeptieren es.
Der Chef öffnet sich ebenfalls und erzählt seine Lebensgeschichte. Er leidet an einem starken Husten und als er endlich zu einem Arzt geht konstatiert dieser nur mehr eine kurze Lebenszeit. Herr Sakai versucht die Nachfolge der Firma zu regeln und die vier Mitarbeiter erledigen die Arbeit ohne ihn. Als er ins Spital kommt, besuchen sie ihn regelmäßig. Hier zeigt sich, welch kommunikativer Mensch er ist. Viele Leute besuchten ihn: seine Frisörin, die Vermieterin, der Wirt, der Briefträger; nur seine Exfrau und seine Kinder kamen nicht. Seine Nachlassverwaltung übertrug er seinem Arbeitsteam. So wie sie die Wohnungen von einsam verstorbenen Menschen räumten und reinigten sollte es auch bei ihm sein. Als das Team ehrfürchtig die Wohnung von Herrn Sakai betritt erleben sie eine Überraschung. Er, der ein Messi, ein Sammler war, hat die Wohnung noch vor seinem Tod räumen, reinigen und renovieren lassen. Er wollte nichts von seinem Team und bat sie, für ihn zu beten. Suzu sinniert: „Wie der eigene Tod war auch der eines anderen nicht vorstellbar. Wohin ging einer? Und wo war er jetzt? War er in der Luft, die ich einatmete? Herr Sakai und seine Sakaihaftigkeit konnte sich nicht einfach aufgelöst haben. Partikel von ihm und von dem, was ihn ausgemacht hatte, mussten in der Atmosphäre sein, und wer weiß, dachte ich, ob sie nicht dadurch, dass ich sie einatmete, in mir weiterleben?“ (Seite 280)
Das Buch spielt im Zeitraum eines Jahres und die einzelnen Kapitel sind den Jahreszeiten zugeordnet. Man wird mit deutschen Worten, Texten in die japanische Welt entführt und da noch in einen, für viele unbekannten Bereich, dem Leben und Sterben von einsamen Menschen.
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Frau Flasar las im Rahmen des Literaturfestivals „Literatur & Wein“ im Stift Göttweig aus diesem, ihrem neuen Buch. Es handelt - so wie die vorangegangenen Romane – in Japan. Die Hauptperson ist eine junge Frau, die sehr auf sich zurückgezogen lebt. Das Studium hatte sie abgebrochen, weil sie keinen Anschluss und keine Freundschaften der Universitätscommunity fand. Da sie allein in der Stadt wohnte musste sie für ihren Unterhalt sorgen und nahm verschiedene Aushilfsarbeiten an. Sie lebt allein mit einem Hamster. Als Kellnerin war sie nicht ausreichend Kundenorientiert und wurde gekündigt. Der Chef sagte zu ihr „Um es auf den Punkt zu bringen, Sie sollten sich einen Job suchen, bei dem Sie so wenig wie möglich mit Menschen zu tun haben.“ (Seite 34) Sie suchte also nach einem Job, bei dem sie wenig oder keinen Kontakt zu anderen Menschen hat und bewarb sich bei einem Reinigungsunternehmen. Das entpuppte sich als Firma, die Wohnungen von einsam verstorbenen Menschen (man nennt sie Kodokushi) räumte. Hier erfährt man, dass viele Einsame ein Auto mieten und in diesem ihrer Einsamkeit nachkommen. Man stellte dies fest, nachdem viele Auto lange vermietet waren, aber keine gefahrenen Kilometer auswiesen.
Sie bekam den Zuschlag. Die Arbeit war schwierig und der Geruch, der lange unentdeckten Leichen hielt sich lange am Körper. Der Vorgang der Wohnungsräumung wurde sehr pietätvoll durchgeführt. Das Räumungsteam klopft an die Wohnungstür und bittet um Einlass, obwohl der Mensch dahinter tot ist. Dann sprechen sie mit ihm, als würde er leben. „Wir sind gekommen, um dir beim Aufräumen zu helfen. Bitte erschrick nicht. Ich weiß, es ist unangenehm, fremde Menschen an sein Zeug ranzulassen, aber ich verspreche dir, wir werden deine Privatsphäre respektieren …“ (Seite 226) Die leere und gereinigte Wohnung wurde dann an die Angehörigen übergeben. Dazu stellte das Team einen kleinen Hausaltar auf und übergab eine Box mit Erinnerungsstücken.
Der Chef war sehr kommunikativ, was nicht ihrer Natur entsprach. So organisierte er ein Kirschblütenfest, an dem sie sich nicht sehr gern beteiligte. Der Chef, Herr Sakai, war ein guter Vorgesetzter und kümmerte sich um seine Mitarbeiter. Suzu, die junge Frau, die in der Ichform diese Geschichte erzählt, wird durch ihn animiert, aus ihrer Einsamkeit geholt und sie bekommt Anschluss mit den alten Nachbarn im Haus, in dem sie wohnt und dem Kollegen Takada. Dieser wohnt in einer einfachen Kabine allein. Als er nicht zur Arbeit kommt, schickt der Chef Suzu zu ihm. Sie findet ihn schwer krank. Kurz entschlossen übersiedelt sie ihn in ihre Wohnung und pflegt ihn gesund.
Die einsame Frau bekam Anschluss und suchte auch den Kontakt zu ihren Eltern wieder. Nach 1 ½ Jahren besucht sie sie. Sie ist auch standfest und erzählt von ihrem Job, den sie liebt. Die Eltern hätten es lieber gesehen, wenn sie studiert, geheiratet und Kinder hätte. Aber sie akzeptieren es.
Der Chef öffnet sich ebenfalls und erzählt seine Lebensgeschichte. Er leidet an einem starken Husten und als er endlich zu einem Arzt geht konstatiert dieser nur mehr eine kurze Lebenszeit. Herr Sakai versucht die Nachfolge der Firma zu regeln und die vier Mitarbeiter erledigen die Arbeit ohne ihn. Als er ins Spital kommt, besuchen sie ihn regelmäßig. Hier zeigt sich, welch kommunikativer Mensch er ist. Viele Leute besuchten ihn: seine Frisörin, die Vermieterin, der Wirt, der Briefträger; nur seine Exfrau und seine Kinder kamen nicht. Seine Nachlassverwaltung übertrug er seinem Arbeitsteam. So wie sie die Wohnungen von einsam verstorbenen Menschen räumten und reinigten sollte es auch bei ihm sein. Als das Team ehrfürchtig die Wohnung von Herrn Sakai betritt erleben sie eine Überraschung. Er, der ein Messi, ein Sammler war, hat die Wohnung noch vor seinem Tod räumen, reinigen und renovieren lassen. Er wollte nichts von seinem Team und bat sie, für ihn zu beten. Suzu sinniert: „Wie der eigene Tod war auch der eines anderen nicht vorstellbar. Wohin ging einer? Und wo war er jetzt? War er in der Luft, die ich einatmete? Herr Sakai und seine Sakaihaftigkeit konnte sich nicht einfach aufgelöst haben. Partikel von ihm und von dem, was ihn ausgemacht hatte, mussten in der Atmosphäre sein, und wer weiß, dachte ich, ob sie nicht dadurch, dass ich sie einatmete, in mir weiterleben?“ (Seite 280)
Das Buch spielt im Zeitraum eines Jahres und die einzelnen Kapitel sind den Jahreszeiten zugeordnet. Man wird mit deutschen Worten, Texten in die japanische Welt entführt und da noch in einen, für viele unbekannten Bereich, dem Leben und Sterben von einsamen Menschen.
HOLL, Adolf
Der letzte Christ Buch
2023.
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author = {Adolf HOLL},
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date = {2023-05-13},
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abstract = {HOLL, Adolf: „Der letzte Christ“, Salzburg Wien 2023
Der immer kritische Theologe, Schriftsteller und Publizist Adolf Holl ist 2020 verstorben. Der Residenzverlag gab jetzt seine Biografie über Franz von Assisi, die 1971 erstmals erschienen ist neu heraus. Es ist mehr als eine Biografie. Es ist auch eine sehr gute Schilderung der Zeit und des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit (wie es Holl definiert). Holl hat 33 Bücher geschrieben, die vorliegende Monografie ist mit ihren 400 Seiten das umfangreichste Buch. Die 44 Jahre des Franz von Assisi werden in einzelne Lebensabschnitte geteilt und immer ins Umfeld der Gesellschaft und historischen Ereignisse gestellt. So erfährt man von Holl, dass im Mittelalter nur 180 Tage im Jahr gearbeitet wurde; der Rest waren Feiertage. Eine Arbeitszeit, die man sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr vorstellen kann.
Die ersten 24 Jahre des Franz von Assisi sind eher ereignislos. Er stammte aus einer reichen Familie und führte ein ausschweifendes Leben. Bei einem Kampf der Stadt Assisi gegen die Nachbarstadt Perugia kommt er in Gefangenschaft, aus der ihn der Vater nach einiger Zeit freikaufen kann. Anschließend ändert sich sein Leben. Er macht eine Wallfahrt nach Rom und vereinsamt. Letztlich bricht er mit seiner Familie und zieht sich in ein Bettlerdasein zurück. Dabei restauriert er Kapellen und Kirchen der Umgebung und lebt von Almosen. Die Trennung von der Familie endet mit einem Eklat, bei dem er splitternackt in Assisi auftritt. Die Bevölkerung stuft ihn zu Beginn als Narren ein, respektiert und schätzt ihn aber zunehmend. Vor allem die niedrigeren Gesellschaftsschichten schätzen ihn. Später holt er sich eine Erlaubnis des Papstes, um predigen zu dürfen und so zieht er zehn Jahre durch die Lande. Er kommt aus Italien hinaus, predigt auch in Dalmatien, Spanien und kommt ins heilige Land. Sein erster und wichtigster Mitstreiter war Leo. Ihm verdankt die Nachwelt auch viele Aufzeichnungen. Die unteren Schichten der Gesellschaft sehnen sich nach Predigten und Aussagen von Franz. Er traf mit seinen Reden den Zeitgeist. „Auch in anderen europäischen Städten wurden ab dem elften Jahrhundert Revolten gegen die Geistlichkeit mit Erfolg durchgeführt“ (Seite 50) Seine Organisation – sie nennen sich „Minderbrüder“, weil sie allen Besitz ablehnen – waren nach Plan von Franz nie ein Orden mit Klöstern, sondern eine Genossenschaft von Gleichgesinnten. Er hat sich nie wie ein Abt benommen und hat seinen Mitbrüdern seine Lebenseinstellung vorgelebt, indem er auf alles verzichtete. Keinerlei Besitz. Nur eine Kutte, eine Schnur, die sie zusammenhielt und eine Unterhose. Sommers und Winters ging er ohne Schuhe. Er führte ein absolutes Verbot des Geldgebrauchs ein. „Das Geld als Sündenbock für den Verfall aller Werte.“ (Seite 135)
Holl beschreibt die Beziehung von Franz zu Klara und nennt sie ein Liebespaar, ohne dass sie geschlechtliche Kontakte hatten. Klara stammte wie Franz aus einem reichen und angesehenen Haus. Sie gründete mit Unterstützung von Franz einen weiblichen Ableger der Gesellschaft. Franz hält bis zu seinem Tod Kontakt mit Klara und ist deren Berater.
Seine Bruderschaft erhält durch einen kostenlosen Pacht von den Benediktinern ein Stammhaus unterhalb der Stadt Assisi. Die Anhängerschaft wächst jedes Jahr geht bald in die Tausende. Einmal pro Jahr treffen sie sich zu Pfingsten zu einer Versammlung. Die geografische Ausdehnung erfordert eine Organisation in fünf Regionen, die von Provinzialministern geleitet werden. Obwohl Franz eine strikte Organisation ablehnte, kam es doch zu Regelungen. Als Beispiele seien hier erwähnt:
„Jeder Standesunterschied unter den Minderbrüdern, auch der zwischen Laien und geweihten Priestern, ist verpönt.
Ein periodischer Wechsel zwischen Oberen und Untergebenen ist unbedingt erforderlich.
Die Ämter im Orden sollen als Dienstleistung gelten, weshalb dafür auch die Namen minister (Diener), cusios (Beschützer), guardian (Wachhabender) eingeführt werden.“ (Seite 228)
Vieles aus dem Leben des Heiligen ist nicht dokumentiert. Holl versucht es zu interpretieren und kommt so zum Schluss, dass sein Kontakt in Palästina mit den Kreuzrittern und deren Schlachten sehr einprägsam gewesen sein muss. Schmerzlich war für ihn auch, dass aus seinem Verein, seiner Genossenschaft eine Institution, ein Orden wurde. Er, der besitzlos leben wollte, musste Zugeständnisse zur Errichtung von Ordenshäusern machen. Auch übernahmen zunehmend akademische Mitbrüder das Sagen.
In der Pfingstversammlung des Jahres 1221 gab er die Führung seiner Brüderschaft ab und meinte „Von jetzt an bin ich tot für euch.“ Die Amtskirche versuchte immer mehr Einfluss zu gewinnen. Seine Sorgen veränderten auch seinen Gesundheitszustand und so entstanden auch die Narben des Gekreuzigten. Holl versucht deren Entstehung wissenschaftlich zu begründen. Da er in immer schlechterem Gesundheitszustand seinen Wanderungen nicht mehr nachkommen konnte, zog er auf einem Esel reitend durch die Gegend. Man brachte ihn als Kranken in den Palast des Bischofs von Assisi. Als Franz die Nähe des Todes spürte, bat er, ihn ins Stammhaus am Fuss der Stadt zu bringen. Dies war sehr zum Unwillen der Stadt, denn Franz war zu diesem Zeitpunkt schon ein anerkannter „Heiliger“ und seine Leiche hätte einen Wert für die Stadt dargestellt. So verstarb er dort, wo er begonnen hatte: in der kleinen Kapelle, die er von eigener Hand renoviert hatte. Erst Jahre später baute man ihm eine ehrwürdige große Kirche in der Stadt. Als sein Leichnam überführt wurde, hat man ihn in einem geheimen Platz im Kirchenkomplex begraben. Ein Platz, der erst am Ende des 19. Jahrhundert entdeckt wurde. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde Franz heiliggesprochen.
Die Bruderschaft der Franziskaner spaltete sich später weiter auf. Die Besitzlosigkeit der Mitbrüder wurde durch externe „Nicht-Mitglieder“ umgangen.
Holl versucht auch Ähnlichkeiten zwischen Franz von Assisi und Mao Tse-tung herzustellen. Wie Mao sorgte er sich, dass die Intellektuellen die manuelle Arbeit vernachlässigen könnten. Seine Abkehr von der bürgerlichen Klasse, aus der er kam, wird mit Karl Marx verglichen. Es werden aber auch Trends in der heutigen Gesellschaft registriert, wo Jugendliche in Industrieländern eine Abkehr von ihren bürgerlichen Familien anstreben.
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Der immer kritische Theologe, Schriftsteller und Publizist Adolf Holl ist 2020 verstorben. Der Residenzverlag gab jetzt seine Biografie über Franz von Assisi, die 1971 erstmals erschienen ist neu heraus. Es ist mehr als eine Biografie. Es ist auch eine sehr gute Schilderung der Zeit und des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit (wie es Holl definiert). Holl hat 33 Bücher geschrieben, die vorliegende Monografie ist mit ihren 400 Seiten das umfangreichste Buch. Die 44 Jahre des Franz von Assisi werden in einzelne Lebensabschnitte geteilt und immer ins Umfeld der Gesellschaft und historischen Ereignisse gestellt. So erfährt man von Holl, dass im Mittelalter nur 180 Tage im Jahr gearbeitet wurde; der Rest waren Feiertage. Eine Arbeitszeit, die man sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr vorstellen kann.
Die ersten 24 Jahre des Franz von Assisi sind eher ereignislos. Er stammte aus einer reichen Familie und führte ein ausschweifendes Leben. Bei einem Kampf der Stadt Assisi gegen die Nachbarstadt Perugia kommt er in Gefangenschaft, aus der ihn der Vater nach einiger Zeit freikaufen kann. Anschließend ändert sich sein Leben. Er macht eine Wallfahrt nach Rom und vereinsamt. Letztlich bricht er mit seiner Familie und zieht sich in ein Bettlerdasein zurück. Dabei restauriert er Kapellen und Kirchen der Umgebung und lebt von Almosen. Die Trennung von der Familie endet mit einem Eklat, bei dem er splitternackt in Assisi auftritt. Die Bevölkerung stuft ihn zu Beginn als Narren ein, respektiert und schätzt ihn aber zunehmend. Vor allem die niedrigeren Gesellschaftsschichten schätzen ihn. Später holt er sich eine Erlaubnis des Papstes, um predigen zu dürfen und so zieht er zehn Jahre durch die Lande. Er kommt aus Italien hinaus, predigt auch in Dalmatien, Spanien und kommt ins heilige Land. Sein erster und wichtigster Mitstreiter war Leo. Ihm verdankt die Nachwelt auch viele Aufzeichnungen. Die unteren Schichten der Gesellschaft sehnen sich nach Predigten und Aussagen von Franz. Er traf mit seinen Reden den Zeitgeist. „Auch in anderen europäischen Städten wurden ab dem elften Jahrhundert Revolten gegen die Geistlichkeit mit Erfolg durchgeführt“ (Seite 50) Seine Organisation – sie nennen sich „Minderbrüder“, weil sie allen Besitz ablehnen – waren nach Plan von Franz nie ein Orden mit Klöstern, sondern eine Genossenschaft von Gleichgesinnten. Er hat sich nie wie ein Abt benommen und hat seinen Mitbrüdern seine Lebenseinstellung vorgelebt, indem er auf alles verzichtete. Keinerlei Besitz. Nur eine Kutte, eine Schnur, die sie zusammenhielt und eine Unterhose. Sommers und Winters ging er ohne Schuhe. Er führte ein absolutes Verbot des Geldgebrauchs ein. „Das Geld als Sündenbock für den Verfall aller Werte.“ (Seite 135)
Holl beschreibt die Beziehung von Franz zu Klara und nennt sie ein Liebespaar, ohne dass sie geschlechtliche Kontakte hatten. Klara stammte wie Franz aus einem reichen und angesehenen Haus. Sie gründete mit Unterstützung von Franz einen weiblichen Ableger der Gesellschaft. Franz hält bis zu seinem Tod Kontakt mit Klara und ist deren Berater.
Seine Bruderschaft erhält durch einen kostenlosen Pacht von den Benediktinern ein Stammhaus unterhalb der Stadt Assisi. Die Anhängerschaft wächst jedes Jahr geht bald in die Tausende. Einmal pro Jahr treffen sie sich zu Pfingsten zu einer Versammlung. Die geografische Ausdehnung erfordert eine Organisation in fünf Regionen, die von Provinzialministern geleitet werden. Obwohl Franz eine strikte Organisation ablehnte, kam es doch zu Regelungen. Als Beispiele seien hier erwähnt:
„Jeder Standesunterschied unter den Minderbrüdern, auch der zwischen Laien und geweihten Priestern, ist verpönt.
Ein periodischer Wechsel zwischen Oberen und Untergebenen ist unbedingt erforderlich.
Die Ämter im Orden sollen als Dienstleistung gelten, weshalb dafür auch die Namen minister (Diener), cusios (Beschützer), guardian (Wachhabender) eingeführt werden.“ (Seite 228)
Vieles aus dem Leben des Heiligen ist nicht dokumentiert. Holl versucht es zu interpretieren und kommt so zum Schluss, dass sein Kontakt in Palästina mit den Kreuzrittern und deren Schlachten sehr einprägsam gewesen sein muss. Schmerzlich war für ihn auch, dass aus seinem Verein, seiner Genossenschaft eine Institution, ein Orden wurde. Er, der besitzlos leben wollte, musste Zugeständnisse zur Errichtung von Ordenshäusern machen. Auch übernahmen zunehmend akademische Mitbrüder das Sagen.
In der Pfingstversammlung des Jahres 1221 gab er die Führung seiner Brüderschaft ab und meinte „Von jetzt an bin ich tot für euch.“ Die Amtskirche versuchte immer mehr Einfluss zu gewinnen. Seine Sorgen veränderten auch seinen Gesundheitszustand und so entstanden auch die Narben des Gekreuzigten. Holl versucht deren Entstehung wissenschaftlich zu begründen. Da er in immer schlechterem Gesundheitszustand seinen Wanderungen nicht mehr nachkommen konnte, zog er auf einem Esel reitend durch die Gegend. Man brachte ihn als Kranken in den Palast des Bischofs von Assisi. Als Franz die Nähe des Todes spürte, bat er, ihn ins Stammhaus am Fuss der Stadt zu bringen. Dies war sehr zum Unwillen der Stadt, denn Franz war zu diesem Zeitpunkt schon ein anerkannter „Heiliger“ und seine Leiche hätte einen Wert für die Stadt dargestellt. So verstarb er dort, wo er begonnen hatte: in der kleinen Kapelle, die er von eigener Hand renoviert hatte. Erst Jahre später baute man ihm eine ehrwürdige große Kirche in der Stadt. Als sein Leichnam überführt wurde, hat man ihn in einem geheimen Platz im Kirchenkomplex begraben. Ein Platz, der erst am Ende des 19. Jahrhundert entdeckt wurde. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde Franz heiliggesprochen.
Die Bruderschaft der Franziskaner spaltete sich später weiter auf. Die Besitzlosigkeit der Mitbrüder wurde durch externe „Nicht-Mitglieder“ umgangen.
Holl versucht auch Ähnlichkeiten zwischen Franz von Assisi und Mao Tse-tung herzustellen. Wie Mao sorgte er sich, dass die Intellektuellen die manuelle Arbeit vernachlässigen könnten. Seine Abkehr von der bürgerlichen Klasse, aus der er kam, wird mit Karl Marx verglichen. Es werden aber auch Trends in der heutigen Gesellschaft registriert, wo Jugendliche in Industrieländern eine Abkehr von ihren bürgerlichen Familien anstreben.
ROSEI, Peter
Von hier nach dort Buch
2023.
@book{ROSEI2023b,
title = {Von hier nach dort},
author = {Peter ROSEI},
year = {2023},
date = {2023-04-26},
urldate = {2023-04-26},
abstract = {ROSEI, Peter: „Von hier nach dort“, Salzburg Wien 2023
Das Buch erschien im Residenzverlag schon 1978. Es hat die Fahrt mit einem Rad zum Thema. Wer das letzte Buch von Peter Rosei („Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung“) gelesen hat, weiß, dass er damals in Salzburg gewohnt hat und einen Auftrag für ein Filmprojekt im Salzburgerland bekam. Da er für diesen Job eine Fahrmöglichkeit brauchte, aber keinen Führerschein und auch kein Auto besaß, kaufte er sich ein Moped und unternahm damit in der Folge lange Fahrten. Allein und mit seinem Freund fuhr er bis Venedig und Triest.
Im vorliegenden Buch, das zu dieser Zeit entstand, werden die Orte aber nur anonym beschrieben. Er erzählt von Landschaften und Städten, durch die er kommt. Oft fuhr er in der Nacht und nahm erst wenn es hell wurde ein Zimmer zum Schlafen. Unaufgefordert setzte er sich bei einer Rast an einen Tisch mit jungen Menschen. Unaufgefordert begann er zu reden: „Ich bin unterwegs, sagte ich, ich fahre ans Meer.“ (Seite 47) und er animierte dann die jungen Leute ihre Geschichten zu erzählen und jeder folgte dem und erzählte seine Geschichte.
Er ist allein unterwegs. Ein Einsamer. Da fragte er sich „Wem gehört ein Einsamer? Welches Ziel hat ein solcher?“ (Seite 48) Obwohl er sich kommunikativ zeigt, mit Menschen in Kontakt kommt und diese für den Leser beschreibt. „So einfach ist es manchmal, einen Menschen zu gewinnen.“ (Seite 54)
Im zweiten Abschnitt des Buchs wohnt er in einer Stadt in einem „Hotel“ namens BAHIA. „Das Bahia ist eine Art von Miethaus in einer abgewohnten Gegend dieser Stadt. Ich habe ein Zimmer dort. Es ist ein billiges Zimmer, Bett, Stuhl, Tisch, Kasten, mehr brauche ich nicht. Selbst im Winter bin ich nur selten da. Bin ich da, schlafe ich.“ (Seite 61) Seine Mitbewohner sind alte Menschen und solche, die sich eine normale Wohnung nicht mehr leisten können. Hier trifft er auch auf seinen Freund, den er Perkins nennt. Sie kommen beim „Italiener“, einem Alteisenhändler zusammen. Mit ihm handeln sie auch mit Rauschgift. Der Proponent beschreibt, wie er den Stoff an die Kunden bringt. Letztlich haben sie viel Geld. Wie Dagobert Duck badet er im Geld: „Im Zimmer warf ich das Geld auf den Boden. Das andere Geld holte ich aus dem Kasten und warf es dazu. Ich wälzte mich in dem Geld, und weil ich es zu wenig spüren konnte, zog ich mich aus und wälzte mich und lachte.“ (Seite 101)
Im dritten und letzten Abschnitt verreist er. Er ist reich und gibt das Geld auch aus, fährt Taxi ohne ein Ziel. Wohnt und isst gut. Fliegt weg. Landet in Fiumicino, ist also in Rom. Ein Horoskop beschreibt ihn: „Du bist eine so verdienstvolle Person, dass Erfolg dich hold sein muss; vergesse das Leid; denke nicht mehr an den Ungerechtigkeiten, die dugelitten hast und beseitige deine Zweifel, Weil die verdiente Glueckseiligkeit bald kommen wird.“ (Seite 118)
Die Geschichte ist eine Reise von arm nach reich, vom Land ans Meer, von hier nach dort. Manche Textabschnitte werden im Buch wiederholt. Das stört nicht, sondern unterstreicht eine Situation.
Die Erzählung ist ansprechend geschrieben. Schön, dass sie der Residenzverlag wieder neu aufgelegt hat. Oft sind die frühen Erzählungen von Dichtern sehr gut. Später schreiben sie dann oft für ihren Namen, Ruhm und den Marketingerfolg. In diesen Frühwerken kommt noch die wahre Begabung zum Vorschein
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Das Buch erschien im Residenzverlag schon 1978. Es hat die Fahrt mit einem Rad zum Thema. Wer das letzte Buch von Peter Rosei („Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung“) gelesen hat, weiß, dass er damals in Salzburg gewohnt hat und einen Auftrag für ein Filmprojekt im Salzburgerland bekam. Da er für diesen Job eine Fahrmöglichkeit brauchte, aber keinen Führerschein und auch kein Auto besaß, kaufte er sich ein Moped und unternahm damit in der Folge lange Fahrten. Allein und mit seinem Freund fuhr er bis Venedig und Triest.
Im vorliegenden Buch, das zu dieser Zeit entstand, werden die Orte aber nur anonym beschrieben. Er erzählt von Landschaften und Städten, durch die er kommt. Oft fuhr er in der Nacht und nahm erst wenn es hell wurde ein Zimmer zum Schlafen. Unaufgefordert setzte er sich bei einer Rast an einen Tisch mit jungen Menschen. Unaufgefordert begann er zu reden: „Ich bin unterwegs, sagte ich, ich fahre ans Meer.“ (Seite 47) und er animierte dann die jungen Leute ihre Geschichten zu erzählen und jeder folgte dem und erzählte seine Geschichte.
Er ist allein unterwegs. Ein Einsamer. Da fragte er sich „Wem gehört ein Einsamer? Welches Ziel hat ein solcher?“ (Seite 48) Obwohl er sich kommunikativ zeigt, mit Menschen in Kontakt kommt und diese für den Leser beschreibt. „So einfach ist es manchmal, einen Menschen zu gewinnen.“ (Seite 54)
Im zweiten Abschnitt des Buchs wohnt er in einer Stadt in einem „Hotel“ namens BAHIA. „Das Bahia ist eine Art von Miethaus in einer abgewohnten Gegend dieser Stadt. Ich habe ein Zimmer dort. Es ist ein billiges Zimmer, Bett, Stuhl, Tisch, Kasten, mehr brauche ich nicht. Selbst im Winter bin ich nur selten da. Bin ich da, schlafe ich.“ (Seite 61) Seine Mitbewohner sind alte Menschen und solche, die sich eine normale Wohnung nicht mehr leisten können. Hier trifft er auch auf seinen Freund, den er Perkins nennt. Sie kommen beim „Italiener“, einem Alteisenhändler zusammen. Mit ihm handeln sie auch mit Rauschgift. Der Proponent beschreibt, wie er den Stoff an die Kunden bringt. Letztlich haben sie viel Geld. Wie Dagobert Duck badet er im Geld: „Im Zimmer warf ich das Geld auf den Boden. Das andere Geld holte ich aus dem Kasten und warf es dazu. Ich wälzte mich in dem Geld, und weil ich es zu wenig spüren konnte, zog ich mich aus und wälzte mich und lachte.“ (Seite 101)
Im dritten und letzten Abschnitt verreist er. Er ist reich und gibt das Geld auch aus, fährt Taxi ohne ein Ziel. Wohnt und isst gut. Fliegt weg. Landet in Fiumicino, ist also in Rom. Ein Horoskop beschreibt ihn: „Du bist eine so verdienstvolle Person, dass Erfolg dich hold sein muss; vergesse das Leid; denke nicht mehr an den Ungerechtigkeiten, die dugelitten hast und beseitige deine Zweifel, Weil die verdiente Glueckseiligkeit bald kommen wird.“ (Seite 118)
Die Geschichte ist eine Reise von arm nach reich, vom Land ans Meer, von hier nach dort. Manche Textabschnitte werden im Buch wiederholt. Das stört nicht, sondern unterstreicht eine Situation.
Die Erzählung ist ansprechend geschrieben. Schön, dass sie der Residenzverlag wieder neu aufgelegt hat. Oft sind die frühen Erzählungen von Dichtern sehr gut. Später schreiben sie dann oft für ihren Namen, Ruhm und den Marketingerfolg. In diesen Frühwerken kommt noch die wahre Begabung zum Vorschein
ROSEI, Peter
Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung Buch
2023.
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title = {Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung},
author = {Peter ROSEI},
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date = {2023-04-24},
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abstract = {ROSEI, Peter: „Das wunderbare Leben. Wahrheit und Dichtung“, Salzburg Wien 2023
Es ist eine Biografie, in der der Dichter Rosei sehr viel aus seinem Leben preisgibt. Teilweise ist es sehr Intimes und Vertrauliches. Etwa, wie das Zusammenleben mit seiner Frau war, wie er ein Verhältnis mit einer Reitstallbesitzerin hatte. Schreibt man solche Dinge, nach dem Tod der Betroffenen, ist man frei. Aber Rosei holt Menschen aus seinem Leben auf die Bühne, die das noch lesen können. Es ist eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Das Verhältnis zu den Eltern, zum Vater und zur Mutter wird beschrieben. Wo und wie die Familie wohnte. Ersichtlich wird auch, dass er aus einfachen Verhältnissen kommt und es zu einem akademischen Abschluss und einem namhaften Dichter brachte. Als Student musste er fleißig sein, um das notwendige Stipendium zu bekommen. Bei der ersten Hochzeit kommen zwei Welten zusammen: die Frau aus einem gutbürgerlichen provinziellen Milieu und er aus einfachen Wiener Verhältnissen. Mit einem guten Job beim Maler Fuchs konnte er seine Lebensverhältnisse gut meistern. Das intensive Engagement in der Kunstszene entfernte ihn aber von der Frau. Sie ging ein Verhältnis ein, kam aber reumütig und schwanger zu ihm wieder zurück. „Nach der Geburt fand ich mich als Vater zu einem fremden Kind wieder.“ (Seite 65)
Für den Laien auch interessant, dass er in Venedig lebte und überhaupt viel gereist ist. Salzburg blieb aber ein wichtiger Fokuspunkt im Leben. Ein Literaturkongress in Holland brachte ihm ein Verhältnis zu einer älteren und gut situierten Frau ein. Aber auch seine Männerfreundschaft zu anderen Dichtern werden angesprochen.
Da er keinen Führerschein und kein Auto besaß und einen Filmauftrag im Salzburgischen bekam, kaufte er sich ein Moped, mit dem er mit einem Freund, bis Triest gefahren ist.
Am Ende kommt er nochmals auf die Familie und die Eltern beziehungsweise Großeltern in Kärnten zurück. Kärnten, wo er viele Sommerferien als Kind und später als Student verbrachte.
Er stellt sich auch selbst die Frage „Bin ich ein guter Mensch geworden?“ (Seite 194) und beantwortet sie so „Mit dem Begriff Sünde, der Vorstellung, etwas verbrochen zu haben, das sich nie wieder gutmachen lässt, damit kann ich nichts anfangen. Nein, ich bin kein Sünder. Ich habe mich bemüht.“ (Seite 195)
Wenn man die Lebensgeschichte eines etwa gleich alten Schriftstellers liest, so sieht man vieles aus dem eigenen Leben. Viel Ähnlichkeit. Nun ja, dieselbe Umwelt. In diesem Fall auch viele Parallelen des jeweiligen Gesellschaftskreises.
In der Zusammenfassung am Ende des Buches zeigt Rosei seine vorangegangenen Überlegungen zu diesem Buch auf. „Lange habe ich gezögert, über mein Leben etwas aufzuschreiben. Was langläufig unter Memoiren verstanden wird, kam mir abgeschmackt und lächerlich vor. … So einfach wollte ich es mir nicht machen. Mir schwebte etwas ganz anderes vor, mein Ziel war höhergesteckt.“ (Seite 250) Weiters überlegte er, sein Leben in einem Roman zu beschreiben, weil ja ohnehin in der Erinnerung vieles nicht mehr der Realität entspricht. Deshalb auch der Untertitel „Wahrheit und Dichtung“. Das vorliegende Ergebnis besteht aus Fragmenten und das Leben ist bei weitem nicht lückenlos dargestellt. Auch stilistisch stammen die einzelnen Kapiteln aus verschiedenen Zeiten und wirken nicht zusammengehörig.
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Es ist eine Biografie, in der der Dichter Rosei sehr viel aus seinem Leben preisgibt. Teilweise ist es sehr Intimes und Vertrauliches. Etwa, wie das Zusammenleben mit seiner Frau war, wie er ein Verhältnis mit einer Reitstallbesitzerin hatte. Schreibt man solche Dinge, nach dem Tod der Betroffenen, ist man frei. Aber Rosei holt Menschen aus seinem Leben auf die Bühne, die das noch lesen können. Es ist eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Das Verhältnis zu den Eltern, zum Vater und zur Mutter wird beschrieben. Wo und wie die Familie wohnte. Ersichtlich wird auch, dass er aus einfachen Verhältnissen kommt und es zu einem akademischen Abschluss und einem namhaften Dichter brachte. Als Student musste er fleißig sein, um das notwendige Stipendium zu bekommen. Bei der ersten Hochzeit kommen zwei Welten zusammen: die Frau aus einem gutbürgerlichen provinziellen Milieu und er aus einfachen Wiener Verhältnissen. Mit einem guten Job beim Maler Fuchs konnte er seine Lebensverhältnisse gut meistern. Das intensive Engagement in der Kunstszene entfernte ihn aber von der Frau. Sie ging ein Verhältnis ein, kam aber reumütig und schwanger zu ihm wieder zurück. „Nach der Geburt fand ich mich als Vater zu einem fremden Kind wieder.“ (Seite 65)
Für den Laien auch interessant, dass er in Venedig lebte und überhaupt viel gereist ist. Salzburg blieb aber ein wichtiger Fokuspunkt im Leben. Ein Literaturkongress in Holland brachte ihm ein Verhältnis zu einer älteren und gut situierten Frau ein. Aber auch seine Männerfreundschaft zu anderen Dichtern werden angesprochen.
Da er keinen Führerschein und kein Auto besaß und einen Filmauftrag im Salzburgischen bekam, kaufte er sich ein Moped, mit dem er mit einem Freund, bis Triest gefahren ist.
Am Ende kommt er nochmals auf die Familie und die Eltern beziehungsweise Großeltern in Kärnten zurück. Kärnten, wo er viele Sommerferien als Kind und später als Student verbrachte.
Er stellt sich auch selbst die Frage „Bin ich ein guter Mensch geworden?“ (Seite 194) und beantwortet sie so „Mit dem Begriff Sünde, der Vorstellung, etwas verbrochen zu haben, das sich nie wieder gutmachen lässt, damit kann ich nichts anfangen. Nein, ich bin kein Sünder. Ich habe mich bemüht.“ (Seite 195)
Wenn man die Lebensgeschichte eines etwa gleich alten Schriftstellers liest, so sieht man vieles aus dem eigenen Leben. Viel Ähnlichkeit. Nun ja, dieselbe Umwelt. In diesem Fall auch viele Parallelen des jeweiligen Gesellschaftskreises.
In der Zusammenfassung am Ende des Buches zeigt Rosei seine vorangegangenen Überlegungen zu diesem Buch auf. „Lange habe ich gezögert, über mein Leben etwas aufzuschreiben. Was langläufig unter Memoiren verstanden wird, kam mir abgeschmackt und lächerlich vor. … So einfach wollte ich es mir nicht machen. Mir schwebte etwas ganz anderes vor, mein Ziel war höhergesteckt.“ (Seite 250) Weiters überlegte er, sein Leben in einem Roman zu beschreiben, weil ja ohnehin in der Erinnerung vieles nicht mehr der Realität entspricht. Deshalb auch der Untertitel „Wahrheit und Dichtung“. Das vorliegende Ergebnis besteht aus Fragmenten und das Leben ist bei weitem nicht lückenlos dargestellt. Auch stilistisch stammen die einzelnen Kapiteln aus verschiedenen Zeiten und wirken nicht zusammengehörig.
von Becker, Stefan Lorenz SORGNER Philipp
Transhumanismus Streitfrage Buch
2023.
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title = {Transhumanismus Streitfrage},
author = {Stefan Lorenz SORGNER
Philipp von Becker},
year = {2023},
date = {2023-04-16},
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abstract = {SORGNER, Stefan Lorenz; BECKER, Philipp von: „Transhumanismus“, Frankfurt 2023
Die Herausgeberin der „Streitfrage“ Lea Mara Eßer stellt im vorliegenden Buch die beiden Kontrahenten , den Philosophen Sorgner und den Publizisten Becker zum Thema „Transhumanismus“ gegenüber.
Streitgespräch. An Streit mangelt es in der heutigen Zeit nicht. Menschen werden in verschiedene Lager eingeteilt, Kontrahenten stehen sich in Arenen gegenüber. Meinungsverschiedenheiten sind für Gesellschaften zwar wichtig und fruchtbar, aber sie verkommen heute oft zu einem Wettkampfspektakel. Das vorliegende Buch will dem entgegenwirken. Es geht hier nicht um Angriff und Verteidigung, sondern um die Darstellung zweier Standpunkte zu einem Thema, zum Transhumanismus. So wurden die beiden Buchbeiträge unabhängig voneinander verfasst. Keiner der beiden Autoren wusste, was der andere schreiben wird. Die Standpunkte stehen also als Standpunkte und bedurften keiner Verteidigung. Dies macht es dem Leser möglich klarere Positionen zu erkennen.
Stefan Lorenz Sorgner, Philosophieprofessor an der John Cabot University in Rom, schrieb den PRO-Teil des Buches. Gleich in der Überschrift seines Artikels drückt er den positiven Zugang aus: „Transhumanismus bedeutet Freiheit“. In seiner Einleitung holt er weit aus und geht 14 Milliarden Jahre, bis zum Urknall, zurück. Die Erde formte sich vor 4,5 Milliarden Jahren und nach einer weiteren Milliarde Jahren entstand die Menschheit. Aus unbelebter Materie entstanden Lebewesen. Er zieht daher die Schlussfolgerung, dass auch auf Siliziumbasis Leben entstehen kann. Den Menschen per se machte erst die Sprache aus und mit ihr wurden wir Menschen „vernunftfähige Cyborgs“. Der Homo Sapiens besteht aus Materie und Unmaterialem.
Transhumanismus als errungene Freiheit: Der Mensch ist ein Wesen, das sich ständig neu erfinden und modifizieren kann, was nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Gesellschaft eine Verbesserung bringt. Der Mensch ist demnach ein evolutionäres Wesen. Die Frage, ob es in 300.000 Jahren noch Menschen geben wird, beantwortet der Autor, „dass Menschen in 300.000 Jahren entweder ausgestorben sein oder sich weiterentwickelt haben werden. Mit dem Voranschreiten neuer technischer Möglichkeiten haben wir die Option, immer stärker in die Evolution einzugreifen.“ (Seite 16) Da der Mensch aus mehr nichtmenschlichen (39 Billionen) als menschlichen (30 Billionen) Zellen besteht, ist nicht auszuschließen, dass auch die digitale Welt immer stärker integriert wird. Das Smartphone als eine körperliche Integrität. Wir sind, so der Autor, „sich ständig in Veränderung befindliche Entitäten, die sowohl nicht-menschliche als auch menschliche Zellen umfassen. Wir sind in diesem Sinne hybride, sprachfähige und sich ständig in jedem Bezug verändernde Cyborgs mit der Fähigkeit, uns selbst upzugraden.“ (Seite 19)
Morphologische Freiheit: Mit der morphologischen Freiheit des Transhumanismus hat der Mensch das Recht, sich ständig nach eigenen Vorstellungen umformen zu dürfen. Mit Neuroenhancement können wir Schlaf, Konzentration, innere Ruhe und Aufmerksamkeit beeinflussen. Schon heute hat jeder vierte Student in den USA auf derartige Substanzen Zugriff. Es sind nur temporäre Veränderungen, die man etwa mit LSD erzielt. Langfristiger gibt diese Freiheit auch das Recht, das eigene Geschlecht zu verändern.
Erziehungsfreiheit: Sie bezieht sich primär auf die Beziehung zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs. Dass unter Erziehung Lesen, Schreiben und Rechnen fällt ist eines. Die Erziehung zu einem „gelungenen Leben“ ist ein anderer Faktor, der auch mit Gesundheit zu tun hat. Der Transhumanismus bezieht hier Gentechnik mit ein, die eine verlängerte Gesundheitsspanne erlaubt.
Reproduktionsfreiheit: Transhumanismus sieht es als Freiheit, dass Sexualität von Reproduktion getrennt wird. Das bedeutet eine Abkehr von der aristotelischen Tradition. Sex wird zur Unterhaltung und Reproduktion ist eine technische Angelegenheit. Schwangerschaft wird in Zukunft in einer externen Gebärmutter abgewickelt, was vieles in der Gesellschaft verändern wird. Frauen mit Frauen, mehrere Frauen mit einem Mann, Männer mit Männern – so können neue Familien organisiert sein. Dass auch Männer Kinder bekommen, ist ein Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit.
Keine Freiheit ohne Gesundheit: Transhumanismus beschränkt sich nicht auf Abwesenheit von Zwang. Eine verlängerte Gesundheitsspanne fördert die personelle Lebensqualität. Leben um des Lebens willen ist keine notwendige Erfüllung. Im Bett liegend und keinen Aktivitäten nachgehen zu können oder gar in einem Krankenhaus an Maschinen angeschlossen zu sein ist keine lebenswerte Lebensverlängerung. Technische und medizintechnische Errungenschaften der letzten 200 Jahre, haben die Lebenserwartung verdoppelt und in Deutschland in den letzten 50 Jahren um 15 Jahre erhöht. In diesem Zusammenhang sind die Verwendung und der Zugriff auf persönliche Daten ausschlaggebend. Das unterscheidet Europa mit striktem Datenschutz von den USA und China grundlegend. Die rechtliche Verpflichtung Daten öffentlich zur Verfügung zu stellen, wird China einen wirtschaftlichen Erfolg bringen, wie ihn andere Regionen (Europa) nicht erreichen werden könne. Um Inzest auszuschließen, müssen etwa in Saudi-Arabien seit 2004 vor der Eheschließung Gentests der Behörde vorgelegt werden.
Keine Freiheit ohne globale soziale Absicherung: Freiheit bedeutet auch eine gewisse soziale Absicherung. In den letzten 200 Jahren wurde die absolute Armutsrate radikal reduziert. Das basiert auf einem erweiterten Technikverständnis, wobei auch Bildung als Technik verstanden wird. Bildungspflicht unterscheidet sich von Schulpflicht. Bildungspflicht kann auch individuell, wie mit Homeschooling, erfüllt werden. Je höher der Bildungsstand eines Landes ist, umso niedriger ist die Fortpflanzungsrate. In Deutschland, Österreich oder Italien etwa unter 1,5. Die Vereinten Nationen veröffentlichten eine Studie, nach der der „12 Milliardste Mensch nie geboren werden wird, wenn Hygiene, Bildung und Zugang zur Krankenversorgung weiterhin so gefördert werden wie bisher. … Eine Förderung der Techniken erhöht die weltweite Lebensqualität, mit der wiederum ein Rückgang der Reproduktionsrate einher geht.“ (Seite 48) Das wiederum hat Auswirkungen auf den Klimawandel, weil weniger Menschen den Globus belasten.
Conclusio: „Alle, die eine skeptische, eine naturalistische, eine diesseitige, eine nicht dualistische oder eine pluralistische Grundhaltung teilen, sollten sich dem Transhumanismus zuwenden. … Alle, die die sozial-liberale Version von Demokratie schätzen und für eine wunderbare Errungenschaft halten, die es auszubauen lohnt, sollten den Transhumanismus umarmen und sich daran beteiligen.“ (Seite 51)
Ein wichtiges Ziel des Transhumanismus ist die Verlängerung der Gesundheitsspanne. Mit neuen Technologien kann der Klimawandel bekämpft werden.
Der Autor schießt optimistisch und enthusiastisch mit „Ich kann die Realisierung unserer posthumanen Zukunft daher kaum erwarten.“ (Seite 54)
Philipp von Becker ist Filmemacher, Autor und Publizist in Berlin. Mit der technischen Transformation des Menschen befasste er sich in seinem Buch „Der neue Glaube an die Unsterblichkeit. Transhumanismus, Biotechnik und digitaler Kapitalismus“. Er ist der Kontrahent zum Thema „Transhumanismus“, der Schreiber des CONTRA. Da es sich in diesem Buch nicht um eine Diskussion, einen Diskurs handelt, sondern in ein paralleles Schreiben der beiden Standpunkte des DAFÜR und DAGEGEN, kommt es im Kapitel des „Gegners“ zu einer Verteidigung des Bestehenden. Im Gegensatz dazu der Verfechter des PRO, der in die Zukunft schauen kann und nichts zu verteidigen hat. So wird wiederholt, dass der Transhumanismus, den von Natur aus defizitär geschaffenen Menschen mit Hilfe von Technologie anpassungsfähiger machen soll. Er soll optimiert, superintelligent die menschlichen Fähigkeiten steigern. Dies passiere – so Becker – auf einer reduktionistischen, szientistisch-technokratischen Sicht auf den Menschen und die Gesellschaft. Die Transformierung solle in drei Feldern passieren:
- biotechnische Eingriffe
- gentechnische Eingriffe
- Verschmelzung von Mensch und Maschine (Implantate, Prothese, Computerschnittstellen)
Der Eingriff ins Erbgut eines Menschen kann zwar zur Vermeidung vererbbarer Krankheiten führen, aber weiterreichende gentechnische Veränderungen werfen ethische, soziale und politische Fragen auf, die zu einer fundamentalen Veränderung des Menschseins führen würden. Den Menschen und die Welt vollständig zu berechnen, würde den Menschen zu einem reinen Instrument machen.
Die derzeitige Vorgangsweise in China nimmt der Autor zum Beispiel und prognostiziert, dass dort Bürger und Soldaten genetisch aufgerüstet werden und so das Land in eine Weltführerschaft bringt.
Wie ein Mensch ausgestattet ist, würde vor seiner Geburt definiert werden. Kinder könnten nachher gegen ihre Eltern prozessiere, weil sie bestimmte Vorkehrungen nicht getroffen haben.
Politisch hätten in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern schon meritokratische und neoliberale Ideologien überhandgenommen.
Ursache von Krankheit und Ungleichheit könne technisch behoben werden. Um möglichst viel im Leben zu erleben, stünde der Mensch unter einem Dauerstress. Er leide unter der Angst nicht genug Zeit für seine persönliche To Do Liste zur Verfügung zu haben. Facebook kann schon heute bei 300 Likes besser die politische Meinung einer Person vorhersagen als der Lebenspartner. Der Vorwurf, dass nicht der Mensch intelligenter wird, sondern die künstliche Intelligenz wird ins Treffen geführt. Algorithmen könnten den Wähler und den entscheidenden Konsumenten ersetzen. Der Rückgang der Religionen wird mit dem Aufkommen eines neuen Gottes, des Dataismus begründet. Da der Mensch maschinengesteuert nicht mehr gegen Verbote verstoßen kann, fühlt er sich von Gottes Gesetzen befreit. Die Frage „Wer entscheidet in einer Welt totaler Computerisierung?“ führt zu mehr Macht der Führenden, jener, die die Systeme und Algorithmen beherrschen und verwalten. Die digitale Diktatur Chinas wird als Blaupause für andere Länder gesehen. In einer maschinengesteuerten Welt würden die Menschen verlernen selbst zu denken, zu entscheiden und könnten nicht mehr selbst moralisch handeln.
Dieses neue Format des Westend Verlags ist zu begrüßen. Es lässt zwei unterschiedliche Meinungen nebeneinanderstehen. Das erlaubt dem Leser und Interessierten des Themas ein besseres Abwägen der Vor- und Nachteile.
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Die Herausgeberin der „Streitfrage“ Lea Mara Eßer stellt im vorliegenden Buch die beiden Kontrahenten , den Philosophen Sorgner und den Publizisten Becker zum Thema „Transhumanismus“ gegenüber.
Streitgespräch. An Streit mangelt es in der heutigen Zeit nicht. Menschen werden in verschiedene Lager eingeteilt, Kontrahenten stehen sich in Arenen gegenüber. Meinungsverschiedenheiten sind für Gesellschaften zwar wichtig und fruchtbar, aber sie verkommen heute oft zu einem Wettkampfspektakel. Das vorliegende Buch will dem entgegenwirken. Es geht hier nicht um Angriff und Verteidigung, sondern um die Darstellung zweier Standpunkte zu einem Thema, zum Transhumanismus. So wurden die beiden Buchbeiträge unabhängig voneinander verfasst. Keiner der beiden Autoren wusste, was der andere schreiben wird. Die Standpunkte stehen also als Standpunkte und bedurften keiner Verteidigung. Dies macht es dem Leser möglich klarere Positionen zu erkennen.
Stefan Lorenz Sorgner, Philosophieprofessor an der John Cabot University in Rom, schrieb den PRO-Teil des Buches. Gleich in der Überschrift seines Artikels drückt er den positiven Zugang aus: „Transhumanismus bedeutet Freiheit“. In seiner Einleitung holt er weit aus und geht 14 Milliarden Jahre, bis zum Urknall, zurück. Die Erde formte sich vor 4,5 Milliarden Jahren und nach einer weiteren Milliarde Jahren entstand die Menschheit. Aus unbelebter Materie entstanden Lebewesen. Er zieht daher die Schlussfolgerung, dass auch auf Siliziumbasis Leben entstehen kann. Den Menschen per se machte erst die Sprache aus und mit ihr wurden wir Menschen „vernunftfähige Cyborgs“. Der Homo Sapiens besteht aus Materie und Unmaterialem.
Transhumanismus als errungene Freiheit: Der Mensch ist ein Wesen, das sich ständig neu erfinden und modifizieren kann, was nicht nur für ihn selbst, sondern auch für die Gesellschaft eine Verbesserung bringt. Der Mensch ist demnach ein evolutionäres Wesen. Die Frage, ob es in 300.000 Jahren noch Menschen geben wird, beantwortet der Autor, „dass Menschen in 300.000 Jahren entweder ausgestorben sein oder sich weiterentwickelt haben werden. Mit dem Voranschreiten neuer technischer Möglichkeiten haben wir die Option, immer stärker in die Evolution einzugreifen.“ (Seite 16) Da der Mensch aus mehr nichtmenschlichen (39 Billionen) als menschlichen (30 Billionen) Zellen besteht, ist nicht auszuschließen, dass auch die digitale Welt immer stärker integriert wird. Das Smartphone als eine körperliche Integrität. Wir sind, so der Autor, „sich ständig in Veränderung befindliche Entitäten, die sowohl nicht-menschliche als auch menschliche Zellen umfassen. Wir sind in diesem Sinne hybride, sprachfähige und sich ständig in jedem Bezug verändernde Cyborgs mit der Fähigkeit, uns selbst upzugraden.“ (Seite 19)
Morphologische Freiheit: Mit der morphologischen Freiheit des Transhumanismus hat der Mensch das Recht, sich ständig nach eigenen Vorstellungen umformen zu dürfen. Mit Neuroenhancement können wir Schlaf, Konzentration, innere Ruhe und Aufmerksamkeit beeinflussen. Schon heute hat jeder vierte Student in den USA auf derartige Substanzen Zugriff. Es sind nur temporäre Veränderungen, die man etwa mit LSD erzielt. Langfristiger gibt diese Freiheit auch das Recht, das eigene Geschlecht zu verändern.
Erziehungsfreiheit: Sie bezieht sich primär auf die Beziehung zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs. Dass unter Erziehung Lesen, Schreiben und Rechnen fällt ist eines. Die Erziehung zu einem „gelungenen Leben“ ist ein anderer Faktor, der auch mit Gesundheit zu tun hat. Der Transhumanismus bezieht hier Gentechnik mit ein, die eine verlängerte Gesundheitsspanne erlaubt.
Reproduktionsfreiheit: Transhumanismus sieht es als Freiheit, dass Sexualität von Reproduktion getrennt wird. Das bedeutet eine Abkehr von der aristotelischen Tradition. Sex wird zur Unterhaltung und Reproduktion ist eine technische Angelegenheit. Schwangerschaft wird in Zukunft in einer externen Gebärmutter abgewickelt, was vieles in der Gesellschaft verändern wird. Frauen mit Frauen, mehrere Frauen mit einem Mann, Männer mit Männern – so können neue Familien organisiert sein. Dass auch Männer Kinder bekommen, ist ein Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit.
Keine Freiheit ohne Gesundheit: Transhumanismus beschränkt sich nicht auf Abwesenheit von Zwang. Eine verlängerte Gesundheitsspanne fördert die personelle Lebensqualität. Leben um des Lebens willen ist keine notwendige Erfüllung. Im Bett liegend und keinen Aktivitäten nachgehen zu können oder gar in einem Krankenhaus an Maschinen angeschlossen zu sein ist keine lebenswerte Lebensverlängerung. Technische und medizintechnische Errungenschaften der letzten 200 Jahre, haben die Lebenserwartung verdoppelt und in Deutschland in den letzten 50 Jahren um 15 Jahre erhöht. In diesem Zusammenhang sind die Verwendung und der Zugriff auf persönliche Daten ausschlaggebend. Das unterscheidet Europa mit striktem Datenschutz von den USA und China grundlegend. Die rechtliche Verpflichtung Daten öffentlich zur Verfügung zu stellen, wird China einen wirtschaftlichen Erfolg bringen, wie ihn andere Regionen (Europa) nicht erreichen werden könne. Um Inzest auszuschließen, müssen etwa in Saudi-Arabien seit 2004 vor der Eheschließung Gentests der Behörde vorgelegt werden.
Keine Freiheit ohne globale soziale Absicherung: Freiheit bedeutet auch eine gewisse soziale Absicherung. In den letzten 200 Jahren wurde die absolute Armutsrate radikal reduziert. Das basiert auf einem erweiterten Technikverständnis, wobei auch Bildung als Technik verstanden wird. Bildungspflicht unterscheidet sich von Schulpflicht. Bildungspflicht kann auch individuell, wie mit Homeschooling, erfüllt werden. Je höher der Bildungsstand eines Landes ist, umso niedriger ist die Fortpflanzungsrate. In Deutschland, Österreich oder Italien etwa unter 1,5. Die Vereinten Nationen veröffentlichten eine Studie, nach der der „12 Milliardste Mensch nie geboren werden wird, wenn Hygiene, Bildung und Zugang zur Krankenversorgung weiterhin so gefördert werden wie bisher. … Eine Förderung der Techniken erhöht die weltweite Lebensqualität, mit der wiederum ein Rückgang der Reproduktionsrate einher geht.“ (Seite 48) Das wiederum hat Auswirkungen auf den Klimawandel, weil weniger Menschen den Globus belasten.
Conclusio: „Alle, die eine skeptische, eine naturalistische, eine diesseitige, eine nicht dualistische oder eine pluralistische Grundhaltung teilen, sollten sich dem Transhumanismus zuwenden. … Alle, die die sozial-liberale Version von Demokratie schätzen und für eine wunderbare Errungenschaft halten, die es auszubauen lohnt, sollten den Transhumanismus umarmen und sich daran beteiligen.“ (Seite 51)
Ein wichtiges Ziel des Transhumanismus ist die Verlängerung der Gesundheitsspanne. Mit neuen Technologien kann der Klimawandel bekämpft werden.
Der Autor schießt optimistisch und enthusiastisch mit „Ich kann die Realisierung unserer posthumanen Zukunft daher kaum erwarten.“ (Seite 54)
Philipp von Becker ist Filmemacher, Autor und Publizist in Berlin. Mit der technischen Transformation des Menschen befasste er sich in seinem Buch „Der neue Glaube an die Unsterblichkeit. Transhumanismus, Biotechnik und digitaler Kapitalismus“. Er ist der Kontrahent zum Thema „Transhumanismus“, der Schreiber des CONTRA. Da es sich in diesem Buch nicht um eine Diskussion, einen Diskurs handelt, sondern in ein paralleles Schreiben der beiden Standpunkte des DAFÜR und DAGEGEN, kommt es im Kapitel des „Gegners“ zu einer Verteidigung des Bestehenden. Im Gegensatz dazu der Verfechter des PRO, der in die Zukunft schauen kann und nichts zu verteidigen hat. So wird wiederholt, dass der Transhumanismus, den von Natur aus defizitär geschaffenen Menschen mit Hilfe von Technologie anpassungsfähiger machen soll. Er soll optimiert, superintelligent die menschlichen Fähigkeiten steigern. Dies passiere – so Becker – auf einer reduktionistischen, szientistisch-technokratischen Sicht auf den Menschen und die Gesellschaft. Die Transformierung solle in drei Feldern passieren:
- biotechnische Eingriffe
- gentechnische Eingriffe
- Verschmelzung von Mensch und Maschine (Implantate, Prothese, Computerschnittstellen)
Der Eingriff ins Erbgut eines Menschen kann zwar zur Vermeidung vererbbarer Krankheiten führen, aber weiterreichende gentechnische Veränderungen werfen ethische, soziale und politische Fragen auf, die zu einer fundamentalen Veränderung des Menschseins führen würden. Den Menschen und die Welt vollständig zu berechnen, würde den Menschen zu einem reinen Instrument machen.
Die derzeitige Vorgangsweise in China nimmt der Autor zum Beispiel und prognostiziert, dass dort Bürger und Soldaten genetisch aufgerüstet werden und so das Land in eine Weltführerschaft bringt.
Wie ein Mensch ausgestattet ist, würde vor seiner Geburt definiert werden. Kinder könnten nachher gegen ihre Eltern prozessiere, weil sie bestimmte Vorkehrungen nicht getroffen haben.
Politisch hätten in den letzten Jahrzehnten in vielen Ländern schon meritokratische und neoliberale Ideologien überhandgenommen.
Ursache von Krankheit und Ungleichheit könne technisch behoben werden. Um möglichst viel im Leben zu erleben, stünde der Mensch unter einem Dauerstress. Er leide unter der Angst nicht genug Zeit für seine persönliche To Do Liste zur Verfügung zu haben. Facebook kann schon heute bei 300 Likes besser die politische Meinung einer Person vorhersagen als der Lebenspartner. Der Vorwurf, dass nicht der Mensch intelligenter wird, sondern die künstliche Intelligenz wird ins Treffen geführt. Algorithmen könnten den Wähler und den entscheidenden Konsumenten ersetzen. Der Rückgang der Religionen wird mit dem Aufkommen eines neuen Gottes, des Dataismus begründet. Da der Mensch maschinengesteuert nicht mehr gegen Verbote verstoßen kann, fühlt er sich von Gottes Gesetzen befreit. Die Frage „Wer entscheidet in einer Welt totaler Computerisierung?“ führt zu mehr Macht der Führenden, jener, die die Systeme und Algorithmen beherrschen und verwalten. Die digitale Diktatur Chinas wird als Blaupause für andere Länder gesehen. In einer maschinengesteuerten Welt würden die Menschen verlernen selbst zu denken, zu entscheiden und könnten nicht mehr selbst moralisch handeln.
Dieses neue Format des Westend Verlags ist zu begrüßen. Es lässt zwei unterschiedliche Meinungen nebeneinanderstehen. Das erlaubt dem Leser und Interessierten des Themas ein besseres Abwägen der Vor- und Nachteile.
SCHUTTING, Jutta
Der Vater Buch
2023.
@book{SCHUTTING2023,
title = {Der Vater},
author = {Jutta SCHUTTING},
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date = {2023-04-11},
urldate = {2023-04-11},
abstract = {SCHUTTING, Jutta: „Der Vater“, Salzburg Wien 1980
Das Buch hat Frau Jutta Schutting geschrieben. Es ist im Jahr 1980 erschienen. Im Jahr 1989 ließ sich diese Frau in einen Mann operieren und hieß ab dann Julian Schutting. Da ich Julian persönlich kannte, war es ein komisches Lesegefühl, wie da die Tochter Jutta den Tod des Vaters und ihre Erlebnisse mit ihm beschreibt. In diesem Roman geht es ausschließlich um das Sterben beziehungsweise Begräbnis des Vaters. Eigentlich sind es nur drei Tage zwischen dem Sterben und dem Begräbnis und diese drei Tage sind der Zeitraum, auf den sich der Roman beziehungsweise die Beschreibung des väterlichen Begräbnisses beziehen.
Der Vater war ein harter Mann. Ein Jäger, der wenig Emotionen zeigte. Sowohl gegenüber der Ehefrau wie vis a vis der drei Kinder hatte er wenig Gefühle. Mehr Einfühlung zeigte er seinen Hunden gegenüber. Er war vor dem Krieg geboren. Studierte zehn Jahre, um letztlich Tierarzt zu werden. Ein älterer Kollege protegierte ihn. So kam er zum Jägertum, obwohl schon im Internat im Benediktinerkloster Seitenstetten ihn ein Pater, der selbst Jäger war, zu diesem Hobby brachte. Als Ministrant musste er während der Messe nachschauen gehen, wie das Wetter war. Der Messe lesende Pater hatte unter seiner kirchlichen Kleidung schon das Jagdgewand an, um anschließend gleich mit Gewehr und Hund in den Wald zu gehen.
Einerseits wird der Vater als ein Mann seiner Zeit beschrieben. Er war im Weltkrieg eingerückt und die Frau musste mit den Kindern zu Hause zurechtkommen. Dabei erwarb sie Selbstständigkeit. Als er dann vom Krieg heimkam und seinem Beruf als Tierarzt nachging, musste sie weiterhin die Fäden zusammenhalten. Sich um die Kinder und die Finanzen kümmern. Er verdiente zwar das Geld, konnte damit aber nicht umgehen. Oft musste sie ihn im Gasthaus holen, weil er in betrunkenem Zustand dem Wirt die Gäste verärgerte und vertrieb. Brachte die Tochter Wiesenblumen nach Hause, meinte er „na geh, jetzt den Bienen Nahrung wegnehmen.“ (Seite 58)
In diesem Roman arbeitet die Tochter ihre Erinnerungen und Gemeinsamkeiten mit dem Vater auf. Auch Kindheitserinnerungen werden aus dem Gedächtnis zurückgeholt und verschriftlicht. Oft war er zu den Kindern grob und ungerecht, was ihm später leidtat und das Geschehene mit Orangen und Schokolade wieder gutmachen wollte. Er schlief gerne und lange, zum Frühstück trieb ihn aber der „Hendelneid“ aus dem Bett. Er wollte nicht weniger zum Essen bekommen als die Kinder.
Im zweiten Abschnitt des Buches schlägt die Schriftstellerin zu und beschreibt Träume, die sie mit dem Vater hatte oder die sie für das Buch erfunden hatte. Was gewesen sein könnte, aber nicht war.
Bevor die Erzählung zum eigentlichen Begräbnis kommt, wird mit dem Verstorbenen noch hart zu Gericht gegangen und viele negative Dinge aufgezählt, die der Vater hatte.
Wie ein Epilog kommt am Schluss ein Kapitel, das da heißt „zwei jahre später“, in dem die Schriftstellerin von einer Lesung erzählt, zu der sie ins Benediktinerstift eingeladen wurde. In jenes Stift, in dem der Vater das Gymnasium besucht hatte und in dem er Ministrant war. Man erinnerte sich noch an den Vater und das machte sie stolz und daher verwendete sie diese Eindrücke für ein, das Buch abschließendes Kapitel.
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Das Buch hat Frau Jutta Schutting geschrieben. Es ist im Jahr 1980 erschienen. Im Jahr 1989 ließ sich diese Frau in einen Mann operieren und hieß ab dann Julian Schutting. Da ich Julian persönlich kannte, war es ein komisches Lesegefühl, wie da die Tochter Jutta den Tod des Vaters und ihre Erlebnisse mit ihm beschreibt. In diesem Roman geht es ausschließlich um das Sterben beziehungsweise Begräbnis des Vaters. Eigentlich sind es nur drei Tage zwischen dem Sterben und dem Begräbnis und diese drei Tage sind der Zeitraum, auf den sich der Roman beziehungsweise die Beschreibung des väterlichen Begräbnisses beziehen.
Der Vater war ein harter Mann. Ein Jäger, der wenig Emotionen zeigte. Sowohl gegenüber der Ehefrau wie vis a vis der drei Kinder hatte er wenig Gefühle. Mehr Einfühlung zeigte er seinen Hunden gegenüber. Er war vor dem Krieg geboren. Studierte zehn Jahre, um letztlich Tierarzt zu werden. Ein älterer Kollege protegierte ihn. So kam er zum Jägertum, obwohl schon im Internat im Benediktinerkloster Seitenstetten ihn ein Pater, der selbst Jäger war, zu diesem Hobby brachte. Als Ministrant musste er während der Messe nachschauen gehen, wie das Wetter war. Der Messe lesende Pater hatte unter seiner kirchlichen Kleidung schon das Jagdgewand an, um anschließend gleich mit Gewehr und Hund in den Wald zu gehen.
Einerseits wird der Vater als ein Mann seiner Zeit beschrieben. Er war im Weltkrieg eingerückt und die Frau musste mit den Kindern zu Hause zurechtkommen. Dabei erwarb sie Selbstständigkeit. Als er dann vom Krieg heimkam und seinem Beruf als Tierarzt nachging, musste sie weiterhin die Fäden zusammenhalten. Sich um die Kinder und die Finanzen kümmern. Er verdiente zwar das Geld, konnte damit aber nicht umgehen. Oft musste sie ihn im Gasthaus holen, weil er in betrunkenem Zustand dem Wirt die Gäste verärgerte und vertrieb. Brachte die Tochter Wiesenblumen nach Hause, meinte er „na geh, jetzt den Bienen Nahrung wegnehmen.“ (Seite 58)
In diesem Roman arbeitet die Tochter ihre Erinnerungen und Gemeinsamkeiten mit dem Vater auf. Auch Kindheitserinnerungen werden aus dem Gedächtnis zurückgeholt und verschriftlicht. Oft war er zu den Kindern grob und ungerecht, was ihm später leidtat und das Geschehene mit Orangen und Schokolade wieder gutmachen wollte. Er schlief gerne und lange, zum Frühstück trieb ihn aber der „Hendelneid“ aus dem Bett. Er wollte nicht weniger zum Essen bekommen als die Kinder.
Im zweiten Abschnitt des Buches schlägt die Schriftstellerin zu und beschreibt Träume, die sie mit dem Vater hatte oder die sie für das Buch erfunden hatte. Was gewesen sein könnte, aber nicht war.
Bevor die Erzählung zum eigentlichen Begräbnis kommt, wird mit dem Verstorbenen noch hart zu Gericht gegangen und viele negative Dinge aufgezählt, die der Vater hatte.
Wie ein Epilog kommt am Schluss ein Kapitel, das da heißt „zwei jahre später“, in dem die Schriftstellerin von einer Lesung erzählt, zu der sie ins Benediktinerstift eingeladen wurde. In jenes Stift, in dem der Vater das Gymnasium besucht hatte und in dem er Ministrant war. Man erinnerte sich noch an den Vater und das machte sie stolz und daher verwendete sie diese Eindrücke für ein, das Buch abschließendes Kapitel.
KLAR, Elisabeth
Wie im Wald Buch
2023.
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author = {Elisabeth KLAR},
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date = {2023-04-09},
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abstract = {KLAR, Elisabeth: „Wie im Wald“, Sankt Pölten Salzburg Wien 2014
Die Familie hat drei Kinder – Karin, Grete und Peter. Sie nehmen ein Kind – Lisa – auf, die bei einer alleinerziehenden Mutter in sehr schlechten Verhältnissen lebte. Der Vater stirbt und Lisa wird verstört. Sie kommt in ein Heim. Sobald Karin 18 Jahre alt ist, zieht sie zu Hause aus. Nachdem auch die Mutter verstorben ist, lebt sie mit ihrem Freund Alexander im Elternhaus. Die beiden Geschwister sind ausgezogen. Der Bruder wohnt in Salzburg und die Schwester in England. Plötzlich beschließt Karin, Lisa aus dem Heim ins Haus zu holen. Lisa und Karin sind etwa gleich alt und sind in einer intensiven Geschwisterlichkeit miteinander aufgewachsen. Als die Geschwister erfahren, dass Karin Lisa ins Haus geholt hat, opponieren sie. Lisa ist verstört. Man sagt ihr nach, den Vater ermordet zu haben. Die Autorin verquickt aber Realität und Erfindung, Traum. Man kann nicht sagen, wie es wirklich war. Lange Strecken schwebt über dem Buch die Frage „Was ist mit Lisa und dem Vater passiert? Hat sie ihn ermordet? Oder hat er Selbstmord begangen?“ Selbst der Tod des Vaters wird über viele Seiten hinausgeschoben. Als Leser wird man in Unwissenheit gehalten. Karin versucht mit ihrer verstörten Stiefschwester leben zu können. Es ist schwierig. Lisa ist zwar inzwischen 26 Jahre alt, verhält sich aber wie ein Kleinkind. Macht in die Hose, spielt mit Puppen, muss gewaschen und gefüttert werden. Diese Arbeiten zerren an den Nerven von Karin. Sie ist Übersetzerin. Arbeitet zu Hause. Mit der Pflegearbeit kommt sie aber wenig zur eigenen Arbeit. Ihr Freund Alexander wird von Lisa abgelehnt. Er aber bemüht sich. Karin sieht darin eine Konkurrenz. Eine Konkurrenz, wie ihr Vater zur Freundschaft mit Lisa war. Das Verhältnis zum Freund verschlechtert sich, bis dieser auszieht und Karin allein mit Lisa zurücklässt. Das Leben wird dadurch nicht einfacher. Die Geschwister reden auf Klara ein, Lisa doch wieder in ein Heim zu geben. Sie bleibt stur, aber ihre Nerven eskalieren. Es kommt auch zum Streit und zu Raufereien mit Lisa. Sie fährt zum Friedhof und zerstört das Grab der Eltern. Als sie zurückkommt wartet Lisa schon auf sie. Wie es wirklich war, erfährt man aber an dieser Stelle nicht. Die Schriftstellerin malt mehrere Szenarien. Lis habe sich im Teich ertränkt. Sie habe den Vater nicht ermordet. Der Vater sei bei einer handwerklichen Tätigkeit zu Fall gekommen und gestorben. Später auch die Mutter.
Offen bleibt: wie geht es mit Lisa und Klara weiter? Wird der Freund zurückkommen?
Ausgezeichnet beschreibt Elisabeth Klar, wie schwierig es ist, ein Jugendtrauma wie dieser sexuelle Missbrauch des Ziehvaters verarbeitet werden kann.
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Die Familie hat drei Kinder – Karin, Grete und Peter. Sie nehmen ein Kind – Lisa – auf, die bei einer alleinerziehenden Mutter in sehr schlechten Verhältnissen lebte. Der Vater stirbt und Lisa wird verstört. Sie kommt in ein Heim. Sobald Karin 18 Jahre alt ist, zieht sie zu Hause aus. Nachdem auch die Mutter verstorben ist, lebt sie mit ihrem Freund Alexander im Elternhaus. Die beiden Geschwister sind ausgezogen. Der Bruder wohnt in Salzburg und die Schwester in England. Plötzlich beschließt Karin, Lisa aus dem Heim ins Haus zu holen. Lisa und Karin sind etwa gleich alt und sind in einer intensiven Geschwisterlichkeit miteinander aufgewachsen. Als die Geschwister erfahren, dass Karin Lisa ins Haus geholt hat, opponieren sie. Lisa ist verstört. Man sagt ihr nach, den Vater ermordet zu haben. Die Autorin verquickt aber Realität und Erfindung, Traum. Man kann nicht sagen, wie es wirklich war. Lange Strecken schwebt über dem Buch die Frage „Was ist mit Lisa und dem Vater passiert? Hat sie ihn ermordet? Oder hat er Selbstmord begangen?“ Selbst der Tod des Vaters wird über viele Seiten hinausgeschoben. Als Leser wird man in Unwissenheit gehalten. Karin versucht mit ihrer verstörten Stiefschwester leben zu können. Es ist schwierig. Lisa ist zwar inzwischen 26 Jahre alt, verhält sich aber wie ein Kleinkind. Macht in die Hose, spielt mit Puppen, muss gewaschen und gefüttert werden. Diese Arbeiten zerren an den Nerven von Karin. Sie ist Übersetzerin. Arbeitet zu Hause. Mit der Pflegearbeit kommt sie aber wenig zur eigenen Arbeit. Ihr Freund Alexander wird von Lisa abgelehnt. Er aber bemüht sich. Karin sieht darin eine Konkurrenz. Eine Konkurrenz, wie ihr Vater zur Freundschaft mit Lisa war. Das Verhältnis zum Freund verschlechtert sich, bis dieser auszieht und Karin allein mit Lisa zurücklässt. Das Leben wird dadurch nicht einfacher. Die Geschwister reden auf Klara ein, Lisa doch wieder in ein Heim zu geben. Sie bleibt stur, aber ihre Nerven eskalieren. Es kommt auch zum Streit und zu Raufereien mit Lisa. Sie fährt zum Friedhof und zerstört das Grab der Eltern. Als sie zurückkommt wartet Lisa schon auf sie. Wie es wirklich war, erfährt man aber an dieser Stelle nicht. Die Schriftstellerin malt mehrere Szenarien. Lis habe sich im Teich ertränkt. Sie habe den Vater nicht ermordet. Der Vater sei bei einer handwerklichen Tätigkeit zu Fall gekommen und gestorben. Später auch die Mutter.
Offen bleibt: wie geht es mit Lisa und Klara weiter? Wird der Freund zurückkommen?
Ausgezeichnet beschreibt Elisabeth Klar, wie schwierig es ist, ein Jugendtrauma wie dieser sexuelle Missbrauch des Ziehvaters verarbeitet werden kann.
GEIGER, Arno
2023.
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abstract = {GEIGER, Arno: „Das glückliche Geheimnis“, München 2023
Es ist ein sehr persönliches Buch des Dichters Arno Geiger. Er gibt darin das Geheimnis preis, dass er ein „Lumpensammler“ ist. Er sammelt keine Lumpen, sondern alte Bücher, Ansichtskarten und Briefe. Er stöbert in Papiercontainern und sucht hier weggeworfene Bücher, die er dann am Flohmarkt verkauft und Briefe, die ihm wieder Stoff und Anregungen für seine schriftstellerische Tätigkeit bieten. In jungen Jahren war dies eine wichtige Einnahmequelle. Mit seiner Freundin war er von Vorarlberg nach Wien gezogen, gemeinsam gingen sie verkaufen und erwirtschafteten oft das Mehrfach ihrer monatlichen Miete. Die Streifzüge zu den Papiercontainern machte er aber allein. Diese Arbeit – seine dunklen Geheimnisse – machen ihn glücklich und zufrieden. Sie strukturieren sein Leben und gaben dem Buch den Titel „das glückliche Geheimnis“.
Das Buch schildert aber nicht nur das Doppelleben zwischen dem Sandler, der in Containern sucht und dem Schriftsteller, sondern gibt auch Einblick in sein persönliches Leben und seine Beziehungen. Den Freundinnen gibt er aber nur einen Buchstaben als Namen und anonymisiert sie so. Er stellt auch seine Freundinnen – Lebensabschnittspartnerinnen – vor: M. die erste aus den Jugendjahren, K. eine Ärztin und O. eine Beziehung, die im Rahmen eines Studienaufenthalts in Polen zustande kam. Die ersten beiden Beziehungen dauerten mehrere Jahre an. Die Trennung von K. wurde mehrmals ausgesprochen, aber der wahre Grund war, dass sie als Ärztin schon ihr Ziel erreicht hatte „Bei mir dauerten die Aufbaujahre an. Ich war weiterhin mit dem Durchbruch ins Leben beschäftigt. … Und obwohl es zwischen K. und mir grundsätzlich stimmte, warf uns diese Ungleichzeitigkeit aus der Bahn.“ (Seite 79) Letztlich machte er aber seiner Freundin einen Heiratsantrag. Sie, die selbstbewusste Frau, konnte damit nicht umgehen. Die Antwort kam zeitversetzt und sie heirateten allein mit den Trauzeugen. Geiger sah es so: „Für mich ist die Ehe mit K. keine Einschränkung, sondern eine Befreiung.“ (Seite 164) Gegen Ende des Buches kommt es zu einer besonderen Liebeserklärung, in dem er schreibt „K. und ich wurden von Jahr zu Jahr glücklicher. In mancher Hinsicht war es bedauerlich, wie geübt wir im Umgang mit Schicksalsschlägen geworden waren. Aber es war unser Leben. Der Beziehung schien es eher zu nutzen als zu schaden.“ (Seite 200)
Arno Geiger – das erfährt man in diesem Buch – wollte von jungen Jahren an schon Schriftsteller werden. Die ersten Bücher wurden aber nicht erfolgreich. Um seinen Bestseller „Es geht uns gut“ auf den Markt zu bringen musste er mit dem Verlag kämpfen. Letztlich bekam er dafür den Deutschen Buchpreis und sein Leben änderte sich. Hundert Auftritte, Lesungen und Interviews hatte er zu absolvieren, aber wenn er nach Wien zurückkam, ging er seinem zweiten Beruf des „Altpapiersammelns“ nach. Es erstaunte ihn aber, dass er, der bekanntgewordene Buchpreisgewinner, auf der Straße in der Sammlerkluft nicht erkannt wurde. Aber das Stöbern in Papiercontainern und das Rumfahren wurde zum Teil seines Lebens. „Erfahrungen, die außerhalb meiner Reichweite lagen, wurden mir zugänglich. Die Runden eröffneten mir Einblick in Bezirke des menschlichen Lebens, denen ich sonst nicht so nahe gekommen wäre.“ (Seite 158)
Der Erzähler pendelt in seinem Leben zwischen den Städten Wien und Wolfurt. Immer wieder besucht er seinen dementen Vater und fühlt mit ihm. Als aber dann auch seine Mutter mit 72 Jahren einen Schlaganfall erlitt und stark eingeschränkt war, traf ihn das sehr. Mit ihm fühlt man als Leser, wenn er die Situation zum Greifen nahe schildert. Es erschütterte ihn, wie er sah, dass seine Mutter, die Lehrerin, bei der auch er zur Schule gegangen ist, von der er lesen und schreien gelernt hatte, jetzt selbst nicht mehr schreiben konnte, nicht mehr alles Gelesene verstand. Der demente Vater hat einen größeren Wortschatz, als die belesene Mutter. ABER: sie war eine Kämpferin und das bewunderte er wieder. Dieser Abschnitt des Buches ist etwas depressiv. Es geht ums Sterben und ums Ende des Lebens. Ein Ende nahm schließlich auch sein „Stadtstreichertum“. Er beendet die Fahrten zu den Papiercontainern und wenn, dann nahm er nur mehr jene Bücher, die er zum Eigenbedarf brauchte. Auch der Verkauf am Flohmarkt wurde eingestellt. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Trotzdem erschien es ihm wichtig, diese „Runden“ zu drehen. Jetzt aber mehr aus gesundheitsvorsorglichen Überlegungen. Auch die Anschaffung eines eBikes wurde (noch) abgelehnt. Er registriert anhand des Abfalls die Veränderungen der Gesellschaft. „Die Liebesromane wurden von Jahr zu Jahr weniger, die Kriminalromane von Jahr zu Jahr mehr.“ (Seite 189) Der gesellschaftliche Wind wurde rauer. Er blickt zurück und gibt auch preis, dass seine wertvollste Findung in den Containern eine Schrift aus dem Jahr 1519 war.
Geiger kehrt in diesem Buch sein Inneres nach außen. Man lernt generell viel von anderen Menschen und wie hier kennt man auch das eine oder andere von sich selbst. Streckenweise ist es auch ein Rückblick auf das eigene Leben, wie man es von einem älteren Menschen erwarten würde. Selbst meint er „Mir ist klar, ein Buch über mich selbst das ist schwierig, schwieriger als ein Roman.“ (Seite 194) Den Lesern wünscht er, „dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ (Seite 226)
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Es ist ein sehr persönliches Buch des Dichters Arno Geiger. Er gibt darin das Geheimnis preis, dass er ein „Lumpensammler“ ist. Er sammelt keine Lumpen, sondern alte Bücher, Ansichtskarten und Briefe. Er stöbert in Papiercontainern und sucht hier weggeworfene Bücher, die er dann am Flohmarkt verkauft und Briefe, die ihm wieder Stoff und Anregungen für seine schriftstellerische Tätigkeit bieten. In jungen Jahren war dies eine wichtige Einnahmequelle. Mit seiner Freundin war er von Vorarlberg nach Wien gezogen, gemeinsam gingen sie verkaufen und erwirtschafteten oft das Mehrfach ihrer monatlichen Miete. Die Streifzüge zu den Papiercontainern machte er aber allein. Diese Arbeit – seine dunklen Geheimnisse – machen ihn glücklich und zufrieden. Sie strukturieren sein Leben und gaben dem Buch den Titel „das glückliche Geheimnis“.
Das Buch schildert aber nicht nur das Doppelleben zwischen dem Sandler, der in Containern sucht und dem Schriftsteller, sondern gibt auch Einblick in sein persönliches Leben und seine Beziehungen. Den Freundinnen gibt er aber nur einen Buchstaben als Namen und anonymisiert sie so. Er stellt auch seine Freundinnen – Lebensabschnittspartnerinnen – vor: M. die erste aus den Jugendjahren, K. eine Ärztin und O. eine Beziehung, die im Rahmen eines Studienaufenthalts in Polen zustande kam. Die ersten beiden Beziehungen dauerten mehrere Jahre an. Die Trennung von K. wurde mehrmals ausgesprochen, aber der wahre Grund war, dass sie als Ärztin schon ihr Ziel erreicht hatte „Bei mir dauerten die Aufbaujahre an. Ich war weiterhin mit dem Durchbruch ins Leben beschäftigt. … Und obwohl es zwischen K. und mir grundsätzlich stimmte, warf uns diese Ungleichzeitigkeit aus der Bahn.“ (Seite 79) Letztlich machte er aber seiner Freundin einen Heiratsantrag. Sie, die selbstbewusste Frau, konnte damit nicht umgehen. Die Antwort kam zeitversetzt und sie heirateten allein mit den Trauzeugen. Geiger sah es so: „Für mich ist die Ehe mit K. keine Einschränkung, sondern eine Befreiung.“ (Seite 164) Gegen Ende des Buches kommt es zu einer besonderen Liebeserklärung, in dem er schreibt „K. und ich wurden von Jahr zu Jahr glücklicher. In mancher Hinsicht war es bedauerlich, wie geübt wir im Umgang mit Schicksalsschlägen geworden waren. Aber es war unser Leben. Der Beziehung schien es eher zu nutzen als zu schaden.“ (Seite 200)
Arno Geiger – das erfährt man in diesem Buch – wollte von jungen Jahren an schon Schriftsteller werden. Die ersten Bücher wurden aber nicht erfolgreich. Um seinen Bestseller „Es geht uns gut“ auf den Markt zu bringen musste er mit dem Verlag kämpfen. Letztlich bekam er dafür den Deutschen Buchpreis und sein Leben änderte sich. Hundert Auftritte, Lesungen und Interviews hatte er zu absolvieren, aber wenn er nach Wien zurückkam, ging er seinem zweiten Beruf des „Altpapiersammelns“ nach. Es erstaunte ihn aber, dass er, der bekanntgewordene Buchpreisgewinner, auf der Straße in der Sammlerkluft nicht erkannt wurde. Aber das Stöbern in Papiercontainern und das Rumfahren wurde zum Teil seines Lebens. „Erfahrungen, die außerhalb meiner Reichweite lagen, wurden mir zugänglich. Die Runden eröffneten mir Einblick in Bezirke des menschlichen Lebens, denen ich sonst nicht so nahe gekommen wäre.“ (Seite 158)
Der Erzähler pendelt in seinem Leben zwischen den Städten Wien und Wolfurt. Immer wieder besucht er seinen dementen Vater und fühlt mit ihm. Als aber dann auch seine Mutter mit 72 Jahren einen Schlaganfall erlitt und stark eingeschränkt war, traf ihn das sehr. Mit ihm fühlt man als Leser, wenn er die Situation zum Greifen nahe schildert. Es erschütterte ihn, wie er sah, dass seine Mutter, die Lehrerin, bei der auch er zur Schule gegangen ist, von der er lesen und schreien gelernt hatte, jetzt selbst nicht mehr schreiben konnte, nicht mehr alles Gelesene verstand. Der demente Vater hat einen größeren Wortschatz, als die belesene Mutter. ABER: sie war eine Kämpferin und das bewunderte er wieder. Dieser Abschnitt des Buches ist etwas depressiv. Es geht ums Sterben und ums Ende des Lebens. Ein Ende nahm schließlich auch sein „Stadtstreichertum“. Er beendet die Fahrten zu den Papiercontainern und wenn, dann nahm er nur mehr jene Bücher, die er zum Eigenbedarf brauchte. Auch der Verkauf am Flohmarkt wurde eingestellt. Ein neuer Lebensabschnitt begann. Trotzdem erschien es ihm wichtig, diese „Runden“ zu drehen. Jetzt aber mehr aus gesundheitsvorsorglichen Überlegungen. Auch die Anschaffung eines eBikes wurde (noch) abgelehnt. Er registriert anhand des Abfalls die Veränderungen der Gesellschaft. „Die Liebesromane wurden von Jahr zu Jahr weniger, die Kriminalromane von Jahr zu Jahr mehr.“ (Seite 189) Der gesellschaftliche Wind wurde rauer. Er blickt zurück und gibt auch preis, dass seine wertvollste Findung in den Containern eine Schrift aus dem Jahr 1519 war.
Geiger kehrt in diesem Buch sein Inneres nach außen. Man lernt generell viel von anderen Menschen und wie hier kennt man auch das eine oder andere von sich selbst. Streckenweise ist es auch ein Rückblick auf das eigene Leben, wie man es von einem älteren Menschen erwarten würde. Selbst meint er „Mir ist klar, ein Buch über mich selbst das ist schwierig, schwieriger als ein Roman.“ (Seite 194) Den Lesern wünscht er, „dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ (Seite 226)
SCHÖBERL, Rotraud
Meer Morde. Kriminelle Geschichten im und am Wasser Buch
2023.
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title = {Meer Morde. Kriminelle Geschichten im und am Wasser},
author = {Rotraud SCHÖBERL},
year = {2023},
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abstract = {SCHÖBERL, Rotraud: „Meer Morde. Kriminelle Geschichten im und am Wasser“, Salzburg Wien 2023
Die Herausgeberin hat in diesem Buch 23 Kriminalgeschichten zusammengetragen. Es ist demnach auch ein „Kennenlern-Buch“, in dem man als Leser auf vielleicht noch unbekannte Autoren stoßen kann. Es ist eine sehr bunte Palette. Die Geschichten spielen in verschiedenen Zeiten und sind generell sehr unterschiedlich. Teilweise sehr skurril, wie bei Alex Beer, wo die falschen Menschen getötet werden. Manche Morde sind auch sehr ausgefallen, wie etwa schon bei der ersten Geschichte, wo der Mörder sein Opfer friedlich am Strand im Sand eingräbt und dann geht. Die aufkommende Flut tötet ihn. Manche Geschichten begannen gleich mit dem Mörder, bei anderen wurde man erst im Laufe des Lesens an den Täter herangeführt. In einem Fall ermordet die unzufriedene Ehefrau ihren Mann beim Drachensteigen mit der Drachenschnur. In einer anderen Geschichte bringt die Ehefrau ihren Mann beim Fotografieren auf einer Klippe zum Absturz. Bei einer italienischen Krimiautorin gibt es keinen Täter und keinen Ermordeten, sondern arme Bewohner Italiens wird eine Reise nach Amerika verkauft, die aber letztlich in Sizilien ausgesetzt werden. Spannend fand ich die Geschichte, bei der Austerndiebe gejagt werden. Dabei erfährt man, dass 160.000 Tonnen Austern im Wert von 600 Millionen Euro allein in Frankreich „geerntet“ werden. Ein anderer Autor erzählt, dass heute noch der Mord an einem ehemaligen Nazi straffrei ist. Grausam ist die Geschichte von Patricia Highsmith, in der eine Ratte ein Baby frisst. Manchmal sind es aber nicht Menschen, die für einen Mord in der Geschichte herhalten, sondern auch eine Qualle, die von einem fünfjährigen Buben umgebracht wird. Bei Claudia Rossbacher geht es um den Tod eines Saiblings im Grundlsee.
Es ist ein „Schnupper-Krimi-Buch“, bei dem man Kontakt mit dem einen oder anderen Autor und seiner Schreibweise bekommt, um dann, auf den Geschmack und Gefallen gekommen, mehr von ihm oder ihr zu lesen. Autoren von der Russin Ljuba Arnautovica über Andreas Gruber, Petros Markaris, Thomas Raab und Eva Rossmann bis zum Wiener Musiker, Songwriter und Journalisten Peter Zirbs werden mit kurzen Geschichten vorgestellt.
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Die Herausgeberin hat in diesem Buch 23 Kriminalgeschichten zusammengetragen. Es ist demnach auch ein „Kennenlern-Buch“, in dem man als Leser auf vielleicht noch unbekannte Autoren stoßen kann. Es ist eine sehr bunte Palette. Die Geschichten spielen in verschiedenen Zeiten und sind generell sehr unterschiedlich. Teilweise sehr skurril, wie bei Alex Beer, wo die falschen Menschen getötet werden. Manche Morde sind auch sehr ausgefallen, wie etwa schon bei der ersten Geschichte, wo der Mörder sein Opfer friedlich am Strand im Sand eingräbt und dann geht. Die aufkommende Flut tötet ihn. Manche Geschichten begannen gleich mit dem Mörder, bei anderen wurde man erst im Laufe des Lesens an den Täter herangeführt. In einem Fall ermordet die unzufriedene Ehefrau ihren Mann beim Drachensteigen mit der Drachenschnur. In einer anderen Geschichte bringt die Ehefrau ihren Mann beim Fotografieren auf einer Klippe zum Absturz. Bei einer italienischen Krimiautorin gibt es keinen Täter und keinen Ermordeten, sondern arme Bewohner Italiens wird eine Reise nach Amerika verkauft, die aber letztlich in Sizilien ausgesetzt werden. Spannend fand ich die Geschichte, bei der Austerndiebe gejagt werden. Dabei erfährt man, dass 160.000 Tonnen Austern im Wert von 600 Millionen Euro allein in Frankreich „geerntet“ werden. Ein anderer Autor erzählt, dass heute noch der Mord an einem ehemaligen Nazi straffrei ist. Grausam ist die Geschichte von Patricia Highsmith, in der eine Ratte ein Baby frisst. Manchmal sind es aber nicht Menschen, die für einen Mord in der Geschichte herhalten, sondern auch eine Qualle, die von einem fünfjährigen Buben umgebracht wird. Bei Claudia Rossbacher geht es um den Tod eines Saiblings im Grundlsee.
Es ist ein „Schnupper-Krimi-Buch“, bei dem man Kontakt mit dem einen oder anderen Autor und seiner Schreibweise bekommt, um dann, auf den Geschmack und Gefallen gekommen, mehr von ihm oder ihr zu lesen. Autoren von der Russin Ljuba Arnautovica über Andreas Gruber, Petros Markaris, Thomas Raab und Eva Rossmann bis zum Wiener Musiker, Songwriter und Journalisten Peter Zirbs werden mit kurzen Geschichten vorgestellt.
KLEMM, Gertraud
Einzeller Buch
2023.
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date = {2023-03-18},
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abstract = {KLEMM, Gertraud: „Einzeller“, Wien 2023
Eigentlich hatte sie eine Trilogie zum Thema Feminismus geplant. Aber dann kam Corona und vieles wurde anders. So auch ihr Schreiben und das Ergebnis wurde kleiner: der vorliegende Roman „Einzeller“. Klemm unterscheidet zwischen „Netzfeminismus“ und „Alltagsfeminismus“. Diskussionen in sozialen Medien sind für sie abgehoben und nicht Realität. In diesem Buch versucht sie Situationen zu schildern, die am Alltag hängen. Sie nennt das „Gummistiefel-Feminismus“. Zu diesem Thema fühlt sie sich als zur „Brückengeneration“ gehörend berufen. Vorangegangene Generationen sind anders damit umgegangen als heutige. Sie, als 1971 geborene, stehe da zwischen diesen beiden Weltanschauungen.
Es geht um eine Wohngemeinschaft – WG – von fünf unterschiedlichen Frauen. Geschrieben ist die Erzählung aus der Perspektive von zwei Personen: der 24-jährigen Lilly und der 60-jährigen Simone. Aus der Unterschiedlichkeit der Personen ergibt sich ein Spannungsfeld, das Einblick in die Szene der Feministinnen gibt.
Irgendwie ist das Buch schon männerfeindlich. Und doch wieder nicht: die älteste der WG, Simone, hat einen Freund. Einen Minister den sie aus Jugendtagen kennt. Er stammt aus einer Bauernfamilie und hat sich innerhalb der Partei bis zum Minister hochgearbeitet. Sie trifft sich regelmäßig mit ihm in einer kleinen geheimen Wohnung. Sie haben Sex mitsammen, er ist aber auch ein Gesprächspartner und Ratgeber für sie. Er ist ein Konservativer und trotzdem schätzt sie ihn. Er hat eine Vorzeigefamilie und obwohl sie von der politischen Einstellung anders ist, tauschen sie sich aus und schätzen einander.
Die Jüngste – Lilly – verlässt bald die WG und siedelt zu einer anderen WG. Ihre WG hat sich vertraglich für eine Talkshow verpflichtet. Es wird in ihrer Wohnung gefilmt. Simone ist die Älteste und der Profi unter ihnen. Sie organisiert viele Aktionen für die Freiheit der Frauen. Nicht alle goutieren das. Simone hat viele Feinde im Netz und bekommt viele Hasspostings.
Im Zweiten Teil des Buches kippt die Szene. Lilly wird schwanger und geht eine normale Ehe ein, bei er es auch zu Zwist und Schlägerei mit dem Partner kommt. Sie bekommt das Baby und verlobt sich mit ihrem Freund, der eigentlich der beste Freund ihres Freundes war.
Simone bekommt noch einen Preis als erfolgreiche und aktive Feministin. Viele beneiden sie dafür. Andere hassen sie noch mehr. Sie aber hat beschlossen auszusteigen und ein ruhiges Leben ohne feministisches Engagement zu beginnen. Sie besucht ihre Tochter in Berlin und kommt zur Preisverleihung nach Wien zurück, wo sie vorher noch ein exklusives Interview hat. Beim Verlassen des Studios wird sie von Unbekannten niedergeschlagen. Sie wird in Tiefschlaf versetzt, verstirbt aber. Das Begräbnis ist das Ende des Buchs.
Der erste Teil ist extrem feministisch und man erfährt als Leser, wie diese Frauen ticken. Im zweiten Teil dann fast ein Happy End, das zwar mit dem Tod von Simone endet, aber doch eine Umkehr der zwei Hauptperson brachte. Neue Generationen übernehmen das Gebiet.
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Eigentlich hatte sie eine Trilogie zum Thema Feminismus geplant. Aber dann kam Corona und vieles wurde anders. So auch ihr Schreiben und das Ergebnis wurde kleiner: der vorliegende Roman „Einzeller“. Klemm unterscheidet zwischen „Netzfeminismus“ und „Alltagsfeminismus“. Diskussionen in sozialen Medien sind für sie abgehoben und nicht Realität. In diesem Buch versucht sie Situationen zu schildern, die am Alltag hängen. Sie nennt das „Gummistiefel-Feminismus“. Zu diesem Thema fühlt sie sich als zur „Brückengeneration“ gehörend berufen. Vorangegangene Generationen sind anders damit umgegangen als heutige. Sie, als 1971 geborene, stehe da zwischen diesen beiden Weltanschauungen.
Es geht um eine Wohngemeinschaft – WG – von fünf unterschiedlichen Frauen. Geschrieben ist die Erzählung aus der Perspektive von zwei Personen: der 24-jährigen Lilly und der 60-jährigen Simone. Aus der Unterschiedlichkeit der Personen ergibt sich ein Spannungsfeld, das Einblick in die Szene der Feministinnen gibt.
Irgendwie ist das Buch schon männerfeindlich. Und doch wieder nicht: die älteste der WG, Simone, hat einen Freund. Einen Minister den sie aus Jugendtagen kennt. Er stammt aus einer Bauernfamilie und hat sich innerhalb der Partei bis zum Minister hochgearbeitet. Sie trifft sich regelmäßig mit ihm in einer kleinen geheimen Wohnung. Sie haben Sex mitsammen, er ist aber auch ein Gesprächspartner und Ratgeber für sie. Er ist ein Konservativer und trotzdem schätzt sie ihn. Er hat eine Vorzeigefamilie und obwohl sie von der politischen Einstellung anders ist, tauschen sie sich aus und schätzen einander.
Die Jüngste – Lilly – verlässt bald die WG und siedelt zu einer anderen WG. Ihre WG hat sich vertraglich für eine Talkshow verpflichtet. Es wird in ihrer Wohnung gefilmt. Simone ist die Älteste und der Profi unter ihnen. Sie organisiert viele Aktionen für die Freiheit der Frauen. Nicht alle goutieren das. Simone hat viele Feinde im Netz und bekommt viele Hasspostings.
Im Zweiten Teil des Buches kippt die Szene. Lilly wird schwanger und geht eine normale Ehe ein, bei er es auch zu Zwist und Schlägerei mit dem Partner kommt. Sie bekommt das Baby und verlobt sich mit ihrem Freund, der eigentlich der beste Freund ihres Freundes war.
Simone bekommt noch einen Preis als erfolgreiche und aktive Feministin. Viele beneiden sie dafür. Andere hassen sie noch mehr. Sie aber hat beschlossen auszusteigen und ein ruhiges Leben ohne feministisches Engagement zu beginnen. Sie besucht ihre Tochter in Berlin und kommt zur Preisverleihung nach Wien zurück, wo sie vorher noch ein exklusives Interview hat. Beim Verlassen des Studios wird sie von Unbekannten niedergeschlagen. Sie wird in Tiefschlaf versetzt, verstirbt aber. Das Begräbnis ist das Ende des Buchs.
Der erste Teil ist extrem feministisch und man erfährt als Leser, wie diese Frauen ticken. Im zweiten Teil dann fast ein Happy End, das zwar mit dem Tod von Simone endet, aber doch eine Umkehr der zwei Hauptperson brachte. Neue Generationen übernehmen das Gebiet.
HALLER, Günther
Die Welt Chinas Booklet
2023.
@booklet{HALLER2023,
title = {Die Welt Chinas},
author = {Günther HALLER},
editor = {Die Presse},
year = {2023},
date = {2023-03-12},
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abstract = {Die Presse (Hg): „Die Welt Chinas“, Wien 2022
In der Booklet-Reihe „Geschichte“ erschien der Band über China. Eine sehr systematisch aufbereitete und leicht lesbare Geschichte über China. Es werden alle Dynastien vorgestellt, wobei die erste, die Qin Dynastie, dem Land den Namen – China – gab und die vielen kleinen Fürstentümer friedlich vereinte. Es entstand das riesige Reich, das man mit jenen der Römer oder dem von Alexander dem Großen vergleichen kann. Der Kaiser Qin Shi Huangdi war Gott gleichgestellt. Der Name heißt „Erster Erhabener Gotteskaiser von Qin“. Daraus leitet sich auch ab, dass er nicht an ein Land gebunden ist, sondern weltweit als Gott Anspruch auf Ländereien besitzt. Er führte Gewichtsmaße, eine einheitliche Schrift ein und begann mit dem Bau der „chinesischen Mauer“, die eine Trennung zu den Nomaden – Barbaren – war. Die nachfolgende Han-Dynastie zentralisierte das Reich und teilte es in Provinzen ein, die mit einem ausgeklügelten Beamtensystem regiert wurden. Über die Seidenstraße entstand Handel mit der restlichen Welt. Viele Erfindungen, wie die des Papiers, stammen aus dieser Zeit. Immer wieder kam es zu Veränderungen, Streitereien und neue Herrscher versuchten eine Vereinigung. Erst 1912 wurde das Kaiserreich gestürzt. China war durch ausländische Kräfte geschwächt worden. Es kam zum Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten und im Zweiten Weltkrieg zu Eingriffen der Japaner. Millionen Menschen starben in diesen Kriegen. Mao Zedong profitierte vom Bürgerkrieg und gründete die Volksrepublik China. Viele seiner Experimente hatten verheerende Auswirkungen. Er sagte etwa „Revolution ist keine Dinnerparty. Sie kann nicht elegant und sanft durchgeführt werden.“
Im Kapitel „Der Ritt auf dem Tiger“ wird die Reform von Deng Xiaoping, die den Aufstieg des Landes zur heutigen Macht brachte, beschrieben. Außenpolitische Annäherungen folgten. Innenpolitisch kam es zum Konflikt mit Tibet, der noch heute anhält, obwohl allen Minderheiten viele Sonderrechte eingeräumt werden. So wird in diesem Booklet auch die Rolle Taiwans und Hongkongs abgehandelt. Der letzte Abschnitt befasst sich mit dem globalen Machtanspruch von Präsident Xi-Jinping.
Auf etwa 100 Seiten wird so die Geschichte Chinas mit seinen Hintergründen dokumentiert.
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In der Booklet-Reihe „Geschichte“ erschien der Band über China. Eine sehr systematisch aufbereitete und leicht lesbare Geschichte über China. Es werden alle Dynastien vorgestellt, wobei die erste, die Qin Dynastie, dem Land den Namen – China – gab und die vielen kleinen Fürstentümer friedlich vereinte. Es entstand das riesige Reich, das man mit jenen der Römer oder dem von Alexander dem Großen vergleichen kann. Der Kaiser Qin Shi Huangdi war Gott gleichgestellt. Der Name heißt „Erster Erhabener Gotteskaiser von Qin“. Daraus leitet sich auch ab, dass er nicht an ein Land gebunden ist, sondern weltweit als Gott Anspruch auf Ländereien besitzt. Er führte Gewichtsmaße, eine einheitliche Schrift ein und begann mit dem Bau der „chinesischen Mauer“, die eine Trennung zu den Nomaden – Barbaren – war. Die nachfolgende Han-Dynastie zentralisierte das Reich und teilte es in Provinzen ein, die mit einem ausgeklügelten Beamtensystem regiert wurden. Über die Seidenstraße entstand Handel mit der restlichen Welt. Viele Erfindungen, wie die des Papiers, stammen aus dieser Zeit. Immer wieder kam es zu Veränderungen, Streitereien und neue Herrscher versuchten eine Vereinigung. Erst 1912 wurde das Kaiserreich gestürzt. China war durch ausländische Kräfte geschwächt worden. Es kam zum Bürgerkrieg zwischen Nationalisten und Kommunisten und im Zweiten Weltkrieg zu Eingriffen der Japaner. Millionen Menschen starben in diesen Kriegen. Mao Zedong profitierte vom Bürgerkrieg und gründete die Volksrepublik China. Viele seiner Experimente hatten verheerende Auswirkungen. Er sagte etwa „Revolution ist keine Dinnerparty. Sie kann nicht elegant und sanft durchgeführt werden.“
Im Kapitel „Der Ritt auf dem Tiger“ wird die Reform von Deng Xiaoping, die den Aufstieg des Landes zur heutigen Macht brachte, beschrieben. Außenpolitische Annäherungen folgten. Innenpolitisch kam es zum Konflikt mit Tibet, der noch heute anhält, obwohl allen Minderheiten viele Sonderrechte eingeräumt werden. So wird in diesem Booklet auch die Rolle Taiwans und Hongkongs abgehandelt. Der letzte Abschnitt befasst sich mit dem globalen Machtanspruch von Präsident Xi-Jinping.
Auf etwa 100 Seiten wird so die Geschichte Chinas mit seinen Hintergründen dokumentiert.
HÜLMBAUER, Cornelia
Oft Manchmal Nie Buch
2023.
@book{HÜLMBAUER2023,
title = {Oft Manchmal Nie},
author = {Cornelia HÜLMBAUER},
year = {2023},
date = {2023-03-11},
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abstract = {HÜLMBAUER, Cornelia: „Oft Manchmal Nie“, Salzburg Wien 2023
Ein köstliches Buch. Vieles erinnert an die eigene Kindheit und Jugend. Wobei der Unterschied zwischen Stadt und Land zum Vorschein kommt. Am Land kam so manches später. Cornelia Hülmbauer beschreibt in ihrem Buch Momentaufnahmen aus ihrer Kindheit und Jugend am Land. Das Leben im Elternhaus. Einem Mechanikerbetrieb. Es sind Gedächtnisbilder, die aber die Realität sehr schön ausdrücken. Zeitzeugnisse für die Zukunft und nächste Generationen. Würde Peter Rosegger heute leben, würde er so schreiben wie Cornelia Hülmbauer. Auch er hätte, so wie sie, alle Wörter klein geschrieben. Es ist zu hoffen, dass es in Zukunft noch mehr von dieser Autorin zum Lesen geben wird. Die Erzählungen des Buches enden, als sie mit einem Studium begann.
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Ein köstliches Buch. Vieles erinnert an die eigene Kindheit und Jugend. Wobei der Unterschied zwischen Stadt und Land zum Vorschein kommt. Am Land kam so manches später. Cornelia Hülmbauer beschreibt in ihrem Buch Momentaufnahmen aus ihrer Kindheit und Jugend am Land. Das Leben im Elternhaus. Einem Mechanikerbetrieb. Es sind Gedächtnisbilder, die aber die Realität sehr schön ausdrücken. Zeitzeugnisse für die Zukunft und nächste Generationen. Würde Peter Rosegger heute leben, würde er so schreiben wie Cornelia Hülmbauer. Auch er hätte, so wie sie, alle Wörter klein geschrieben. Es ist zu hoffen, dass es in Zukunft noch mehr von dieser Autorin zum Lesen geben wird. Die Erzählungen des Buches enden, als sie mit einem Studium begann.
KLAR, Elisabeth
Es gibt uns Buch
2023.
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title = {Es gibt uns},
author = {Elisabeth KLAR},
year = {2023},
date = {2023-03-10},
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abstract = {KLAR, Elisabeth: „Es gibt uns“, Salzburg Wien 2023
Es ist eine Theateraufführung in einem Schloss. Wie es so viele Festivals gibt. Dieses Buch ist aber nicht ein Theaterstück, sondern die Beschreibung einer Theateraufführung. Die Darsteller sind seltene Figuren. Es wird eine Welt beschrieben und gespielt, die aus tierischen und pflanzlichen Mischwesen besteht. Es geht hier viel um Schmerz, Leid, um Tumore und eine Seuche, aber trotzdem wird gefeiert und getanzt. „Komplexes Leben ist im Niedergang, schon seit langer Zeit. Der Schleim hingegen, ja der Schleim … der Schleim wird siegen, wo wir verlieren.“
Es ist ein Utopie Roman, der in der Stadt Anemos, einer apokalyptischen Stadt, die verstrahlt ist spielt. In ihr leben diese Mischwesen. Damit sie überleben können, brauchen sie die Leuchtqualle Oberon. Sie stellt sicher, dass die Wasserversorgung für die Stadt funktioniert. Titania organisierte große Feste. Bei so einem Fest stirbt Oberon bei einem Liebesspiel. Ein kleines Schleimtierchen – Müxerl – übernimmt seinen Job. Die Parole ist „Was du kaputt machst, musst du richten.“
Indirekt versucht Elisabeth Klar zu hinterfragen, welche Gesetze, welche Regeln eine Gesellschaft braucht, um widrige Umstände zu überstehen.
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Es ist eine Theateraufführung in einem Schloss. Wie es so viele Festivals gibt. Dieses Buch ist aber nicht ein Theaterstück, sondern die Beschreibung einer Theateraufführung. Die Darsteller sind seltene Figuren. Es wird eine Welt beschrieben und gespielt, die aus tierischen und pflanzlichen Mischwesen besteht. Es geht hier viel um Schmerz, Leid, um Tumore und eine Seuche, aber trotzdem wird gefeiert und getanzt. „Komplexes Leben ist im Niedergang, schon seit langer Zeit. Der Schleim hingegen, ja der Schleim … der Schleim wird siegen, wo wir verlieren.“
Es ist ein Utopie Roman, der in der Stadt Anemos, einer apokalyptischen Stadt, die verstrahlt ist spielt. In ihr leben diese Mischwesen. Damit sie überleben können, brauchen sie die Leuchtqualle Oberon. Sie stellt sicher, dass die Wasserversorgung für die Stadt funktioniert. Titania organisierte große Feste. Bei so einem Fest stirbt Oberon bei einem Liebesspiel. Ein kleines Schleimtierchen – Müxerl – übernimmt seinen Job. Die Parole ist „Was du kaputt machst, musst du richten.“
Indirekt versucht Elisabeth Klar zu hinterfragen, welche Gesetze, welche Regeln eine Gesellschaft braucht, um widrige Umstände zu überstehen.
MÜNKLER, Herfried
Strategie ! Von der Kunst, mit Ungewissheit umzugehen Booklet
2023.
@booklet{MÜNKLER2023,
title = {Strategie ! Von der Kunst, mit Ungewissheit umzugehen},
author = {MÜNKLER, Herfried},
editor = {Vontobel Stiftung},
year = {2023},
date = {2023-03-07},
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abstract = {MÜNKLER, Herfried: „Strategie ! Von der Kunst, mit Ungewissheit umzugehen“, Zürich 2023
Regelmäßig lässt die Vontobel Stiftung in Zürich Wissenschaftler und Schriftsteller im Rahmen einer Schriftenreihe (Broschüren) zu Wort kommen. Im März 2023 zum Thema Strategie.
Unter den derzeitigen Verhältnissen mit Russland wird zu Beginn gleich das Vorgehen Putins besprochen und dass es durch solche unvorhergesehenen Vorfällen – so auch COVID19 – zu keiner sicheren Zukunftsplanung kommen kann. „Die Planungseuphorie der 1960er und 1970er Jahre ist schon länger vorbei.“ (Seite 6) Der Autor erinnert auch daran, dass der Begriff „Strategie“ im Militärbereich entwickelt wurde und erst später in der Wirtschaft und Politik übernommen wurde. Im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Resilienz sind Analysen von Bedrohungen nicht mehr ausreichend. Das Sicherheitssystem kann nicht an Experten ausgelagert werden.
Strategie wird aus der Sicht verschiedener Kulturen und Zeiten beschrieben. Beginnend in der griechischen Klassik bei Homer und Thukydides, aus denen heraus Machiavelli und Clausewitz ihre Theorien abgeleitet haben. Beide waren eng mit dem Militär verbunden: Machiavelli war mit der Neuorganisation des Florentiner Militärwesens befasst und Clausewitz war sein ganzes Leben lang Soldat. In Asien dagegen entwickelten Zivilisten die Strategie weiter und auch in der heutigen Wirtschaft haben asiatische Unternehmen einen anderen, friedlicheren Zugang zum Begriff Strategie.
Auf Staatsebene wird von der „Grand Strategy“ gesprochen. Das bedeutet, dass der Staat frei entscheiden kann. Diese kann sich militärisch mit einer Gebietserweiterung des eigenen Landes befassen oder sich als Friedensvermittler in anderen Ländern einmischen. Oft hat dieses „Einmischen“ aber das Ziel Einfluss zu bekommen. So hatte sich die Sowjetunion in Afghanistan, Großbritannien bei den Falkland Inseln und die USA im Irak engagieren.
In den westlichen Demokratien hat aber die militärische Strategie an Bedeutung verloren. Man bedient sich mehr der wirtschaftlichen und ideologischen Macht. Humanitär motivierte militärische Interventionen haben in den letzten Jahrzehnten aber nie zum Erfolg geführt. Der Balkan, Syrien, Nordafrika, die Sahelzone sind alles gescheiterte Missionen. Aus dem westlichen Denken heraus, kam es zunehmend zu Wirtschaftssanktionen, bei denen die Politik sich weitgehend auf „symbolisches Handeln beschränkt, bei dem man eigene wirtschaftliche Nachteile in Kauf nimmt, ohne dass dem ein erkennbares Einwirken auf der anderen Seite gegenübersteht.“ (Seite 45) Die in der Zeit von 2014 bis 2021 verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland hatten nichts bewirkt. Im Gegenteil: Russland wurde mehr und mehr in die Arme Chinas getrieben, was für den Westen längerfristig sehr viel bedrohlicher ist. Das Modell, des Friedenschaffens mit immer weniger Waffen ist kläglich gescheitert. Die Folge davon ist eine Rückkehr zu mehr Bedeutung militärischer Kräfte.
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Regelmäßig lässt die Vontobel Stiftung in Zürich Wissenschaftler und Schriftsteller im Rahmen einer Schriftenreihe (Broschüren) zu Wort kommen. Im März 2023 zum Thema Strategie.
Unter den derzeitigen Verhältnissen mit Russland wird zu Beginn gleich das Vorgehen Putins besprochen und dass es durch solche unvorhergesehenen Vorfällen – so auch COVID19 – zu keiner sicheren Zukunftsplanung kommen kann. „Die Planungseuphorie der 1960er und 1970er Jahre ist schon länger vorbei.“ (Seite 6) Der Autor erinnert auch daran, dass der Begriff „Strategie“ im Militärbereich entwickelt wurde und erst später in der Wirtschaft und Politik übernommen wurde. Im Zuge der politischen und gesellschaftlichen Resilienz sind Analysen von Bedrohungen nicht mehr ausreichend. Das Sicherheitssystem kann nicht an Experten ausgelagert werden.
Strategie wird aus der Sicht verschiedener Kulturen und Zeiten beschrieben. Beginnend in der griechischen Klassik bei Homer und Thukydides, aus denen heraus Machiavelli und Clausewitz ihre Theorien abgeleitet haben. Beide waren eng mit dem Militär verbunden: Machiavelli war mit der Neuorganisation des Florentiner Militärwesens befasst und Clausewitz war sein ganzes Leben lang Soldat. In Asien dagegen entwickelten Zivilisten die Strategie weiter und auch in der heutigen Wirtschaft haben asiatische Unternehmen einen anderen, friedlicheren Zugang zum Begriff Strategie.
Auf Staatsebene wird von der „Grand Strategy“ gesprochen. Das bedeutet, dass der Staat frei entscheiden kann. Diese kann sich militärisch mit einer Gebietserweiterung des eigenen Landes befassen oder sich als Friedensvermittler in anderen Ländern einmischen. Oft hat dieses „Einmischen“ aber das Ziel Einfluss zu bekommen. So hatte sich die Sowjetunion in Afghanistan, Großbritannien bei den Falkland Inseln und die USA im Irak engagieren.
In den westlichen Demokratien hat aber die militärische Strategie an Bedeutung verloren. Man bedient sich mehr der wirtschaftlichen und ideologischen Macht. Humanitär motivierte militärische Interventionen haben in den letzten Jahrzehnten aber nie zum Erfolg geführt. Der Balkan, Syrien, Nordafrika, die Sahelzone sind alles gescheiterte Missionen. Aus dem westlichen Denken heraus, kam es zunehmend zu Wirtschaftssanktionen, bei denen die Politik sich weitgehend auf „symbolisches Handeln beschränkt, bei dem man eigene wirtschaftliche Nachteile in Kauf nimmt, ohne dass dem ein erkennbares Einwirken auf der anderen Seite gegenübersteht.“ (Seite 45) Die in der Zeit von 2014 bis 2021 verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland hatten nichts bewirkt. Im Gegenteil: Russland wurde mehr und mehr in die Arme Chinas getrieben, was für den Westen längerfristig sehr viel bedrohlicher ist. Das Modell, des Friedenschaffens mit immer weniger Waffen ist kläglich gescheitert. Die Folge davon ist eine Rückkehr zu mehr Bedeutung militärischer Kräfte.
Franzobel,
Einsteins Hirn Buch
2023.
@book{Franzobel2023,
title = {Einsteins Hirn},
author = {Franzobel},
year = {2023},
date = {2023-03-05},
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abstract = {Franzobel: „Einsteins Hirn“, Wien 2023
Der Titel signalisiert Einstein, aber praktisch ist es eine Biografie des Pathologen Thomas Harvey. Einstein starb 1955 in einem kleinen Spital in New Jersey. Thomas Harvey führte auf Anweisung der Spitalsdirektion eine Obduktion durch. Dabei kam er auf die Idee, sich das Hirn des Wissenschaftlers zu behalten. Der Leichnam Einsteins wurde verbrannt und seine Asche von einer Verwandten an einem unbekannten Ort verstreut. Der ursprüngliche Ansatz des Pathologen war es, im Hirn Einsteins seine Genialität nachweisen zu können. Dazu fehlte ihm aber die Ausbildung. Über 40 Jahre ist dieses Hirn an seiner Seite, ohne dass es zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt. Wie gesagt: das Buch ist eine Biografie des Pathologen Thoms Harvey, der wegen seines intensiven Bezugs zum Hirn, das mit ihm auch redete, mehrere gescheiterte Ehen hatte. Immer wieder war die Eifersucht zum Hirn der Scheidungsgrund. Harvey übersiedelte sehr oft in „Kleinstädte, die es nie in einen Reiseführer schafften, weil es dort nichts gab das eine Erwähnung lohnte, nichts, womit man Touristen locken konnte.“ (Seite 364) Immer wieder begann er mit einem neuen Job. Viele Aushilfsarbeiten übernahm er, bis er schließlich Landarzt in einer kleinen Gemeinde wurde. Aber auch hier ereilte ihn die Trennung von der Ehefrau. Letztlich verlor er auch seine Arztlizenz und musste als bald 80-jähriger als Hilfsarbeiter Geld. Geld, das er für Zahlungen an seine geschiedenen Frauen und Kinder brauchte. Verarmt lebte er am Schluss in einem stationären Wohnwagen. „Im Dauercampingplatz lebten Leute, denen die Armut bis zur Unterkante der Oberlippe stand: kinderreiche Einwanderer, Alkoholiker, Verrückte. Es gab dreizehnjährige Mütter, die sich für zwei Dollar prostituierten, mexikanische Crackdealer und greise Hippies. Für die meisten die letzte Station vor der Obdachlosigkeit.“ (Seite 500)
Zum 41. Todestag Einsteins brachte er das Hirn in jenes kleine Krankenhaus in New Jersey, in dem Einstein verstorben war.
Harvey war ein gläubiger Mensch und aktiver Quäker. Da er mit dem Hirn reden konnte, versuchte er Einstein zum Glauben zu bekehrten. Das Hirn lehnte aber Religionen ab, weil alles wissenschaftlich begründbar sei. Dieser Diskurs zieht sich im Hintergrund durch das ganze Buch. „Da das Universum vor dreizehn Komma irgendetwas Milliarden Jahren entstanden ist, stellt sich die Frage, wo war Gott davor? Wenn Gott ein Teil des Universums ist, ist auch er endlich. Oder ist er außerhalb?“ (Seite 431) Viele Fragen und Diskussionen, die zu keinem Ergebnis führen. Das Hirn wird mit verschiedensten Religionen konfrontiert. Es kommt aber zu keiner Annäherung. Das Ende der Kommunikation tritt erst ein, als eine Formel preisgegeben wird, die der Pathologe von einer Ex-Freundin Einsteins in Russland besorgt hatte. Dann entschied er sich, das Hirn wegzugeben, aber niemand wollte es. „Die Laboratorien waren mehr an Hirnen von kriminellen interessiert.“ (Seite 528)
Der Roman mit über 500 Seiten hat viele Lesegenüsse zu bieten, etwa wenn Franzobel den Beruf des Pathologen beschreibt: „Pathologe ist wie Pianist in einem Bordell. Sie können noch so hervorragend spielen, es kommt trotzdem niemand wegen der Musik.“ (Seite 61) Oder wenn er die negativen Seiten des Fortschritts anhand des Menschen definiert und sagt „dass der Grund vieler Erkrankungen im aufrechten Gang begründet liegt. … Krampfadern, Hämorrhoiden, Sodbrennen, Meniskus, Hüftabnützung. Hätten unsere Vorfahren nicht entschieden, den Kopf höher zu tragen, wären uns viele Zivilisationskrankheiten erspart geblieben …“ (Seite 110) „Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion – zu enger Gebärkanal, Haltungsschäden, schlechte Zähne. Selbst der ärgste Dilettant hätte das besser hinbekommen als Gott.“ (Seite 180)
In den einzelnen Abschnitten wird immer wieder Bezug auf das Weltgeschehen genommen. Etwa der Ermordung Kennedys, das Ende der Beatles, Jimi Hendrix Tod und dass 1978 ein Pole Papst wurde und in Persien Muslime die Regierung übernahmen.
Einsteins Leben ist in diesem Roman nur Hintergrundmusik. Durch den Kontakt des Pathologen mit Verwandten Einsteins und durch Gespräche mit dem Hirn werden nur einzelne Lebensabschnitte beschrieben.
Als Autor ist Franzobel auch selbstkritisch, wenn er meint Theater ist „etwas für Leute, die zu faul zum Lesen sind, lauter Stoffe, die zu schlecht sind für Verfilmungen.“ (Seite 457)
Thomas Harvey wurde 85 Jahre alt und verbrachte beinahe sein halbes Leben mit Hirn. Er hatte seine Ehen, seine Kinder, seine Freundschaften, alles dem Hirn untergeordnet. Der Dichter Franzobel widmete ihm mit diesem Buch ein Denkmal.
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Der Titel signalisiert Einstein, aber praktisch ist es eine Biografie des Pathologen Thomas Harvey. Einstein starb 1955 in einem kleinen Spital in New Jersey. Thomas Harvey führte auf Anweisung der Spitalsdirektion eine Obduktion durch. Dabei kam er auf die Idee, sich das Hirn des Wissenschaftlers zu behalten. Der Leichnam Einsteins wurde verbrannt und seine Asche von einer Verwandten an einem unbekannten Ort verstreut. Der ursprüngliche Ansatz des Pathologen war es, im Hirn Einsteins seine Genialität nachweisen zu können. Dazu fehlte ihm aber die Ausbildung. Über 40 Jahre ist dieses Hirn an seiner Seite, ohne dass es zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommt. Wie gesagt: das Buch ist eine Biografie des Pathologen Thoms Harvey, der wegen seines intensiven Bezugs zum Hirn, das mit ihm auch redete, mehrere gescheiterte Ehen hatte. Immer wieder war die Eifersucht zum Hirn der Scheidungsgrund. Harvey übersiedelte sehr oft in „Kleinstädte, die es nie in einen Reiseführer schafften, weil es dort nichts gab das eine Erwähnung lohnte, nichts, womit man Touristen locken konnte.“ (Seite 364) Immer wieder begann er mit einem neuen Job. Viele Aushilfsarbeiten übernahm er, bis er schließlich Landarzt in einer kleinen Gemeinde wurde. Aber auch hier ereilte ihn die Trennung von der Ehefrau. Letztlich verlor er auch seine Arztlizenz und musste als bald 80-jähriger als Hilfsarbeiter Geld. Geld, das er für Zahlungen an seine geschiedenen Frauen und Kinder brauchte. Verarmt lebte er am Schluss in einem stationären Wohnwagen. „Im Dauercampingplatz lebten Leute, denen die Armut bis zur Unterkante der Oberlippe stand: kinderreiche Einwanderer, Alkoholiker, Verrückte. Es gab dreizehnjährige Mütter, die sich für zwei Dollar prostituierten, mexikanische Crackdealer und greise Hippies. Für die meisten die letzte Station vor der Obdachlosigkeit.“ (Seite 500)
Zum 41. Todestag Einsteins brachte er das Hirn in jenes kleine Krankenhaus in New Jersey, in dem Einstein verstorben war.
Harvey war ein gläubiger Mensch und aktiver Quäker. Da er mit dem Hirn reden konnte, versuchte er Einstein zum Glauben zu bekehrten. Das Hirn lehnte aber Religionen ab, weil alles wissenschaftlich begründbar sei. Dieser Diskurs zieht sich im Hintergrund durch das ganze Buch. „Da das Universum vor dreizehn Komma irgendetwas Milliarden Jahren entstanden ist, stellt sich die Frage, wo war Gott davor? Wenn Gott ein Teil des Universums ist, ist auch er endlich. Oder ist er außerhalb?“ (Seite 431) Viele Fragen und Diskussionen, die zu keinem Ergebnis führen. Das Hirn wird mit verschiedensten Religionen konfrontiert. Es kommt aber zu keiner Annäherung. Das Ende der Kommunikation tritt erst ein, als eine Formel preisgegeben wird, die der Pathologe von einer Ex-Freundin Einsteins in Russland besorgt hatte. Dann entschied er sich, das Hirn wegzugeben, aber niemand wollte es. „Die Laboratorien waren mehr an Hirnen von kriminellen interessiert.“ (Seite 528)
Der Roman mit über 500 Seiten hat viele Lesegenüsse zu bieten, etwa wenn Franzobel den Beruf des Pathologen beschreibt: „Pathologe ist wie Pianist in einem Bordell. Sie können noch so hervorragend spielen, es kommt trotzdem niemand wegen der Musik.“ (Seite 61) Oder wenn er die negativen Seiten des Fortschritts anhand des Menschen definiert und sagt „dass der Grund vieler Erkrankungen im aufrechten Gang begründet liegt. … Krampfadern, Hämorrhoiden, Sodbrennen, Meniskus, Hüftabnützung. Hätten unsere Vorfahren nicht entschieden, den Kopf höher zu tragen, wären uns viele Zivilisationskrankheiten erspart geblieben …“ (Seite 110) „Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion – zu enger Gebärkanal, Haltungsschäden, schlechte Zähne. Selbst der ärgste Dilettant hätte das besser hinbekommen als Gott.“ (Seite 180)
In den einzelnen Abschnitten wird immer wieder Bezug auf das Weltgeschehen genommen. Etwa der Ermordung Kennedys, das Ende der Beatles, Jimi Hendrix Tod und dass 1978 ein Pole Papst wurde und in Persien Muslime die Regierung übernahmen.
Einsteins Leben ist in diesem Roman nur Hintergrundmusik. Durch den Kontakt des Pathologen mit Verwandten Einsteins und durch Gespräche mit dem Hirn werden nur einzelne Lebensabschnitte beschrieben.
Als Autor ist Franzobel auch selbstkritisch, wenn er meint Theater ist „etwas für Leute, die zu faul zum Lesen sind, lauter Stoffe, die zu schlecht sind für Verfilmungen.“ (Seite 457)
Thomas Harvey wurde 85 Jahre alt und verbrachte beinahe sein halbes Leben mit Hirn. Er hatte seine Ehen, seine Kinder, seine Freundschaften, alles dem Hirn untergeordnet. Der Dichter Franzobel widmete ihm mit diesem Buch ein Denkmal.
SCHLICK, Christoph
Was meinem Leben echten Sinn gibt Buch
2023.
@book{SCHLICK2023,
title = {Was meinem Leben echten Sinn gibt},
author = {Christoph SCHLICK},
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date = {2023-02-19},
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abstract = {SCHLICK, Christoph: „Was meinem Leben echten Sinn gibt. Die wichtigsten Lebensfragen klären“, München 2017
Zuerst einige Worte zum Autor: für den Familienbetrieb als Nachfolger in der Rechtsanwaltskanzlei vorgesehen ging er ins Kloster und war über 20 Jahre Benediktinermönch. Danach begann er ein neues Leben, heiratete und bekam ein Kind. Die Frau war zwar mit Zwillingen schwanger, aber eines starb, das andere war behindert. Nach einigen Jahren beging die Frau Selbstmord. Jahre später heiratete er wieder und ist heute als Unternehmensberater und Coach tätig. Mit so vielen negativen Lebenserfahrungen rechnet man nicht mit einem positiven Menschen. Ich erlebte ihn bei einem Vortrag und er war motivierend und strahlte Positives aus.
Viele Menschen kommen erst am Ende ihres Lebens darauf, über ihr Sein nachzudenken. Das will der Autor mit seinem Buch verändern und den Leser, die Leserin anregen sich laufend mit dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen. Im Vorwort sagt er: „Ich möchte ihnen Orientierung auf ihrem Entwicklungsweg und Lösungen geben, und es tut gut, sie sich anzusehen.“ (Seite 14)
Er nähert sich dem Leser über verschiedene Fragen:
• Die Frage nach dem Sinn des Lebens und dem WOFÜR
• Das Menschliche, was uns ausmacht
• Um sinnvoll zu leben, soll man zuerst die Werte erkennen
• Sehnsucht ist wichtig beim Finden des Sinns
Der Autor zeigt dann fünf Lebenssinn-Beziehungen auf und versucht dann zu erklären, wie diese das eigene Leben stärken können. Die Veränderung im Leben erscheint ihm wichtig, dass der Mensch sich in jedem Alter auf Neues einlassen soll. Erst wenn man einen Sinn im Leben hat, findet man Mut und Lebensfreude.
Christoph Schlick versucht hier einen Ratgeber in Form eines „psychologischen Kochbuchs“ zu geben, aus dem man die eine oder andere Anregung ins eigene Leben aufnehmen kann.
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Zuerst einige Worte zum Autor: für den Familienbetrieb als Nachfolger in der Rechtsanwaltskanzlei vorgesehen ging er ins Kloster und war über 20 Jahre Benediktinermönch. Danach begann er ein neues Leben, heiratete und bekam ein Kind. Die Frau war zwar mit Zwillingen schwanger, aber eines starb, das andere war behindert. Nach einigen Jahren beging die Frau Selbstmord. Jahre später heiratete er wieder und ist heute als Unternehmensberater und Coach tätig. Mit so vielen negativen Lebenserfahrungen rechnet man nicht mit einem positiven Menschen. Ich erlebte ihn bei einem Vortrag und er war motivierend und strahlte Positives aus.
Viele Menschen kommen erst am Ende ihres Lebens darauf, über ihr Sein nachzudenken. Das will der Autor mit seinem Buch verändern und den Leser, die Leserin anregen sich laufend mit dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen. Im Vorwort sagt er: „Ich möchte ihnen Orientierung auf ihrem Entwicklungsweg und Lösungen geben, und es tut gut, sie sich anzusehen.“ (Seite 14)
Er nähert sich dem Leser über verschiedene Fragen:
• Die Frage nach dem Sinn des Lebens und dem WOFÜR
• Das Menschliche, was uns ausmacht
• Um sinnvoll zu leben, soll man zuerst die Werte erkennen
• Sehnsucht ist wichtig beim Finden des Sinns
Der Autor zeigt dann fünf Lebenssinn-Beziehungen auf und versucht dann zu erklären, wie diese das eigene Leben stärken können. Die Veränderung im Leben erscheint ihm wichtig, dass der Mensch sich in jedem Alter auf Neues einlassen soll. Erst wenn man einen Sinn im Leben hat, findet man Mut und Lebensfreude.
Christoph Schlick versucht hier einen Ratgeber in Form eines „psychologischen Kochbuchs“ zu geben, aus dem man die eine oder andere Anregung ins eigene Leben aufnehmen kann.
RANSMAYR, Christoph
Der fliegende Berg Buch
2023.
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title = {Der fliegende Berg},
author = {Christoph RANSMAYR},
year = {2023},
date = {2023-02-16},
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abstract = {RANSMAYR, Christoph: „Der fliegende Berg“, Frankfurt 2020
Ransmayr zeigt sich bei diesem Buch als Kenner Irlands, wo er lange Zeit lebte, und gleichzeitig bringt er seine Erfahrungen aus dem Himalaya ein. Er verbindet diese beiden Gebiete durch zwei junge irische Männer, Brüder, die als Jugendliche in den Klippen der irischen Küste kletterten. Ihre Interessen trennten sie: der eine wurde Seemann und der andere blieb sesshaft. Er errichtete das Farmhaus seiner Eltern und lebte als Landwirt auf einer irischen Insel. Den Bruder wollte er immer wieder zurückholen. Letztlich gelang es und sie planten eine gemeinsame Expedition in den Himalaya. Sie wollten einen Berg besteigen, der nach Recherchen ein noch nicht entdeckter ist. Da es sich um tibetisches Gebiet handelte, mussten sie eine offizielle Reise buchen, die sie später verließen und auf eigene Faust illegal zu „ihrem“ Berg aufbrachen. Zuerst mit einem fahrenden Händler auf einem Pickup und später wandernd mit Nomaden und deren Yakherde. Wochenlang waren sie unterwegs in Richtung höher gelegener Weidegründe. Von dort erst brachen sie allein und unerlaubt zu einem Gipfel – den Phur-Ri, den fliegenden Berg - auf.
Die Nomaden rieten von dieser Besteigung ab. Berge seien etwas Heiliges. Berge, so erzählten sie, hätten „sich aus dem Funkenschwarm der Sterne gelöst und würden wie Lichtflöße durch die Himmelsnacht treiben, bis sie schließlich herabschweben auf die Ebenen einer Welt, die flach war.“ (Seite 138) Keiner dieser Berge, so die Erzählung, bleibe in der Welt der Menschen. Sie alle würden irgendwann wieder aufsteigen in den Himmel.
Der jüngere Bruder hatte sich in die Erzählerin dieser Sage, einer Frau, einer Witwe der Nomaden verliebt und wollte gar nicht mehr auf den Berg. Er hatte sich mit seinem Bruder schon zerstritten. Dieser versuchte Alleingänge. Als er von so einer Besteigung nicht zurückkam, brach der Bruder – trotz Zwist – auf, um ihn zu suchen. Dabei stürzte er in eine Gletscherspalte und wäre fast selbst umgekommen. Letztlich bestiegen sie gemeinsam den ersehnten Gipfel. Das Wetter schlug um. Sie kamen in Schwierigkeiten, bei denen der ältere und erfahrenere Bruder starb. Verletzt überlebte der Erzähler, der erst beim Räumen des Bauernhofs in Irland vieles über seinen Bruder erfuhr. Selbst litt er unter dem Tod des Bruders und dachte „Ich habe meinen Bruder getötet.“ (Seite 342)
Ransmayr entführt den Leser in eine ihm vielleicht unbekannte Welt. Eine Welt des Hochgebirges, des Himalaya. Einer Welt der Gefahren, die er sehr gut zu beschreiben versteht, sodass man glaubt selbst durch Eis und Schnee zu gehen.
Auch ich bin zu Beginn dem Irrtum unterlegen, dass das Buch in Gedichtform geschrieben sei. Dem ist nicht so. Es ist ein freier Rhythmus. Die Texte sind frei von Versen. Es ist ein Flattersatz. Ransmayr nennt es einen „fliegenden Satz“, der aber angenehm zum Lesen ist. Ich fand sogar, dass die Sätze in diesem Format vornehmer wirkten als im traditionellen Satz.
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Ransmayr zeigt sich bei diesem Buch als Kenner Irlands, wo er lange Zeit lebte, und gleichzeitig bringt er seine Erfahrungen aus dem Himalaya ein. Er verbindet diese beiden Gebiete durch zwei junge irische Männer, Brüder, die als Jugendliche in den Klippen der irischen Küste kletterten. Ihre Interessen trennten sie: der eine wurde Seemann und der andere blieb sesshaft. Er errichtete das Farmhaus seiner Eltern und lebte als Landwirt auf einer irischen Insel. Den Bruder wollte er immer wieder zurückholen. Letztlich gelang es und sie planten eine gemeinsame Expedition in den Himalaya. Sie wollten einen Berg besteigen, der nach Recherchen ein noch nicht entdeckter ist. Da es sich um tibetisches Gebiet handelte, mussten sie eine offizielle Reise buchen, die sie später verließen und auf eigene Faust illegal zu „ihrem“ Berg aufbrachen. Zuerst mit einem fahrenden Händler auf einem Pickup und später wandernd mit Nomaden und deren Yakherde. Wochenlang waren sie unterwegs in Richtung höher gelegener Weidegründe. Von dort erst brachen sie allein und unerlaubt zu einem Gipfel – den Phur-Ri, den fliegenden Berg - auf.
Die Nomaden rieten von dieser Besteigung ab. Berge seien etwas Heiliges. Berge, so erzählten sie, hätten „sich aus dem Funkenschwarm der Sterne gelöst und würden wie Lichtflöße durch die Himmelsnacht treiben, bis sie schließlich herabschweben auf die Ebenen einer Welt, die flach war.“ (Seite 138) Keiner dieser Berge, so die Erzählung, bleibe in der Welt der Menschen. Sie alle würden irgendwann wieder aufsteigen in den Himmel.
Der jüngere Bruder hatte sich in die Erzählerin dieser Sage, einer Frau, einer Witwe der Nomaden verliebt und wollte gar nicht mehr auf den Berg. Er hatte sich mit seinem Bruder schon zerstritten. Dieser versuchte Alleingänge. Als er von so einer Besteigung nicht zurückkam, brach der Bruder – trotz Zwist – auf, um ihn zu suchen. Dabei stürzte er in eine Gletscherspalte und wäre fast selbst umgekommen. Letztlich bestiegen sie gemeinsam den ersehnten Gipfel. Das Wetter schlug um. Sie kamen in Schwierigkeiten, bei denen der ältere und erfahrenere Bruder starb. Verletzt überlebte der Erzähler, der erst beim Räumen des Bauernhofs in Irland vieles über seinen Bruder erfuhr. Selbst litt er unter dem Tod des Bruders und dachte „Ich habe meinen Bruder getötet.“ (Seite 342)
Ransmayr entführt den Leser in eine ihm vielleicht unbekannte Welt. Eine Welt des Hochgebirges, des Himalaya. Einer Welt der Gefahren, die er sehr gut zu beschreiben versteht, sodass man glaubt selbst durch Eis und Schnee zu gehen.
Auch ich bin zu Beginn dem Irrtum unterlegen, dass das Buch in Gedichtform geschrieben sei. Dem ist nicht so. Es ist ein freier Rhythmus. Die Texte sind frei von Versen. Es ist ein Flattersatz. Ransmayr nennt es einen „fliegenden Satz“, der aber angenehm zum Lesen ist. Ich fand sogar, dass die Sätze in diesem Format vornehmer wirkten als im traditionellen Satz.
KÖHLMEIER, Michael
Frankie Buch
2023.
@book{KÖHLMEIER2023,
title = {Frankie},
author = {Michael KÖHLMEIER},
year = {2023},
date = {2023-02-09},
urldate = {2023-02-09},
abstract = {KÖHLMEIER, Michael: „Frankie“, München 2023
Erstaunlich, wo Köhlmeier seine Themen für einen Roman immer herholt. Diesmal geht es in die Strafvollzugsanstalt Stein und nach Wien, wo Köhlmeier abwechselnd zu Vorarlberg wohnt. Der Titel „Frankie“ ist dem 14-jährigen Buben dieser Handlung gewidmet. Zur Hauptperson, beziehungsweise Aktion auslösenden Person wird aber der Großvater Frankies, der über 20 Jahre seines Lebens im Gefängnis saß. Frankie wohnt mit seiner Mutter zusammen. Sie haben ein gutes Zusammenleben. Nun tritt als Dritter der Opa in ihr Leben. Die Mutter will nicht, dass ihr Sohn mit dem „Verbrecher“ Opa Beziehungen hat. Opa wohnt nach Haftentlassung nur wenige Tage mit der Tochter und dem Enkel in deren Wohnung. Dann bekommt er eine eigene Wohnung zugewiesen. Frankie aber hält weiter Kontakt mit ihm. Obwohl er nicht weiß, „Wie Opa heißt. Nicht einmal seinen Vornamen kenne ich.“ (Seite 54) Das schriftstellerische Interesse Köhlmeiers flackert kurz auf, als Opa seinen Enkel fragt, ob er aus seinem Leben ein Buch schreiben kann. Der Neffe aber meint „Ich sei sicher gut im Rechtschreiben, er nämlich nicht. Nur die Idioten erzählen, was sie wirklich getan haben. Und nur die Vollidioten glauben, was man ihnen erzählt. So gesehen sei ich der Vollidiot in der Geschichte, die er mir aufgebunden hat.“ (Seite 75) Das Leben im Gefängnis sei ein sehr einfaches, so erklärt Opa das seinem Enkel: „Du brauchst nicht nachzudenken, wann und was es Essen gibt. Du brauchst nicht nachdenken, wo du schlafen sollst. Wann du arbeiten sollst. Wann du ins Freie sollst. Wann es ausnahmsweise Obst gibt. Wann es ausnahmsweise ein Glas Wein gibt. Über alles wird für dich nachgedacht. …. Erst die letzten zehn Jahre habe ich mir eigene Gedanken gemacht.“ (Seite 87)
Opa führt Frankie indirekt ins Verbrecherleben ein, sodass dieser am Ende den eigenen Opa erschießt, aber nicht erwischt wird; womit ich die Pointe eines Krimis vorweggenommen habe. Aber es ist ja kein Krimi, sondern ein Roman. Letztlich führt er sogar seinen leiblichen Vater, zu dem die Mutter keinen Kontakt mehr hat, hinters Licht. Als Leser stellt man sich am Ende die Frage „Wird eine verbrecherische Veranlagung vererbt?“
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Erstaunlich, wo Köhlmeier seine Themen für einen Roman immer herholt. Diesmal geht es in die Strafvollzugsanstalt Stein und nach Wien, wo Köhlmeier abwechselnd zu Vorarlberg wohnt. Der Titel „Frankie“ ist dem 14-jährigen Buben dieser Handlung gewidmet. Zur Hauptperson, beziehungsweise Aktion auslösenden Person wird aber der Großvater Frankies, der über 20 Jahre seines Lebens im Gefängnis saß. Frankie wohnt mit seiner Mutter zusammen. Sie haben ein gutes Zusammenleben. Nun tritt als Dritter der Opa in ihr Leben. Die Mutter will nicht, dass ihr Sohn mit dem „Verbrecher“ Opa Beziehungen hat. Opa wohnt nach Haftentlassung nur wenige Tage mit der Tochter und dem Enkel in deren Wohnung. Dann bekommt er eine eigene Wohnung zugewiesen. Frankie aber hält weiter Kontakt mit ihm. Obwohl er nicht weiß, „Wie Opa heißt. Nicht einmal seinen Vornamen kenne ich.“ (Seite 54) Das schriftstellerische Interesse Köhlmeiers flackert kurz auf, als Opa seinen Enkel fragt, ob er aus seinem Leben ein Buch schreiben kann. Der Neffe aber meint „Ich sei sicher gut im Rechtschreiben, er nämlich nicht. Nur die Idioten erzählen, was sie wirklich getan haben. Und nur die Vollidioten glauben, was man ihnen erzählt. So gesehen sei ich der Vollidiot in der Geschichte, die er mir aufgebunden hat.“ (Seite 75) Das Leben im Gefängnis sei ein sehr einfaches, so erklärt Opa das seinem Enkel: „Du brauchst nicht nachzudenken, wann und was es Essen gibt. Du brauchst nicht nachdenken, wo du schlafen sollst. Wann du arbeiten sollst. Wann du ins Freie sollst. Wann es ausnahmsweise Obst gibt. Wann es ausnahmsweise ein Glas Wein gibt. Über alles wird für dich nachgedacht. …. Erst die letzten zehn Jahre habe ich mir eigene Gedanken gemacht.“ (Seite 87)
Opa führt Frankie indirekt ins Verbrecherleben ein, sodass dieser am Ende den eigenen Opa erschießt, aber nicht erwischt wird; womit ich die Pointe eines Krimis vorweggenommen habe. Aber es ist ja kein Krimi, sondern ein Roman. Letztlich führt er sogar seinen leiblichen Vater, zu dem die Mutter keinen Kontakt mehr hat, hinters Licht. Als Leser stellt man sich am Ende die Frage „Wird eine verbrecherische Veranlagung vererbt?“
Sempé, Jean-Jacques
Das Geheimnis des Fahrradhändlers Buch
2023.
@book{Sempé2023,
title = {Das Geheimnis des Fahrradhändlers},
author = {Jean-Jacques Sempé},
year = {2023},
date = {2023-02-03},
urldate = {2023-02-03},
abstract = {Sempé, Jean-Jacques: „Das Geheimnis des Fahrradhändlers“, übersetzt von Patrick Süskind;
Zürich 2005
Es ist eine Geschichte, die von einem ortsbekannten Fahrradmechaniker handelt, der aber selbst nicht Radfahren kann. Nur weiß das Niemand. Trotzdem wird er berühmt. Sein Dorf wird durch ihn weltbekannt. Es ist eine einfache, aber nette Geschichte. Aber das wesentliche an diesem Buch sind die Zeichnungen von Sempé, weshalb man es kauft. Treffend auch die deutsche Übersetzung von Patrick Süskind. Das Buch ist ein „Schau- und Lesevergnügen“.
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Zürich 2005
Es ist eine Geschichte, die von einem ortsbekannten Fahrradmechaniker handelt, der aber selbst nicht Radfahren kann. Nur weiß das Niemand. Trotzdem wird er berühmt. Sein Dorf wird durch ihn weltbekannt. Es ist eine einfache, aber nette Geschichte. Aber das wesentliche an diesem Buch sind die Zeichnungen von Sempé, weshalb man es kauft. Treffend auch die deutsche Übersetzung von Patrick Süskind. Das Buch ist ein „Schau- und Lesevergnügen“.
KIM, Anna
Die Bilderspur Buch
2023.
@book{KIM2023b,
title = {Die Bilderspur},
author = {Anna KIM},
year = {2023},
date = {2023-02-02},
urldate = {2023-02-02},
abstract = {KIM, Anna: „Die Bilderspur“, Wien 2004
Das antiquarisch erworbene Buch trägt eine persönliche Widmung von Anna für ihre „liebsten Schwiegereltern“. Es ist das Erstlingswerk der Dichterin Anna Kim. Es ist ein nicht leicht lesbarer Schreibstil, aber man kann sich die angedachten Handlungen erarbeiten. So geht es im ersten Kapitel „Suchen“ um den Vater, der immer wieder abreist, der ein Fremder ist und der letztlich einen Schlaganfall bekommt. Er lebt noch drei Jahre. „Im dritten Jahr: Haut und Knochen mein Vater, nur noch Ohren und Hände, die leben. … Wäre sein Atem nicht an die Maschinen gebunden, würden wir sein Sterben vergessen.“ (Seite 30)
Das zweite Kapitel heißt „Finden“ und im dritten – „Verlieren“ - geht es ums Abschiednehmen. Der Vater hat noch einen zweiten Schlafanfall. Inzwischen stirbt auch die Mutter. Sie kommt zu einem Abschiedsfest des Vaters, der sterben will.
Bei diesem Buch ist der Inhalt unwichtig. Die abstrakte Textkonstruktion tritt in den Vordergrund. Macht das Lesen schwer. Manchmal ist Lesen so wie das Erledigen einer unangenehmen Arbeit. Mir ging es bei diesem Buch so. Ich kannte alle folgenden Bücher von Anna Kim und schätze sie. So wollte ich auch ihr Erstlingswerk kennenlernen. Es ist literarisch außergewöhnlich, aber schwer zum Lesen.
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Das antiquarisch erworbene Buch trägt eine persönliche Widmung von Anna für ihre „liebsten Schwiegereltern“. Es ist das Erstlingswerk der Dichterin Anna Kim. Es ist ein nicht leicht lesbarer Schreibstil, aber man kann sich die angedachten Handlungen erarbeiten. So geht es im ersten Kapitel „Suchen“ um den Vater, der immer wieder abreist, der ein Fremder ist und der letztlich einen Schlaganfall bekommt. Er lebt noch drei Jahre. „Im dritten Jahr: Haut und Knochen mein Vater, nur noch Ohren und Hände, die leben. … Wäre sein Atem nicht an die Maschinen gebunden, würden wir sein Sterben vergessen.“ (Seite 30)
Das zweite Kapitel heißt „Finden“ und im dritten – „Verlieren“ - geht es ums Abschiednehmen. Der Vater hat noch einen zweiten Schlafanfall. Inzwischen stirbt auch die Mutter. Sie kommt zu einem Abschiedsfest des Vaters, der sterben will.
Bei diesem Buch ist der Inhalt unwichtig. Die abstrakte Textkonstruktion tritt in den Vordergrund. Macht das Lesen schwer. Manchmal ist Lesen so wie das Erledigen einer unangenehmen Arbeit. Mir ging es bei diesem Buch so. Ich kannte alle folgenden Bücher von Anna Kim und schätze sie. So wollte ich auch ihr Erstlingswerk kennenlernen. Es ist literarisch außergewöhnlich, aber schwer zum Lesen.
BUSEK, Erhard
Österreich und der Balkan. Vom Umgang mit dem Pulverfaß Europas Buch
2023.
@book{BUSEK2023,
title = {Österreich und der Balkan. Vom Umgang mit dem Pulverfaß Europas},
author = {Erhard BUSEK},
year = {2023},
date = {2023-02-01},
urldate = {2023-02-01},
abstract = {BUSEK, Erhard: „Österreich und der Balkan. Vom Umgang mit dem Pulverfaß Europas“, Wien 1999
Das Buch ist ja nicht das neueste. Noch dazu auf einem Gebiet, auf dem sich so viel verändert. Trotzdem war es lesenswert, da Erhard Busek die Situation sehr gut analysiert und Prognosen stellt, die heute – 25 Jahre später – noch gültig sind.
Das Buch soll ein Handbuch für diesen Teil Europas sein. Bereits bei der Überschrift schlägt er vor, den Begriff „Balkan“ gegen „Südosteuropa“ zu ersetzen. Er selbst hat sich nach seinem Ausscheiden aus der österreichhischen Politik sehr stark für die Länder Südosteuropas eingesetzt. Das Engagement wurde aber unterschiedlich gesehen: „Die einen anerkennen meine Tätigkeit, die anderen sind froh, wenn es ein anderer tut, die dritten wieder glauben, dass es ganz gut ist, wenn es einzelne Menschen gibt, die sich engagieren. Nicht zu vergessen sind jene, die einem noch immer vorhalten, nichts besseres zu tun zu haben, als ich mit dem „Gesindel“ abzugeben.“ (Seite 23) Busek sieht es aber als eine Herausforderung sich für diesen Teil Europas einzusetzen. „Ich vertrete die Meinung, dass über kurz oder lang alle Staaten der EU angehören sollten.“ (Seite 47) Die Abhängigkeit der europäischen Staaten ist sehr hoch und daher muss man integrieren. Mehrere Hemmschuhe verhindern dies derzeit: die geschichtliche Vergangenheit, die Sprachenvielfalt und die Spannung zwischen den verschiedenen Kirchen. Viele internationale Interessen wirken auf diese Region ein: Europa, USA und Russland. Der Einfluss Russlands wird dabei nicht unterschätzt und Busek schrieb bereits 1999: „Der Traum, eine Supermacht zu sein, besteht zweifellos in vielen russischen Hirnen und Herzen.“ (Seite 54)
Zur Verbesserung der Beziehung der europäischen Länder mit jenen Südosteuropas schlägt der Autor Kooperationen auf den Gebieten Kultur, Kunst und Bildung vor. Vor allem interntionale Austauschprogramme können das gegenseitige Verständnis verstärken.
Aus der Geschichte abgeleitet weist er auch auf die Integration via Protektorat hin. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie verwaltete provisorisch von 1878 bis 1908 Bosnien auf Basis eines Protektorats. Protektorats-Überlegungen könnten auch für das eine oder andere Land Südosteuropas angewandt werden.
Leider fehlen für einen Integrationsprozess Strategien und Pläne. „Zu stark war die Meinung, es wäre Aufgabe der „Transformations“-Staaten, mit sich selbst zurecht zu kommen.“ (Seite 143) Damit wurde nationaler Egoismus verstärkt.
Im Kapitel „Praktische Maßnahmen – Schritt um Schritt“ werden auch Vorschläge wie die Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Grenzerleichterungen, Aufbau einer Transportinfrastruktur und Bildungszusammenarbeit vorgeschlagen. Alles Ansätze, die noch heute – 25 Jahre später – ihre Gültigkeit haben.
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Das Buch ist ja nicht das neueste. Noch dazu auf einem Gebiet, auf dem sich so viel verändert. Trotzdem war es lesenswert, da Erhard Busek die Situation sehr gut analysiert und Prognosen stellt, die heute – 25 Jahre später – noch gültig sind.
Das Buch soll ein Handbuch für diesen Teil Europas sein. Bereits bei der Überschrift schlägt er vor, den Begriff „Balkan“ gegen „Südosteuropa“ zu ersetzen. Er selbst hat sich nach seinem Ausscheiden aus der österreichhischen Politik sehr stark für die Länder Südosteuropas eingesetzt. Das Engagement wurde aber unterschiedlich gesehen: „Die einen anerkennen meine Tätigkeit, die anderen sind froh, wenn es ein anderer tut, die dritten wieder glauben, dass es ganz gut ist, wenn es einzelne Menschen gibt, die sich engagieren. Nicht zu vergessen sind jene, die einem noch immer vorhalten, nichts besseres zu tun zu haben, als ich mit dem „Gesindel“ abzugeben.“ (Seite 23) Busek sieht es aber als eine Herausforderung sich für diesen Teil Europas einzusetzen. „Ich vertrete die Meinung, dass über kurz oder lang alle Staaten der EU angehören sollten.“ (Seite 47) Die Abhängigkeit der europäischen Staaten ist sehr hoch und daher muss man integrieren. Mehrere Hemmschuhe verhindern dies derzeit: die geschichtliche Vergangenheit, die Sprachenvielfalt und die Spannung zwischen den verschiedenen Kirchen. Viele internationale Interessen wirken auf diese Region ein: Europa, USA und Russland. Der Einfluss Russlands wird dabei nicht unterschätzt und Busek schrieb bereits 1999: „Der Traum, eine Supermacht zu sein, besteht zweifellos in vielen russischen Hirnen und Herzen.“ (Seite 54)
Zur Verbesserung der Beziehung der europäischen Länder mit jenen Südosteuropas schlägt der Autor Kooperationen auf den Gebieten Kultur, Kunst und Bildung vor. Vor allem interntionale Austauschprogramme können das gegenseitige Verständnis verstärken.
Aus der Geschichte abgeleitet weist er auch auf die Integration via Protektorat hin. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie verwaltete provisorisch von 1878 bis 1908 Bosnien auf Basis eines Protektorats. Protektorats-Überlegungen könnten auch für das eine oder andere Land Südosteuropas angewandt werden.
Leider fehlen für einen Integrationsprozess Strategien und Pläne. „Zu stark war die Meinung, es wäre Aufgabe der „Transformations“-Staaten, mit sich selbst zurecht zu kommen.“ (Seite 143) Damit wurde nationaler Egoismus verstärkt.
Im Kapitel „Praktische Maßnahmen – Schritt um Schritt“ werden auch Vorschläge wie die Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, Grenzerleichterungen, Aufbau einer Transportinfrastruktur und Bildungszusammenarbeit vorgeschlagen. Alles Ansätze, die noch heute – 25 Jahre später – ihre Gültigkeit haben.
KIM, Anna
2023.
@book{KIM2023,
title = {Invasionen des Privaten},
author = {Anna KIM},
year = {2023},
date = {2023-01-30},
urldate = {2023-01-30},
abstract = {KIM, Anna: „Invasionen des Privaten“, Graz Wien 2011
Das Buch entstand während eines längeren Aufenthalts in Grönland, bei dem sie Kontakt mit Einheimischen – Grönländern und Dänen – hatte und diese in Bezug sie ihrer eigenen Identität bringt: die Koreanerin als Österreicherin.
Grönland, ein Teil Dänemarks, mit weniger als 60.000 Einwohnern, von denen 15.000 in der Hauptstadt Nuuk leben. Kim versucht die Geschichte des Landes, von der Kolonialbesetzung bis hin zur Einbindung Dänemarks aufzuarbeiten. Sie halt auch Kontakte zu lokalen Menschen, um deren Geschichte und Empfindungen festzuhalten. Während ihres Grönlandaufenthalts wohnt sie sowohl in der Hauptstadt Nuuk, als auch am Land, zwei Flugstunden nördlich.
Obwohl Grönland ein fast unbewohntes Land ist, wirkt die Hauptstadt „wie jede andere Stadt … frei von Natur.“ (Seite 10) Die Vergangenheit des Landes ist in seiner Architektur abgebildet: norwegische Bauten und dann, nach der Übernahme Dänemarks, dänischer Stil.
Der Kolonialismus ging mit den Einheimischen sehr brutal um. „Luxus Waren“ wie Kaffee, Alkohol, Tee oder Gewürze wurden an Grönländer nicht verkauft. Sie wurden zweitklassig behandelt und man versuchte sie zu Beginn in ihrer Funktion, dem Jagen von Roben und Walen zu halten. Als dann im Zweiten Weltkrieg amerikanische Militärbasen errichtet wurden, siedelte man die Inuit um. Sie bekamen kleinere Jagdgebiete, in denen sie mit ihrer Kultur nicht mehr überleben konnten. Zehn Jahre lang hatte man grönländische Kinder für ein oder zwei Jahre nach Dänemark gebracht, um ihre Kultur anzugleichen. Die Kinder kamen heimatlos zurück. Hatten ihre eigene Sprache verlernt und dänisch gelernt. Eine Gesprächspartnerin, die auf so einem Dänemarkaufenthalt war, meinte: „Dänisch fließend zu sprechen bedeutet somit, besser zu sein als der (grönländische) Durchschnitt.“ (Seite 36) In den Schulen Grönland gibt es nur Bücher in dänischer Sprache. Für grönländische Bücher ist das Volumen zu klein.
Auch die Schilderungen der Landschaft sind interessant: „Wir sind so wenige, dass wir uns innerhalb von Minuten aus den Augen verlieren, obwohl wir nicht gehen, sondern tapsen. Schließlich stehe ich allein in der Landschaft, die keine ist. Ich stehe in einem weißen, leeren Raum, ich bin umgeben von Stille, meine Beine sind eben erst geboren, und vielleicht denke ich, auch mein Körper, vielleicht bin ich gerade erst auf die Welt gekommen?“ (Seite 75)
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Das Buch entstand während eines längeren Aufenthalts in Grönland, bei dem sie Kontakt mit Einheimischen – Grönländern und Dänen – hatte und diese in Bezug sie ihrer eigenen Identität bringt: die Koreanerin als Österreicherin.
Grönland, ein Teil Dänemarks, mit weniger als 60.000 Einwohnern, von denen 15.000 in der Hauptstadt Nuuk leben. Kim versucht die Geschichte des Landes, von der Kolonialbesetzung bis hin zur Einbindung Dänemarks aufzuarbeiten. Sie halt auch Kontakte zu lokalen Menschen, um deren Geschichte und Empfindungen festzuhalten. Während ihres Grönlandaufenthalts wohnt sie sowohl in der Hauptstadt Nuuk, als auch am Land, zwei Flugstunden nördlich.
Obwohl Grönland ein fast unbewohntes Land ist, wirkt die Hauptstadt „wie jede andere Stadt … frei von Natur.“ (Seite 10) Die Vergangenheit des Landes ist in seiner Architektur abgebildet: norwegische Bauten und dann, nach der Übernahme Dänemarks, dänischer Stil.
Der Kolonialismus ging mit den Einheimischen sehr brutal um. „Luxus Waren“ wie Kaffee, Alkohol, Tee oder Gewürze wurden an Grönländer nicht verkauft. Sie wurden zweitklassig behandelt und man versuchte sie zu Beginn in ihrer Funktion, dem Jagen von Roben und Walen zu halten. Als dann im Zweiten Weltkrieg amerikanische Militärbasen errichtet wurden, siedelte man die Inuit um. Sie bekamen kleinere Jagdgebiete, in denen sie mit ihrer Kultur nicht mehr überleben konnten. Zehn Jahre lang hatte man grönländische Kinder für ein oder zwei Jahre nach Dänemark gebracht, um ihre Kultur anzugleichen. Die Kinder kamen heimatlos zurück. Hatten ihre eigene Sprache verlernt und dänisch gelernt. Eine Gesprächspartnerin, die auf so einem Dänemarkaufenthalt war, meinte: „Dänisch fließend zu sprechen bedeutet somit, besser zu sein als der (grönländische) Durchschnitt.“ (Seite 36) In den Schulen Grönland gibt es nur Bücher in dänischer Sprache. Für grönländische Bücher ist das Volumen zu klein.
Auch die Schilderungen der Landschaft sind interessant: „Wir sind so wenige, dass wir uns innerhalb von Minuten aus den Augen verlieren, obwohl wir nicht gehen, sondern tapsen. Schließlich stehe ich allein in der Landschaft, die keine ist. Ich stehe in einem weißen, leeren Raum, ich bin umgeben von Stille, meine Beine sind eben erst geboren, und vielleicht denke ich, auch mein Körper, vielleicht bin ich gerade erst auf die Welt gekommen?“ (Seite 75)
ERNAUX, Annie
Der junge Mann Buch
2023.
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title = {Der junge Mann},
author = {Annie ERNAUX},
year = {2023},
date = {2023-01-22},
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abstract = {ERNAUX, Annie: „Der junge Mann“; Berlin 2023
Als frisch gekürte Nobelpreisträgerin erwartet das Lesevolk neue Bücher von ihr. Ein Druck, den sie mit der Auffrischung einer alten Geschichte nachkam. Die heute 83-jährige erzählt eine Geschichte, die sie mit Mitte 50 mit einem jungen Liebhaber gehabt hatte. Eigentlich ließ sie sich in dieses Verhältnis mit einem jungen Mann, der jünger als ihre eigenen Kinder war ein, um neue Energie zum Schreiben eines Buches zu bekommen. Die Beziehung wurde intensiver, als sich der Liebhaber von seiner gleichaltrigen Freundin trennte. Er wohnte in Rouen und sie übersiedelte jedes Wochenende in seine Wohnung, wo sie hauptsächlich dem gemeinsamen Sex frönten. Sie hatte seinerzeit in Rouen studiert und konnte ihm vieles zeigen und dabei selbst wieder ihre eigenen Jugenderinnerungen auffrischen. Er war für sie „die verkörperte Vergangenheit. Mit ihm durchlief ich alle Alter des Lebens, alle Alter meines Lebens.“ (Seite 21)
Die Art, wie der junge Mann lebte, erinnerte sie auch an die eigene Jugend. Sie kam aus einfachen Verhältnissen und änderte sich erst im Laufe des Lebens zu einem anderen Lebensstil. „Bei meinem Mann hatte ich mich als Proletin gefühlt, bei ihm war ich Bildungsbürgerin.“ (Seite 21) Der Liebhaber kam aus einfachen Verhältnissen und hatte wenig Geld. Er musste genau haushalten. Auch liebte er es nicht zu arbeiten und sie, die inzwischen erfolgreiche Schriftstellerin, finanzierte sein Leben. Sie machten viele Reisen. Es war eine sich ergänzende Partnerschaft: sie erlebte Sex, wie sie ihn in diesem Alter nicht mehr erwartete und er bekam ein finanziertes Dasein. „Man konnte unsere Beziehung als Zweckbeziehung sehen. Er bereitete mir Lust, und dank ihm erlebte ich Dinge, die noch einmal zu erleben ich nie geglaubt hätte. Dass ich ihn auf Reisen einlud und er sich meinetwegen keine Arbeit suchen musste, denn dann hätte er weniger Zeit für mich gehabt, erschien mir ein fairer Handel, ein gutes Geschäft, zumal ich diejenige war, die die Regeln bestimmte.“ (Seite 25)
Bei öffentlichen Auftritten wurden sie von den Menschen „anstößiger als ein homosexuelles Paar“ betrachtet. Sie fand es unfair, dass man einen älteren Mann mit einer jungen Freundin gesellschaftlich akzeptierte, dies aber einer älteren Frau nicht zugestand. Sex war aber doch kein lebensfüllendes Programm und man redete über vergangene Erlebnisse, wobei die Vergangenheit der Frau vor jener des jungen Mannes lag. „Mir war, als würde ich ewig leben und zugleich tot sein.“ (Seite 29)
Die Autorin begann die Beziehung, um einen Kick zum Schreiben eines Romans zu bekommen. Es war die Erzählung einer heimlichen Abtreibung. So wie sie das Ungeborene wegnehmen ließ, löste sie sich vom Liebhaber. „Als wollte ich ihn von mir lösen und abstoßen, so wie ich es gut dreißig Jahre zuvor mit dem Embryo getan hatte.“ (Seite 40) So schloss sich der Kreis: der Freund war weg, hatte seine Dienste getan und das neue Manuskript war fertig geschrieben.
Die vorliegende Geschichte ist aber nur ein schmaler Band mit 40 Seiten, so wie viele der Bücher von Annie Ernaux.
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Als frisch gekürte Nobelpreisträgerin erwartet das Lesevolk neue Bücher von ihr. Ein Druck, den sie mit der Auffrischung einer alten Geschichte nachkam. Die heute 83-jährige erzählt eine Geschichte, die sie mit Mitte 50 mit einem jungen Liebhaber gehabt hatte. Eigentlich ließ sie sich in dieses Verhältnis mit einem jungen Mann, der jünger als ihre eigenen Kinder war ein, um neue Energie zum Schreiben eines Buches zu bekommen. Die Beziehung wurde intensiver, als sich der Liebhaber von seiner gleichaltrigen Freundin trennte. Er wohnte in Rouen und sie übersiedelte jedes Wochenende in seine Wohnung, wo sie hauptsächlich dem gemeinsamen Sex frönten. Sie hatte seinerzeit in Rouen studiert und konnte ihm vieles zeigen und dabei selbst wieder ihre eigenen Jugenderinnerungen auffrischen. Er war für sie „die verkörperte Vergangenheit. Mit ihm durchlief ich alle Alter des Lebens, alle Alter meines Lebens.“ (Seite 21)
Die Art, wie der junge Mann lebte, erinnerte sie auch an die eigene Jugend. Sie kam aus einfachen Verhältnissen und änderte sich erst im Laufe des Lebens zu einem anderen Lebensstil. „Bei meinem Mann hatte ich mich als Proletin gefühlt, bei ihm war ich Bildungsbürgerin.“ (Seite 21) Der Liebhaber kam aus einfachen Verhältnissen und hatte wenig Geld. Er musste genau haushalten. Auch liebte er es nicht zu arbeiten und sie, die inzwischen erfolgreiche Schriftstellerin, finanzierte sein Leben. Sie machten viele Reisen. Es war eine sich ergänzende Partnerschaft: sie erlebte Sex, wie sie ihn in diesem Alter nicht mehr erwartete und er bekam ein finanziertes Dasein. „Man konnte unsere Beziehung als Zweckbeziehung sehen. Er bereitete mir Lust, und dank ihm erlebte ich Dinge, die noch einmal zu erleben ich nie geglaubt hätte. Dass ich ihn auf Reisen einlud und er sich meinetwegen keine Arbeit suchen musste, denn dann hätte er weniger Zeit für mich gehabt, erschien mir ein fairer Handel, ein gutes Geschäft, zumal ich diejenige war, die die Regeln bestimmte.“ (Seite 25)
Bei öffentlichen Auftritten wurden sie von den Menschen „anstößiger als ein homosexuelles Paar“ betrachtet. Sie fand es unfair, dass man einen älteren Mann mit einer jungen Freundin gesellschaftlich akzeptierte, dies aber einer älteren Frau nicht zugestand. Sex war aber doch kein lebensfüllendes Programm und man redete über vergangene Erlebnisse, wobei die Vergangenheit der Frau vor jener des jungen Mannes lag. „Mir war, als würde ich ewig leben und zugleich tot sein.“ (Seite 29)
Die Autorin begann die Beziehung, um einen Kick zum Schreiben eines Romans zu bekommen. Es war die Erzählung einer heimlichen Abtreibung. So wie sie das Ungeborene wegnehmen ließ, löste sie sich vom Liebhaber. „Als wollte ich ihn von mir lösen und abstoßen, so wie ich es gut dreißig Jahre zuvor mit dem Embryo getan hatte.“ (Seite 40) So schloss sich der Kreis: der Freund war weg, hatte seine Dienste getan und das neue Manuskript war fertig geschrieben.
Die vorliegende Geschichte ist aber nur ein schmaler Band mit 40 Seiten, so wie viele der Bücher von Annie Ernaux.
Hell, Bodo
Auffahrt Buch
2023.
@book{Hell2023,
title = {Auffahrt},
author = {Bodo Hell},
year = {2023},
date = {2023-01-19},
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abstract = {HELL, Bodo: „Auffahrt“, Graz Wien 2019
Es sind 27 Essays, bei denen sich der Autor primär mit Heiligen auseinandersetzt und diese in ein anderes Licht rückt, als es die offizielle Kirche macht.
Gleich zu Beginn stellt er viele Interpretationsvarianten des Habsburgischen Spruchs für AEIOU vor. In Anlehnung an seinen Dichterkollegen Julian Schutting bezieht er sich auf die abgeschnittenen Brüste der heiligen Agatha. Die heilige Barbara leitet er sogar vom Begriff „Barbarin“ her. Drei heilige Christinas werden gegenübergestellt. Die Geschichte über die Christmette legt er in die Neuzeit und in den ersten Wiener Gemeindebezirk zur Stephanskirche. In Salzburg widmet er sich dem Nonnberg Kloster und beim heiligen Florian fällt ihm nur ein brandlegender Feuerwehrmann ein, der selbst Brände auslöst, um sie dann eifrig mitlöschen zu können. Eine Litanei, die jeweils aus einem Wort besteht, besetzt über zehn Seiten des Buches. Die wenigen Wienern bekannte Johanneskapelle am stark befahrenen Gürtel bekommt ebenso einen Platz in einem Essay wie alle Marienfeiertage eines Jahres. Am Ende der teilweise skurrilen Erzählungen, kehrt er wieder nach Wien zur Virgil Kapelle am Stephansplatz zurück und endet mit einer „Wetterheiligenlitanei für den Almsommer“.
Der in Salzburg geborene Dichter lebt in Wien und betreibt im Sommer eine Almwirtschaft am Dachstein. Diese entspricht auch der Themenwahl dieses Buches.
Warum ich mir dieses Buch einmal gekauft hatte, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Ich lege aber fast nie ein Buch ungelesen weg. Manchmal – so wie in diesem Fall – muss ich eben mehrmals beginnen.
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Es sind 27 Essays, bei denen sich der Autor primär mit Heiligen auseinandersetzt und diese in ein anderes Licht rückt, als es die offizielle Kirche macht.
Gleich zu Beginn stellt er viele Interpretationsvarianten des Habsburgischen Spruchs für AEIOU vor. In Anlehnung an seinen Dichterkollegen Julian Schutting bezieht er sich auf die abgeschnittenen Brüste der heiligen Agatha. Die heilige Barbara leitet er sogar vom Begriff „Barbarin“ her. Drei heilige Christinas werden gegenübergestellt. Die Geschichte über die Christmette legt er in die Neuzeit und in den ersten Wiener Gemeindebezirk zur Stephanskirche. In Salzburg widmet er sich dem Nonnberg Kloster und beim heiligen Florian fällt ihm nur ein brandlegender Feuerwehrmann ein, der selbst Brände auslöst, um sie dann eifrig mitlöschen zu können. Eine Litanei, die jeweils aus einem Wort besteht, besetzt über zehn Seiten des Buches. Die wenigen Wienern bekannte Johanneskapelle am stark befahrenen Gürtel bekommt ebenso einen Platz in einem Essay wie alle Marienfeiertage eines Jahres. Am Ende der teilweise skurrilen Erzählungen, kehrt er wieder nach Wien zur Virgil Kapelle am Stephansplatz zurück und endet mit einer „Wetterheiligenlitanei für den Almsommer“.
Der in Salzburg geborene Dichter lebt in Wien und betreibt im Sommer eine Almwirtschaft am Dachstein. Diese entspricht auch der Themenwahl dieses Buches.
Warum ich mir dieses Buch einmal gekauft hatte, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Ich lege aber fast nie ein Buch ungelesen weg. Manchmal – so wie in diesem Fall – muss ich eben mehrmals beginnen.
Reinhold, Bernadette
Oskar Kokoschka und Österreich Buch
2023.
@book{Reinhold2023,
title = {Oskar Kokoschka und Österreich},
author = {Bernadette Reinhold},
year = {2023},
date = {2023-01-18},
urldate = {2023-01-18},
abstract = {REINHOLD, Bernadette: „Oskar Kokoschka und Österreich“, Wien 2023
Viele Biografien wurden über Kokoschka schon geschrieben. Allein das Literaturverzeichnis dieses Buches zitiert auf über 20 Seiten in kleiner Schrift Werke über den Künstler Kokoschka. Und doch gelang es der Autorin Bernadette Reinhold eine andere Art von Biografie zu schreiben, die sich von allem bisherigen unterscheidet. Sie legt einerseits den Schwerpunkt auf das Verhältnis Kokoschkas zu Österreich und andererseits kündigt sie ihren Stil im Untertitel mit „Facetten einer politischen Biografie“ an. Es wurde also nicht eine weitere Biografie, sondern eine andere. Natürlich gehen die Fakten des Lebens nicht verloren und das Geburtsjahr bleibt 1886, genauso wie der Geburtsort Pöchlarn, aber es werden Verhältnis zwischen dem Maler und anderen Personen und Städten hergestellt. Vor allem das zwiespältige Verhältnis zu Österreich, wo er im Ständestadt ein Vorzeigekünstler war, der verehrt wurde und auf den man stolz war, aber dann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zuerst nach Prag ging und dann britischer Staatsbürger wurde. Wobei die Autorin festhält, dass die Übersiedlung nach Prag keine Flucht war, sondern eine Abkehr zu Wien. Aus politischen Gründen hätte er 1934 Wien nicht verlassen müssen. Es waren vielmehr wirtschaftliche Gründe. Prag war eine reichere Stadt als Wien und bot dem Künstler einen besseren Absatzmarkt für seine Werke. „Persönlich und politisch enttäuscht wandte er sich von Österreich ab und legte vielfältig sein Bekenntnis zur Tschechoslowakei ab.“ (Seite 97) Hitler hatte in Deutschland bereits die Macht ergriffen und Kokoschkas Bilder wurden 1937 und 1938 in München in der Ausstellung „Entartete Kunst-Schau“ gezeigt, die von zwei Millionen Menschen besucht wurde. Nach seiner Flucht aus Prag ließ er sich in London nieder und engagierte sich für humanitäre Projekte.
Kokoschka war als tschechischer Staatsbürger nach England gekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor er seine tschechische Staatsbürgerschaft, bekam aber die britische. Er hatte gute Beziehungen zu den Sowjets und dies war der Grund, ihn aus der Tschechoslowakei „hinauszuschmeißen“. Als am 8. Mai 1945 der Krieg aus war, konnte er es noch nicht glauben und hatte Sorgen um seine zurückgebliebene Schwester mit ihrem Mann.
Erst 1947 betrat er wieder österreichischen Boden. Hier stand er bald wieder im Fokus des öffentlichen Interesses, wenngleich er nicht von allen anerkannt wurde. Lange brauchte es, bis es wieder eine Ausstellung von ihm in seiner Heimat gab. Viele internationale Ausstellungen folgten, die erste in Österreich fand aber nicht in Wien, sondern in Linz statt, obwohl ihn in Wien der kommunistische Stadtrat Matejka unterstützte. Schon 1946 drängte er seine Mitpolitiker dazu Kokoschka auszuzeichnen, aber es dauerte noch 15 Jahre, bis es dazu kam. Eine Ehrenbürgerschaft erreichte keine Mehrheit und so schlug man ihm einen Ehrenring vor, den er mit dem Grund ablegte, prinzipiell keine Ringe zu tragen. In Wien bekam er auch keine Professur, wie es ihm eigentlich zustand. Dafür engagierte sich Salzburg, wo er die „Schule des Sehens“ gründete. Dies war auch der Hauptgrund meines Interesses an diesem Buch. Meine Cousine, eine aufstrebende Künstlerin, war Studentin von Kokoschka in Salzburg und ich besitze noch Aquarelle aus dieser Zeit. Aufträge bekam er in Österreich zu Beginn wenige. Es wurden immer noch Künstler aus der Nationalsozialistischen Zeit bevorzugt, wie etwa bei der Ausführung des Vorhangs in der renovierten Oper. Von ihm wollte man ein Bild von der Eröffnungsfeier, dem er aber nicht in diesem Sinne nachkam. Er schuf eine Außenansicht der neu renovierten Oper. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu mehreren Ehrungen. Die größte Ausstellung seiner Werke fand erst 1958 in Wien im Künstlerhaus statt. 1955 bezeichnete ihn der damalige Unterrichtsminister Drimmel als den „bedeutendsten lebenden österreichischen Künstler“. (Seite 289) Auch Thomas Bernhard würdigt ihn, wenn er sagte „Heute kostet selbst ein schwaches Klimtkitschgemälde mehrere Millionen Pfund, sagte Reger, das ist widerwärtig. Schiele ist nicht ein Kitsch, aber ein ganz großer Maler ist Schiele natürlich auch nicht. In der Qualität Schieles hat es in diesem Jahrhundert mehrere österreichische Maler gegeben, aber außer Kokoschka keinen einzigen wirklich bedeutenden, sozusagen wirklich großen.“ (Seite 297)
Letztlich war es Kreisky, der ihn zu sich in seine private Wohnung einlud, ihn hier als Wohnsitz anmeldete und ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verlieh. Nach einer österreichischen, einer tschechischen und britischen war er wieder Österreicher geworden.
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Viele Biografien wurden über Kokoschka schon geschrieben. Allein das Literaturverzeichnis dieses Buches zitiert auf über 20 Seiten in kleiner Schrift Werke über den Künstler Kokoschka. Und doch gelang es der Autorin Bernadette Reinhold eine andere Art von Biografie zu schreiben, die sich von allem bisherigen unterscheidet. Sie legt einerseits den Schwerpunkt auf das Verhältnis Kokoschkas zu Österreich und andererseits kündigt sie ihren Stil im Untertitel mit „Facetten einer politischen Biografie“ an. Es wurde also nicht eine weitere Biografie, sondern eine andere. Natürlich gehen die Fakten des Lebens nicht verloren und das Geburtsjahr bleibt 1886, genauso wie der Geburtsort Pöchlarn, aber es werden Verhältnis zwischen dem Maler und anderen Personen und Städten hergestellt. Vor allem das zwiespältige Verhältnis zu Österreich, wo er im Ständestadt ein Vorzeigekünstler war, der verehrt wurde und auf den man stolz war, aber dann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zuerst nach Prag ging und dann britischer Staatsbürger wurde. Wobei die Autorin festhält, dass die Übersiedlung nach Prag keine Flucht war, sondern eine Abkehr zu Wien. Aus politischen Gründen hätte er 1934 Wien nicht verlassen müssen. Es waren vielmehr wirtschaftliche Gründe. Prag war eine reichere Stadt als Wien und bot dem Künstler einen besseren Absatzmarkt für seine Werke. „Persönlich und politisch enttäuscht wandte er sich von Österreich ab und legte vielfältig sein Bekenntnis zur Tschechoslowakei ab.“ (Seite 97) Hitler hatte in Deutschland bereits die Macht ergriffen und Kokoschkas Bilder wurden 1937 und 1938 in München in der Ausstellung „Entartete Kunst-Schau“ gezeigt, die von zwei Millionen Menschen besucht wurde. Nach seiner Flucht aus Prag ließ er sich in London nieder und engagierte sich für humanitäre Projekte.
Kokoschka war als tschechischer Staatsbürger nach England gekommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor er seine tschechische Staatsbürgerschaft, bekam aber die britische. Er hatte gute Beziehungen zu den Sowjets und dies war der Grund, ihn aus der Tschechoslowakei „hinauszuschmeißen“. Als am 8. Mai 1945 der Krieg aus war, konnte er es noch nicht glauben und hatte Sorgen um seine zurückgebliebene Schwester mit ihrem Mann.
Erst 1947 betrat er wieder österreichischen Boden. Hier stand er bald wieder im Fokus des öffentlichen Interesses, wenngleich er nicht von allen anerkannt wurde. Lange brauchte es, bis es wieder eine Ausstellung von ihm in seiner Heimat gab. Viele internationale Ausstellungen folgten, die erste in Österreich fand aber nicht in Wien, sondern in Linz statt, obwohl ihn in Wien der kommunistische Stadtrat Matejka unterstützte. Schon 1946 drängte er seine Mitpolitiker dazu Kokoschka auszuzeichnen, aber es dauerte noch 15 Jahre, bis es dazu kam. Eine Ehrenbürgerschaft erreichte keine Mehrheit und so schlug man ihm einen Ehrenring vor, den er mit dem Grund ablegte, prinzipiell keine Ringe zu tragen. In Wien bekam er auch keine Professur, wie es ihm eigentlich zustand. Dafür engagierte sich Salzburg, wo er die „Schule des Sehens“ gründete. Dies war auch der Hauptgrund meines Interesses an diesem Buch. Meine Cousine, eine aufstrebende Künstlerin, war Studentin von Kokoschka in Salzburg und ich besitze noch Aquarelle aus dieser Zeit. Aufträge bekam er in Österreich zu Beginn wenige. Es wurden immer noch Künstler aus der Nationalsozialistischen Zeit bevorzugt, wie etwa bei der Ausführung des Vorhangs in der renovierten Oper. Von ihm wollte man ein Bild von der Eröffnungsfeier, dem er aber nicht in diesem Sinne nachkam. Er schuf eine Außenansicht der neu renovierten Oper. Erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu mehreren Ehrungen. Die größte Ausstellung seiner Werke fand erst 1958 in Wien im Künstlerhaus statt. 1955 bezeichnete ihn der damalige Unterrichtsminister Drimmel als den „bedeutendsten lebenden österreichischen Künstler“. (Seite 289) Auch Thomas Bernhard würdigt ihn, wenn er sagte „Heute kostet selbst ein schwaches Klimtkitschgemälde mehrere Millionen Pfund, sagte Reger, das ist widerwärtig. Schiele ist nicht ein Kitsch, aber ein ganz großer Maler ist Schiele natürlich auch nicht. In der Qualität Schieles hat es in diesem Jahrhundert mehrere österreichische Maler gegeben, aber außer Kokoschka keinen einzigen wirklich bedeutenden, sozusagen wirklich großen.“ (Seite 297)
Letztlich war es Kreisky, der ihn zu sich in seine private Wohnung einlud, ihn hier als Wohnsitz anmeldete und ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verlieh. Nach einer österreichischen, einer tschechischen und britischen war er wieder Österreicher geworden.
KURKOW, Andrej
2023.
@book{KURKOW2023,
title = {Samson und Nadjeschda},
author = {Andrej KURKOW},
year = {2023},
date = {2023-01-14},
urldate = {2023-01-14},
abstract = {KURKOW, Andrej: „Samson und Nadjeschka”, Zürich 2022
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Fall des Zarenreiches sah die Ukraine eine Chance zur Selbstständigkeit, die aber 2018 durch die Besetzung der Rotarmisten (Russen und Chinesen) wieder ins russische Reich, der Sowjetunion eingegliedert wurde. In diese Zeit fällt die Geschichte des neuen Romans von Andrej Kurkow „Samson und Nadjeschda“. Anhand dieser beiden jungen Personen erzählt Kurkow die Situation in Kiew. Samsons Mutter und Schwester waren schon früh verstorben. Er wuchs mit dem Vater auf. Bei einem Überfall wurde der Vater getötet und ihm, dem Sohn Samson ein Ohr abgeschlagen. Allein brachte er sich durch Leben und nahm letztlich einen Job in der neu geformten sowjetischen Polizei an. Er hatte ein technisches Studium und war daher den kriminalistischen Anforderungen nicht gewachsen. Sein verständnisvolle Chef sah darüber hinweg. Seine Tätigkeit wurde im Buch in eine Art Kriminalroman gegossen. Er verfolgt eine Bande und kann letztlich deren Vergehen aufklären, wenngleich der Umgang mit Kriminellen brutaler vor sich ging als in Friedenszeiten. Es gab viele Tote. Parallel dazu verkuppelt ihn seine Hausmeisterin mit einer jungen Frau, die auch in seine große Wohnung einzog.
Kurkow hatte dieses Buch noch vor dem Krieg mit Russland geschrieben. Das Thema und die kriegerischen Auseinandersetzungen passen aber in die heutige Zeit, wenngleich der Waffeneinsatz 1919 ein anderer war als heute im 21. Jahrhundert.
Kurkow ist in Sankt Petersburg geboren und spricht russisch. All seine Bücher schreibt er in russischer Sprache, die seine Muttersprache ist. Gleichzeitig setzt er sich auch für den Rechtsstaat „Ukraine“ ein. Zum derzeitigen Krieg in der Ukraine meint er: „Putin zerstöre „nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland und die russische Sprache.“ Ähnlich motiviert habe der 1961 geborene Autor selbst „einst das Deutsche als Fremdsprache verweigert, weil die Nazis seinen Großvater ermordet hatten.“
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Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Fall des Zarenreiches sah die Ukraine eine Chance zur Selbstständigkeit, die aber 2018 durch die Besetzung der Rotarmisten (Russen und Chinesen) wieder ins russische Reich, der Sowjetunion eingegliedert wurde. In diese Zeit fällt die Geschichte des neuen Romans von Andrej Kurkow „Samson und Nadjeschda“. Anhand dieser beiden jungen Personen erzählt Kurkow die Situation in Kiew. Samsons Mutter und Schwester waren schon früh verstorben. Er wuchs mit dem Vater auf. Bei einem Überfall wurde der Vater getötet und ihm, dem Sohn Samson ein Ohr abgeschlagen. Allein brachte er sich durch Leben und nahm letztlich einen Job in der neu geformten sowjetischen Polizei an. Er hatte ein technisches Studium und war daher den kriminalistischen Anforderungen nicht gewachsen. Sein verständnisvolle Chef sah darüber hinweg. Seine Tätigkeit wurde im Buch in eine Art Kriminalroman gegossen. Er verfolgt eine Bande und kann letztlich deren Vergehen aufklären, wenngleich der Umgang mit Kriminellen brutaler vor sich ging als in Friedenszeiten. Es gab viele Tote. Parallel dazu verkuppelt ihn seine Hausmeisterin mit einer jungen Frau, die auch in seine große Wohnung einzog.
Kurkow hatte dieses Buch noch vor dem Krieg mit Russland geschrieben. Das Thema und die kriegerischen Auseinandersetzungen passen aber in die heutige Zeit, wenngleich der Waffeneinsatz 1919 ein anderer war als heute im 21. Jahrhundert.
Kurkow ist in Sankt Petersburg geboren und spricht russisch. All seine Bücher schreibt er in russischer Sprache, die seine Muttersprache ist. Gleichzeitig setzt er sich auch für den Rechtsstaat „Ukraine“ ein. Zum derzeitigen Krieg in der Ukraine meint er: „Putin zerstöre „nicht nur die Ukraine, sondern auch Russland und die russische Sprache.“ Ähnlich motiviert habe der 1961 geborene Autor selbst „einst das Deutsche als Fremdsprache verweigert, weil die Nazis seinen Großvater ermordet hatten.“
DROUVE, Andreas
Jakobsweg per Rad Buch
2023.
@book{DROUVE2023,
title = {Jakobsweg per Rad},
author = {Andreas DROUVE},
year = {2023},
date = {2023-01-12},
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abstract = {DROUVE, Andreas: „Jakobsweg per Rad”, Neuenhagen 2008
Es gibt viele Bücher über das Wandern am Jakobsweg. Von meiner Schwester bekam ich jetzt – nachdem ich am Knie operiert wurde und wandern nicht mehr so einfach sein wird – ein Buch, wie man mit dem Fahrrad den Jakobsweg bewältigt. Der Autor ist ein Insider und hat längere Zeit in Spanien gewohnt. So gibt er im „Vorspann“ einen Überblick über „Land und Leute“ und „Das Reisen“. Der Kern des Buches beschäftigt sich aber mit den Regionen, durch die die Reise führt und für den Radfahrer gibt es Vorschläge für Tagesetappen. Es sind 18 Etappen, also 18 Rad Tage. Aus meiner persönlichen Erfahrung beim Fahren von Langstrecken kann ich aber sagen, dass man das auch in 9 Tagen ohne großen Stress fahren kann. Aber vielleicht sollte doch mehr Mystik und Entspannung in eine Strecke, wie die des Pilgerwegs gelegt werden. Wenn man auch den Weg zurück mit dem Rad zurücklegen will, wird im Buch eine Strecke entlang der Küste im Norden vorgeschlagen.
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Es gibt viele Bücher über das Wandern am Jakobsweg. Von meiner Schwester bekam ich jetzt – nachdem ich am Knie operiert wurde und wandern nicht mehr so einfach sein wird – ein Buch, wie man mit dem Fahrrad den Jakobsweg bewältigt. Der Autor ist ein Insider und hat längere Zeit in Spanien gewohnt. So gibt er im „Vorspann“ einen Überblick über „Land und Leute“ und „Das Reisen“. Der Kern des Buches beschäftigt sich aber mit den Regionen, durch die die Reise führt und für den Radfahrer gibt es Vorschläge für Tagesetappen. Es sind 18 Etappen, also 18 Rad Tage. Aus meiner persönlichen Erfahrung beim Fahren von Langstrecken kann ich aber sagen, dass man das auch in 9 Tagen ohne großen Stress fahren kann. Aber vielleicht sollte doch mehr Mystik und Entspannung in eine Strecke, wie die des Pilgerwegs gelegt werden. Wenn man auch den Weg zurück mit dem Rad zurücklegen will, wird im Buch eine Strecke entlang der Küste im Norden vorgeschlagen.
ERNAUX, Annie
Die Scham Abschlussarbeit
2023.
@mastersthesis{ERNAUX2023c,
title = {Die Scham},
author = {Annie ERNAUX },
year = {2023},
date = {2023-01-06},
urldate = {2023-01-06},
abstract = {ERNAUX, Annie: „Scham“, Berlin 2022
Das Buch wurde 1995 geschrieben. Seine Erzählung ging ins Jahr 1952 zurück, als der Vater die Mutter mit einem Beil töten wollte. Es war ein Sonntag. Die Tochter (=Erzählerin) war in der Messe. Als sie heimkam stritten die Eltern. Sie zog sich zurück und hörte die Mutter aus der Vorratskammer schreien, wo sie der Vater hielt und eine Hacke in der Hand hatte. Er tötete sie aber nicht. Das Erlebnis blieb aber im Kopf des damals zwölfjährigen Mädchens. 43 Jahre später verarbeitete sie es in diesem vorliegenden Buch. Sie lebte als Kind lange in der Angst, dass sich diese Szene wiederholen könnte.
Wie in allen Büchern, die ich von dieser Autorin bisher gelesen habe, nimmt sie Bezug auf Fotos aus der Vergangenheit und Erinnerungen aus dem eigenen Leben. So auch in dieser Erzählung. Diesmal steigt sie aber sofort in das Geschehnis, den eigentlichen Schluss ein und beginnt mit der geplanten Tat des Vaters. So, als würde man einen Kriminalroman mit der Preisgabe des Mörders beginnen und dann erst den Hergang aufrollen.
Das, 1996 geschriebene Buch bezieht sich ausschließlich auf das Jahr 1952, in dem das beschriebene Mädchen zwölf Jahre alt war.
Damit es die Tochter einmal besser haben würde, schickten die Eltern sie auf eine katholische Privatschule. Alles war auf Religion ausgerichtet. Die Wissensvermittlung war zweitrangig. Als Mädchen erschien ihr dies selbstverständlich. Erst beim Schreiben dieses Buches konnte sie die Situation besser einstufen.
Die streng gläubige Mutter hatte unmittelbar nach dem Krieg eine Pilgerreise nach Lourdes gemacht; aus Dankbarkeit, dass sie ihre Familie heil über die Kriegsjahre gebracht hatte. Den nicht gläubigen Vater schickte sie mit der Tochter 1952 auf eine Busreise nach Lourdes. Das war die erste Reise, die sie aus ihrem engeren Umkreis hinausführte. Die Mitreisenden waren fast ausschließlich aus gesellschaftlich besser gestellten Kreisen. Die Beiden fühlten sich nicht sehr wohl. Natürlich war auch Scham dabei, die sie damals aber noch nicht so bezeichnete.
Scham erfuhr sie erstmals bewusst, als sie von einem Schulausflug spätabends heimkam. Die Lehrerin begleitete sie wegen der späten Stunde nach Hause und die Mutter öffnete im Nachthemd. Die Mutter verwendete das Nachthemd auch zum Reinigen nach einem Toilettenbesuch, was dieses ekelig und schmutzig machte. Die Tochter schämte sich für die Mutter und lief schnell ins Haus. Von nun an war vieles mit Scham besetzt: das Pissoir am Hof, das Schlafzimmer gemeinsam mit den Eltern, betrunkene Gäste der Kneipe, Geldsorgen der Eltern und deren Arbeitervergangenheit.
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Das Buch wurde 1995 geschrieben. Seine Erzählung ging ins Jahr 1952 zurück, als der Vater die Mutter mit einem Beil töten wollte. Es war ein Sonntag. Die Tochter (=Erzählerin) war in der Messe. Als sie heimkam stritten die Eltern. Sie zog sich zurück und hörte die Mutter aus der Vorratskammer schreien, wo sie der Vater hielt und eine Hacke in der Hand hatte. Er tötete sie aber nicht. Das Erlebnis blieb aber im Kopf des damals zwölfjährigen Mädchens. 43 Jahre später verarbeitete sie es in diesem vorliegenden Buch. Sie lebte als Kind lange in der Angst, dass sich diese Szene wiederholen könnte.
Wie in allen Büchern, die ich von dieser Autorin bisher gelesen habe, nimmt sie Bezug auf Fotos aus der Vergangenheit und Erinnerungen aus dem eigenen Leben. So auch in dieser Erzählung. Diesmal steigt sie aber sofort in das Geschehnis, den eigentlichen Schluss ein und beginnt mit der geplanten Tat des Vaters. So, als würde man einen Kriminalroman mit der Preisgabe des Mörders beginnen und dann erst den Hergang aufrollen.
Das, 1996 geschriebene Buch bezieht sich ausschließlich auf das Jahr 1952, in dem das beschriebene Mädchen zwölf Jahre alt war.
Damit es die Tochter einmal besser haben würde, schickten die Eltern sie auf eine katholische Privatschule. Alles war auf Religion ausgerichtet. Die Wissensvermittlung war zweitrangig. Als Mädchen erschien ihr dies selbstverständlich. Erst beim Schreiben dieses Buches konnte sie die Situation besser einstufen.
Die streng gläubige Mutter hatte unmittelbar nach dem Krieg eine Pilgerreise nach Lourdes gemacht; aus Dankbarkeit, dass sie ihre Familie heil über die Kriegsjahre gebracht hatte. Den nicht gläubigen Vater schickte sie mit der Tochter 1952 auf eine Busreise nach Lourdes. Das war die erste Reise, die sie aus ihrem engeren Umkreis hinausführte. Die Mitreisenden waren fast ausschließlich aus gesellschaftlich besser gestellten Kreisen. Die Beiden fühlten sich nicht sehr wohl. Natürlich war auch Scham dabei, die sie damals aber noch nicht so bezeichnete.
Scham erfuhr sie erstmals bewusst, als sie von einem Schulausflug spätabends heimkam. Die Lehrerin begleitete sie wegen der späten Stunde nach Hause und die Mutter öffnete im Nachthemd. Die Mutter verwendete das Nachthemd auch zum Reinigen nach einem Toilettenbesuch, was dieses ekelig und schmutzig machte. Die Tochter schämte sich für die Mutter und lief schnell ins Haus. Von nun an war vieles mit Scham besetzt: das Pissoir am Hof, das Schlafzimmer gemeinsam mit den Eltern, betrunkene Gäste der Kneipe, Geldsorgen der Eltern und deren Arbeitervergangenheit.
ERNAUX, Annie
Die Jahre Buch
2023.
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title = {Die Jahre},
author = {Annie ERNAUX},
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date = {2023-01-04},
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abstract = {ERNAUX, Annie: „Die Jahre“, Berlin 2022
Die Autorin beschreibt rückblickend ihr Leben und dessen Veränderungen. Es ist aber ein Spiegelbild der Generation, die noch während des Zweiten Weltkriegs zur Welt kamen. Menschen, die all die Veränderungen in den Nachkriegsjahren, der folgenden Konsumgeneration und Wohlstands miterlebten. Es ist ein Spiegelbild der französischen Gesellschaft und ist doch nicht das Leben der Autorin, sondern gilt für diese Generation. Auch in anderen europäischen Ländern verlief die Veränderung ähnlich und man fühlt sich bei vielen Punkten persönlich angesprochen.
So wird noch von den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs, dem Wiederaufbau und der neuen Generation erzählt. Wie durch die Babypille das sexuelle Verhältnis sich änderte und Revolutionen, wie jene von 1968, die Gesellschaft anders machte. Auch die beschriebene Person wird anders als ihre Eltern und doch wieder in vielen Dingen konservativ: verheiratet, Kindererzieherin, Konsumorientiert.
Die eigenen Kinder wurden Erwachsene. Sie waren im Wohlstand aufgewachsen und taten sich schwer von zu Hause auszuziehen. Als sie geschieden war, überlegte sie erstmals ein Buch über die Jahre von 1940 (Geburt) bis 1985 (Scheidung und wieder Alleinsein) zu schreiben.
Als die Autorin sich der Gegenwart, den „Nullerjahren“ des 21. Jahrhunderts näherte, lief sie zu einem wahrlich literarischen Höhepunkt auf. Jetzt beschrieb sie die Zeit, in der sie gerade unmittelbar lebte und charakterisierte ihre Umgebung „nobelpreisträchtig“ genau und schön. Die Überflutung mit Information durch das Internet gibt aber kein Wissen wieder, das beim Leben hilft. Sie beklagt auch, dass zwar die Religion durch die Muslime zurück im Leben sei, aber der Rosenkranz, der Fisch am Freitag und Kirchenlieder der eigenen Religion verloren gingen. Als geschiedene Frau hat sie einen jungen Liebhaber, der ihr die Jugend nicht geben kann und ihr gleichzeitig ihr Alter nimmt.
Es ist keine Biografie der Autorin geworden, sondern ein Stück Zeitgeschichte, das sie anhand einer Person beschrieb. „In dem, was sie als unpersönliche Autobiografie begreift, gibt es kein „ich“, sondern ein „man“ oder „wir“. (Seite 253) Sie empfand es selbst als Lust jetzt im Alter über das Leben zu schreiben.
Ein großartiges Buch in nobelpreiswürdigem Niveau. Die Erzählung über einer Generation.
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Die Autorin beschreibt rückblickend ihr Leben und dessen Veränderungen. Es ist aber ein Spiegelbild der Generation, die noch während des Zweiten Weltkriegs zur Welt kamen. Menschen, die all die Veränderungen in den Nachkriegsjahren, der folgenden Konsumgeneration und Wohlstands miterlebten. Es ist ein Spiegelbild der französischen Gesellschaft und ist doch nicht das Leben der Autorin, sondern gilt für diese Generation. Auch in anderen europäischen Ländern verlief die Veränderung ähnlich und man fühlt sich bei vielen Punkten persönlich angesprochen.
So wird noch von den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs, dem Wiederaufbau und der neuen Generation erzählt. Wie durch die Babypille das sexuelle Verhältnis sich änderte und Revolutionen, wie jene von 1968, die Gesellschaft anders machte. Auch die beschriebene Person wird anders als ihre Eltern und doch wieder in vielen Dingen konservativ: verheiratet, Kindererzieherin, Konsumorientiert.
Die eigenen Kinder wurden Erwachsene. Sie waren im Wohlstand aufgewachsen und taten sich schwer von zu Hause auszuziehen. Als sie geschieden war, überlegte sie erstmals ein Buch über die Jahre von 1940 (Geburt) bis 1985 (Scheidung und wieder Alleinsein) zu schreiben.
Als die Autorin sich der Gegenwart, den „Nullerjahren“ des 21. Jahrhunderts näherte, lief sie zu einem wahrlich literarischen Höhepunkt auf. Jetzt beschrieb sie die Zeit, in der sie gerade unmittelbar lebte und charakterisierte ihre Umgebung „nobelpreisträchtig“ genau und schön. Die Überflutung mit Information durch das Internet gibt aber kein Wissen wieder, das beim Leben hilft. Sie beklagt auch, dass zwar die Religion durch die Muslime zurück im Leben sei, aber der Rosenkranz, der Fisch am Freitag und Kirchenlieder der eigenen Religion verloren gingen. Als geschiedene Frau hat sie einen jungen Liebhaber, der ihr die Jugend nicht geben kann und ihr gleichzeitig ihr Alter nimmt.
Es ist keine Biografie der Autorin geworden, sondern ein Stück Zeitgeschichte, das sie anhand einer Person beschrieb. „In dem, was sie als unpersönliche Autobiografie begreift, gibt es kein „ich“, sondern ein „man“ oder „wir“. (Seite 253) Sie empfand es selbst als Lust jetzt im Alter über das Leben zu schreiben.
Ein großartiges Buch in nobelpreiswürdigem Niveau. Die Erzählung über einer Generation.