Abstract
FALLADA, Hans: „Jeder stirbt für sich alleine“, Berlin 2016
Fallada war während des Naziregimes ein „unerwünschter Autor“ und lebte zurückgezogen. Gleich nach Kriegsende, im Jahr 1946 schrieb er diesen 700seitigen Roman in nur vier Wochen. Eine großartige Erzählung, die auch zeigt, wieviel die Leute damals wussten und wie viele leugneten etwas von KZ oder Misshandlung und Judenverfolgung gewusst zu haben. Fallada schrieb ja unmittelbar nach dem Ende des NS-Regimes alles nieder. Es war noch nicht verklärt. Man kann von einer sachlichen Berichterstattung in Romanform ausgehen.
Großartig, wie sich Fallada in die Rolle der handelnden Personen hineindenkt. Wie er die letzten Tage des zum Tode verurteilten Mannes beschreibt. Was dieser denkt, empfindet, wahrnimmt. Stilistisch könnte man es heute vielleicht kitschig nennen, aber der Effekt ist eine, über 700 Seiten nicht abreißende Spannung. Dabei ist das Thema selbst harmlos. Ein Ehepaar, das mit dem Hitlerregime nicht einverstanden ist und ihren Widerstand mit dem Schreiben von Karten kundtut. Karten, die sie heimlich öffentlich ablegen … bis sie erwischt werden. Enttäuschend dann das Ergebnis: die Karten wurden nicht im Untergrund weitergegeben, sondern aus Angst fast alle bei der Polizei abgegeben. Für den Kartenschreiber ist die Erkenntnis, dass er Angst verbreitete neu und er ist froh verurteilt zu werden. Der Kommissar, der ihn „gejagt“ hatte meinte nach der Verhaftung „Haben sie einmal darüber nachgedacht, wieviel Angst und Not sie mit diesen Karten über die Menschen gebracht haben? Die Leute sind ja vor Angst vergangen, manche sind verhaftet worden, und von einem weiß ich bestimmt, dass er wegen dieser Karten Selbstmord verübt hat …“ (Seite 499) Obwohl der Fall gelöst war, war der Kommissar nicht zufrieden. Der Kartenschreiber hatte ihm die Augen geöffnet und er, der Jäger erschoss sich auf seinem Arbeitsplatz.
Der Kartenschreiber und seine Frau nehmen die Prozesse heldenhaft entgegen. Sie erklären sich in allem schuldig. Die Ankläger und der Richter sind enttäuscht. Trotzdem versuchen sie die zu Verurteilenden noch zu schikanieren. Ihr Eingeständnis nimmt ihnen vieles an Show in der Verhandlungstaktik. Dramatisch dann auch der Abschnitt des Buches, in dem das Ehepaar – getrennt – auf ihre Hinrichtung wartet. Sie sehen dem tapfer entgegen, obwohl ihnen eine Giftampulle von einem ehemaligen Nachbarn zugespielt wurde, mit der sie ihrem Leben ein Ende setzten hätten können und vielen noch folgenden Schikanen entgehen hätten können. Sie aber gehen tapfer den Weg bis zum Ende. Großartig, wie sich Fallada in die Rolle der dem Tod geweihten Menschen hineinversetzt und diese mit ihren Gedanken zu Papier bringt.
Das vorliegende Buch ist eine Originalfassung aus dem Jahr 1946, wie es ursprünglich nicht veröffentlicht wurde. So ist es daher zeitnäher und härter.
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