Abstract
BÖLL, Heinrich: Irisches Tagebuch, München 1997
In Anbetracht einer bevorstehenden Pilgerreise nach Irland habe ich das Buch gelesen. Es stammt aus einer Zeit, wo Irland noch anders war. Ärmer war. katholischer war. In einem Essay "Dreizehn Jahre später" relativiert es Böll. Man müsste dieses Essay aber heute wieder neu schreiben. Trotzdem waren tolle Formulierungen zu finden. Beeindruckt hat mich die Passage über die Zeit:
„Als Gott die Zeit machte“, sagen die Iren, „hat er genug davon gemacht“. Zweifellos ist dieses Wort so zutreffend wie des Nachdenkens wert: stellt man sich die Zeit als einen Stoff vor, der uns zur Verfügung steht, um unsere Angelegenheiten auf dieser Erde zu erledigen, so steht uns zweifellos genug davon zur Verfügung, denn immer ist „Zeit gelassen“. Wer keine Zeit hat, ist ein Ungeheuer, eine Missgeburt: er stiehlt irgendwo Zeit, unterschlägt sie. (Wieviel Zeit musste verschlissen, wieviel gestohlen werden, um die zu unrecht berühmte militärische Pünktlichkeit so sprichwörtlich zu machen: Milliarden gestohlener Stunden Zeit sind der Preis für diese aufwendige Art der Pünktlichkeit, und erst die neuzeitlichen Missgeburten, die keine Zeit haben! Sie kommen mir immer vor wie Leute, die zuwenig Haut haben …)
Als Gott die Zeit machte, hat er genug davon gemacht. Zweifellos, beim Gebrauch der Zeit herrschen sowohl Verschwendung wie Ökonomie, und paradoxerweise sind die Zeitverschwender auch die Sparsamen, denn sie haben immer Zeit, wenn man ihre Zeit beansprucht: um schnell jemand zum Bahnhof oder ins Krankenhaus zu bringen; so man Geldverschwender immer um geld angehen kann, sind die Zeitverschwender die Sparkassen, in denen Gott seine Zeit verbringt und in Reserve hält, für den Fall, dass plötzlich welche gebraucht wird, die einer von den Zeitknappen an der falschen Stelle ausgegeben hat.
(27.07.2006)
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