fuchserde

Thomas SAUTNER: fuchserde. 2023.

Abstract

SAUTNER, Thomas: „fuchserde“, Berlin 2020
Ein herumziehendes Volk, die Jenischen sind der Mittelpunkt des Buches. Es ist einerseits eine historische Abhandlung und andererseits die romanhafte Beschreibung einer Familie dieses Volksstamms. Die Hauptperson darin ist Frida, eine außergewöhnliche Frau. Sie braucht lange, bis sie sich für einen Mann entschied, obwohl sie von vielen begehrt wurde. Sie suchte sich eine starke Persönlichkeit zur Ehe aus, obwohl „die Frauen bei den Jenischen in der Regel für alles sorgen: Kinder aufziehen, Wäsche flicken, hausieren gehen. Essenbesorgen und kochen. Der Mann war dennoch das Oberhaupt der Familie. Eine alte jenische Frau erzählte sinngemäß: „Nach außen haben die jenischen Frauen den Mann den Pascha spielen lassen, da war er wie Gott und hat sich auch so gefühlt. Die jenische Frau hat es verstanden, ihren Mann gut leben zu lassen. Im Haus aber haben die Frauen das Sagen gehabt.““ (Seite 52)
Dieses fahrende Volk lebte von selbstgemachten Dingen wie Werkzeug, Kleidern, Webarbeiten. Sie boten beim Herumziehen den Bauern Dienstleistungen wie Messerschleifen, Töpfe flicken etc an. Die kalten Winter verbrachten sie in einer festen Behausung. Sie lebten in primitiver Situation. Oft hatten sie nicht genug zu essen. Als der Vater einen Fasan gefangen hatte, gab es Fleisch. Ein Teil wurde aufgehoben. Die Kinder aber wollten mehr. Da wurde das Fleischstück mit einer Schnur über dem Tisch aufgehängt. Die Kinder bekamen Brot und drückten es gegen das Fleisch, um so einen Geschmack vom Braten zu erhaschen. Speziell während der Weltwirtschaftskrise ging es der Landbevölkerung schlecht. „Sie bekamen eine Arbeitslosenunterstützung von fünf Schilling pro Woche. Ein Laib Brot kostete damals siebenundsechzig Groschen.“ (Seite 85) Zigeuner und „herumtreibendes“ Volk wie die Jenischen bekamen nichts. Die Jenischen hatten alle zum selben Zeitpunkt Geburtstag. „Wer von unseren Leuten dennoch den Winter überstand, der hatte Geburtstag.“ (Seite 86) Von Frühjahr bis Winter zogen sie herum. Sie lebten im kalten Waldviertel, von dem auch der Autor dieses Romans kommt.
Luca suchte seinen Vater und findet einen Onkel in Italien, der einen Zirkus besitzt. Der schon alte Zirkusdirektor vermacht den Zirkus seinem Neffen Luca, der ihn erfolgreich führt. Bei den sommerlichen Reisen trafen die beiden „Stämme Jenische“ – der des Zirkus und der der Waldviertler – aufeinander und befreundeten sich. Zwei junge aus diesen verschiedenen Stämmen verliebten und verlobten sich.
Dann brach die Herrschaft der Diktatoren herein. Der Zirkus verließ wegen Mussolini Italien und übersiedelte nach Österreich. Aber auch da herrschte bald Hitler. Viele der Jenischen wurden verhaftet, ermordet oder in ein Konzentrationslager gesteckt. Der Autor versteht es, sehr anschaulich das Leben in den Konzentrationslagern und Arbeitsheimen wiederzugeben. In der Familie des Zirkusdirektors kamen alle ums Leben. Nur ein Sohn, der Verlobte der Waldviertlerin, konnte fliehen. Auch die Flucht wird detailgenau geschildert. Ähnlich ging es bei den Waldviertlern zu. Auch hier wurde gemordet und verhaftet. Der Stammhalter Lois (er ist der Erzähler im Buch) hatte vorgesorgt und einen Tunnel aus seinem Haus hinausgegraben und so konnte die Familie flüchten. Sie lebten im Wald in einer Höhle. Ein reicher Bauer – nach der russischen Befreiung wurde er Bürgermeister – war ein guter Mensch und versorgte die Familie heimlich mit Nahrung. Als der Krieg aus war, kam der Verlobte aus Tirol. Sie bauten ihre niedergebrannten Häuser wieder auf und auch das neue Paar baute ein Heim. Auch der schon als tot vermutete kleine Bruder des Verlobten kam mit einer jungen Frau zu ihnen. Die Freude der Vereinigung war groß. Obwohl der Druck durch die Nationalsozialisten wegfiel, bestand weiterhin Angst und viele der Jenischen weigerten sich ihrer Zunft nachzukommen. Sie nahmen fixe Anstellungen an und wurden sesshaft. Ihren Kindern und Kindeskindern verheimlichten sie ihre Vergangenheit. Nur der Urgroßvater gab die Geschichte seines Stammes an den Jüngsten der Familie weiter. Diese Erzählungen sind der Inhalt dieses Buches, mit dem eine vergessene Zeit wieder auflebt.
Ein sehr ausdrucksstarkes Buch. Ein Roman, der aus einer anderen Zeit stammt und trotzdem schafft es der Autor so zu erzählen, als hätte er mit diesen Leuten gelebt. Großartig!

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    Dieses fahrende Volk lebte von selbstgemachten Dingen wie Werkzeug, Kleidern, Webarbeiten. Sie boten beim Herumziehen den Bauern Dienstleistungen wie Messerschleifen, Töpfe flicken etc an. Die kalten Winter verbrachten sie in einer festen Behausung. Sie lebten in primitiver Situation. Oft hatten sie nicht genug zu essen. Als der Vater einen Fasan gefangen hatte, gab es Fleisch. Ein Teil wurde aufgehoben. Die Kinder aber wollten mehr. Da wurde das Fleischstück mit einer Schnur über dem Tisch aufgehängt. Die Kinder bekamen Brot und drückten es gegen das Fleisch, um so einen Geschmack vom Braten zu erhaschen. Speziell während der Weltwirtschaftskrise ging es der Landbevölkerung schlecht. „Sie bekamen eine Arbeitslosenunterstützung von fünf Schilling pro Woche. Ein Laib Brot kostete damals siebenundsechzig Groschen.“ (Seite 85) Zigeuner und „herumtreibendes“ Volk wie die Jenischen bekamen nichts. Die Jenischen hatten alle zum selben Zeitpunkt Geburtstag. „Wer von unseren Leuten dennoch den Winter überstand, der hatte Geburtstag.“ (Seite 86) Von Frühjahr bis Winter zogen sie herum. Sie lebten im kalten Waldviertel, von dem auch der Autor dieses Romans kommt. 
    Luca suchte seinen Vater und findet einen Onkel in Italien, der einen Zirkus besitzt. Der schon alte Zirkusdirektor vermacht den Zirkus seinem Neffen Luca, der ihn erfolgreich führt. Bei den sommerlichen Reisen trafen die beiden „Stämme Jenische“ – der des Zirkus und der der Waldviertler – aufeinander und befreundeten sich. Zwei junge aus diesen verschiedenen Stämmen verliebten und verlobten sich. 
    Dann brach die Herrschaft der Diktatoren herein. Der Zirkus verließ wegen Mussolini Italien und übersiedelte nach Österreich. Aber auch da herrschte bald Hitler. Viele der Jenischen wurden verhaftet, ermordet oder in ein Konzentrationslager gesteckt. Der Autor versteht es, sehr anschaulich das Leben in den Konzentrationslagern und Arbeitsheimen wiederzugeben. In der Familie des Zirkusdirektors kamen alle ums Leben. Nur ein Sohn, der Verlobte der Waldviertlerin, konnte fliehen. Auch die Flucht wird detailgenau geschildert. Ähnlich ging es bei den Waldviertlern zu. Auch hier wurde gemordet und verhaftet. Der Stammhalter Lois (er ist der Erzähler im Buch) hatte vorgesorgt und einen Tunnel aus seinem Haus hinausgegraben und so konnte die Familie flüchten. Sie lebten im Wald in einer Höhle. Ein reicher Bauer – nach der russischen Befreiung wurde er Bürgermeister – war ein guter Mensch und versorgte die Familie heimlich mit Nahrung. Als der Krieg aus war, kam der Verlobte aus Tirol. Sie bauten ihre niedergebrannten Häuser wieder auf und auch das neue Paar baute ein Heim. Auch der schon als tot vermutete kleine Bruder des Verlobten kam mit einer jungen Frau zu ihnen. Die Freude der Vereinigung war groß. Obwohl der Druck durch die Nationalsozialisten wegfiel, bestand weiterhin Angst und viele der Jenischen weigerten sich ihrer Zunft nachzukommen. Sie nahmen fixe Anstellungen an und wurden sesshaft. Ihren Kindern und Kindeskindern verheimlichten sie ihre Vergangenheit. Nur der Urgroßvater gab die Geschichte seines Stammes an den Jüngsten der Familie weiter. Diese Erzählungen sind der Inhalt dieses Buches, mit dem eine vergessene Zeit wieder auflebt.
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