Abstract
SAUTNER, Thomas: „Fremdes Land“, Berlin 2011
Jack, der Hauptproponent des Romans, stellt seinen Wecker nach dem Einschlafen, dass er nach einer halben Stunde wieder läutet. Er macht das, weil man vor dem Aufwachen wirre und schöne Träume hat. Er ist „Traumsüchtig“ und macht diesen Vorgang in einer Nacht mehrmals. So wie andere Rauschgift konsumieren, gibt er sich seinen Träumen hin. Er ist ein aufstrebender junger Mann, der Assistent eines Parteivorsitzenden. Durch den Rücktritt des Präsidenten von der regierenden Partei gewinnt seine Partei die Wahl. Sein Chef wird Präsident und er sein Stabschef. Er wollte Kabinettschef werden, doch er wurde vor die Tatsache gestellt, dass das die Funktion eines Beamten – in diesem Fall einer Beamtin, einer Gräfin – ist. Die Beamten sind es, die die Kontinuität bestimmen. Eigentlich ist den neu gewählten Politikern nicht viel Freiraum geblieben. Sie sind von den Beamten abhängig. In diesem Sinne ist es gar kein Science-Fiction Roman, denn in dieser Beziehung ist auch unsere heutige Staatsgewalt so. Mir fällt die Aussage eines pensionierten Sektionschefs ein, der sagte „Ich habe immer dasselbe getan. Ich habe mehreren Ministern gedient. Sie kamen von verschiedenen Parteien. Einer kündigte an, dass er mich kündigen werde. Als er merkte, dass er mich braucht, wurden wir zu Freunden und ich habe weitergearbeitet wie zuvor.“
Der Staat, den der Schriftsteller Sautner hier beschreibt, ist ein sehr überwachter. Eigentlich eine Kopie des heutigen Chinas. Viele Kameras, Kontrollen, Security und andere Überwachungseinrichtungen. Gutes – was immer die Regierung unter „gut“ verstand wurde belohnt und bei „schlechten“ Taten bekam der betroffene Staatsbürger Negativpunkte, die sein Leben einschränkte. Der letzte Bankomat wird abmontiert. Niemand verwendete mehr Bargeld und wer es wollte, musste es mit einem Antrag in einer Zentralbank beheben.
Jack kommt aus einer ländlichen Gegend, wo die Kontrolle noch nicht flächendeckend ist. Seine Schwester ist das Gegenteil von ihm. Er versucht der Vorzugsschüler zu sein und war es auch: hat in kürzester Zeit studiert, einen Job bekommen, keine Freundin oder Frau. Alle Energie widmete er seinem Beruf, wo er Karriere machte. Seine Schwester dagegen ist eine Studienabbrecherin und wechselte oft den Job. Arbeiten, bei denen sie wenig verdiente. Letztlich landete sie in einer Altenbetreuung. Bei den Eltern am Land kommen sie wieder zusammen und haben sich eigentlich wenig zu sagen; zu verschieden sind sie geworden. Eines wurde ihm bei dieser Diskussion aber bewusst, dass er seine Funktion nicht – wie geschworen – für das Wohl des Volkes tat, sondern für seine eigene Karriere.
Die ohnehin schon stark technisierte Welt wird unter der neuen politischen Führung weiter intensiviert. Treibender Faktor dabei ist die Wirtschaft. Der Staat ist eigentlich bankrott und braucht für Vorhaben die boomende Wirtschaft und die stellt Forderungen. So wird die Implantierung von Chips eingeführt, mit denen man nicht nur weiß wer wo ist, sondern auch feststellen kann was er / sie denkt. (Ein Science-Fiction Ansatz des Buchs). Der Industrievertreter erklärt dem Präsidenten „stellen sie sich vor, der Staat würde neben den Gedanken-Chips auch die Mind-Changer einsetzen. Welche Möglichkeiten sich auftun würden. … Man könnte die Menschen in ihrer Gesamtheit erhöhen, sie von ihren dunklen Gedanken völlig und für immer befreien sowie ihnen ermöglichen, zu bedingungslos sozialen, gutherzigen Wesen zu werden. … Man könnte die Welt verbessern.“ (Seite 143) Der Industrievertreter geht noch einen Schritt weiter und meint, dass es Unverantwortlich sei Wahlen zuzulassen, weil ohnehin niemand eine eigene Meinung habe. Man solle nur die Opposition wählen lassen. Also alle, die wählen gehen, sind Opposition; alle anderen stimmen der Arbeit der Regierung zu. Die Stimmung im Volk wurde mit Meinungsbefragungen durchgeführt. Die Kabinettschefin sagt aus ihrer Erfahrung heraus, dass jede Volksbefragung im Sinne der Regierung ausging. Man holte sich negative und positive Zusagen, die aber immer im Sinne der Politik waren. Durch die Formulierung der Fragen steuerte man auf das gewünschte Ergebnis zu.
Dann kommt ein gewagter Teil: der Ausbruch eines Vulkans im Westen Amerikas wird prognostiziert. Der Vulkan würde die Hälfte Amerikas vernichten und die Hierarchie der Erde würde sich zu Gunsten Chinas, Russlands und der arabischen Welt ändern. Auch Europa würde wieder an Bedeutung gewinnen. Es gäbe schlagartig weniger Menschen auf der Erde und die Anstrengungen der Klimaerwärmung würden hinfällig. Die Aschewolke des Vulkans würde auch die Sonneneinstrahlung reduzieren und die Temperaturen würden fallen.
Der Romanschreiber kommt wieder zu Wort, als sich herausstellt, dass die Schwester für eine oppositionelle Organisation arbeitet, verhaftet und zum Tod verurteilt wird. Jack versucht sie zu überzeugen und ein positives Geständnis abzulegen, um so nicht getötet zu werden. Man würde ihr einen Chip einpflanzen, der ihre Haltung verändern würde. Sie lehnt es ab. Jack besucht den Vater, damit er mit ihm zur Schwester fährt und sie zur Implantierung überredet. Das Gegenteil passiert. Der Vater deklariert sich selbst als Oppositioneller. Jack verzweifelt und zweifelt an sich selbst. Da er den Gedankenlesenden Chip schon implantiert hat, stellt das System fest, dass er gefährlich wird und man arrestiert ihn ebenfalls. Parallel dazu wird auch der Vater inhaftiert. Man las die Gehirne der Betroffenen aus. Im Gefängnis treffen die Geschwister nochmals zusammen. Ein alternativ denkender Arzt hatte der Schwester heimlich eine Injektion gegeben, die ihre Meinung änderte und sie nun bereit ist den Chip einpflanzen zu lassen. Es ist Silvester, das Jahresende, als die Geschwister zusammenkommen. Der Bruder fragt die Schwester „`Hast du einen Neujahrswunsch, Gwendolyn?´ Seine Schwester kniff vergnügt die Augen zusammen, spitzte nachdenklich die Lippen. `Eigentlich´ sagt sie nach einer kleinen Weile und lächelt befreit, `bin ich wunschlos glücklich. Einfach wunschlos glücklich! Und du Jack? Was wünschst du dir von der Zukunft?´“ (letzte Seite des Buchs: 250)
Der Romanschreiber lässt den Ausgang offen.
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Eigentlich ist den neu gewählten Politikern nicht viel Freiraum geblieben. Sie sind von den Beamten abhängig. In diesem Sinne ist es gar kein Science-Fiction Roman, denn in dieser Beziehung ist auch unsere heutige Staatsgewalt so. Mir fällt die Aussage eines pensionierten Sektionschefs ein, der sagte „Ich habe immer dasselbe getan. Ich habe mehreren Ministern gedient. Sie kamen von verschiedenen Parteien. Einer kündigte an, dass er mich kündigen werde. Als er merkte, dass er mich braucht, wurden wir zu Freunden und ich habe weitergearbeitet wie zuvor.“ Der Staat, den der Schriftsteller Sautner hier beschreibt, ist ein sehr überwachter. Eigentlich eine Kopie des heutigen Chinas. Viele Kameras, Kontrollen, Security und andere Überwachungseinrichtungen. Gutes – was immer die Regierung unter „gut“ verstand wurde belohnt und bei „schlechten“ Taten bekam der betroffene Staatsbürger Negativpunkte, die sein Leben einschränkte. Der letzte Bankomat wird abmontiert. Niemand verwendete mehr Bargeld und wer es wollte, musste es mit einem Antrag in einer Zentralbank beheben. Jack kommt aus einer ländlichen Gegend, wo die Kontrolle noch nicht flächendeckend ist. Seine Schwester ist das Gegenteil von ihm. Er versucht der Vorzugsschüler zu sein und war es auch: hat in kürzester Zeit studiert, einen Job bekommen, keine Freundin oder Frau. Alle Energie widmete er seinem Beruf, wo er Karriere machte. Seine Schwester dagegen ist eine Studienabbrecherin und wechselte oft den Job. Arbeiten, bei denen sie wenig verdiente. Letztlich landete sie in einer Altenbetreuung. Bei den Eltern am Land kommen sie wieder zusammen und haben sich eigentlich wenig zu sagen; zu verschieden sind sie geworden. Eines wurde ihm bei dieser Diskussion aber bewusst, dass er seine Funktion nicht – wie geschworen – für das Wohl des Volkes tat, sondern für seine eigene Karriere. Die ohnehin schon stark technisierte Welt wird unter der neuen politischen Führung weiter intensiviert. Treibender Faktor dabei ist die Wirtschaft. Der Staat ist eigentlich bankrott und braucht für Vorhaben die boomende Wirtschaft und die stellt Forderungen. So wird die Implantierung von Chips eingeführt, mit denen man nicht nur weiß wer wo ist, sondern auch feststellen kann was er / sie denkt. (Ein Science-Fiction Ansatz des Buchs). Der Industrievertreter erklärt dem Präsidenten „stellen sie sich vor, der Staat würde neben den Gedanken-Chips auch die Mind-Changer einsetzen. Welche Möglichkeiten sich auftun würden. … Man könnte die Menschen in ihrer Gesamtheit erhöhen, sie von ihren dunklen Gedanken völlig und für immer befreien sowie ihnen ermöglichen, zu bedingungslos sozialen, gutherzigen Wesen zu werden. … Man könnte die Welt verbessern.“ (Seite 143) Der Industrievertreter geht noch einen Schritt weiter und meint, dass es Unverantwortlich sei Wahlen zuzulassen, weil ohnehin niemand eine eigene Meinung habe. Man solle nur die Opposition wählen lassen. Also alle, die wählen gehen, sind Opposition; alle anderen stimmen der Arbeit der Regierung zu. Die Stimmung im Volk wurde mit Meinungsbefragungen durchgeführt. Die Kabinettschefin sagt aus ihrer Erfahrung heraus, dass jede Volksbefragung im Sinne der Regierung ausging. Man holte sich negative und positive Zusagen, die aber immer im Sinne der Politik waren. Durch die Formulierung der Fragen steuerte man auf das gewünschte Ergebnis zu. Dann kommt ein gewagter Teil: der Ausbruch eines Vulkans im Westen Amerikas wird prognostiziert. Der Vulkan würde die Hälfte Amerikas vernichten und die Hierarchie der Erde würde sich zu Gunsten Chinas, Russlands und der arabischen Welt ändern. Auch Europa würde wieder an Bedeutung gewinnen. Es gäbe schlagartig weniger Menschen auf der Erde und die Anstrengungen der Klimaerwärmung würden hinfällig. Die Aschewolke des Vulkans würde auch die Sonneneinstrahlung reduzieren und die Temperaturen würden fallen. Der Romanschreiber kommt wieder zu Wort, als sich herausstellt, dass die Schwester für eine oppositionelle Organisation arbeitet, verhaftet und zum Tod verurteilt wird. Jack versucht sie zu überzeugen und ein positives Geständnis abzulegen, um so nicht getötet zu werden. Man würde ihr einen Chip einpflanzen, der ihre Haltung verändern würde. Sie lehnt es ab. Jack besucht den Vater, damit er mit ihm zur Schwester fährt und sie zur Implantierung überredet. Das Gegenteil passiert. Der Vater deklariert sich selbst als Oppositioneller. Jack verzweifelt und zweifelt an sich selbst. Da er den Gedankenlesenden Chip schon implantiert hat, stellt das System fest, dass er gefährlich wird und man arrestiert ihn ebenfalls. Parallel dazu wird auch der Vater inhaftiert. Man las die Gehirne der Betroffenen aus. Im Gefängnis treffen die Geschwister nochmals zusammen. Ein alternativ denkender Arzt hatte der Schwester heimlich eine Injektion gegeben, die ihre Meinung änderte und sie nun bereit ist den Chip einpflanzen zu lassen. Es ist Silvester, das Jahresende, als die Geschwister zusammenkommen. Der Bruder fragt die Schwester „`Hast du einen Neujahrswunsch, Gwendolyn?´ Seine Schwester kniff vergnügt die Augen zusammen, spitzte nachdenklich die Lippen. `Eigentlich´ sagt sie nach einer kleinen Weile und lächelt befreit, `bin ich wunschlos glücklich. Einfach wunschlos glücklich! Und du Jack? Was wünschst du dir von der Zukunft?´“ (letzte Seite des Buchs: 250) Der Romanschreiber lässt den Ausgang offen. }, keywords = {Politik, Science Fiction, Überwachung, Überwachungsstaat}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} }