Die Scham

Annie ERNAUX : Die Scham. 2023.

Abstract

ERNAUX, Annie: „Scham“, Berlin 2022
Das Buch wurde 1995 geschrieben. Seine Erzählung ging ins Jahr 1952 zurück, als der Vater die Mutter mit einem Beil töten wollte. Es war ein Sonntag. Die Tochter (=Erzählerin) war in der Messe. Als sie heimkam stritten die Eltern. Sie zog sich zurück und hörte die Mutter aus der Vorratskammer schreien, wo sie der Vater hielt und eine Hacke in der Hand hatte. Er tötete sie aber nicht. Das Erlebnis blieb aber im Kopf des damals zwölfjährigen Mädchens. 43 Jahre später verarbeitete sie es in diesem vorliegenden Buch. Sie lebte als Kind lange in der Angst, dass sich diese Szene wiederholen könnte.
Wie in allen Büchern, die ich von dieser Autorin bisher gelesen habe, nimmt sie Bezug auf Fotos aus der Vergangenheit und Erinnerungen aus dem eigenen Leben. So auch in dieser Erzählung. Diesmal steigt sie aber sofort in das Geschehnis, den eigentlichen Schluss ein und beginnt mit der geplanten Tat des Vaters. So, als würde man einen Kriminalroman mit der Preisgabe des Mörders beginnen und dann erst den Hergang aufrollen.
Das, 1996 geschriebene Buch bezieht sich ausschließlich auf das Jahr 1952, in dem das beschriebene Mädchen zwölf Jahre alt war.
Damit es die Tochter einmal besser haben würde, schickten die Eltern sie auf eine katholische Privatschule. Alles war auf Religion ausgerichtet. Die Wissensvermittlung war zweitrangig. Als Mädchen erschien ihr dies selbstverständlich. Erst beim Schreiben dieses Buches konnte sie die Situation besser einstufen.
Die streng gläubige Mutter hatte unmittelbar nach dem Krieg eine Pilgerreise nach Lourdes gemacht; aus Dankbarkeit, dass sie ihre Familie heil über die Kriegsjahre gebracht hatte. Den nicht gläubigen Vater schickte sie mit der Tochter 1952 auf eine Busreise nach Lourdes. Das war die erste Reise, die sie aus ihrem engeren Umkreis hinausführte. Die Mitreisenden waren fast ausschließlich aus gesellschaftlich besser gestellten Kreisen. Die Beiden fühlten sich nicht sehr wohl. Natürlich war auch Scham dabei, die sie damals aber noch nicht so bezeichnete.
Scham erfuhr sie erstmals bewusst, als sie von einem Schulausflug spätabends heimkam. Die Lehrerin begleitete sie wegen der späten Stunde nach Hause und die Mutter öffnete im Nachthemd. Die Mutter verwendete das Nachthemd auch zum Reinigen nach einem Toilettenbesuch, was dieses ekelig und schmutzig machte. Die Tochter schämte sich für die Mutter und lief schnell ins Haus. Von nun an war vieles mit Scham besetzt: das Pissoir am Hof, das Schlafzimmer gemeinsam mit den Eltern, betrunkene Gäste der Kneipe, Geldsorgen der Eltern und deren Arbeitervergangenheit.

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    Das Buch wurde 1995 geschrieben. Seine Erzählung ging ins Jahr 1952 zurück, als der Vater die Mutter mit einem Beil töten wollte. Es war ein Sonntag. Die Tochter (=Erzählerin) war in der Messe. Als sie heimkam stritten die Eltern. Sie zog sich zurück und hörte die Mutter aus der Vorratskammer schreien, wo sie der Vater hielt und eine Hacke in der Hand hatte. Er tötete sie aber nicht. Das Erlebnis blieb aber im Kopf des damals zwölfjährigen Mädchens. 43 Jahre später verarbeitete sie es in diesem vorliegenden Buch. Sie lebte als Kind lange in der Angst, dass sich diese Szene wiederholen könnte. 
    Wie in allen Büchern, die ich von dieser Autorin bisher gelesen habe, nimmt sie Bezug auf Fotos aus der Vergangenheit und Erinnerungen aus dem eigenen Leben. So auch in dieser Erzählung. Diesmal steigt sie aber sofort in das Geschehnis, den eigentlichen Schluss ein und beginnt mit der geplanten Tat des Vaters. So, als würde man einen Kriminalroman mit der Preisgabe des Mörders beginnen und dann erst den Hergang aufrollen.
    Das, 1996 geschriebene Buch bezieht sich ausschließlich auf das Jahr 1952, in dem das beschriebene Mädchen zwölf Jahre alt war.
    Damit es die Tochter einmal besser haben würde, schickten die Eltern sie auf eine katholische Privatschule. Alles war auf Religion ausgerichtet. Die Wissensvermittlung war zweitrangig. Als Mädchen erschien ihr dies selbstverständlich. Erst beim Schreiben dieses Buches konnte sie die Situation besser einstufen.
    Die streng gläubige Mutter hatte unmittelbar nach dem Krieg eine Pilgerreise nach Lourdes gemacht; aus Dankbarkeit, dass sie ihre Familie heil über die Kriegsjahre gebracht hatte. Den nicht gläubigen Vater schickte sie mit der Tochter 1952 auf eine Busreise nach Lourdes. Das war die erste Reise, die sie aus ihrem engeren Umkreis hinausführte. Die Mitreisenden waren fast ausschließlich aus gesellschaftlich besser gestellten Kreisen. Die Beiden fühlten sich nicht sehr wohl. Natürlich war auch Scham dabei, die sie damals aber noch nicht so bezeichnete.
    Scham erfuhr sie erstmals bewusst, als sie von einem Schulausflug spätabends heimkam. Die Lehrerin begleitete sie wegen der späten Stunde nach Hause und die Mutter öffnete im Nachthemd. Die Mutter verwendete das Nachthemd auch zum Reinigen nach einem Toilettenbesuch, was dieses ekelig und schmutzig machte. Die Tochter schämte sich für die Mutter und lief schnell ins Haus. Von nun an war vieles mit Scham besetzt: das Pissoir am Hof, das Schlafzimmer gemeinsam mit den Eltern, betrunkene Gäste der Kneipe, Geldsorgen der Eltern und deren Arbeitervergangenheit. 
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