Die Eroberung Amerikas

Franzobel: Die Eroberung Amerikas. 2023.

Abstract

FRANZOBEL: „Die Eroberung Amerikas“, München 2022
Es ist zwar ein anderes Thema als das letzte Buch „Das Floss der Medusa“, aber es ist ähnlich aufgebaut. Ging es beim Buch „Medusa“ um das Segelboot, das kenterte, so ist es im Amerika-Eroberungs-Buch eine Segelregatta die Florida erobern will. Das beschrieben Leben am Schiff ähnelt sehr dem anderen Buch und auch deren Charaktere. Das Überleben der Expedition an Land wird ähnlich grausig beschrieben, wie das der Gekenterten der Medusa.
Franzobel versucht dem Leser die damalige Situation zu erklären und sie in Relation zu unserem 21. Jahrhundert zu bringen. Wenn er etwa Personen beschreibt, so meint er, der oder die schaut aus wie dieser oder jener Schauspieler unserer Zeit.
Einzelne Personen der Eroberer werden mit ihren Vorgeschichten beschrieben. Viele Teilnehmer der Expedition hatten schon Abenteuer hinter sich gebracht und im Rahmen des Buches werden deren Lebensläufe erzählt. Ein junger Bursche, der von zu Hause weggelaufen ist und sich nicht mehr zurück traute heuerte auf einem Handelsschiff an, das dann von Piraten erobert wurde und er als Sklave in Afrika verkauft wird. Er flieht und wird auf diesem spanischen Schiff aufgenommen.
Die Expedition landet in Kuba. Die Frau des Leiters Ferdinand Desoto bleibt auf Kuba als Gouverneurin dieser spanischen Kolonie zurück, während ihr Mann mit einer großen Schar von Soldaten und Mitstreitern nach Florida aufbricht, um dort nach Goldvorkommen zu suchen. Sie landen in einer Bucht und brechen ins Landesinnere auf. Sie führen Pferde, Schweine, ja sogar eine Glocke für einen Kirchenneubau mit sich. Auch Missionare sind unter den Eroberern. Ihre Aufgabe ist es, die Indianer zum katholischen Glauben zu bekehren.
Es kommt zu vielen Kämpfen mit Einheimischen. Viele Menschen werden getötet, aber auch die Erobererschar wird immer kleiner.
Die Gruppe trifft auf Dörfer, die wie aus einem Fabelwesen von Franzobel beschrieben werden: Dörfer mit nur Tauben. Dörfer mit nur blinden Menschen. Orte, in denen die Frauen regieren und den Männern nur untergeordnete Rollen zugewiesen sind.
In der Stadt Baubillo kommen sie in einen Hinterhalt der Indianer. Es kommt zu sagenhaften Verlusten. Gegenseitig werden Behausungen abgebrannt. So auch die Zelte der Eroberer. Darin verbrennen auch die letzten Schätze – Perlen – die sie erbeutet hatten. Eigentlich hatten sie alles verloren und sollten umkehren, aber ihr Heerführer will nicht mit leeren Händen heimkommen und lässt weitermarschieren. Die Soldaten plündern und töten. Die Einwohnerzahl der Indianer wird aber auch durch mitgeführte Krankheiten dezimiert. Es heißt, dass die Spanier eine biologische Waffe mit sich führten, „von deren Existenz und Gefährlichkeit sie gar nichts wussten, etwa, dass Milzbrand, Brucellose, Leptospirose, Trichinose, Tuberkulose und noch so einige Chosen verbreiteten, Schneisen in die Wachstumskurve der Indianer schlug, ganze Stämme ausradierte – kein in Labors gezüchteter Virus, sondern die beweglichen Fleischkammern brachten den Tod. Schweine! Das Borstenvieh richtete unter den Einheimischen hundertmal mehr Schaden an als alle Spanier und Engländer zusammen. Diese Tiere waren für Krankheitserreger wie Reisebusse. Bereits ein paar Übertragungen an Rehe oder Rebhühner reichten, ganze Landstriche zu verseuchen.“ (Seite 363) Die Kämpfe hinterließen leere Einheimischendörfer. Die Waffen der Eroberer waren den Verteidigungseinrichtungen der Indianer überlegen. Aber auch die Eroberer erleiden Verluste. Viele sterben. Die Pferde, Schweine, Ziegen etc werden weniger. Der Mut zum Kämpfen nimmt ab. Einzelne Teilnehmer versuchen allein zurückzufinden, scheitern aber und wären fast verhungert.
Zunehmend muss auch ihr Anführer feststellen, dass diese Expedition erfolglos ist. Aus Kummer stirbt er und wird den Fluten des Mississippi, den sie erreichten übergeben. Die Mannschaft will zurück in ihre Heimat. Sie werden laufend von den Indianern angegriffen. Das Lager wird angezündet. Als sie Schiffe bauen, um so zum Meer zu kommen, werden diese von den Indios verbrannt. Ihre Kleidung wirkt immer mehr wie die der Indianer. Sie haben ihre europäische Kleidung verloren und kleiden sich jetzt in Fellen. So ziehen sie weiter. Kommen wieder zum Fluss zurück. Bauen wieder Schiffe. Ein Hochwasser treibt sie auf einen Berg, der wie eine Insel im übergelaufenen Strom stehen bleibt. Fast wären sie verhungert. Nach mehreren Wochen geht das Wasser zurück und sie können mit ihren Schiffen aufbrechen. Vier Jahre waren sie seit ihrer Ankunft in Florida im Land herumgeirrt. Jetzt wollten sie heim. Am Weg werden sie von Indianerstämmen angegriffen. Aus Booten werden sie beschossen. Der Kampf geht über mehrere Wochen. Viele sterben wieder, aber sie schaffen es bis zum Meer. Auf einer Insel erholt sich der übrig gebliebene Rest und in dieser friedlichen Situation werden wieder Indianer gesichtet. Schnell brechen sie auf und erreichen Kuba. Dort gibt es keine Gouverneurin mehr. Sie war den Anforderungen und den Aufständen der Sklaven nicht gewachsen und wurde abberufen. Die einzelnen Überlebenden versuchen ihr Glück. Manche kehren nach Spanien zurück.
Alles blieb eine Tristesse. „Was hatte die Expedition gebracht? Vierhundert tote Männer, zweihundertfünfzig tote Pferde, auch die mitgebrachten Kühe waren tot, die meisten Hühner, Ziegen, ebenso Hunde, viele Schweine …“ (Seite 498) „Eine Reise ging zu Ende, die als eine der erfolglosesten in die Geschichte eingehen sollte.“ (Seite 529)
Vieles ist sehr überzeichnend geschildert. Vieles ist erfunden. Der Autor selbst sagt in seiner Danksagung „Natürlich handelt es sich hier um einen Roman, manchmal habe ich geflunkert, und einiges ist erfunden, aber grundsätzlich wollte ich die Geschichte möglichst wahrhaftig erzählen.“ (Seite 542) ABER der Text zeigt das brutale Vorgehen der Europäer bei der Eroberung Amerikas.
Parallel zu dieser „Eroberungsgeschichte“ wird von einem Anwalt erzählt, der im Namen der Indianer eine Klage gegen den Staat Amerikas einbringt, weil die Weißen das Land der Indigenen erobert und enteignet haben. Der Prozess dauerte genauso lange wie vor einem halben Jahrtausend die Expedition: 4 ½ Jahre. Hier schlägt die Dichtung zu Buche. Der klagende Anwalt bekommt Recht. Die USA müssen das Land den Indianern zurückgegeben. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre eine Zahlung von sechshundert Billionen Dollar fällig. Da dieser Betrag von der Volkswirtschaft nicht aufgebracht werden kann, bot das Gericht folgende Lösung an: „Die USA verpflichtet sich für die nächsten vier Dekaden, den aktuell bei sechshundertfünfzig Milliarden Dollar liegenden Etat der Militärausgaben ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit fünfhundert Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen.“ (Seite 539)
Das 543 Seiten starke Buch zu lesen erfordert einiges an Anstrengung. Franzobel gesteht im Nachwort, dass der Lektor vieles verhindert hat. „Ohne sein beherztes Eingreifen wäre das Buch bestimmt doppelt so dick geworden.“ (Seite 543)

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    Franzobel versucht dem Leser die damalige Situation zu erklären und sie in Relation zu unserem 21. Jahrhundert zu bringen. Wenn er etwa Personen beschreibt, so meint er, der oder die schaut aus wie dieser oder jener Schauspieler unserer Zeit.
    Einzelne Personen der Eroberer werden mit ihren Vorgeschichten beschrieben. Viele Teilnehmer der Expedition hatten schon Abenteuer hinter sich gebracht und im Rahmen des Buches werden deren Lebensläufe erzählt. Ein junger Bursche, der von zu Hause weggelaufen ist und sich nicht mehr zurück traute heuerte auf einem Handelsschiff an, das dann von Piraten erobert wurde und er als Sklave in Afrika verkauft wird. Er flieht und wird auf diesem spanischen Schiff aufgenommen.
    Die Expedition landet in Kuba. Die Frau des Leiters Ferdinand Desoto bleibt auf Kuba als Gouverneurin dieser spanischen Kolonie zurück, während ihr Mann mit einer großen Schar von Soldaten und Mitstreitern nach Florida aufbricht, um dort nach Goldvorkommen zu suchen. Sie landen in einer Bucht und brechen ins Landesinnere auf. Sie führen Pferde, Schweine, ja sogar eine Glocke für einen Kirchenneubau mit sich. Auch Missionare sind unter den Eroberern. Ihre Aufgabe ist es, die Indianer zum katholischen Glauben zu bekehren. 
    Es kommt zu vielen Kämpfen mit Einheimischen. Viele Menschen werden getötet, aber auch die Erobererschar wird immer kleiner.
    Die Gruppe trifft auf Dörfer, die wie aus einem Fabelwesen von Franzobel beschrieben werden: Dörfer mit nur Tauben. Dörfer mit nur blinden Menschen. Orte, in denen die Frauen regieren und den Männern nur untergeordnete Rollen zugewiesen sind. 
    In der Stadt Baubillo kommen sie in einen Hinterhalt der Indianer. Es kommt zu sagenhaften Verlusten. Gegenseitig werden Behausungen abgebrannt. So auch die Zelte der Eroberer. Darin verbrennen auch die letzten Schätze – Perlen – die sie erbeutet hatten. Eigentlich hatten sie alles verloren und sollten umkehren, aber ihr Heerführer will nicht mit leeren Händen heimkommen und lässt weitermarschieren. Die Soldaten plündern und töten. Die Einwohnerzahl der Indianer wird aber auch durch mitgeführte Krankheiten dezimiert. Es heißt, dass die Spanier eine biologische Waffe mit sich führten, „von deren Existenz und Gefährlichkeit sie gar nichts wussten, etwa, dass Milzbrand, Brucellose, Leptospirose, Trichinose, Tuberkulose und noch so einige Chosen verbreiteten, Schneisen in die Wachstumskurve der Indianer schlug, ganze Stämme ausradierte – kein in Labors gezüchteter Virus, sondern die beweglichen Fleischkammern brachten den Tod. Schweine! Das Borstenvieh richtete unter den Einheimischen hundertmal mehr Schaden an als alle Spanier und Engländer zusammen. Diese Tiere waren für Krankheitserreger wie Reisebusse. Bereits ein paar Übertragungen an Rehe oder Rebhühner reichten, ganze Landstriche zu verseuchen.“ (Seite 363) Die Kämpfe hinterließen leere Einheimischendörfer. Die Waffen der Eroberer waren den Verteidigungseinrichtungen der Indianer überlegen. Aber auch die Eroberer erleiden Verluste. Viele sterben. Die Pferde, Schweine, Ziegen etc werden weniger. Der Mut zum Kämpfen nimmt ab. Einzelne Teilnehmer versuchen allein zurückzufinden, scheitern aber und wären fast verhungert.
    Zunehmend muss auch ihr Anführer feststellen, dass diese Expedition erfolglos ist. Aus Kummer stirbt er und wird den Fluten des Mississippi, den sie erreichten übergeben. Die Mannschaft will zurück in ihre Heimat. Sie werden laufend von den Indianern angegriffen. Das Lager wird angezündet. Als sie Schiffe bauen, um so zum Meer zu kommen, werden diese von den Indios verbrannt. Ihre Kleidung wirkt immer mehr wie die der Indianer. Sie haben ihre europäische Kleidung verloren und kleiden sich jetzt in Fellen. So ziehen sie weiter. Kommen wieder zum Fluss zurück. Bauen wieder Schiffe. Ein Hochwasser treibt sie auf einen Berg, der wie eine Insel im übergelaufenen Strom stehen bleibt. Fast wären sie verhungert. Nach mehreren Wochen geht das Wasser zurück und sie können mit ihren Schiffen aufbrechen. Vier Jahre waren sie seit ihrer Ankunft in Florida im Land herumgeirrt. Jetzt wollten sie heim. Am Weg werden sie von Indianerstämmen angegriffen. Aus Booten werden sie beschossen. Der Kampf geht über mehrere Wochen. Viele sterben wieder, aber sie schaffen es bis zum Meer. Auf einer Insel erholt sich der übrig gebliebene Rest und in dieser friedlichen Situation werden wieder Indianer gesichtet. Schnell brechen sie auf und erreichen Kuba. Dort gibt es keine Gouverneurin mehr. Sie war den Anforderungen und den Aufständen der Sklaven nicht gewachsen und wurde abberufen. Die einzelnen Überlebenden versuchen ihr Glück. Manche kehren nach Spanien zurück. 
    Alles blieb eine Tristesse. „Was hatte die Expedition gebracht? Vierhundert tote Männer, zweihundertfünfzig tote Pferde, auch die mitgebrachten Kühe waren tot, die meisten Hühner, Ziegen, ebenso Hunde, viele Schweine …“ (Seite 498) „Eine Reise ging zu Ende, die als eine der erfolglosesten in die Geschichte eingehen sollte.“ (Seite 529)
    Vieles ist sehr überzeichnend geschildert. Vieles ist erfunden. Der Autor selbst sagt in seiner Danksagung „Natürlich handelt es sich hier um einen Roman, manchmal habe ich geflunkert, und einiges ist erfunden, aber grundsätzlich wollte ich die Geschichte möglichst wahrhaftig erzählen.“ (Seite 542) ABER der Text zeigt das brutale Vorgehen der Europäer bei der Eroberung Amerikas.
    Parallel zu dieser „Eroberungsgeschichte“ wird von einem Anwalt erzählt, der im Namen der Indianer eine Klage gegen den Staat Amerikas einbringt, weil die Weißen das Land der Indigenen erobert und enteignet haben. Der Prozess dauerte genauso lange wie vor einem halben Jahrtausend die Expedition: 4 ½ Jahre. Hier schlägt die Dichtung zu Buche. Der klagende Anwalt bekommt Recht. Die USA müssen das Land den Indianern zurückgegeben. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre eine Zahlung von sechshundert Billionen Dollar fällig. Da dieser Betrag von der Volkswirtschaft nicht aufgebracht werden kann, bot das Gericht folgende Lösung an: „Die USA verpflichtet sich für die nächsten vier Dekaden, den aktuell bei sechshundertfünfzig Milliarden Dollar liegenden Etat der Militärausgaben ausschließlich für Umwelt- und Sozialprogramme zu verwenden, um das seit fünfhundert Jahren kaputtgemachte Land wieder in Ordnung zu bringen.“ (Seite 539)
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