Abstract
HOLL, Adolf: „Der letzte Christ“, Salzburg Wien 2023
Der immer kritische Theologe, Schriftsteller und Publizist Adolf Holl ist 2020 verstorben. Der Residenzverlag gab jetzt seine Biografie über Franz von Assisi, die 1971 erstmals erschienen ist neu heraus. Es ist mehr als eine Biografie. Es ist auch eine sehr gute Schilderung der Zeit und des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit (wie es Holl definiert). Holl hat 33 Bücher geschrieben, die vorliegende Monografie ist mit ihren 400 Seiten das umfangreichste Buch. Die 44 Jahre des Franz von Assisi werden in einzelne Lebensabschnitte geteilt und immer ins Umfeld der Gesellschaft und historischen Ereignisse gestellt. So erfährt man von Holl, dass im Mittelalter nur 180 Tage im Jahr gearbeitet wurde; der Rest waren Feiertage. Eine Arbeitszeit, die man sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr vorstellen kann.
Die ersten 24 Jahre des Franz von Assisi sind eher ereignislos. Er stammte aus einer reichen Familie und führte ein ausschweifendes Leben. Bei einem Kampf der Stadt Assisi gegen die Nachbarstadt Perugia kommt er in Gefangenschaft, aus der ihn der Vater nach einiger Zeit freikaufen kann. Anschließend ändert sich sein Leben. Er macht eine Wallfahrt nach Rom und vereinsamt. Letztlich bricht er mit seiner Familie und zieht sich in ein Bettlerdasein zurück. Dabei restauriert er Kapellen und Kirchen der Umgebung und lebt von Almosen. Die Trennung von der Familie endet mit einem Eklat, bei dem er splitternackt in Assisi auftritt. Die Bevölkerung stuft ihn zu Beginn als Narren ein, respektiert und schätzt ihn aber zunehmend. Vor allem die niedrigeren Gesellschaftsschichten schätzen ihn. Später holt er sich eine Erlaubnis des Papstes, um predigen zu dürfen und so zieht er zehn Jahre durch die Lande. Er kommt aus Italien hinaus, predigt auch in Dalmatien, Spanien und kommt ins heilige Land. Sein erster und wichtigster Mitstreiter war Leo. Ihm verdankt die Nachwelt auch viele Aufzeichnungen. Die unteren Schichten der Gesellschaft sehnen sich nach Predigten und Aussagen von Franz. Er traf mit seinen Reden den Zeitgeist. „Auch in anderen europäischen Städten wurden ab dem elften Jahrhundert Revolten gegen die Geistlichkeit mit Erfolg durchgeführt“ (Seite 50) Seine Organisation – sie nennen sich „Minderbrüder“, weil sie allen Besitz ablehnen – waren nach Plan von Franz nie ein Orden mit Klöstern, sondern eine Genossenschaft von Gleichgesinnten. Er hat sich nie wie ein Abt benommen und hat seinen Mitbrüdern seine Lebenseinstellung vorgelebt, indem er auf alles verzichtete. Keinerlei Besitz. Nur eine Kutte, eine Schnur, die sie zusammenhielt und eine Unterhose. Sommers und Winters ging er ohne Schuhe. Er führte ein absolutes Verbot des Geldgebrauchs ein. „Das Geld als Sündenbock für den Verfall aller Werte.“ (Seite 135)
Holl beschreibt die Beziehung von Franz zu Klara und nennt sie ein Liebespaar, ohne dass sie geschlechtliche Kontakte hatten. Klara stammte wie Franz aus einem reichen und angesehenen Haus. Sie gründete mit Unterstützung von Franz einen weiblichen Ableger der Gesellschaft. Franz hält bis zu seinem Tod Kontakt mit Klara und ist deren Berater.
Seine Bruderschaft erhält durch einen kostenlosen Pacht von den Benediktinern ein Stammhaus unterhalb der Stadt Assisi. Die Anhängerschaft wächst jedes Jahr geht bald in die Tausende. Einmal pro Jahr treffen sie sich zu Pfingsten zu einer Versammlung. Die geografische Ausdehnung erfordert eine Organisation in fünf Regionen, die von Provinzialministern geleitet werden. Obwohl Franz eine strikte Organisation ablehnte, kam es doch zu Regelungen. Als Beispiele seien hier erwähnt:
„Jeder Standesunterschied unter den Minderbrüdern, auch der zwischen Laien und geweihten Priestern, ist verpönt.
Ein periodischer Wechsel zwischen Oberen und Untergebenen ist unbedingt erforderlich.
Die Ämter im Orden sollen als Dienstleistung gelten, weshalb dafür auch die Namen minister (Diener), cusios (Beschützer), guardian (Wachhabender) eingeführt werden.“ (Seite 228)
Vieles aus dem Leben des Heiligen ist nicht dokumentiert. Holl versucht es zu interpretieren und kommt so zum Schluss, dass sein Kontakt in Palästina mit den Kreuzrittern und deren Schlachten sehr einprägsam gewesen sein muss. Schmerzlich war für ihn auch, dass aus seinem Verein, seiner Genossenschaft eine Institution, ein Orden wurde. Er, der besitzlos leben wollte, musste Zugeständnisse zur Errichtung von Ordenshäusern machen. Auch übernahmen zunehmend akademische Mitbrüder das Sagen.
In der Pfingstversammlung des Jahres 1221 gab er die Führung seiner Brüderschaft ab und meinte „Von jetzt an bin ich tot für euch.“ Die Amtskirche versuchte immer mehr Einfluss zu gewinnen. Seine Sorgen veränderten auch seinen Gesundheitszustand und so entstanden auch die Narben des Gekreuzigten. Holl versucht deren Entstehung wissenschaftlich zu begründen. Da er in immer schlechterem Gesundheitszustand seinen Wanderungen nicht mehr nachkommen konnte, zog er auf einem Esel reitend durch die Gegend. Man brachte ihn als Kranken in den Palast des Bischofs von Assisi. Als Franz die Nähe des Todes spürte, bat er, ihn ins Stammhaus am Fuss der Stadt zu bringen. Dies war sehr zum Unwillen der Stadt, denn Franz war zu diesem Zeitpunkt schon ein anerkannter „Heiliger“ und seine Leiche hätte einen Wert für die Stadt dargestellt. So verstarb er dort, wo er begonnen hatte: in der kleinen Kapelle, die er von eigener Hand renoviert hatte. Erst Jahre später baute man ihm eine ehrwürdige große Kirche in der Stadt. Als sein Leichnam überführt wurde, hat man ihn in einem geheimen Platz im Kirchenkomplex begraben. Ein Platz, der erst am Ende des 19. Jahrhundert entdeckt wurde. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde Franz heiliggesprochen.
Die Bruderschaft der Franziskaner spaltete sich später weiter auf. Die Besitzlosigkeit der Mitbrüder wurde durch externe „Nicht-Mitglieder“ umgangen.
Holl versucht auch Ähnlichkeiten zwischen Franz von Assisi und Mao Tse-tung herzustellen. Wie Mao sorgte er sich, dass die Intellektuellen die manuelle Arbeit vernachlässigen könnten. Seine Abkehr von der bürgerlichen Klasse, aus der er kam, wird mit Karl Marx verglichen. Es werden aber auch Trends in der heutigen Gesellschaft registriert, wo Jugendliche in Industrieländern eine Abkehr von ihren bürgerlichen Familien anstreben.
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Eine Arbeitszeit, die man sich in unserer heutigen Zeit nicht mehr vorstellen kann. Die ersten 24 Jahre des Franz von Assisi sind eher ereignislos. Er stammte aus einer reichen Familie und führte ein ausschweifendes Leben. Bei einem Kampf der Stadt Assisi gegen die Nachbarstadt Perugia kommt er in Gefangenschaft, aus der ihn der Vater nach einiger Zeit freikaufen kann. Anschließend ändert sich sein Leben. Er macht eine Wallfahrt nach Rom und vereinsamt. Letztlich bricht er mit seiner Familie und zieht sich in ein Bettlerdasein zurück. Dabei restauriert er Kapellen und Kirchen der Umgebung und lebt von Almosen. Die Trennung von der Familie endet mit einem Eklat, bei dem er splitternackt in Assisi auftritt. Die Bevölkerung stuft ihn zu Beginn als Narren ein, respektiert und schätzt ihn aber zunehmend. Vor allem die niedrigeren Gesellschaftsschichten schätzen ihn. Später holt er sich eine Erlaubnis des Papstes, um predigen zu dürfen und so zieht er zehn Jahre durch die Lande. Er kommt aus Italien hinaus, predigt auch in Dalmatien, Spanien und kommt ins heilige Land. Sein erster und wichtigster Mitstreiter war Leo. Ihm verdankt die Nachwelt auch viele Aufzeichnungen. Die unteren Schichten der Gesellschaft sehnen sich nach Predigten und Aussagen von Franz. Er traf mit seinen Reden den Zeitgeist. „Auch in anderen europäischen Städten wurden ab dem elften Jahrhundert Revolten gegen die Geistlichkeit mit Erfolg durchgeführt“ (Seite 50) Seine Organisation – sie nennen sich „Minderbrüder“, weil sie allen Besitz ablehnen – waren nach Plan von Franz nie ein Orden mit Klöstern, sondern eine Genossenschaft von Gleichgesinnten. Er hat sich nie wie ein Abt benommen und hat seinen Mitbrüdern seine Lebenseinstellung vorgelebt, indem er auf alles verzichtete. Keinerlei Besitz. Nur eine Kutte, eine Schnur, die sie zusammenhielt und eine Unterhose. Sommers und Winters ging er ohne Schuhe. Er führte ein absolutes Verbot des Geldgebrauchs ein. „Das Geld als Sündenbock für den Verfall aller Werte.“ (Seite 135) Holl beschreibt die Beziehung von Franz zu Klara und nennt sie ein Liebespaar, ohne dass sie geschlechtliche Kontakte hatten. Klara stammte wie Franz aus einem reichen und angesehenen Haus. Sie gründete mit Unterstützung von Franz einen weiblichen Ableger der Gesellschaft. Franz hält bis zu seinem Tod Kontakt mit Klara und ist deren Berater. Seine Bruderschaft erhält durch einen kostenlosen Pacht von den Benediktinern ein Stammhaus unterhalb der Stadt Assisi. Die Anhängerschaft wächst jedes Jahr geht bald in die Tausende. Einmal pro Jahr treffen sie sich zu Pfingsten zu einer Versammlung. Die geografische Ausdehnung erfordert eine Organisation in fünf Regionen, die von Provinzialministern geleitet werden. Obwohl Franz eine strikte Organisation ablehnte, kam es doch zu Regelungen. Als Beispiele seien hier erwähnt: „Jeder Standesunterschied unter den Minderbrüdern, auch der zwischen Laien und geweihten Priestern, ist verpönt. Ein periodischer Wechsel zwischen Oberen und Untergebenen ist unbedingt erforderlich. Die Ämter im Orden sollen als Dienstleistung gelten, weshalb dafür auch die Namen minister (Diener), cusios (Beschützer), guardian (Wachhabender) eingeführt werden.“ (Seite 228) Vieles aus dem Leben des Heiligen ist nicht dokumentiert. Holl versucht es zu interpretieren und kommt so zum Schluss, dass sein Kontakt in Palästina mit den Kreuzrittern und deren Schlachten sehr einprägsam gewesen sein muss. Schmerzlich war für ihn auch, dass aus seinem Verein, seiner Genossenschaft eine Institution, ein Orden wurde. Er, der besitzlos leben wollte, musste Zugeständnisse zur Errichtung von Ordenshäusern machen. Auch übernahmen zunehmend akademische Mitbrüder das Sagen. In der Pfingstversammlung des Jahres 1221 gab er die Führung seiner Brüderschaft ab und meinte „Von jetzt an bin ich tot für euch.“ Die Amtskirche versuchte immer mehr Einfluss zu gewinnen. Seine Sorgen veränderten auch seinen Gesundheitszustand und so entstanden auch die Narben des Gekreuzigten. Holl versucht deren Entstehung wissenschaftlich zu begründen. Da er in immer schlechterem Gesundheitszustand seinen Wanderungen nicht mehr nachkommen konnte, zog er auf einem Esel reitend durch die Gegend. Man brachte ihn als Kranken in den Palast des Bischofs von Assisi. Als Franz die Nähe des Todes spürte, bat er, ihn ins Stammhaus am Fuss der Stadt zu bringen. Dies war sehr zum Unwillen der Stadt, denn Franz war zu diesem Zeitpunkt schon ein anerkannter „Heiliger“ und seine Leiche hätte einen Wert für die Stadt dargestellt. So verstarb er dort, wo er begonnen hatte: in der kleinen Kapelle, die er von eigener Hand renoviert hatte. Erst Jahre später baute man ihm eine ehrwürdige große Kirche in der Stadt. Als sein Leichnam überführt wurde, hat man ihn in einem geheimen Platz im Kirchenkomplex begraben. Ein Platz, der erst am Ende des 19. Jahrhundert entdeckt wurde. Zwei Jahre nach seinem Tod wurde Franz heiliggesprochen. Die Bruderschaft der Franziskaner spaltete sich später weiter auf. Die Besitzlosigkeit der Mitbrüder wurde durch externe „Nicht-Mitglieder“ umgangen. Holl versucht auch Ähnlichkeiten zwischen Franz von Assisi und Mao Tse-tung herzustellen. Wie Mao sorgte er sich, dass die Intellektuellen die manuelle Arbeit vernachlässigen könnten. Seine Abkehr von der bürgerlichen Klasse, aus der er kam, wird mit Karl Marx verglichen. Es werden aber auch Trends in der heutigen Gesellschaft registriert, wo Jugendliche in Industrieländern eine Abkehr von ihren bürgerlichen Familien anstreben. }, keywords = {Christentum, Franz, Franz von Assisi, Mönch}, pubstate = {published}, tppubtype = {book} }