Das Floss der Medusa

FRANZOBEL: Das Floss der Medusa. 2023.

Abstract

FRANZOBEL: „Das Floss der Medusa“, München 2019
Ich habe selten so ein grausiges Buch gelesen, wie dieses. ABER, es ist großartig geschrieben. Eigentlich eine einfache Handlung, die man in wenigen Sätzen beschreiben könnte: Anfang des 19. Jahrhunderts fährt ein Schiff von Frankreich nach Afrika. Die Reisenden erwarten sich von ihrem Ziel Senegal ein neues und schöneres Leben. Der Kapitän wurde auf Grund seines politischen Engagements bestellt und hat keine Erfahrung. Das Schiff läuft mitten im Meer auf eine Sandbank auf. Es hat zu wenige Rettungsboote. Die „Privilegierten“ beanspruchen das. Von den 400 Passagieren blieben 150 am Unglücksboot zurück. Sie bauten sich ein Floss. Es sollte von den Ruderbooten gezogen werden. Um schneller voranzukommen, löste ein Offizier das Abschleppseil und das Floss trieb steuerungslos im Meer. 13 Tage ohne Essen und Trinken. Menschliche Umgangsformen und Gesetze wurden in dieser Notfallssituation ausgeblendet. Jeder kämpfte ums Überleben. Es gab ein gegenseitiges Abschlachten und letztlich aßen die letzten das Fleisch der Verstorbenen. Nur jeder Zehnte überlebte. Die Rettungsbootinsassen kamen an ihr Ziel und erzählten von ihren Geschehnissen positiv. Das Floss wurde verschwiegen. Aber auch die wurden gefunden und kamen geschunden am Ziel an. Sie wurden wenig beachtet. Der Schiffsarzt, der das informelle Kommando am Floss hatte, schrieb alles auf. Es wurde veröffentlicht. Der zuständige Marineminister degradierte ihn darauf. Letztendlich setzte sich die Wahrheit durch und der unfähige Kapitän wurde verurteilt.
Franzobel versteht es aber alle Situation sehr detailgenau zu beschreiben, als wäre er selbst dabei gewesen und als hätte er vor 150 Jahren gelebt und beschreibt die Geschichte auf 600 Seiten. Als die Entscheidung fiel, das Schiff zu verlassen und mit den Rettungsbooten Land zu erreichen begann ein Kampf um die Plätze und jene, die mitkamen wollten noch viele Dinge mitnehme. „Sie hatten, einem niedrigen Instinkt folgend, damit begonnen, ihre Habseligkeiten an Deck zu bringen. Überall wurden Taschen, Bündel und Kisten abgestellt.“ (Seite 295) Der neue Gouverneur von Senegal wollte sogar eine Guillotine mitnehmen. Die Menschen klammerten sich an ihr Gepäck, das aber letztlich zurückbleiben musste.
Der Fokus des Buchs lag bei den Passagieren am Floss. Sie schlachteten sich gegenseitig ab, um zu überleben. Als es voll besetzt war, stand den Menschen das Wasser bis zu den Knien. Erst mit weniger Gewicht und dem Sterben von Mitreisenden, die ins Wasser geworfen wurden, kamen sie auch ins Trockene. Die Auseinandersetzungen waren sehr brutal und ich will hier keine Details widergeben. Sie wären für Jugendliche und schwache Nerven nicht zumutbar. Es gab nichts zu essen. Der eigene Urin wurde getrunken. Sterbende filetiert. Sogar die Eiterwimmerl eines Matrosen wurden aufgedrückt und gegessen. Dabei handelte es sich bei den Leichenfressern um ganz normale Menschen aus den verschiedensten Berufsgruppen und verschiedenen Religionen. Als sie nur mehr 15 waren, stellten sie sich die Frage, ob sie die Stärksten seien.
Auch wenn viele gerettet wurden, waren sie andere Menschen. Einige verdrängten die Geschehnisse, andere wurden verrückt.

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    Franzobel versteht es aber alle Situation sehr detailgenau zu beschreiben, als wäre er selbst dabei gewesen und als hätte er vor 150 Jahren gelebt und beschreibt die Geschichte auf 600 Seiten. Als die Entscheidung fiel, das Schiff zu verlassen und mit den Rettungsbooten Land zu erreichen begann ein Kampf um die Plätze und jene, die mitkamen wollten noch viele Dinge mitnehme. „Sie hatten, einem niedrigen Instinkt folgend, damit begonnen, ihre Habseligkeiten an Deck zu bringen. Überall wurden Taschen, Bündel und Kisten abgestellt.“ (Seite 295) Der neue Gouverneur von Senegal wollte sogar eine Guillotine mitnehmen. Die Menschen klammerten sich an ihr Gepäck, das aber letztlich zurückbleiben musste. 
    Der Fokus des Buchs lag bei den Passagieren am Floss. Sie schlachteten sich gegenseitig ab, um zu überleben. Als es voll besetzt war, stand den Menschen das Wasser bis zu den Knien. Erst mit weniger Gewicht und dem Sterben von Mitreisenden, die ins Wasser geworfen wurden, kamen sie auch ins Trockene. Die Auseinandersetzungen waren sehr brutal und ich will hier keine Details widergeben. Sie wären für Jugendliche und schwache Nerven nicht zumutbar. Es gab nichts zu essen. Der eigene Urin wurde getrunken. Sterbende filetiert. Sogar die Eiterwimmerl eines Matrosen wurden aufgedrückt und gegessen. Dabei handelte es sich bei den Leichenfressern um ganz normale Menschen aus den verschiedensten Berufsgruppen und verschiedenen Religionen. Als sie nur mehr 15 waren, stellten sie sich die Frage, ob sie die Stärksten seien. 
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